Gyulavári/Menegatti (eds)The Sources of Labour Law

Kluwer Law International, Alphen aan den Rijn 2020, 440 Seiten, gebunden, € 140,–

MIRIAMKULLMANN (WIEN)

Das Arbeitsrecht ist eine einzigartige Errungenschaft moderner zivilisierter Gesellschaften, was ebenso schützenswert ist, wie bedeutende Monumente der Weltarchitektur, schreiben die beiden Herausgeber, Tamás Gyulavári und Emanuele Menegatti, dieses Sammelbandes in ihrer Einleitung (S 1). Mit dieser Aussage soll auf zwei Beobachtungen der Herausgeber hingelenkt werden, nämlich zum einen, dass Arbeitsnormen (labour standards) weltweit sukzessive „demoliert“ (demolished) werden und zum anderen, dass arbeitsrechtliche Institutionen fortwährend „modernisiert“ werden. Grund dafür, so die Herausgeber, sind neoliberale Ideologien. Kurzum könnte man sagen, das Arbeitsrecht steckt in einer Krise (Davidov/Langille, Understanding Labour Law: A Timeless Idea, a Timed-Out Idea, or an Idea Whose Time has Now Come? in Davidov/Langille [Hrsg], The Idea of Labour Law [2011] 1 [1-3]). Seit vielen Jahren schon wird am Arbeitsrecht „herumgeschraubt“, um es hie und da zu „flexibilisieren“ oder auch zu „modernisieren“. Das hat einerseits zur Folge, dass das Arbeitsrecht selber fortwährend umstrukturiert wird, und andererseits eine Neuordnung der Quellen und Struktur der arbeitsrechtlichen Regulierung bedeutet. Genau dieser zweite Aspekt ist das Hauptthema des Sammelbandes. Ausgehend von der Hypothese, dass die Struktur der Quellen des Arbeitsrechts und ihre Hierarchie in letzter Zeit durch Bemühungen der Gesetzgeber, Politiker, Wirtschaftswissenschaftler und der AG-Lobby in Frage gestellt wurden, verfolgen die Herausgeber, gemeinsam mit den Autoren, das Ziel, Änderungen, was die Quellen des Arbeitsrechts und ihre Rangordnung betrifft, sichtbar zu machen.

Zu diesem Zweck wurde der Sammelband in zwei Teile unterteilt, angefangen mit fünf „horizontalen Kapiteln“, in denen übergreifende Themen, wie die historischen Wurzeln des Arbeitsrechts (Alan C.80Neal), die Regulierung durch Kollektivverträge (Edoardo Ales), die Rolle der Richter als „Gesetzgeber“ in den Common-Law-Ländern (Joellen Riley Munton) sowie in den Civil-Law-Ländern (Martin Risak), als auch der Einfluss der wirtschaftspolitischen Steuerung auf EU-Ebene (Emanuele Menegatti), erörtert werden. Diese Beiträge befassen sich mit allgemeinen Themen. Dieser Teil wird ergänzt durch zehn nationalrechtliche Kapitel, die, bemerkenswerterweise anders als man es in vielen anderen englischsprachigen Sammelbänden vorfindet, Länder aller relevanten Kontinente repräsentieren, nämlich Australien, Brasilien, Dänemark, Deutschland, Frankreich, Italien, Polen, Russland, Schweden, Spanien, Südafrika, die UK, Ungarn und die USA.

Zu Beginn, in ihrer Einleitung, geben die Herausgeber eine für den Leser sehr hilfreiche vergleichende Zusammenfassung der Länderberichte und unterscheiden dabei die folgenden vier Themen: die verfassungsrechtliche Dimension der Regulierung von Arbeit, die Beziehung zwischen Gesetzesrecht und Kollektivverhandlungen, die Dezentralisierung der Kollektivverhandlungen und die Rolle des Arbeitsvertrags. Obwohl ein solcher Einblick durchaus als sinnvoll zu betrachten ist, weil es die in den einzelnen Ländern ergriffenen Maßnahmen darstellt, hätte dieser Teil der Einleitung noch damit ergänzt werden können, welche konkreten Flexibilisierungsmaßnahmen auf politischer Ebene zu den Änderungen geführt haben, da diese zu verschiedenen Zeitpunkten durchgeführt wurden und deren Beweggründe durchaus unterschiedlich sein können.

Betrachtet man das Ziel der Herausgeber, nämlich einen Einblick in die Veränderungen nationaler Rechtsordnungen als Folge verschiedener Flexibilisierungsmaßnahmen zu verschaffen, so ist es ihnen und den Autoren grundsätzlich gelungen. Aus eigener Erfahrung kann ich berichten, dass es eine Herausforderung ist, von zehn ArbeitsrechtsexpertenInnen aus teils sehr unterschiedlichen Ländern zu verlangen, dass sie inhaltlich vergleichbare Beiträge verfassen, möglichst in einer vergleichbar sprachlichen Qualität. Die Kunst besteht darin, die ExpertenInnen dazu zu bewegen, ähnliche Themen anzusprechen und auch möglichst ähnlich detailliert. Unterschiedliche (Rechts-)Traditionen jedoch führen dazu, dass sich nicht nur das Arbeitsrecht in den Ländern teils stark voneinander unterscheidet, sondern auch die (methodische) Herangehensweisen und die verwendeten Begrifflichkeiten. Man denke zB an den Unterschied zwischen Common-Law-Ländern, wo das Richterrecht eine erhebliche Rolle spielt, auch wenn sich hier eine „Vergesetzlichung“ abzeichnet (Joellen Riley Munton), und den Civil-Law-Ländern, wo das Gesetzesrecht eine zentrale Rolle spielt, aber den Gerichten die Aufgabe der „Lückenfüller“ zukommt (Martin Risak). Auch was das kollektive Arbeitsrecht betrifft, sind teils gravierende Unterschiede festzustellen. So kommt den Sozialpartnern in Dänemark und Schweden eine große arbeitsmarktpolitische Rolle zu, da der Gesetzgeber nur einen basalen rechtlichen Rahmen festgestellt hat und die Feststellung von Arbeitsnormen und deren Durchsetzung den AN- und AG-VertreterInnen überlassen ist. Wenngleich auch in Deutschland und anderen Ländern in manchen Wirtschaftszweigen von einer starken Sozialpartnerschaft gesprochen werden kann, so ist und bleibt das Gesetzesrecht eine wichtige Grundlage für das Arbeitsrecht.

Der Sammelband ist zweifelsohne lesens- und empfehlenswert für diejenigen, die interessiert daran sind, eine prägnante Übersicht über die verschiedenen Arbeitsrechtsmodelle und deren aktuelle Entwicklungen zu bekommen. Wer jedoch weiterführende Analysen dieser Entwicklungen oder konkrete Ausarbeitungen einzelner arbeitsrechtlicher Bestimmungen und Regelungen sucht, wird sie in diesem Band nicht finden, da die Autoren in ihren Beiträgen, weil so gefordert von den Herausgebern, eine möglichst deskriptive Beschreibung der arbeitsrechtlichen Quellen und ihre Rangordnung geben sollten (S 2). Für die rechtsvergleichende Wissenschaft jedoch sind diese Art von Büchern überaus nützlich, ermöglichen sie doch einem breiten Publikum den Zugang zu Informationen. Mehrsprachigkeit und ein oder mehrere Auslandsaufenthalte sind und bleiben, trotz der Verfügbarkeit vieler Informationen im Internet, aber eine wichtige Voraussetzung für all jene, die sich vertiefend mit bestimmten Rechtsfragen und Themen auseinandersetzen wollen oder beruflich auch müssen.