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„Echtes“ Arbeitsverhältnis bei intensiver Einbindung einer redaktionellen Mitarbeiterin in den Redaktionsablauf

MARTINACHLESTIL

Im vorliegenden Fall begehrt eine redaktionelle Mitarbeiterin (Kl) in einem niederösterreichischen Medienunternehmen (Bekl) neben der Bezahlung von Entgeltdifferenzen für den Zeitraum November 2013 bis August 2016 insb auch die Feststellung des Bestehens eines „echten“ Arbeitsverhältnisses zur Bekl. Zumindest seit November 2013 sei sie organisatorisch vollständig in das Redaktionssystem der Bekl eingebunden, persönlich hinsichtlich Arbeitszeit und Arbeitsort vollinhaltlich eingegliedert und den Weisungen ihrer Vorgesetzten unterworfen, sodass sie als echte Angestellte anzusehen sei.

Die Bekl ist der Ansicht, dass die Kl den Ablauf ihrer Tätigkeit vollkommen selbständig und frei festlegen könne und daher bei einer Gesamtbetrachtung vom Vorliegen eines freien Dienstvertrags auszugehen sei.

Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab. Das Berufungsgericht bestätigte diese Entscheidung mit folgender Begründung: Bei der Beurteilung, ob ein echter Arbeitsvertrag oder ein freier Dienstvertrag vorliege, seien die Besonderheiten der journalistischen Tätigkeit zu berücksichtigen. Die mangelnde Pflicht zur Übernahme von Aufträgen und zur Anwesenheit, die fehlende Bindung an eine vorgegebene Arbeitszeit und die nur freiwillige Teilnahme an Redaktionssitzungen würden für einen freien Dienstvertrag sprechen, für einen echten Arbeitsvertrag bei Journalisten hingegen etwa die Pflicht, über Abwesenheiten Rechenschaft abzulegen und längere Abwesenheiten genehmigen zu lassen. Hier liege ein freier Dienstvertrag vor. Die Parteien hätten keine konkrete Vereinbarung über den Umfang der Anwesenheit der Kl in der Lokalredaktion getroffen. Vielmehr sei die Arbeitszeit der Kl lediglich durch den „Druckplan“ bzw „Druckschluss“ bestimmt. Den Feststellungen sei nicht zu entnehmen, dass die Kl verpflichtet wäre, in der Lokalredaktion anwesend zu sein, an den Redaktionssitzungen teilzunehmen, dass sie ihren Arbeitsort nicht frei wählen könnte oder eine Urlaubsvereinbarung treffen müsste. Auch inhaltlichen Weisungen betreffend die Verfassung von Artikeln sei die Kl nicht unterworfen gewesen. Die persönliche Abhängigkeit der Kl zur Bekl sei insgesamt nur als „schwach ausgeprägt“ zu beurteilen.

Der OGH folgt hingegen der Rechtsansicht der Kl und erachtet deren außerordentliche Revision als zulässig und auch als berechtigt.

Ausgehend von der tatsächlichen Ausgestaltung des Vertragsverhältnisses durch die Parteien ist hier entscheidend, dass die Kl in einem hohen Maß in die redaktionelle Arbeitsorganisation der Bekl, bestimmt durch den wöchentlichen technischen Ablauf der Zeitungserstellung von der Redaktionssitzung bis hin zur druckreifen Fertigstellung der Zeitung am Sonntag, eingebunden ist und insb durch den von der Bekl vorgegebenen Druckschluss auch eingebunden sein muss. Bis zur Schließung des Regionalbüros im September 2018 musste die Kl ihren von der Bekl vorgegebenen Arbeitsplatz und die Infrastruktur der Bekl nutzen, weil sie nur über ihren PC im Regionalbüro Zugang zum Redaktionssystem der Bekl hatte. Die Bekl konnte sich bis 2018 aufgrund der jahrelang gleichgebliebenen und einvernehmlichen Gestaltung der Arbeitsabläufe auch darauf verlassen, dass die Kl dort von Mittwoch bis Sonntag anwesend war und auch an den wöchentlich stattfindenden Redaktionssitzungen teilnahm. Zudem verrichtete die Kl sowohl für andere Mitarbeiter als auch den Redaktionsleiter diverse Vertretungstätigkeiten im Falle deren Abwesenheiten.

In fachlicher Hinsicht ist die Kl zwar nicht verpflichtet, Artikel zu den Themenvorschlägen der Redaktionsleitung zu verfassen, macht dies aber regelmäßig, pünktlich und verlässlich, sodass der Umstand der mangelnden Leistungsverpflichtung in der Gesamtabwägung nur von untergeordneter Bedeutung ist. Die Redaktionsleitung darf auch darauf vertrauen, dass die Kl zu den ihr vorgeschlagenen Themen Artikel verfasst und sie erwartet dies auch von ihr.

Im klagsgegenständlichen Zeitraum leistete die Kl für die Bekl jeweils (nach den von der Bekl bekämpften Feststellungen) zumindest 30 Arbeitsstunden pro Woche. Selbst nach der von der Bekl begehrten Ersatzfeststellung arbeitete die Kl durchschnittlich rund 15 Stunden pro Woche für die Bekl. Sie konsumierte nie mehr Urlaub als dieser auch den anderen Angestellten der Bekl zustand.76 Die Bekl konnte damit rechnen, dass die Kl maximal fünf Wochen Urlaub pro Jahr konsumiert. Auch wenn die Kl nicht offiziell im EDV-System der Bekl um Urlaub ansuchen muss, so wird doch der Urlaub sämtlicher Mitarbeiter jährlich im Vorhinein zwischen allen für die Lokalredaktion L* tätigen Personen im Rahmen einer Grobplanung im Frühjahr jedes Jahres besprochen.

Die Parteien wollten das Vertragsverhältnis der Kl gerade nicht „so unabhängig und frei wie nur möglich“ gestalten und die Bekl ging selbst von einem – mit einem freien Dienstverhältnis nicht in Einklang zu bringenden – Über-/Unterordnungsverhältnis und dem Recht aus, der Kl persönliche Weisungen zu erteilen (dies verdeutlicht etwa ein Vorfall in der Vergangenheit iZm einem von der Kl geäußerten Urlaubwunsch, auf den der Vorgesetzte äußerst harsch reagierte).

Zusammengefasst liegt im konkreten Fall eine jahrelange intensive Einbindung der ausschließlich für die Bekl tätigen Kl in den Redaktionsablauf vor, sodass die vom Berufungsgericht hervorgehobenen Möglichkeiten der freien Gestaltung des Arbeitsverhältnisses nur als rein theoretischer Natur anzusehen sind. Bei der anzustellenden Gesamtabwägung des von den Parteien tatsächlich gelebten Vertragsverhältnisses fallen sie nicht maßgeblich ins Gewicht. Die Bekl konnte aufgrund der festgestellten faktischen Einordnung der Kl in die Betriebsorganisation auch ohne besondere rechtliche Bindung mit der regelmäßigen Anwesenheit der Kl und demgemäß auch für die Zukunft mit einer Fortsetzung ihrer Tätigkeit im bisherigen Umfang rechnen. Im Ergebnis ist daher hier vom Vorliegen eines „echten“ Arbeitsverhältnisses auszugehen.