18Vordienstzeitenanrechnung nach § 13 Abs 1 DO.B verstößt gegen Arbeitnehmerfreizügigkeit
Vordienstzeitenanrechnung nach § 13 Abs 1 DO.B verstößt gegen Arbeitnehmerfreizügigkeit
Die Bekl ist Rechtsträgerin von sieben Unfallkrankenhäusern und vier Rehabilitationszentren, so auch des Unfallkrankenhauses (UKH) * und damit AG der dort beschäftigten AN. Für Ärzte der Sozialversicherungsträger Österreichs ist die Dienstordnung B (DO.B) für die ÄrztInnen und Dentisten bei den Sozialversicherungsträgern Österreichs anzuwenden.
§ 13 DO.B regelt die anrechenbare Dienstzeit für die Einstufung in das Gehaltsschema und bietet ua die Grundlage für die Entlohnung der Ärzte in den Unfallkrankenhäusern der Bekl. § 13 DO.B in der dem Klagebegehren zugrundeliegenden Fassung der 76. Änderung mit Wirksamkeitsbeginn 1.1.2004 lautet wie folgt:
„… (1) Für die Einstufung in das Gehaltsschema (§ 40) sind nachstehende ... zurückgelegte Dienstzeiten anzurechnen:1. Dienstzeiten beim Versicherungsträger;2. ...3. bis zum Höchstausmaß von zusammen fünf Jahrena) die in anderen Dienstverhältnissen als angestellter Arzt zugebrachten Dienstzeiten, wenn die einzelnen Dienstverhältnisse mindestens sechs Monate ununterbrochen gedauert haben,b) Zeiten einer selbstständigen Erwerbstätigkeit als Arzt, wenn sie jeweils mindestens sechs Monate ununterbrochen gedauert haben,c) die in einem Dienstverhältnis mit einem öffentlich- rechtlichen Dienstgeber als Arzt zugebrachte Dienstzeit, sofern sie mindestens je sechs Monate gedauert hat,d) ...4. ... .“
Den vor dem 1.1.2003 eingetretenen Ärzten im UKH * wurden noch alle Vordienstzeiten 19 angerechnet, den nach diesem Stichtag eingetretenen Ärzten hingegen nur teilweise. Sie wären in den Genuss einer weiteren Anrechnung von Vordienstzeiten gekommen, wenn sie diese – wie in § 13 Abs 1 Z 1 DO.B normiert – „beim Versicherungsträger“ bzw bei der Bekl selbst erworben hätten.
Mit Feststellungsklage gem § 54 Abs 1 ASGG begehrte der klagende BR die Feststellung, dass auch die bei anderen DG im Bereich der EU bzw des EWR als der Bekl zurückgelegten berufseinschlägigen Vordienstzeiten für die Einstufung in das Gehaltsschema so zu berücksichtigen seien, wie wenn sie bei der Bekl zurückgelegt worden wären.
Das Erstgericht gab dem Klagebegehren statt.
Das OLG gab der Berufung der Bekl – im Hinblick auf die bisherige Judikatur des EuGH in den Rs Köbler (EuGH 30.9.2003, C224/01), Salk (EuGH 5.12.2013, C514/12), Österreichischer Gewerkschaftsbund (8.5.2019, C24/17) und Krah (EuGH 10.10.2019, C703/17) sowie des OGH zu einer früheren Fassung des § 13 DO.B (OGH 28.10.2016, 9 ObA 98/16a) – nicht statt und schlussfolgerte, dass die Kollektivvertragsbestimmung des § 13 Abs 1 DO.B idgF gegen Art 45 Abs 1 AEUV verstoße, weil sie geeignet sei, die Freizügigkeit der AN zu beeinträchtigen.
Der OGH wies die außerordentliche Revision der Bekl mangels Vorliegens einer Rechtsfrage von der Qualität des § 502 Abs 1 ZPO zurück.
Nach Art 45 Abs 1 AEUV ist innerhalb der Union die Freizügigkeit der AN gewährleistet. Die Freizügigkeit der AN zählt zu den Grundfreiheiten der Gemeinschaft (OGH 30.8.2011, 10 ObS 181/10f) und damit zu den fundamentalen Grundsätzen der Gemeinschaft (EuGH 10.9.2014, C270/13, Haralambidis, Rn 42, uva).
Die Rechtsauffassung des Berufungsgerichts, wonach § 13 DO.B idgF geeignet sei, die Freizügigkeit der AN weniger attraktiv zu machen, steht im Einklang mit der vom Berufungsgericht ausführlich dargelegten Rsp des EuGH zum Grundsatz der Freizügigkeit. Zusammengefasst sollen sämtliche Bestimmungen des AEUV über die Freizügigkeit den Angehörigen der Mitgliedstaaten die Ausübung beruflicher Tätigkeiten aller Art im Gebiet der Union erleichtern und stehen Maßnahmen entgegen, die sie benachteiligen könnten, wenn sie eine unselbständige Erwerbstätigkeit im Gebiet eines anderen Mitgliedstaats ausüben wollen. Jede Beeinträchtigung dieser Freiheit, mag sie auch unbedeutend sein, ist verboten (EuGH Rs Salk, Rn 32, 34; EuGH Rs Österreichischer Gewerkschaftsbund, Rn 77; EuGH Rs Krah, Rn 40 f). Dass das Berufungsgericht bei seiner Beurteilung von der stRsp des EuGH abgewichen wäre, zeigt die außerordentliche Revision somit nicht auf.
Im Bezug auf die Rechtfertigung der Behinderung, die die Bekl allein auf die Betriebstreue stützt, hielt der OGH fest, dass Regelungen wie jene des § 13 DO.B nur dann zulässig sind, wenn mit ihnen eines der im AEUV genannten legitimen Ziele verfolgt wird oder wenn sie durch zwingende Gründe des Allgemeininteresses gerechtfertigt sind. Darüber hinaus muss in einem derartigen Fall ihre Anwendung geeignet sein, die Verwirklichung des in Rede stehenden Zieles zu gewährleisten, und darf nicht über das hinausgehen, was zu seiner Erreichung erforderlich ist (EuGH Rs Salk, Rn 36; EuGH Rs Österreichischer Gewerkschaftsbund, Rn 84; EuGH Rs Krah, Rn 35). Der EuGH hat sich schon mehrmals mit der Honorierung der Betriebstreue als allfälligen Rechtfertigungsgrund einer Behinderung der Arbeitnehmerfreizügigkeit beschäftigt und dabei die Bindung der AN an ihren AG als ein mögliches Ziel zur Rechtfertigung einer mit einer solchen Regelung verbundenen Beeinträchtigung der AN-Freizügigkeit nicht von vornherein abgelehnt (vgl Windisch-Graetz, Auswirkungen der Arbeitnehmerfreizügigkeit auf das Arbeitsrecht, in Kozak [Hrsg], EuGH und Arbeitsrecht [2015] 115 [124]). In diesem Zusammenhang prüfte der EuGH allerdings stets, ob es sich um eine „echte“ Treueprämie eines AG handelt oder die Honorierung der Treue allenfalls nur einen möglichen Nebenaspekt darstellt. So hat der EuGH eine „Treueprämie“, die die Tätigkeit für eine „große Zahl von AG“ (EuGH 15.1.1998, C-15/96, Schöning-Kougebetopoulou, Rn 27), einer „Vielzahl rechtlich eigenständiger AG“ (EuGH Rs Österreichischer Gewerkschaftsbund, Rn 49) bzw einer „Vielzahl potenzieller, dem Land Salzburg zuzurechnender AG“ (EuGH Rs Salk, Rn 38 ff) berücksichtigt, nicht als geeigneten Rechtfertigungsgrund zur Verwirklichung des Zieles der Bindung an den AG angesehen.
Die Anwendung dieser Grundsätze auf den vorliegenden Fall durch das Berufungsgericht ist entgegen der Auffassung der Bekl nicht zu beanstanden. Zum einen betreibt die Bekl sieben Unfallkrankenhäuser und vier Rehabilitationszentren in Österreich, weshalb das Argument des Berufungsgerichts, es könne nicht ausgeschlossen werden, dass zwischen diesen Einrichtungen (Betrieben, Standorten) durchaus ein Wettbewerb um qualifiziertes Personal bestehe, nicht unvertretbar ist. Zum anderen führt nicht nur eine Tätigkeit in einem Unfallkrankenhaus (oder Rehabilitationszentrum) der Bekl, sondern jede Tätigkeit einer Ärztin bzw eines Arztes bei der Bekl zu einer Vollanrechnung dieser (Vor-)Dienstzeiten, was zumindest in einem gewissen Ausmaß ebenfalls zu einer Abschottung des Arbeitsmarktes für bei einer solchen auf die Unfallheilbehandlung spezialisierten Einrichtung tätige Ärzte führt. Jedenfalls bewirkt § 13 DO.B nicht allein die Honorierung der Treue der AN, sondern führt auch zu einer Begünstigung der Mobilität innerhalb der der Bekl zugehörigen Betriebe. Im System der DO.B wird die Betriebstreue 20 aber primär über die Vorrückungen abgegolten und nicht über die Einstufung in das Gehaltssystem des § 40 DO.B. Eine „Treueprämie“, die die Tätigkeit für mehrere AG bzw „Dienststellen“, „Betriebe“, „Standorte“ berücksichtigt, ist nach stRsp des EuGH keine „echte“ Treueprämie und daher als Rechtfertigungsgrund ungeeignet (Potz, Arbeitnehmerfreizügigkeit und Entgeltsysteme – verlangt das Unionsrecht die Gleichbehandlung von Vordienstzeiten und Dienstzeiten? JAS 2020, 102). Nach Windisch-Graetz (in Kozak [Hrsg], EuGH und Arbeitsrecht 124) müsste das Interesse eines AG, bestimmte AN zu halten, konkret in Bezug auf eine bestimmte Dienststelle und die dort konkret ausgeübte Tätigkeit begründet werden. Dies ist hier nicht der Fall.