Schmidt (Hrsg)Jahrbuch des Arbeitsrechts – Gesetzgebung, Rechtsprechung, Literatur – Dokumentation für das Jahr 2018

Erich Schmidt Verlag, Erfurt 2019, 365 Seiten, gebunden, € 152,20

JULIAHEINDL (WIEN)

Das vorliegende Werk behandelt aktuelle Entwicklungen im deutschen Arbeitsrecht. Der Hauptteil umfasst vier detaillierte Abhandlungen: Das neue Mutterschutzgesetz, die Vergütungsregelungen für Umkleide-, Weg- und Reisezeiten, die Haftung im Arbeitsverhältnis und die arbeitskampfrechtlichen Entwicklungen. Außerdem ist die Gerichtsstruktur, die Gesetzgebung, der Jahresbericht des Bundesarbeitsgerichts (BAG), die Rsp sowie das Schrifttum aus dem Jahr 2018 abgebildet. Nachfolgend werden einzelne Aspekte dieser Abhandlungen dargestellt.

Zunächst stellen Bernd Schiefer und Esther Baumann die Änderungen des deutschen Mutterschutzgesetzes (nachfolgend MuSchG) umfangreich dar. Genaue Betrachtung erfordert § 3 I 1 MuSchG, welcher eine Weiterbeschäftigung Schwangerer mit deren ausdrücklicher Zustimmung während der vorgeburtlichen Schutzfrist erlaubt. Dagegen kann die Frau während der nachgeburtlichen Schutzfrist einer allfälligen Beschäftigung nicht zustimmen und ist absolut geschützt. Dies entspricht den Vorgaben des Art 8 RL 92/85/EWG (Risak in Franzen/Gallner/Oetker [Hrsg], Kommentar zum europäischen Arbeitsrecht3 [2020] Art 8 RL 92/85/EWG Rz 7). Die österreichische Rechtslage kennt eine solche Weiterbeschäftigungsmöglichkeit nicht. Gem § 3 und § 5 MSchG gilt ein absolutes Beschäftigungsverbot sowohl während der vor- als auch der nachgeburtlichen Schutzfrist (Wolfsgruber-Ecker in Neumayr/Reissner [Hrsg], ZellKomm3 [2018] § 3 MSchG Rz 1). Weiters verdient die Erweiterung des Kündigungsschutzes Beachtung. Gem § 17 I 3 MuSchG sind auch Vorbereitungshandlungen, die der AG bezüglich der Kündigung einer Frau iSd § 17 I MuSchG trifft, unzulässig. Nicht geregelt wurde, was unter Vorbereitungshandlungen zu verstehen ist. Zur Frage der Zulässigkeit von Vorbereitungshandlungen während der Schutzfrist gibt es auch noch keine deutsche Rsp und nur vereinzelt EuGH-Rsp. Laut EuGH ist schon die Suche und Planung eines Ersatzes für Schwangere oder Stillende während des Kündigungsschutzes aus Gründen der Schwangerschaft/Geburt unzulässig (EuGHC-460/06, Paquay, EU:C:2007:601, Rz 38). Nach den Materialien des deutschen Gesetzgebers wurde mit § 17 I 3 MuSchG das Paquay-Urteil umgesetzt. Deshalb sollen davon wohl nicht sämtliche Vorbereitungshandlungen erfasst sein, sondern nur jene, die aus Gründen von Schwangerschaft/Geburt erfolgen (Evermann, NZA 2018, 550 (555 f); EuGH Rs Paquay, Rz 38). In der Literatur wird kontrovers diskutiert, ob AN iSd § 17 I MuSchG in eine Massenentlassungsanzeige aufgenommen werden dürfen. Schiefer/Baumann verneinen dies (ebenfalls Bayreuther, NZA 2017, 1145 [1146]). Dagegen stellt nach Ansicht des EuGH eine Massenentlassungsanzeige eine zulässige Vorbereitungshandlung der Kündigung dar, wenn sie schwangerschaftsunabhängig erfolgt (EuGHC-103/16, Guisado, EU:C:2018:99, Rz 43 ff). Immerhin sieht auch § 17 II MuSchG die Möglichkeit der Kündigung von Schwangeren vor, sofern im Vorfeld behördlich geprüft wurde, dass die Kündigung aus schwangerschaftsunabhängigen Gründen erfolgt. § 17 II MuSchG würde leerlaufen, wenn notwendige Vorbereitungsmaßnahmen einer ausnahmsweise zulässigen Kündigung nicht erlaubt wären. Die Ansicht des EuGH, wonach schwangerschaftsunabhängige Vorbereitungshandlungen iSd Aufnahme in eine Massenentlassungsanzeige zulässig sind, wird auch teilweise in der Literatur vertreten (Evermann, NZA 2018, 550 (553 ff); Linck in Schaub, Arbeitsrechts-Handbuch18 [2019] § 169 Rz 11; Dahm in Rolfs/Giesen/Kreikebohm/Udsching, BeckOK Arbeitsrecht56 [2020] § 17 MuSchG Rz 48). Es bleibt abzuwarten, wie die deutsche Judikatur dies beurteilen wird. ME wird im Ergebnis der Rsp des EuGH beizupflichten sein.

Annette Volk erläutert in ihrem Beitrag die deutsche Rsp zur Vergütung von Umkleide-, Weg- und Reisezeiten. Besonderes Augenmerk wird im Folgenden auf die Umkleidezeiten gelegt, denn dazu gab es sowohl in Deutschland als auch in Österreich Änderungen in der Rsp. Hinsichtlich der Vergütungspflicht von Umkleidezeiten ist zu unterscheiden, ob das Umkleiden ausschließlich im Interesse der AG erfolgt oder ob auch Bedürfnisse der AN befriedigt werden. Vergütungspflichtige Arbeitszeit liegt nach dem BAG (jüngst BAG 5 AZR 382/16 NZA 2018, 180 [181]) nicht nur dann vor, wenn diese auf Weisung der AG erfolgt, sondern auch beim freiwilligen Umkleiden, sofern es ausschließlich88im fremden Interesse liegt. Bislang sah die österreichische Rsp nur bei entsprechenden Weisungen zum Umkleiden im Betrieb eine Vergütungspflicht vor (siehe dazu OGH 17.5.2018, 9 ObA 29/18g; OLG Wien9 Ra 149/16x ARD 6593/7/2018 [Lindmayr]; Auer-Mayer, DRdA 2019, 256 [260]). Diese Unterschiede erfordern eine nähere Betrachtung. Es ist auf die Verfügungsfreiheit der AN abzuzielen. Kleiden sich AN aus persönlichen Gründen im Betrieb um, liegt nicht ausschließlich Fremdbestimmtheit vor, denn die AN könnten sich auch außerhalb des Betriebs umkleiden. Es ist zu diskutieren, ob bei besonders auffälliger Dienstkleidung trotzdem eine Vergütungspflicht vorliegen könnte, denn diese besondere Auffälligkeit könnte in der Öffentlichkeit zu einer Wiedererkennung der AG führen. Nach dem BAG kann beim Umkleiden von besonders auffälliger Dienstkleidung zuhause auch vergütungspflichtige Umkleidezeit vorliegen. Die Fremdbestimmtheit ergibt sich aus der Preisgabe der AG oder der Branche in der Öffentlichkeit durch das Tragen der auffälligen Dienstkleidung. Die Bestimmung der besonderen Auffälligkeit hat anhand objektiver Kriterien zu erfolgen (Farben, Namen, Logos, äußeres Erscheinungsbild, Stoffart und -schnitt). Auch der OGH hat sich kürzlich zur besonderen Aufälligkeit geäußert. Vergütungspflichtige Arbeitszeit liegt dann vor, wenn es dem AN unzumutbar ist, die Arbeitskleidung am Heimweg zu tragen. Die Unzumutbarkeit ist im Einzelfall anhand von Logos, Farben, etc zu prüfen (OGH 25.5.2020, 9 ObA 13/20g).

Die Entwicklungen im Arbeitskampfrecht werden von Stefan Greiner in einer profunden Darstellung der jüngsten Rsp behandelt. Die aktuellen Urteile des BAG (1 AZR 287/17 NZA 2019, 100; 1 AZR 12/17 BeckRS 2018, 39122) handeln von der Zulässigkeit der „Streikbruchprämie“ als Abwehrmittel der AG sowie vom arbeitskampfbedingten Betreten des Betriebsgeländes. Besonders hervorzuheben sind auch die Ausführungen zum Urteil des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) über das Beamtenstreikverbot (BVerfG 2 BvR 1738/12 ua NJW 2018, 2695), weil das Verbot in der Literatur bereits vielfach kontrovers diskutiert wurde. Das BVerfG erachtet das Beamtenstreikverbot als verfassungskonform und begründet dies mit der Anwendung des Prinzips der praktischen Konkordanz. Beamte seien zwar von der Koalitionsfreiheit des Art 9 II Grundgesetz (GG) umfasst, die Beeinträchtigung dieses Grundrechts durch das Streikverbot sei jedoch aufgrund der Prinzipien des Berufsbeamtentums iSd Art 33 V GG gerechtfertigt. Einer expliziten gesetzlichen Anordnung eines Beamtenstreikverbots bedürfe es nach BVerfG nicht. Nach Ansicht des BVerfG sei das Beamtenstreikverbot mit der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK) vereinbar, da mangels eines innerstaatlichen Rechtsanwendungsbefehls nicht von einem Anwendungsvorrang auszugehen sei. Die völkerrechtskonforme Auslegung sei durch die anerkannten Methoden der Gesetzes- und Verfassungsinterpretation begrenzt. Kein Widerspruch zur Völkerrechtsfreundlichkeit sei nach dem BVerfG gegeben, wenn der EMRK ausnahmsweise nicht Folge geleistet wird, um einen Verstoß gegen die Verfassungsprinzipien zu vermeiden. Der Grundsatz der Alimentation gehöre zu den verfassungsrechtlich gewollten Traditionen. Das Streikverbot sei mit Art 11 EMRK vereinbar, weil dieser hinsichtlich des Beamtenrechts kein Streikrecht verlange. Die Beteiligung bei beamtenrechtlichen Regelungen bestehe ohnehin und somit sei die „Möglichkeit für Gewerkschaften, Gehör zu finden und Mitgliederinteressen zu vertreten“ gewahrt. Greiner sieht die Entscheidung zwiespältig. Es gebe Diskussionsbedarf an der Entscheidung des BVerfG hinsichtlich des Beamtenstreikrechts, welchen er auch in einem Ausblick darstellt. Es bleibt abzuwarten, wie der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) über die dazu bereits anhängigen Verfahren (EGMR 10.9.2019, 59433/18, Humpert/Deutschland ua) entscheidet und ob er der Ansicht des BVerfG folgt. In Österreich wurde das Beamtenstreikverbot mit BGBl I 1999/191 formell aufgehoben (Löschnigg, Arbeitsrecht13 [2017] Rz 13/045).

Das vorliegende Werk stellt die Entwicklungen im deutschen Arbeitsrecht im Jahr 2018 verständlich und übersichtlich dar. Einerseits gibt es viele Parallelen zwischen der deutschen und der österreichischen Rechtslage, andererseits bestehen in gewissen Bereichen deutliche Unterschiede. Das Jahrbuch des Arbeitsrechts ist daher auch aus österreichischer Sicht empfehlensund lesenswert, um einen tieferen Einblick in mögliche arbeitsrechtliche Lösungsansätze zu erlangen.