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§ 460 ASVG als Grenze für (günstigere) Sondervereinbarungen bei den Sozialversicherungsträgern

CHRISTOSKARIOTIS

Zwischen dem kl Zentralbetriebsrat (ZBR) und der bekl Pensionsversicherungsanstalt (PVA) wurde eine BV abgeschlossen. Diese sieht einen Anspruch auf bis zu zwei zusätzliche Urlaubstage pro Kalenderjahr vor, wenn ein Feiertag auf einen Samstag fällt („Samstagsfeiertagsregelung“). Streitgegenständlich ist nun die Frage, ob die abgeschlossene BV die Voraussetzungen des § 460 ASVG erfülle, um eine rechtswirksame Geltung erlangen zu können. In diesem Zusammenhang hat der ZBR der PVA eine Feststellungsklage gem § 54 Abs 1 ASGG erhoben. Die Vorinstanzen wiesen das Begehren ab.

Der OGH wies die Revision der Kl mangels Vorliegens einer erheblichen Rechtsfrage zurück und hielt in seiner Begründung fest, dass seit der Einführung des § 460 ASVG am 1.1.1988 die Formalvoraussetzungen dieser Bestimmungen eingehalten werden müssen, wenn sich der AN auf ihn begünstigende Sondervereinbarungen – sei es auch im Rahmen einer Betriebsübung – berufen will. Gem § 460 Abs 1 Satz 2 ASVG können (nur) in begründeten Fällen im Dienstvertrag von den Dienstordnungen (§ 31 Abs 3 Z 9 aF bzw § 30b Abs 1 Z 1 nF ASVG) abweichende Vereinbarungen – ausgenommen 327 solche über die Höhe einer Leitungszulage – getroffen werden. Gem § 460 Abs 1 Satz 4 ASVG sind Dienstverträge mit solchen Vereinbarungen als Sonderverträge zu bezeichnen und nur dann gültig, wenn sie schriftlich abgeschlossen werden und der Hauptverband (ab 1.1.2020: der Dachverband) vor dem Abschluss schriftlich zugestimmt hat. Die Zustimmung muss ausdrücklich sein. Eine solche Zustimmung des Haupt- bzw Dachverbandes liegt unstrittig nicht vor.

Der Kl beruft sich darauf, dass die „Samstagsfeiertagsregelung ausdrücklich Thema von Betriebsvereinbarungen“ zwischen der Bekl und dem BR gewesen sei und die Bekl der Regelung ausdrücklich zugestimmt habe. Das Gesetz verlangt aber eindeutig (auch) eine schriftliche Zustimmung des Hauptverbandes bzw nunmehr Dachverbandes. Offenkundiger Zweck dessen ist gerade, dass ein Sozialversicherungsträger allein einen Sondervertrag nicht abschließen kann. Fehlt die erforderliche Zustimmung des Hauptverbandes (nunmehr Dachverbandes), gibt es auch keinen Vertrauensschutz. Einer Berufung auf den Vertrauensschutz steht entgegen, dass der Gesetzgeber durch § 460 Abs 1 ASVG gerade ausschließen wollte, dass „Sozialversicherungsbedienstete unter Berufung auf die bisherige Betriebsübung, auf den arbeitsrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatz und auf behauptete konkludente Vereinbarungen […] eine Besserstellung gegenüber dem allgemein vorgesehenen dienstrechtlichen Niveau [erreichen]“ (ErläutRV 324 BlgNR 17. GP 43; vgl Klein in Mosler/Müller/Pfeil [Hrsg], Der SVKomm §§ 460a–460c ASVG Rz 7; Resch, Begründung arbeitsrechtlicher Rechte und Pflichten: Allgemeines Arbeitsrecht versus Formstrenge im Dienstrecht, JAS 2017, 340 [344, 347]).

Der Kl führt ins Treffen, dass im Bereich der PVA der Arbeiter die Samstagsfeiertagsregelung als Betriebsübung bereits vor dem 1.1.1988 bestanden habe und § 460 Abs 1 ASVG daher zeitlich nicht anwendbar sei. Das Berufungsgericht verwies bereits eingangs seiner rechtlichen Ausführungen darauf, dass der Kl mit Schriftsatz vom 12.10.2018 ausdrücklich erklärt habe, das Klagebegehren hinsichtlich der betrieblichen Übung „vor der Novelle mit 1.1.1988“ sowohl in Bezug auf die PVA der Arbeiter als auch die PVA der Angestellten (welche zum 1.1.2003 zur Bekl fusionierten) zurückzuziehen. Das Berufungsgericht schloss daraus, dass nur mehr auf eine behauptete betriebliche Übung seit dieser Novelle gestützte Ansprüche verfahrensgegenständlich seien. Sowohl die Auslegung des Parteienvorbringens als auch die des Klagebegehrens im Einzelfall ist – abgesehen von Verstößen gegen Denkgesetze oder Unvereinbarkeit mit dem Wortlaut – jeweils keine erhebliche Rechtsfrage iSd § 502 Abs 1 ZPO. Wenn das Berufungsgericht aufgrund der mit dem Schriftsatz vom 12.10.2018 vorgenommenen Klagsänderung und der hierzu vom Kl gegebenen Begründung den Schluss zog, der Kl stütze sich nicht mehr auf eine Betriebsübung im Bereich der PVA der Arbeiter bereits vor dem 1.1.1988, ist dies vertretbar. Jedenfalls stellt die außerordentliche Revision nicht dar, warum die Auslegung des Berufungsgerichts korrekturbedürftig sein sollte.

Der Kl äußert die Ansicht, § 460 Abs 1 ASVG sei verfassungswidrig. Die Bestimmung verhindere nicht nur betriebliche Übungen, sondern auch Vereinbarungen zwischen AG und Belegschaftsvertretern, die als Vertragsschablonen auf die Einzelverträge einwirkten. Damit würden AN der Bekl nicht gleich wie AN sonstiger AG behandelt und unsachlich benachteiligt. Es liege weder im öffentlichen Interesse noch sei es verhältnismäßig und sachlich begründbar, dass § 460 Abs 1 ASVG für einen Rechtsträger, auf welchen sonst das „normale“ private Arbeitsrecht zur Anwendung gelangt, Regelungen vorsieht, wonach eine Bindung an die Dienstordnung – mit Ausnahme der Zustimmung des Dachverbandes – zwingend vorgesehen ist, die also eines der Grundprinzipien des privaten Arbeitsrechts, nämlich das Günstigkeitsprinzip, de facto in diesem Bereich abschaffe.

Nach stRsp des OGH können Sozialversicherungsträger – und damit auch die bekl PVA – als Körperschaften des öffentlichen Rechts mit hoheitlichen Befugnissen nicht schlechthin einem privaten DG gleichgesetzt werden, auch wenn die von ihnen abgeschlossenen Dienstverträge privater Natur sind (OGH 11.8.1993, 9 ObA 206/93; OGH 26.1.1995, 8 ObA 302/94; OGH 14.2.2001, 9 ObA 324/00p). Zweck einer Vorschrift wie sie hier mit § 460 Abs 1 ASVG vorliegt, ist auch der Schutz des gerade nicht privaten DG und damit der öffentlichen Hand iwS vor den Kosten sachlich nicht gerechtfertigter Privilegierungen.

Dies zeigt sich auch darin, dass § 460 Abs 1 ASVG auf eine Anregung des Rechnungshofs zurückgeht (ErläutRV 324 BlgNR 17. GP 43). Die Sozialversicherungsträger sind in ihrer gesamten Gebarung an die Grundsätze der Sparsamkeit, Wirtschaftlichkeit und Zweckmäßigkeit gebunden; der Rechnungshof ist berufen, ihre Gebarung unter den erwähnten Kriterien zu überprüfen. Die strengen Voraussetzungen, an die der Gesetzgeber günstigere Einzelvereinbarungen geknüpft hat (§ 460 Abs 1 ASVG), wurzeln im die Verwaltung der SV prägenden Wirtschaftlichkeitsgebot.

Gegen die Verfassungsgemäßheit von Bestimmungen, wie den hier statuierten Zustimmungserfordernissen zum Abschluss von Sonderverträgen, bestehen aus Sicht des OGH keine Bedenken. Nur wenn der OGH Bedenken gegen die Verfassungsmäßigkeit einer Gesetzesbestimmung hat, ist er zur Einleitung eines Normprüfungsverfahrens verpflichtet. Ob Bedenken gegen die Anwendung eines Gesetzes aus dem Grund der Verfassungswidrigkeit bestehen, ist nach objektiven Gerichtspunk 328ten zu prüfen. Eine Pflicht des Gerichts zur Anrufung des VfGH besteht nicht bereits deshalb, weil eine Partei Bedenken an der Verfassungsmäßigkeit eines Gesetzes äußert. Letzteres gilt umso mehr seit Einführung des Parteiantrags auf Normenkontrolle zum 1.1.2015 (Art 140 Abs 1 Z 1 lit d BVG; § 528b ZPO), hat doch nunmehr jede Partei abseits von engen, hier nicht vorliegenden Ausnahmen stets die Möglichkeit, anlässlich der Anfechtung der erstinstanzlichen Entscheidung, ihre Bedenken gegen die Gültigkeit einer präjudiziellen Norm selbst an den VfGH heranzutragen. Dies unterließ hier der Kl.

Die Berechnung des Urlaubsmaßes nach dem Urlaubsgesetz erfolgt nach Werktagen. Darunter sind die Wochentage von Montag bis einschließlich Samstag mit Ausnahme der in diesen Zeitraum fallenden gesetzlichen Feiertage zu verstehen. Sonntage und gesetzliche Feiertage, die in den Zeitraum des Urlaubsverbrauchs fallen, sind daher nicht als Werktage zu berechnen. Werktage, an denen im Betrieb nicht gearbeitet wird (zB ein Samstag bei einer Fünf-Tage-Woche), werden hingegen auf den Urlaub angerechnet. Fällt ein gesetzlicher Feiertag auf einen ansonsten arbeitsfreien Werktag, ist dieser Feiertag auf den Urlaub nicht anzurechnen; es ist für diesen Feiertag vielmehr ein zusätzlicher Urlaubstag zu gewähren.

Wird der Urlaub – so wie es bei der Bekl, bei der von Montag bis Freitag gearbeitet wird, der Fall ist – in Arbeitstagen berechnet, so ist er nur für Arbeitstage zu gewähren. In Fällen, in denen der Samstag arbeitsfrei ist, bleibt ein auf einen Samstag fallender Feiertag auf den Urlaubsverbrauch ohne Einfluss. Ebenso wie bei der Werktagsregelung ein auf einen Sonntag fallender Feiertag keine Auswirkung auf die Dauer des Urlaubs hat, hat bei der Arbeitstagsregelung ein Samstagfeiertag, wenn der Samstag allgemein arbeitsfrei ist, außer Betracht zu bleiben. Aus Sicht des OGH stellt daher die Samstagsfeiertagsregelung, wonach ein AN für jeden Samstag, der auf einen Feiertag entfällt, einen zusätzlichen Urlaubstag erhält (höchstens aber zwei), stellt daher eine Begünstigung der AN gegenüber der Gesetzeslage sowie der Dienstordnung dar. Eine solche Begünstigung wäre aber nur unter den Bedingungen des § 460 Abs 1 ASVG zulässig, die in diesem Fall jedoch nicht vorliegt.