Thüsing/DenzerRechtssichere Betriebsratsvergütung – Praxishandbuch

Bund-Verlag, Frankfurt am Main 2019, 209 Seiten, gebunden, € 39,90

GÜNTHERLÖSCHNIGG (GRAZ)

Sehr häufig sind Bücher aus dem deutschen Rechtsraum in Hinblick auf eine rechtsvergleichende Perspektive, insb iS eines Modellvergleiches, von Interesse. Der Wert des Rechtsvergleiches liegt dann häufig in der86Ideenanreicherung für den Sozialpolitiker. Das vorliegende Werk zur Betriebsratsvergütung kann hingegen in vielen Belangen unmittelbar für die rechtliche Situation in Österreich herangezogen werden, da sich die Grundprinzipien des deutschen und österreichischen Arbeitsrechts diesbezüglich decken.

Ausgangspunkt ist § 37 Abs 1 BetrVG: Die Mitglieder des BR führen ihr Amt unentgeltlich als Ehrenamt. In § 115 Abs 1 ArbVG heißt es: Das Mandat des Betriebsratsmitgliedes ist ein Ehrenamt. ... Gleichzeitig sieht § 78 S 2 BetrVG vor, dass Betriebsratsmitglieder „in der Ausübung ihrer Tätigkeit nicht gestört oder behindert ... [und] wegen ihrer Tätigkeit nicht benachteiligt oder begünstigt werden [dürfen]; dies gilt auch für ihre berufliche Entwicklung“. § 115 Abs 3 ArbVG ist sprachlich nicht ident, inhaltlich aber gleich ausgestaltet. Hinsichtlich des weiterzuzahlenden Entgelts – insb der freigestellten Betriebsratsmitglieder – ist allerdings das deutsche Regelungswerk konkreter. Nach § 37 Abs 4 BetrVG darf das Entgelt von Mitgliedern des BR (einschließlich eines Zeitraumes von einem Jahr nach Beendigung der Amtszeit) nicht geringer bemessen werden als das Arbeitsentgelt vergleichbarer AN mit betriebsüblicher beruflicher Entwicklung.

Dieser normative Rahmen wird einer praxisbezogenen Analyse unterzogen. Ausgehend von grundsätzlichen Überlegungen zur Betriebsratstätigkeit als Ehrenamt, zum Lohnausfallsprinzip und zum Benachteiligungs- und Begünstigungsverbot diskutieren die Autoren auch die Frage von Vergütungen von AN-VertreterInnen im Aufsichtsrat und kommen in Anlehnung an die Literatur zu differenzierten Lösungen, je nachdem, ob diese Form der unternehmerischen Mitbestimmung auf Grund des DrittelbeteiligungsG oder des MitbestimmungsG ausgeübt wird. Der sachliche Grund für eine Besserstellung der AN-VertreterInnen im Aufsichtsrat soll in den während der Aufsichtsratstätigkeit erlangten Kenntnissen und Fähigkeiten liegen (S 59).

Der zweite große Abschnitt ist mit „Entgeltentwicklung von Betriebsratsmitgliedern“ umschrieben und behandelt die einzelnen Tatbestandselemente des § 37 Abs 4 BetrVG. Primär erörtert wird die Frage, wer als vergleichbarer AN verstanden werden kann und ob der Judikatur zu folgen ist, wenn sie solche AN heranzieht, die „im Zeitpunkt der Übernahme des Betriebsratsamts ähnliche, im Wesentlichen gleich qualifizierte Tätigkeiten wie das Betriebsratsmitglied ausgeübt haben und dafür in ähnlicher Art und Weise wie das Betriebsratsmitglied fachlich und persönlich qualifiziert waren“ (S 63). Den Autoren zufolge soll jedenfalls für die Feststellung der Vergleichspersonen der Zeitpunkt der Aufnahme der Tätigkeit als BR und nicht ein eventuell späterer Zeitpunkt der Freistellung entscheidend sein. Gregor Thüsing und Matthias Denzer vertreten hiebei auch eine dynamische Betrachtungsweise: Änderungen in der Qualifikation des Betriebsratsmitglieds während seiner Funktionsperiode können auch einen Wechsel der Referenzpersonen zur Konsequenz haben. Die Suche nach vergleichbaren AN und die Ermittlung deren hypothetischer Entwicklung führt zu einer Unzahl von Fragen. Dies beginnt etwa bei der Eingrenzung der Personengruppe, wenn eine größere Anzahl von vergleichbaren AN zur Verfügung steht. Welche statistische Größe wird bei Entgelterhöhungen herangezogen? Die Autoren wählen in diesem Zusammenhang nicht das Durchschnittsentgelt der gesamten Vergleichsgruppe, sondern den Median, dh die „Mitte“ der Entgelte der in den Vergleich einbezogenen Personen.

Extrem schwierig gestaltet sich die Berücksichtigung der beruflichen Entwicklung. Soweit eine betriebsübliche Entwicklung, dh ein betriebs- oder unternehmenstypischer Karriereverlauf, erkennbar ist, wird man darauf abstellen müssen. Im Fall von Einzelkarrieren behelfen sich die Autoren teilweise mit dem Hinweis auf den Median. Sie verweisen aber zu Recht darauf, dass eine Vergütungsabwicklung, die auf den „Schwerpunkt der vergleichbaren Arbeitnehmer“ abstellt, an ihre Grenzen stößt, wenn nur ein vergleichbarer AN existiert. Nach Auffassung von Thüsing/Denzer ist es auch hinzunehmen, dass es „gegebenenfalls zu einer Besserstellung des Betriebsratsmitglieds im Vergleich zu seiner hypothetischen Karriere“ kommen kann, wenn mit nur einer Referenzperson das Auslangen zu finden ist (S 94).

Der Schwerpunkt der Arbeit liegt bei der Ermittlung der Betriebsratsvergütung und nicht beim Benachteiligungsverbot an sich. Insofern mussten gewisse Phänomene, wie die Nichtverlängerung von Arbeitsverträgen wegen der betriebsrätlichen Tätigkeit, außer Betracht bleiben. Bei gewissen Übergängen wäre dennoch eine gewisse explizitere und/oder intensivere Auseinandersetzung von Interesse gewesen. Ein Beispiel ist die Verbindung von Zielerreichung und Entgelterhöhung. So gehen die Autoren ausführlich auf die Berechnung eines Bonusanteils nach Zielerreichungsgrad ein und differenzieren verständlicherweise zwischen teilweise und vollständig freigestellten Betriebsratsmitgliedern, setzen aber stets voraus, dass vor der Betriebsratstätigkeit ein „durchschnittlich erreichter Zielerreichungsgrad“ messbar, erkennbar oder überhaupt erreichbar ist. Man denke aber an Konstellationen, bei denen AN unmittelbar nach Erreichen der Beschäftigungsvoraussetzung für das passive Wahlrecht in den BR gewählt werden und ein vorangegangener Zielerreichungsgrad nicht ermittelt werden kann.

Aus österreichischer Sicht ist in diesem Zusammenhang auch die Zusammenschau der Rsp des BAG nicht unwesentlich. Hervorgehoben sei nur das Urteil des BAG vom 27.6.2001 – 7 AZR 496/99, BAGE 98, 164 (zit in FN 390). In dieser E hebt das Höchstgericht hervor, dass uU zwischen Qualifikationsniveau bei Karriereschritten und Entgeltniveau von nicht zum Zuge gekommenen Betriebsratsmitgliedern zu unterscheiden ist: Scheitert eine Bewerbung eines freigestellten Personalratsmitglieds an fehlenden aktuellen Fachkenntnissen oder daran, dass der AG sich zur Beurteilung der fachlichen und beruflichen Qualifikationen infolge der Freistellung außerstande gesehen hat, so ist zwar die Entscheidung des AG für den als qualifizierter erachteten Bewerber ... nicht zu beanstanden, gleichwohl kann in einem solchen Fall eine Zahlungspflicht ... entstehen, wenn das Fehlen von feststellbarem, aktuellem Fachwissen gerade auf Grund der Freistellung eingetreten ist.

Eine in der Betriebsverfassung zumeist als Nebenschauplatz wahrgenommene Problematik rückt bei der Betriebsratsvergütung in den Vordergrund. Soll sich das Einkommen des Betriebsratsmitglieds am Entgelt der Vergleichsgruppe orientieren, dann muss dem betroffenen Betriebsratsmitglied die Einkommenshöhe87der anderen AN auch bekannt sein. Das betriebsverfassungsrechtliche Interesse an der Absicherung der Rechtsstellung des Vertretungsorgans und das individualrechtliche Interesse des Betriebsratsmitglieds am ungeschmälerten Entgelt kollidieren mit den Geheimhaltungsinteressen der vergleichbaren AN und des AG. Ausgehend von der Rsp des BAG kommen auch Thüsing/Denzer zu einem Auskunftsrecht über die Gehaltsentwicklung der vergleichbaren AN: Im Rahmen einer Interessenabwägung ist den Interessen des Betriebsratsmitglieds Vorrang vor den Interessen der betroffenen AN und des AG einzuräumen. Die Wertungen der Datenschutz-Grundverordnung und des Bundesdatenschutzgesetzes stehen dem nicht entgegen.

Der im Wesentlichen letzte Abschnitt des Buches beschäftigt sich mit den zivilrechtlichen Rechtsfolgen bei benachteiligenden, aber auch bei begünstigenden Betriebsratsvergütungen. Letztere Fragestellungen sind rechtsdogmatisch die interessanteren. Auch in diesem Zusammenhang schließen sich die Autoren weitgehend der Judikatur des BAG an: Wenn das BetrVG verhindern will, dass Betriebsratsmitglieder ihre Integrität durch die Gewährung materieller Vorteile verlieren, wäre es widersprüchlich, wenn Betriebsratsmitglieder die rechtswidrig zugeflossenen Vermögensvorteile behalten dürften (S 180).

Im Ergebnis handelt es sich bei dem „Praxishandbuch“ um einen ausgezeichneten Behelf für AG und BR. Äußerst hilfreich ist dabei die Fülle an Verweisen auf die einschlägige Literatur und Judikatur. Dies ermöglicht aber auch eine gewisse für den Praktiker nicht unwesentliche Kürze in der Darstellung.