19

Kein erhöhter Kündigungsschutz nach § 20 Abs 1 DO.C bei zuletzt auf „wenig entsprechend“ lautender Gesamtbeurteilung

CHRISTOSKARIOTIS

Der Kl stand ab 1.8.2008 als Facharbeiter/Hausarbeiter in einem Dienstverhältnis zur Bekl, auf welches die Dienstordnung C für die Arbeiter bei den Sozialversicherungsträgern Österreichs 2005 (DO.C) Anwendung findet. Im Jahr nach seinem Dienstantritt erhielt er eine Dienstbeschreibung mit der Gesamtbewertung „gut“. Die Gesamtbeurteilung der Dienstbeschreibung des Kl für den Zeitraum von September 2016 bis Juni 2017 lautete auf „befriedigend“. Am 9.4.2018 erhielt er eine Dienstbeschreibung für den Zeitraum Jänner bis März 2018 mit der Gesamtbeurteilung „wenig entsprechend“. Mit Schreiben vom 24.1.2019 kündigte die Bekl das Dienstverhältnis gem § 29 DO.C zum 28.2.2019 auf.

In § 20 DO.C wird ein erhöhter Kündigungsschutz wie folgt normiert:

„… (1) Für Arbeiter, die in einem unbefristeten Dienstverhältnis stehen, besteht ein erhöhter Kündigungsschutz, wenn der Arbeiter1. die österreichische Staatsbürgerschaft oder die Unionsbürgerschaft besitzt,2. seit zwei Jahren eine auf mindestens „befriedigend“ lautende Gesamtbeurteilung der Dienstbeschreibung hat,3. das 28. Lebensjahr vollendet hat [entfällt seit avsv Nr. 148/2019/89. Änderung], und4. zehn Dienstjahre gemäß § 15 zurückgelegt hat. (Geltende Fassung ab 1.1.2014/73. Änderung) …“

Der Kl begehrt die Feststellung, dass sein Dienstverhältnis zur Bekl aufrecht sei, weil bei ihm ein erhöhter Kündigungsschutz nach § 20 DO.C bestehe.

Die Vorinstanzen wiesen das Klagebegehren ab.

Der OGH gab der ordentlichen Revision des Kl nicht Folge und hielt fest, dass der normative Teil eines KollV nach den Regeln für die Gesetzesauslegung (§§ 6, 7 ABGB) auszulegen ist. In erster Linie ist daher der Wortsinn – auch im Zusammenhang mit den übrigen Regelungen – zu erforschen und die sich aus dem Text des KollV ergebende Absicht der Kollektivvertragsparteien zu berücksichtigen. Eine über die Wortinterpretation hinausgehende Auslegung ist (nur) dann erforderlich, wenn die Formulierung mehrdeutig, missverständlich oder unvollständig ist, wobei der äußerst mögliche Wortsinn die Grenze jeglicher Auslegung bildet. Bei der Auslegung von kollektivvertraglichen Bestimmungen ist zudem davon auszugehen, dass die Kollektivvertragsparteien eine vernünftige, zweckentsprechende und praktisch durchführbare Regelung treffen wollten, verbunden mit einem gerechten Ausgleich der sozialen und wirtschaftlichen Interessen.

Aus Sicht des OGH sind sowohl die Parteien als auch die Vorinstanzen richtig davon ausgegangen, dass sämtliche in § 20 Abs 1 DO.C aufgezählten Voraussetzungen erfüllt sein müssen, damit ein AN der Bekl in den Genuss des erhöhten Kündigungsschutzes kommt (arg „und“). Ab dem Zeitpunkt, an dem alle Voraussetzungen (kumulativ) eingetreten sind, besteht der erhöhte Kündigungsschutz. Das Fehlen auch nur einer Voraussetzung hindert (vorerst) dessen Entstehen. Da der erhöhte Kündigungsschutz erfordert, dass der Arbeiter zehn Dienstjahre zurückgelegt hat (Z 4), konnte ihn der Kl frühestens ab 1.8.2018 (Vollendung des zehnten Dienstjahres) erlangen. Zu diesem Zeitpunkt hatte er aber nicht seit zwei Jahren eine auf mindestens „befriedigend“ lautende Gesamtbeurteilung der Dienstbeschreibung, sondern lautete die (letztgültige) Gesamtbeurteilung für den Zeitraum Jänner bis März 2018 auf „wenig entsprechend“. Die Voraussetzung des § 20 Abs 1 Z 2 DO.C war damit übrigens auch zum Zeitpunkt der Kündigung per 28.2.2019 nicht gegeben.

Die Auffassung des Kl, er brauche nur irgendwann innerhalb der ersten zehn, von ihm als „Beobachtungszeitraum“ bezeichneten, Dienstjahre zwei Jahre lang eine auf mindestens „befriedigend“ lautende Gesamtbeurteilung, um mit Vollendung des zehnten Dienstjahres den erhöhten Kündigungsschutz zu erlangen, lässt sich mit dem Wortsinn nicht in Einklang bringen. Die Präposition „seit“ gibt den Zeitpunkt an, zu dem ein bestimmter Zustand, Vorgang eingetreten ist. Ein Zustand, dessen zeitlicher Beginn mit „seit“ 21 bezeichnet wird, muss daher zum Beurteilungszeitpunkt (hier 1.8.2018) noch andauern.

Für dieses schon vom Wortsinn eindeutig vorgegebene Auslegungsergebnis spricht zudem, dass der „Benefit“ des erhöhten Kündigungsschutzes (nur) Arbeitern zugutekommen soll, die sich zur Zufriedenheit des DG (Gesamtbeurteilung zumindest „befriedigend“) verhalten. Für den DG ist nun in erster Linie die Qualität der laufend vom DN erbrachten Leistung und nicht eine weiter zurückliegende, überholte Bewertung von Bedeutung. All dies zeigt sich nicht zuletzt deutlich an den Bestimmungen des § 20 Abs 2 und Abs 3 DO.C, die die Möglichkeit der Aberkennung des erhöhten Kündigungsschutzes bzw dessen Wiederaufleben abhängig von der Gesamtbeurteilung der Dienstbeschreibungen über einen gewissen Zeitraum regeln. Das Interesse des DG an der gegenwärtigen Arbeitsleistung rechtfertigt auch das Abstellen auf das Wohlverhalten des Arbeiters in den zuletzt vergangenen zwei Jahren.

Der Ansicht des Kl, diese Auslegung ermögliche es dem DG, willkürlich den Eintritt des erhöhten Kündigungsschutzes zu vereiteln, ist zu erwidern, dass eine Dienstbeschreibung den Anforderungen des § 22 DO.C entsprechen muss und vom Arbeiter beeinsprucht werden kann (§ 22 Abs 5 und 6 DO.C). Der Kl hat nach den Feststellungen keinen Einspruch gegen die Dienstbeschreibung für den Zeitraum Jänner bis März 2018 erhoben.