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Mögliche Insolvenzentgeltsicherung der Ansprüche eines Kommanditisten ohne beherrschender Einfluss als freier Dienstnehmer

MARGITMADER

Mit Gesellschaftsvertrag vom 27.7.2018 gründeten T* als Komplementär und der Kl als Kommanditist die T* KG. Der Komplementär war zu 51 % (Kapitalanteil € 510,-), der Kl zu 49 % (Kapitalanteil € 490,-) Gesellschafter. Gegenstand des Unternehmens war das Baugewerbe sowie der Handel mit Waren aller Art.

§ 8 des Gesellschaftsvertrages sah für bestimmte Maßnahmen, die über den gewöhnlichen Betrieb des Unternehmens hinausgehen (zB Geschäfte, die zu einer wesentlichen Änderung des Geschäftsbetriebs führen, wie der Erwerb von Beteiligungen an anderen Unternehmen; die Veräußerung oder Aufgabe von Unternehmensteilen; Erwerb, Veräußerung oder Belastung von Liegenschaften; Erteilung und Widerruf von Handlungs- und Generalhandlungsvollmachten) eine Zweidrittelmehrheit vor. Für andere Maßnahmen (Festlegung der Entnahmebefugnisse, Auflösung bzw Fortsetzung der Gesellschaft, Zustimmung zur Übertragung, Teilung oder Belastung eines Gesellschaftsanteils) wurde in § 9 Einstimmigkeit normiert.

Der Kl sollte Baustellen akquirieren, Arbeiten auf Baustellen kontrollieren und für den Komplementär, der nicht ausreichend Deutsch sprach, übersetzen. Der Steuerberater, der über Ersuchen des Kl für die Schuldnerin tätig war, schlug vor, den Kl für seinen Aufgabenbereich „in ein Angestelltenverhältnis zu übernehmen“. Das Arbeitsverhältnis des Kl begann mit 13.8.2018. Der erste Monat galt als Probezeit. Der Kl akquirierte eine neue Baustelle und führte Kontrolltätigkeiten auf Baustellen durch. Diese Arbeiten tätigte er bis 19.9.2018. An Gehalt wurde ihm ein Betrag von € 929,70 ausbezahlt. Während des aufrechten Beschäftigungsverhältnisses konsumierte er keinen Urlaub.

Im September 2018 teilte der Komplementär dem Kl mit, dass die Gesellschaft „auf einen ungarischen Steuerberater wechseln werde“. Der Kl war damit nicht einverstanden und erklärte, dass er in diesem Fall nicht mehr weiterarbeiten wolle und jemand anderer seine Position in der Firma übernehmen solle. Über eine konkrete Abmeldung des Kl bei der Schuldnerin wurde dabei nicht gesprochen. Der Kl wurde daraufhin am 10.9.2018 mit dem Abmeldegrund „Lösung in der Probezeit“ bei der Gebietskrankenkasse abgemeldet, erlangte davon aber erst am 19.9.2018 Kenntnis.

Am 20.2.2019 wurde über das Vermögen der T* KG das Insolvenzverfahren eröffnet. Der Kl meldete seine offenen Forderungen im Insolvenzverfahren an und beantragte Insolvenz-Entgelt bei der IEF-Service GmbH. Er begehrte laufendes Entgelt sowie aliquoten Urlaubszuschuss und Weihnachtsremuneration für den Zeitraum von 13.8. bis 19.9.2018 sowie Kündigungsentschädigung für den Zeitraum 20.9. bis 31.12.2018. Die IEF-Service GmbH wies den Antrag des Kl ab. Das vermeintliche Dienstverhältnis sei noch innerhalb der Probezeit gelöst worden. Im Übrigen habe der Kl eine arbeitnehmeruntypische Stellung sowie einen beherrschenden Einfluss auf das Unternehmen gehabt.

Das Erstgericht gab dem dagegen gerichteten Klagebegehren statt. Da die von der Schuldnerin veranlasste Auflösung des Dienstverhältnisses dem Kl erst am 19.9.2018 zugegangen sei, liege keine Beendigung innerhalb der Probezeit vor. Es sei daher vielmehr von einer (fristwidrigen) AG-Kündigung auszugehen. Die dem Kl im Gesellschaftsvertrag eingeräumte Verfügungsbefugnis sei im Rahmen der gesetzlichen Bestimmungen (§§ 124, 133, 164, 167 UGB) für einen Kommanditisten ohnedies vorgesehen. Auch im Rahmen seiner Tätigkeit habe ein Eingriff des Kl in den unmittelbar unternehmerischen Bereich der Schuldnerin (wie die Einstellung von AN, Entscheidung über die Löhne der Mitarbeiter, Bestimmung von Betriebsurlaub) nicht festgestellt werden können. Dem Kl sei daher kein beherrschender Einfluss zugekommen. Es sei daher von seiner AN-Eigenschaft auszugehen.

Das Berufungsgericht gab der Berufung der Bekl Folge und wies das Klagebegehren ab. Dem Kl sei eine über die gesetzliche Regelung hinausgehende Mitwirkungsbefugnis eingeräumt worden, sodass von einem beherrschenden Einfluss des Kl schon aufgrund der vertraglichen Regelung ausgegangen werden könne. Als Indizien für die geforderte faktische Ausübung eines beherrschenden Einflusses wertete das Berufungsgericht die Organisation des gewerberechtlichen Geschäftsführers und des Steuerberaters durch den Kl sowie den Umstand, dass der Kl eigenständig Aufträge hätte akquirieren sollen und Kontrolltätigkeiten auf den Baustellen durchgeführt habe. Dies werde auch dadurch unterstützt, dass der Kl dem Komplementär, weil dieser die Steuerberatung für die Schuldnerin habe 93 wechseln wollen, erklärt habe, „nicht mehr weiterarbeiten zu wollen“. Ganz offenkundig habe der Komplementär diese Kündigung durch den Kl vor der vertraglich festgelegten ersten Kündigungsmöglichkeit zum 31.12.2019 akzeptiert.

Der dagegen gerichteten Revision des Kl wurde teilweise stattgegeben.

Gem § 1 Abs 6 Z 2 IESG haben Gesellschafter, denen ein beherrschender Einfluss auf die Gesellschaft zukommt, keinen Anspruch auf Insolvenz- Entgelt, auch wenn dieser Einfluss ausschließlich oder teilweise auf der treuhändigen Verfügung von Geschäftsanteilen Dritter beruht oder durch treuhändige Weitergabe von Geschäftsanteilen ausgeübt wird. Beherrschender Einfluss liegt nicht nur dann vor, wenn der Gesellschafter kraft seines Beteiligungsverhältnisses als Mehrheitsgesellschafter die Beschlussfassung in der Generalversammlung im Wesentlichen allein bestimmen kann, sondern auch dann, wenn er über einen solchen Anteil verfügt, der ihn in die Lage versetzt, eine Beschlussfassung in der Generalversammlung zu verhindern. Einem Minderheitsgesellschafter einer GmbH kommt beherrschender Einfluss allerdings nur dann zu, wenn ihm durch die Festlegung höherer Quoten eine Sperrminorität für andere Angelegenheiten, als jene, die ohnehin bereits nach dem Gesetz nur mit qualifizierter Mehrheit zu beschließen sind, eingeräumt wird, und die im Rahmen der Unternehmensführung wesentlich sind (OGH 15.1.1992, 9 ObS 21/91). Auch einem Gesellschafter, der gleichzeitig AN der Gesellschaft ist, kann durch eine solche qualifizierte Sperrminorität als Gesellschafter beherrschender Einfluss auf die Gesellschaft zukommen (OGH 27.8.2009, 8 ObS 9/09w).

Das Berufungsgericht hat seiner E zwar diese Rsp, die sinngemäß auch für den Kommanditisten einer Kommanditgesellschaft herangezogen werden kann, zugrunde gelegt. Seiner Schlussfolgerung, der Gesellschaftsvertrag räume dem Kl eine über die gesetzliche Regelung hinausgehende Mitwirkungsbefugnis ein, weil die über den gewöhnlichen Betrieb des Unternehmens hinausgehenden Maßnahmen von einem vorangehenden Gesellschafterbeschluss – und nicht von einem bloßen Widerspruchsrecht – abhängig gemacht wurden, kann laut OGH aber nicht beigetreten werden.

Nach § 164 Satz 1 UGB sind Kommanditisten von der gewöhnlichen Geschäftsführung ausgeschlossen. Die gewöhnliche Geschäftsführung liegt ausschließlich in den Händen der Komplementäre, sofern der Gesellschaftsvertrag nichts Abweichendes bestimmt. Grundlagengeschäfte, wie etwa Änderungen des Gesellschaftsvertrags, die Aufnahme neuer Gesellschafter oder die Auflösung der Gesellschaft, bedürfen der Beschlussfassung aller Gesellschafter, somit auch der Zustimmung der Kommanditisten. Die Kommanditisten sind auch zur Beschlussfassung über ungewöhnliche Geschäfte berufen (OGH 13.7.2006, 2 Ob 281/05w; OGH 26.2.2009, 1 Ob 192/08d). Hierbei handelt es sich um kein leeres Widerspruchsrecht; die betreffende Maßnahme darf nur mit Zustimmung aller Gesellschafter durchgeführt werden. Zu den ungewöhnlichen Geschäften gehören nach der Rsp alle Maßnahmen, die nach ihrem Inhalt, ihrem Zweck oder ihrer Tragweite (insb deren Umfang) über den Rahmen des gewöhnlichen Geschäftsbetriebs des Unternehmens der Gesellschaft hinausgehen. Die Regelung des § 8 Abs 2 des Gesellschaftsvertrags, die „Maßnahmen, die über den gewöhnlichen Betrieb des Unternehmens hinausgehen“, von einem Gesellschafterbeschluss abhängig macht, räumt dem Kl keine über die bereits gesetzlich vorgesehenen Befugnisse hinausgehende Einflussmöglichkeit auf die Schuldnerin ein.

Die in § 8 Abs 2 lit a des Gesellschaftsvertrags genannten „Geschäfte, die zu einer wesentlichen Änderung des Geschäftsbetriebs führen“, sind zweifellos den ungewöhnlichen Geschäften zuzuordnen. Dasselbe gilt für die in § 8 Abs 2 lit c angesprochene Erteilung und den Widerruf einer der Prokura entsprechenden Handlungsvollmacht oder einer darüber sogar hinausgehenden Generalvollmacht. Die in § 9 Abs 4 lit a bis d genannten Maßnahmen (Festlegung der Entnahmebefugnisse, Auflösung bzw Fortsetzung der Gesellschaft, Zustimmung zur Übertragung, Teilung oder Belastung eines Gesellschaftsanteils) sind allesamt als Grundlagengeschäfte zu werten bzw setzen schon aufgrund der gesetzlichen Regelungen des Unternehmensgesetzbuchs (etwa § 161 Abs 2 iVm § 131 Z 2 bzw § 141 Abs 1 UGB) Einstimmigkeit voraus.

Dem Kl kam somit aufgrund des Gesellschaftsvertrags kein beherrschender Einfluss zu.

Im Verfahren ließ sich auch nicht feststellen, dass der Kl einen solchen Einfluss faktisch ausgeübt hätte. Der Kl hatte weder AG-Funktion noch nahm er Einfluss auf die laufende Geschäftsführung. Auch der Umstand, dass der Kl den gewerberechtlichen Geschäftsführer bzw den Steuerberater „organisierte“, spricht nicht für einen tatsächlich beherrschenden Einfluss des Kl auf die Schuldnerin.

Das Erstgericht ließ allerdings die Erklärung des Kl, bei einem Wechsel des Steuerberaters nicht mehr weiterarbeiten zu wollen, bei seiner rechtlichen Beurteilung, es läge keine Auflösung innerhalb der Probezeit vor, zu Unrecht außer Acht. Nach dem objektiven Erklärungswert konnte die Äußerung hier nur so verstanden werden (und wurde – wie die Abmeldung des Kl von der Gebietskrankenkasse mit 10.9.2018 zeigt – vom Komplementär auch so verstanden), dass der Kl von der vereinbarten Möglichkeit (§ 19 Abs 2 AngG, § 1158 Abs 2 ABGB), sein Probedienstverhältnis mit sofortiger Wirkung aufzulösen, Gebrauch gemacht hat. 94

Das Verb „weiterarbeiten“ kann sich bei objektiver Betrachtungsweise nämlich nur auf die vom Dienstvertrag umfasste Tätigkeit des Kl und nicht auf seine Stellung als Kommanditist beziehen. Daran ändert nichts, dass der Kl bis 19.9.2018 weitergearbeitet hat.

Die Ansicht des Erstgerichts, es liege eine fristwidrige AG-Kündigung vor, erweist sich vor diesem Hintergrund als unrichtig. Die daraus abgeleiteten Ansprüche des Kl auf Kündigungsentschädigung wurden vom Berufungsgericht im Ergebnis jedenfalls zu Recht abgewiesen.

Die Bekl hat in erster Instanz eingewandt, dass dem Kl die AN-Eigenschaft fehle. Auch das Berufungsgericht verweist auf den Umstand, dass der Kl eigenständig gearbeitet habe.

Der Arbeitsvertrag iSd § 1151 ABGB ist vor allem durch die persönliche Abhängigkeit des AN, also durch dessen Unterworfenheit unter die funktionelle Autorität des AG, gekennzeichnet, welche sich in organisatorischer Gebundenheit, insb an Arbeitszeit, Arbeitsort und Kontrolle – nicht notwendig auch an Weisungen über die Art der Ausführung der Tätigkeit – äußert. Für den Arbeitsvertrag wesentlich ist daher eine weitgehende Ausschaltung der Bestimmungsfreiheit des AN. Für die Abgrenzung des Arbeitsvertrags vom freien Dienstvertrag kommt es nicht auf die Art der ausgeübten Tätigkeiten, sondern darauf an, ob diese Tätigkeiten in „persönlicher Abhängigkeit“ zu verrichten sind. Entscheidend ist, ob bei einer Gesamtbetrachtung die Merkmale der persönlichen Abhängigkeit ihrem Gewicht und ihrer Bedeutung nach überwiegen.

Nach dem vorliegenden Sachverhalt könnte das – neben dem Gesellschaftsvertrag bestehende – Rechtsverhältnis des Kl zur Schuldnerin als freier Dienstvertrag zu qualifizieren sein. Zwar sind freie DN iSd § 4 Abs 4 ASVG den AN seit 1.1.2008 aufgrund BGBl I 2007/104BGBl I 2007/104 gleichgestellt. Sie haben daher auch Anspruch auf Insolvenz-Entgelt für offene Forderungen aus dem freien Dienstverhältnis, allerdings in einem geringeren Umfang, weil auf freie Dienstverhältnisse jene arbeitsrechtlichen Regelungen, die die persönliche Abhängigkeit des AN voraussetzen, nicht anwendbar sind (Gahleitner in Neumayr/Reissner [Hrsg], ZellKomm3 § 1 IESG Rz 9 ff, 59/1).

Dieser rechtliche Aspekt ist mit den Parteien im Verfahren erst zu erörtern. Es ist ihnen auch Gelegenheit zu geben, ein allfälliges weiteres Vorbringen zu erstatten. Aus diesem Grund waren die Entscheidungen der Vorinstanzen, soweit sie über die geltend gemachte Kündigungsentschädigung hinausgehen, mangels Spruchreife aufzuheben.