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Insolvenz-Entgelt und Vermögenslosigkeit

PETERC.SCHÖFFMANN (WIEN)
  1. Die Zurückweisung eines Insolvenzeröffnungsantrags gegen einen im Vereinsregister ohne Abwicklung gelöschten Verein mangels Vermögens ist dem Sicherungstatbestand des § 1 Abs 1 Z 3 IESG zu unterstellen.

  2. Das Insolvenzgericht hat die Partei- und Insolvenzfähigkeit iS einer Missbrauchskontrolle im Zweifel von Amts wegen zu prüfen.

Der Kl war vom 15.1.2017 bis 23.5.2017 beim Handballklub M*, einem registrierten Verein, als Vertragsspieler mit einem Monatslohn von 250 € netto geringfügig beschäftigt. Das Dienstverhältnis des Kl zum Verein endete durch vorzeitigen Austritt wegen Entgeltvorenthaltung. Der Verein wurde in der Folge nach § 28 Vereinsgesetz 2002 freiwillig aufgelöst und mit Wirkung vom 23.10.2017 im Vereinsregister gelöscht, ohne dass eine Abwicklung stattfand.

Am 30.11.2018 beantragte der Kl beim Insolvenzgericht die Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen des Vereins, in eventu die Abweisung des Antrags mangels kostendeckenden Vermögens oder gem § 68 IO oder die Zurückweisung gem § 63 IO. Das Insolvenzgericht wies den Antrag mit Beschluss vom selben Tag „infolge ... Löschung [des Vereins] aus dem Vereinsregister“ zurück. Zur Begründung verwies es auf die freiwillige Auflösung und Löschung des Vereins aus dem Vereinsregister. Der Kl habe vorgebracht, dass sich aus dieser Auflösung die Vermögenslosigkeit des Vereins ergebe. Ein Vorbringen gem § 68 IO, wonach das Vermögen des Vereins trotz dessen Auflösung noch nicht verteilt sei, sei nicht erstattet worden. [...]

Die Bekl lehnte mit Bescheid vom 31.1.2019 die Zuerkennung des vom Kl angemeldeten Insolvenz-Entgelts zur Gänze ab.

Der Kl begehrte die Zahlung von 1.316 € an Insolvenz-Entgelt [...]. Es liege ein Beschluss des Insolvenzgerichts nach § 68 IO vor, weshalb der Sicherungstatbestand des § 1 Abs 1 Z 3 IESG erfüllt sei.

Die Bekl wandte ein, der Beschluss des Insolvenzgerichts [sei] eine Zurückweisung aus formalen Gründen [...], die keinen Anknüpfungstatbestand iSd § 1 Abs 1 IESG begründe. Es fehle an einer behördlich überprüften Insolvenz. [...]

Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab. Ein Anspruch des Kl auf Insolvenz-Entgelt sei mangels Vorliegens eines der Insolvenzeröffnung gleichzusetzenden Tatbestands zu verneinen.

Das Berufungsgericht gab der Berufung des Kl nicht Folge. Sowohl aus dem Spruch als auch der Begründung des Beschlusses des Insolvenzgerichts lasse sich keine Feststellung der Vermögenslosigkeit des Vereins ableiten. Aus der Begründung ergebe sich vielmehr, dass der Antrag des Kl zurückgewiesen worden sei, nachdem er nicht bescheinigt habe, dass ein Vermögen des Vereins noch nicht verteilt sei. Werde ein (Konkurs-)Antrag deshalb abgewiesen, weil der Antragsteller trotz gerichtlicher Aufforderung ein verwertbares Vermögen nicht bescheinige, sei dies der für die Zuerkennung des Insolvenz-Entgelts geforderten Abweisung des (Konkurs-)Eröffnungsantrags („mangels hinreichenden Vermögens“) nicht gleichzuhalten. Das Insolvenzgericht habe seinen Beschluss auch nicht mit der mangelnden Parteifähigkeit der „vollbeendeten“ juristischen Person begründet. Zwar ergebe sich aus dem Umstand, dass laut Vereinsregister kein Abwickler für den Verein bestellt worden sei, dass auch die vertretungsbefugten Organe des Vereins davon ausgegangen seien, dass kein der Abwicklung bedürfendes Vereinsvermögen vorhanden gewesen sei. Allerdings fehle es insofern an der auch aufgrund der RL 2008/94/EG in den Fällen des § 1 Abs 1 IESG regelmäßig geforderten Prüfung der „Insolvenz“ in einem vorangegangenen inländischen oder ausländischen Verfahren als Anknüpfungspunkt für den Anspruch nach dem IESG. Damit liege ein der E 8 ObS 28/05hvergleichbarer Sachverhalt vor, in der das Insolvenzgericht ebenfalls nicht die Vermögenslosigkeit festgestellt habe.

Das Berufungsgericht sprach aus, dass die ordentliche Revision zulässig sei, weil – soweit überblickbar – höchstgerichtliche Rsp zu der Frage, ob die freiwillige Auflösung eines Vereins ohne Bestellung eines Abwicklers einen Insolvenztatbestand iSd § 1 Abs 1 IESG darstelle, nicht vorliege. [...]

Die Revision ist zulässig. [...]

1. Nach der RL 2008/94/EG [...] sind „Bestimmungen notwendig, die die Arbeitnehmer bei Zahlungsunfähigkeit des Arbeitgebers schützen und um ihnen ein Minimum an Schutz zu sichern, insbesondere die Zahlung ihrer nicht erfüllten Ansprüche zu gewährleisten“ (ErwGr 3). Vor diesem Hintergrund gilt nach Art 2 Abs 1 der RL ein AG als zahlungsunfähig, „wenn die aufgrund der genannten Rechts- und Verwaltungsvorschriften [eines Mitgliedstaats] zuständige Behörde

  1. die Eröffnung des Verfahrens beschlossen hat; oder
  2. festgestellt hat, dass das Unternehmen oder der Betrieb des Arbeitgebers endgültig stillgelegt worden ist und die Vermögensmasse nicht ausreicht, um die Eröffnung des Verfahrens zu rechtfertigen“.

2.1 Nach § 1 Abs 1 Z 3 IESG steht der Eröffnung des Insolvenzverfahrens als Sicherungstatbestand die „Ablehnung der Eröffnung des Insolvenzverfahrens gemäß § 68 IO wegen Vermögenslosigkeit“ gleich. Durch diese Bestimmung soll es AN ermöglicht werden, offene Ansprüche aus einem früheren Arbeitsverhältnis, insb bei einer sogenannten „stillen Liquidation“ (= Betriebsauflösung ohne Insolvenzverfahren), geltend machen zu können (RV 993 BlgNR 16. GP 6). Nach den Gesetzesmaterialien wurde der Tatbestand flexibel gefasst und die Formulierung „Ablehnung“ gewählt, um sowohl die Zurückweisung als auch die Abweisung des Eröffnungsantrags als auch die amtswegige Entscheidung über die Insolvenzeröffnung zu erfassen.53

2.2 § 68 Abs 1 IO erklärt nach der Auflösung einer juristischen Person oder einer eingetragenen Personengesellschaft die Eröffnung eines Insolvenzverfahrens für zulässig, solange das Vermögen nicht verteilt ist.

Damit ist klargestellt, dass die Eröffnung des Insolvenzverfahrens bis zur Vollbeendigung möglich ist, die ungeachtet einer Löschung im Firmenbuch nicht eintreten kann, solange Vermögen vorhanden ist (Dellinger in Konecny/Schubert, Insolvenzgesetze § 68 KO Rz 2; Schumacher in Koller/Lovrek/Spitzer, IO § 68 Rz 1).

3.1 Vollbeendigung der Gesellschaft tritt ein, wenn kein verwertbares und verteilbares Gesellschaftsvermögen mehr vorhanden ist (RIS-Justiz RS0050186). Das gilt auch für einen Verein (RS0079726; RS0009119).

Das Vereinsgesetz 2002 unterscheidet zwischen einer freiwilligen (§ 28) und einer behördlichen (§ 29) Auflösung des Vereins. [...] Der Auflösungsbeschluss beseitigt die Rechtspersönlichkeit des Vereins nicht. Ist Vermögen zu verwerten, ist eine Abwicklung erforderlich [...]. Erst mit der Eintragung ihrer Beendigung verliert der Verein seine Rechtsfähigkeit (§ 27 Vereinsgesetz 2002). Ist kein Vermögen vorhanden, so bedarf es auch keiner Abwicklung. In diesem Fall fällt nach § 27 Vereinsgesetz 2002 das Ende der Rechtspersönlichkeit des Vereins, sprich die Vollbeendigung, mit der Eintragung seiner Auflösung ins Vereinsregister zusammen (in diesem Sinne 8 ObA 274/01d; Ob 187/07m; Höhne/Jöchl/Lummerstorfer, aaO 440 ff).

3.2 Fehlende Partei- und damit Insolvenzfähigkeit (vgl RS0117472) des Antragsgegners führt zur Zurückweisung eines Insolvenzeröffnungsantrags (§ 252 IO iVm § 1 ZPO).

4.1 Bei enger – auch diese Art von Formalentscheidung außer Betracht lassender – Auslegung der Voraussetzung „Ablehnung ... gemäß § 68 IO wegen Vermögenslosigkeit“ wäre es dem Gläubiger einer vollbeendeten Gesellschaft oder eines solchen Vereins unmöglich, durch einen Insolvenzeröffnungsantrag einen Anknüpfungstatbestand für die Sicherung der AN-Ansprüche nach § 1 Abs 2 IESG zu schaffen (vgl zu dem Problem ausführlich auch Grießer, Löschung gem § 2 AmtslöschungsG und Anspruchsvoraussetzung nach § 1 Abs 1 IESG, ZIK 1997, 37 ff). Dies stünde in Widerspruch zu den Vorgaben der RL 2008/94/EG.

4.2 In der Literatur wurde daher vorgeschlagen, die Zurückweisung des Antrags mangels Parteifähigkeit (infolge Löschung und Vermögenslosigkeit) der Ablehnung der Verfahrenseröffnung gem § 68 IO wegen Verteilung des Vermögens gleichzuhalten (Dellinger in Konecny/Schubert, Insolvenzgesetze § 68 KO Rz 11; Schumacher in Bartsch/Pollak/Buchegger, Österreichisches Insolvenzrecht4 II/2 § 68 Rz 13). Grießer (ZIK 1997, 37 ff) hingegen hat dafür plädiert, den Fall unter den Tatbestand „Ablehnung mangels hinreichenden Vermögens“ nach § 1 Abs 1 Z 3 IESG (aF) zu subsumieren.

4.3 Auch der OGH hat in der [zur alten Rechtslage ergangenen] E 8 ObS 60/00g ausgesprochen, dass die amtswegige Löschung wegen Vermögenslosigkeit [dort noch] gem § 2 ALöschG iVm der Zurückweisung eines Antrags auf Konkurseröffnung wegen Fehlens eines die Parteifähigkeit begründenden Vermögens einer Ablehnung mangels hinreichenden Vermögens (§ 1 Abs 1 Z 3 IESG [aF]) gleichzuhalten ist (RS0113339). [...]

4.4 Das Problem wurde zwischenzeitig durch die IESG-Novelle, BGBl I 2005/102, mit der die Löschung gem § 40 oder § 42 FBG wegen Vermögenslosigkeit der Insolvenzeröffnung gleichgestellt wurde, für Kapitalgesellschaften sowie Erwerbsund Wirtschaftsgenossenschaften bzw Privatstiftungen entschärft (§ 1 Abs 1 Z 4 IESG). Diese Gleichstellung beruhte auf dem Gedanken, dass es unnötig erscheint, als Voraussetzung für den Entgeltsicherungsanspruch die Einleitung eines Insolvenzverfahrens zu verlangen, wenn die Vermögenslosigkeit des AG ohnehin schon durch ein Gericht in einem anderen Verfahren geprüft und bestätigt wurde (8 ObS 8/14f).

Für die Liquidation eines Vereins gibt es allerdings keine vergleichbare Bestimmung, obgleich unverändert der Bedarf besteht, auch dessen ehemaligen AN für nicht erfüllte Ansprüche einen Anknüpfungstatbestand zu eröffnen.

5.1 Die Vorinstanzen haben die Auffassung vertreten, dass es hier an einer behördlich überprüften Insolvenz des AG fehle. Der von ihnen herangezogenen E 8 ObS 8/14f lag allerdings die Frage zugrunde, ob die „dissolution“ einer Limited nach dem Recht des Vereinigten Königreichs mit der amtswegigen Löschung nach § 40 FBG bzw § 42 FBG gleichgesetzt werden kann. Das scheiterte – wie der OGH ausführte – schon daran, dass Letztere die Vermögenslosigkeit voraussetzt, Erstere aber nicht. Im Gegensatz zu 8 ObS 8/14f, in der es an einer insolvenzbehördlichen Entscheidung iSd Art 2 Abs 1 der RL 2008/94/EG fehlte, liegt jedoch in diesem Fall ein Beschluss des Insolvenzgerichts vor. Die zu 8 ObS 8/14f angestellten Erwägungen sind daher nicht auf den Anlassfall übertragbar. Es stellt sich auch nicht die Frage, ob die Löschung eines Vereins im Vereinsregister der Löschung einer Gesellschaft im Firmenbuch nach §§ 40, 42 FBG gleichgehalten werden kann.

5.2.1 [...] Im Zusammenhang mit der Begründung, dass der Kl ein „Vorbringen gemäß § 68 IO, wonach das Vermögen des Antragsgegners trotz dessen Auflösung noch nicht verteilt sei“, nicht erstattet habe, ergibt sich, dass der Antrag mangels Insolvenzfähigkeit des Antragsgegners (Vollbeendigung) zurückgewiesen wurde.

Damit ist hier nicht die E 8 ObS 28/05h von Relevanz, weil es dort schon an der Behauptung der Vermögenslosigkeit des Vereins mangelte, sondern die E 8 ObS 60/00geinschlägig, der eine vergleichbare Konstellation wie hier, zugrunde lag.

5.2.2 Die Subsumption des Sachverhalts in 8 ObS 60/00gunter den damaligen Tatbestand „Ablehnung eines Antrags auf Eröffnung des Konkurses mangels hinreichenden Vermögens“ mag sich mit dessen weiter Fassung erklären lassen, die eine Deutung als Auffangtatbestand erlaubte (vgl Grießer, ZIK 1997, 37 ff). Seit der Umgestaltung der Sicherungstatbestände des § 1 Abs 1 IESG mit54dem IRÄG 2010, BGBl I 2010/29, findet sich die „Ablehnung der Eröffnung des Insolvenzverfahrens gemäß § 68 IO wegen Vermögenslosigkeit“ in der Z 3 des § 1 Abs 1 IESG. Die neue Z 2 des § 1 Abs 1 IESG bezieht sich dagegen explizit auf „die Nichteröffnung des Insolvenzverfahrens mangels kostendeckenden Vermögens“, womit der Tatbestand nunmehr begrifflich auf Beschlüsse nach §§ 71 ff IO abzielt. Die Neufassung sowie der ausdrückliche Hinweis auf § 68 IO in der Entscheidungsbegründung sprechen dafür, den vorliegenden Beschluss des Insolvenzgerichts – dem Standpunkt des Kl folgend – dem § 1 Abs 1 Z 3 IESG nF zu unterstellen, zumal dort nach wie vor der weite – auch eine Zurückweisung deckende – Begriff „Ablehnung“ verwendet wird.

5.3 Das Berufungsgericht hat auf zweitinstanzliche Rsp und dieser folgende Literatur Bezug genommen (Dellinger in Konecny/Schubert, Insolvenzgesetze § 68 KO Rz 7 mwN; Schumacher in Bartsch/Pollak/Buchegger, Österreichisches Insolvenzrecht4 II/2 § 68 Rz 10), wonach ein Gläubiger, der gem § 70 IO einen Insolvenzantrag gegen eine aufgelöste und bereits im Firmenbuch gelöschte Gesellschaft einbringt, ua das Vorhandensein von Vermögen bescheinigen muss. Daraus folgerte es, das Insolvenzgericht sei ausgehend vom mangelnden Vorbringen des Kl zu einem Vermögen des Vereins nicht zu einer weiteren Überprüfung verpflichtet gewesen.

Begründet wird die Bescheinigungspflicht des Antragstellers damit, dass die gem § 70 Abs 1 IO jedenfalls von ihm zu bescheinigende Insolvenzvoraussetzung der Zahlungsunfähigkeit das Vorhandensein eines insolvenzfähigen Rechtssubjekts erfordere. Der dagegen erhobene Einwand, die Kostendeckung sei als Insolvenzforderung von Amts wegen zu prüfen (Schumacher in Koller/Lovrek/Spitzer, IO § 71 Rz 1), wird für weniger überzeugend erachtet, weil die Voraussetzung schon in der Existenz eines Rechtssubjekts liegt (Dellinger, aaO; Schumacher, aaO).

Dabei ist aber zu beachten, dass die Prozessfähigkeit in jedem Zivil- und daher auch im Insolvenzverfahren von Amts wegen zu prüfen ist (Pesendorfer in Koller/Lovrek/Spitzer, IO § 252 Rz 29).

Auch im Hinblick auf die Bedeutung eines Beschlusses des Insolvenzgerichts auf „Ablehnung der Eröffnung des Insolvenzverfahrens gemäß § 68 IO wegen Vermögenslosigkeit“ als ein den Anspruch auf Insolvenz-Entgelt auslösender Tatbestand hat das Insolvenzgericht daher die Angaben des Antragstellers zur Vermögenslosigkeit des ohne Abwicklung im Vereinsregister gelöschten Vereins, wenn Zweifel bestehen, von Amts wegen zu prüfen (vgl zum Gebot der richtlinienkonformen Interpretation zur Erreichung einer effektiven Umsetzung etwa 9 ObA 87/15g). Die Löschung ohne Abwicklung indiziert die Vollbeendigung. Sollte das Insolvenzgericht – wie hier – den Angaben des Antragstellers folgen, ist von der insolvenz gerichtlich festgestellten Vermögenslosigkeit des gelöschten Vereins auszugehen.

6. Zusammenfassend ist festzuhalten, dass auch die Zurückweisung eines Insolvenzeröffnungsantrags gegen einen im Vereinsregister ohne Abwicklung gelöschten Verein mangels Vermögens eine Entscheidung des Insolvenzgerichts iSd Art 2 Abs 1 der RL 2008/94/EG darstellt. Eine derartige Entscheidung ist dem Sicherungstatbestand des § 1 Abs 1 Z 3 IESG (Ablehnung der Eröffnung des Insolvenzverfahrens gem § 68 IO wegen Vermögenslosigkeit) zu unterstellen, weil bei zu enger Auslegung dem Kl die Möglichkeit verwehrt bliebe, einen Anknüpfungstatbestand für die Sicherung der AN-Ansprüche nach dem IESG zu erwirken. Eine (ob der Tatbestandswirkung des Zurückweisungsbeschlusses gebotene) Missbrauchskontrolle obliegt dem Insolvenzgericht, das die Partei- und Insolvenzfähigkeit (im Zweifel) von Amts wegen zu prüfen hat.

7. Der Revision war daher überwiegend im klagestattgebenden Sinn Folge zu geben. [...]

ANMERKUNG

Das Entgelt der AN ist in der Insolvenz ihrer AG nach dem IESG besonders geschützt. Denn die reguläre Zahlung des Entgelts ist in diesem Fall typischerweise gefährdet. Immerhin besteht im Insolvenzverfahren nur Aussicht auf eine quotenmäßige Befriedigung und das häufig erst nach einem langen Verfahren. In der üblichen Gerichtsprosa heißt das: Die Bestreitung des Lebensunterhalts wird erschwert (RIS-Justiz RS0076409). Diese Situation ist verschärft, wenn das Vermögen der insolventen AG nicht einmal zur Insolvenzeröffnung ausreicht. Hier im Fall befasst sich der OGH mit der Frage, ob auch die Zurückweisung eines Insolvenzeröffnungsantrags mangels Parteifähigkeit einem Sicherungstatbestand des IESG unterliegt.

1.
Vermögenslosigkeit als Sicherungstatbestand

Bereits mit der Einführung des IESG wurde neben verschiedenen Tatbeständen der Verfahrenseröffnung auch der Fall der „Abweisung eines Antrages auf Eröffnung des Konkurses“ gesichert (BGBl 1977/324; RV 464 BlgNR 16. GP 6). Dieser Tatbestand war aber zu eng. Er erfasste zwar die Ab-, nicht aber die Zurückweisung. Zurückgewiesen wird etwa, wenn der/die AntragsgegnerIn nicht einmal mehr insolvenzfähig ist. Der Verlust der Insolvenzfähigkeit tritt ein, wenn die juristische Person (1.) aufgelöst und (2.) auch vermögenslos ist (Lehre vom Doppeltatbestand). Die juristische Person ist dann vollbeendet. Wer vollbeendet ist, ist auch nicht mehr parteifähig. Gesichert wird damit die Betriebsauflösung ohne Insolvenzverfahren („stille Liquidation“). Um die AN auch in diesem Fall abzusichern, wurde 1986 ein weiterer Tatbestand geschaffen (BGBl 1986/395): Insolvenz-Entgelt steht demnach bei „Ablehnung der Eröffnung des Insolvenzverfahrens gemäß § 68 IO wegen Vermögenslosigkeit“ zu (§ 1 Abs 1 Z 3 IESG idF BGBl I 2010/29).

Die Bestimmung verweist auf § 68 IO. Er stellt klar, dass eine Insolvenzeröffnung auch dann noch55möglich ist, wenn die juristische Person zwar aufgelöst, aber ihr Vermögen noch nicht verteilt wurde. § 68 IO wiederholt, was ohnehin klar ist: nämlich, wann ein/e AntragsgegnerIn (noch) insolvenzfähig ist. Ist das Vermögen noch nicht verteilt, gibt es keine Vollbeendigung. Eine Insolvenzeröffnung ist dann noch möglich (OLG Wien28 R 11/15s ZIK 2015/123).

Damit ist § 68 IO aber gerade kein „Ablehnungstatbestand“ (so auch Dellinger in Konecny/Schubert, Insolvenzgesetze § 68 KO Rz 11). Die Bestimmung will genau das Gegenteil: Sie stellt klar, wann noch eröffnet werden darf und nicht, wann schon „abgelehnt“ werden soll. Das IESG zwingt insofern zum Denksport: Der Sicherungstatbestand soll – entgegen der missverständlichen Formulierung des § 1 Abs 1 Z 3 IESG – gerade dann erfüllt sein, wenn § 68 IO nicht zutrifft.

Der Verweis ist auf den ersten Blick dennoch zweckmäßig. Er zielt auf die Vermögenslosigkeit der AG ab. Er soll damit andere Fälle der Zurückweisung abgrenzen, die bloß „formell“ sind und nicht das Vermögen betreffen (etwa mangelnde Prozessfähigkeit oder Unzuständigkeit). Rein formelle Gründe lösen die Entgeltsicherung also nicht aus. Voraussetzung für die Entgeltsicherung ist vielmehr eine „gerichtliche Vermögensprüfung“ (dazu noch näher unten; OGH8 ObS 8/14fDRdAinfas 2015, 197; vgl Reissner in Reissner, Arbeitsverhältnis und Insolvenz5 [2018] § 1 Rz 148 ff). Das typische Risiko verwirkliche sich eben nicht schon bei jeder Zahlungsunfähigkeit oder -unwilligkeit der AG (OGH8 ObS 40/95 ZIK 196, 140). Daher falle etwa die Einantwortung des Nachlasses an die bedingt erbantrittsberechtigte Erbin unter keinen Sicherungstatbestand, da hier überhaupt nicht geprüft werde, ob der Wert der Verlassenschaft zur Befriedigung der AN-Ansprüche ausreiche (OGH8 ObS 1/09v Arb 12.788).

Hier kommt freilich ein weiterer Sicherungstatbestand ins Spiel, der sich nunmehr in der Z 4 leg cit findet. Demnach steht Insolvenz-Entgelt auch bei einer Löschung gem § 40 oder § 42 Firmenbuchgesetz (FBG) wegen Vermögenslosigkeit zu. Eine Vermögensprüfung durch das Insolvenzgericht ist nämlich dann unnötig, wenn das bereits ein anderes Gericht getan hat (hier: das Firmenbuchgericht). Das trifft besonders auf vermögenslose Kapitalgesellschaften zu, die auf Antrag oder von Amts wegen aus dem Firmenbuch gelöscht werden können (§ 40 FBG). Die Bestimmung gilt im Übrigen auch für Genossenschaften und Privatstiftungen (§ 42 FBG). Voraussetzung für die Amtslöschung ist die erwiesene Vermögenslosigkeit, die vom Firmenbuchgericht zu prüfen ist. Mit der Löschung ist die Gesellschaft aufgelöst und, da sie ja vermögenslos ist, gleichzeitig vollbeendet (dazu näher Pilgerstorfer in Artmann, UGB I3 [2019] § 40 FBG Rz 21). Die Vermögenslosigkeit ergibt sich damit bereits aus der Löschung selbst. Ohne § 1 Abs 1 Z 4 IESG wären die AN aber gezwungen, dennoch einen Antrag auf Insolvenzeröffnung zu stellen, nur um einen IESG-Tatbestand zu provozieren. Die Z 4 leg cit erspart diesen Umweg (BGBl I 2005/102).

2.
Zurückweisung wegen fehlender Insolvenzfähigkeit als Fall des § 1 Abs 1 Z 3 IESG

Hier im Fall ging es aber nicht um eine nach §§ 40 und 42 FBG aus dem Firmenbuch gelöschte Gesellschaft, sondern um einen aus dem Vereinsregister gelöschten Verein. Das Insolvenzgericht wies den Antrag des Kl zurück, da er nicht einmal behauptet habe, dass Vermögen – trotz Löschung – vorhanden sei. Von Insolvenzfähigkeit also keine Spur. Gegenüber dem bekl Insolvenz-Entgelt-Fonds (IEF) behauptete der Kl aber, es handle sich um eine Ablehnung nach § 68 IO. Der Fall dreht sich also um die Frage, ob eine Zurückweisung mangels Parteifähigkeit unter die Z 3 („Ablehnung der Eröffnung [...] gemäß § 68 IO wegen Vermögenslosigkeit“) fällt.

Zur Beantwortung werfen wir zunächst einen Blick zurück auf das Verfahren vor dem Insolvenzgericht: Voraussetzung für die Insolvenzeröffnung ist die Kostendeckung (§ 71 Abs 1 IO). Sie liegt vor, wenn die Anlaufkosten des Insolvenzverfahrens gedeckt sind (§ 71 Abs 2 IO). Die Kostendeckung ist vom Insolvenzgericht von Amts wegen zu prüfen. Die/der AntragstellerIn selbst trifft also weder Behauptungs- noch Bescheinigungslast (Schumacher in Koller/Lovrek/Spitzer, IO [2019] § 71 Rz 1). Das gilt bei juristischen Personen so lange, als sie im Firmenbuch eingetragen sind. Dann gilt nämlich die widerlegbare Vermutung, dass verteilbares Vermögen besteht (Schumacher in Bartsch/Pollak/Buchegger, Insolvenzrecht II/24 [2005] § 68 Rz 9).

Ist eine Gesellschaft erst einmal aus dem Firmenbuch gelöscht, wird ein Vermögen nicht mehr von Amts wegen geprüft. Wegen der Löschung wird viel mehr vermutet, dass sie vermögenslos ist. In diesem Fall wird der Spieß umgedreht: Es liegt an der/dem GläubigerIn, Vermögen zu behaupten und zu bescheinigen (Schumacher in Koller/Lovrek/Spitzer, IO § 68 Rz 5 f).

Begründet wird dies wie folgt: Der/Die GläubigerIn muss in jedem Fall ihre eigene Forderung gegen den/die SchuldnerIn bescheinigen (§ 70 Abs 1 IO). Grundsätzlich wird an der Existenz des/der Schuldners/Schuldnerin kein Zweifel bestehen. Bei einem/einer vollbeendigten AntragsgegnerIn sieht das aber anders aus. Hier wird vermutet, dass es den/die SchuldnerIn gar nicht (mehr) gibt und wo kein/e SchuldnerIn, da kann auch keine Forderung sein. Setzt also die Forderung eine/n SchuldnerIn voraus, so erfordert der Nachweis der Forderung implizit den Nachweis von Vermögen. Nur wo es noch Vermögen gibt, gibt es auch eine/n SchuldnerIn (vgl Schumacher in Bartsch/Pollak/Buchegger, Insolvenzrecht II/24 § 68 Rz 10). Kommt der/die GläubigerIn dieser Behauptungs- und Bescheinigungspflicht nicht nach, ist der Eröffnungsantrag mangels Parteifähigkeit des/der Antragsgegners/Antragsgegnerin zurückzuweisen (Übertsroider in Konecny, Insolvenzgesetze § 70 IO Rz 11). § 68 IO braucht dafür niemand (so auch Dellinger, aaO).

Streng genommen kann also nie wegen Vermögenslosigkeit zurückgewiesen werden, sondern immer nur mangels Parteifähigkeit. Zu einer gerichtlichen Vermögensprüfung kommt es dabei nicht.56

Zusammenfassend gibt es also bei bereits erfolgter Löschung nur drei Möglichkeiten:

  1. Der/Die GläubigerIn kann kein Vermögen nachweisen. Daraus folgt die Zurückweisung mangels Parteifähigkeit.

  2. Der/Die GläubigerIn weist Vermögen nach, das aber nicht kostendeckend ist, was eine Abweisung zur Folge hat. Der Sicherungstatbestand des § 1 Abs 1 Z 2 IESG ist erfüllt.

  3. Der/Die GläubigerIn weist Vermögen nach und dieses ist auch kostendeckend. Eine Verfahrungseröffnung ist möglich. An manche davon knüpft § 1 Abs 1 (Z 1) IESG an.

Im Ergebnis bedeutet das: § 1 Abs 1 Z 3 IESG hat bei wortgetreuer Auslegung gar keinen Anwendungsbereich. Das Insolvenzverfahren wird nie alleine wegen der Vermögenslosigkeit „abgelehnt“. Tatsächlich ist die Vermögenslosigkeit für die Zurückweisung nicht ausschlaggebend, sondern die Parteifähigkeit.

Das beweist auch der Fall der vermögenslosen, aber (noch) nicht gelöschten Gesellschaft: Sie ist noch nicht vollbeendet, weil sie ja nur vermögenslos ist (Lehre vom Doppeltatbestand!). Dadurch ist sie auch noch insolvenzfähig (vgl dazu K. Schmidt, Die vermögenslose Personengesellschaft im Prozess, GesRZ 2016, 142; RIS-Justiz RS0050186 [T22]; RIS-Justiz RS0110705). Ein Antrag wäre also nicht zurückzuweisen, sondern nur mangels kostendecken den Vermögens abzuweisen. Damit ist aber nicht der Sicherungstatbestand der Z 3 leg cit, sondern jener der Z 2 leg cit erfüllt.

Man kann die Z 3 leg cit aber nicht einfach so zurücklassen. Bestimmungen sind nicht so auszulegen, dass sie keinen Anwendungsbereich haben und damit zweck- und funktionslos wären (Kodek in Rummel/Lukas, ABGB4 [2015] § 6 ABGB Rz 85 mwN). § 1 Abs 1 Z 3 IESG kann man daher nur so auslegen, dass er gerade den Fall der mangelnden Parteifähigkeit erfassen will. Geht man hingegen – wie Grießer – davon aus, dass es eine „Ablehnung nach § 68 IO“ tatsächlich geben kann und sie die Parteifähigkeit voraussetzt, so wäre der Sicherungstatbestand der Z 3 letztlich deckungsgleich mit der „Nichteröffnung mangels kostendeckenden Vermögens“ (Z 2) (vgl Dellinger, aaO verweisend auf Grießer, aaO). Das ist weder in der Begründung nachvollziehbar noch im Ergebnis sinnvoll.

Man kann auch nicht die Z 4 leg cit auf den gelöschten Verein anwenden. Zwar kennt auch das Vereinsgesetz (VerG) eine Amtslöschung (§ 29), die Vermögenslosigkeit ist aber dafür kein Grund.

Es ist also davon auszugehen, dass § 1 Abs 1 Z 3 IESG gerade bei mangelnder Parteifähigkeit erfüllt ist. Die Vermögenslosigkeit wird dabei vom Gericht nicht geprüft, sie kann nur von dem/der AntragstellerIn widerlegt werden. Daraus folgt zunächst, dass nicht alle Sicherungstatbestände des IESG eine Vermögensprüfung voraussetzen. Nach dem OGH ist die Parteifähigkeit (und damit auch das Vermögen) nur ausnahmsweise („im Zweifel“) im Rahmen einer Missbrauchskontrolle vom Gericht zu prüfen.

Im Ergebnis überzeugt der OGH vollkommen. Er beruft sich dabei aber auch auf die Insolvenzgeld-RL (2008/94/EG). Art 2 Abs 1 sieht wesentlich zwei Sicherungstatbestände vor. Der zweite Tatbestand (lit b) ist erfüllt, wenn die „zuständige Behörde [...] festgestellt hat, dass [ua] die Vermögensmasse nicht ausreicht, um die Eröffnung des Verfahrens zu rechtfertigen“. Wie belastbar das Argument der richtlinienkonformen Interpretation hier ist, kann dahingestellt bleiben. Die Entscheidung überzeugt letztlich auch unabhängig davon. Wir haben oben gesehen, dass die Zurückweisung nicht unmittelbar aus der Vermögenslosigkeit folgt. Das Insolvenzgericht stellt zur „Vermögensmasse“ streng genommen nichts fest. Dass sie nicht ausreicht, kann aus dem Beschluss nur implizit abgeleitet werden. Unterm Strich sprechen für die hier relevante Auslegung des § 1 Abs 1 Z 3 IESG eher systematisch-logische Erwägungen als eine richtlinienkonforme Interpretation.

3.
Heimliche Judikaturwende

Bemerkenswert ist noch, dass der OGH die Entscheidung der Vorinstanzen gedreht hat. Erstgericht und Berufungsgericht haben die Klage ja abgewiesen. Das Berufungsgericht stützt sich in seiner Begründung stark auf die OGH-E vom 19.12.2005, 8 ObS 28/05h. Der OGH behauptet hingegen, dass diese gar nicht einschlägig sei (siehe Pkt 5.2.1).

Auch dort ging es um einen Verein. Der AN klagte seinen ehemaligen AG zunächst auf ausständiges Entgelt. Etwa zwei Jahre nach dem rechtskräftigen Urteil stellte er einen Konkursantrag. Dieser wurde jedoch zurückgewiesen, weil eine Abfrage des Vereinsregisters erfolglos blieb und es demnach keinen konkursfähigen Antragsgegner gab. Wichtig ist dabei, dass nach Auflösung eines Vereins dessen Daten nur für ein Jahr abrufbar bleiben (vgl etwa § 28 Abs 3 VerG). Eine spätere Abfrage ergibt, dass keine Daten vorliegen. Ein Unterschied zu einem nie existenten Verein ist (aus den Registerdaten) dann nicht mehr nachvollziehbar. Der IEF lehnte den Antrag auf Insolvenz-Entgelt ab, weil die Zurückweisung lediglich aus formellen Gründen erfolgt sei. Diese Ansicht wurde letztlich vom OGH bestätigt. Die Vermögenslosigkeit ergebe sich nicht aus dem Sachverhalt.

Das überzeugt nicht wirklich: Da der Verein zweifellos existiert hatte (der Sachverhalt berichtet ja von einem rechtskräftigen Urteil gegen den Verein!), er aber mittlerweile gelöscht war, ist die Vermögenslosigkeit wohl der einzig logische Schluss. Eine Löschung aus dem Register ist nämlich nur möglich, wenn der Verein vermögenslos ist. Dass sich die Zurückweisung aus „formellen Gründen“ einerseits und wegen der Vermögenslosigkeit andererseits hier unterscheiden, ist also Fiktion.

Tatsächlich handelt es sich um einen sehr wohl vergleichbaren Sachverhalt, der – vollkommen zutreffend – nun anders beurteilt wurde. Der OGH vollzieht damit eine heimliche Judikaturwende.57