56Arbeitnehmerin als Verlassenschaftskuratorin: Entgeltansprüche gesichert
Arbeitnehmerin als Verlassenschaftskuratorin: Entgeltansprüche gesichert
Die Kl war seit 13.5.2002 als Angestellte in einer Tabaktrafik beschäftigt. Ihr AG verstarb am 23.11.2017. Da noch keine Erbantrittserklärungen vorlagen und zur Weiterführung des Einzelunternehmens dringende Veranlassungen erforderlich waren, wurde die Kl mit Beschluss des Verlassenschaftsgerichts vom 28.11.2017 zur Verlassenschaftskuratorin bestellt. Am 22.6.2018 wurde über die Verlassenschaft des AG das Konkursverfahren eröffnet und ein Insolvenzverwalter bestellt. Mit Beschluss vom 24.8.2018 enthob das Verlassenschaftsgericht die Kl auf eigenen Wunsch von ihrer Tätigkeit als Verlassenschaftskuratorin. Nach der insolvenzgerichtlichen Schließung des Betriebs kündigte der Insolvenzverwalter das Dienstverhältnis der Kl. Die bekl IEF Service-GmbH lehnte den Antrag der Kl auf Gewährung von Insolvenz-Entgelt für die laufenden Entgeltrückstände sowie der Beendigungsansprüche ab. Die Kl sei aufgrund ihrer Funktion als Verlassenschaftskuratorin nicht als AN anzusehen.
Das Erstgericht gab dem Klagebegehren zur Gänze statt. Das Berufungsgericht bestätigte diese E. Der OGH bestätigte die E des Berufungsgerichts
Die bekl IEF Service-GmbH stützte sich auf die bisherige Judikatur des OGH und führte ins Treffen, der OGH habe in mehreren Entscheidungen die AN-Eigenschaft eines zum Verlassenschaftskurator bestellten ehemaligen Angestellten des verstorbenen Unternehmers verneint.
In der E vom 8.7.1999, 8 ObS 268/98i, verneinte der OGH die AN-Eigenschaft einer Witwe, die als Verlassenschaftskuratorin mit der Fortführung des Gastbetriebs ihres verstorbenen Gatten und AG beauftragt wurde. Nach dieser E liege bei unternehmertypischen Handlungen wie der Befugnis, in allen Geschäftsbereichen selbständig entscheiden zu können, kein Arbeitsverhältnis vor. Da die Verlassenschaftskuratorin bei der Fortführung des Unternehmens die Gesamtorganisation innegehabt habe und jedenfalls im ordentlichen Wirtschaftsbereich keiner weiteren Weisung oder Einschränkung durch das Verlassenschaftsgericht unterworfen war sowie für die Unternehmensentscheidungen verantwortlich und durch ihre Stellung nicht persönlich abhängig und weisungsgebunden gewesen sei, habe in ihrem Fall die Ausübung der AG-Funktionen überwogen. Ähnlich wie bei den nach § 1 Abs 6 Z 2 IESG 95 ausgenommenen Organmitgliedern komme es nicht auf die faktische Einflussmöglichkeit an.
Seit der zitierten E wurden allerdings die maßgeblichen Bestimmungen des § 1 IESG wiederholt novelliert. Nach § 1 Abs 6 Z 2 IESG in der damals geltenden Fassung waren Ansprüche der Mitglieder des Organs einer juristischen Person, das zur gesetzlichen Vertretung der juristischen Person berufen ist, von der Entgeltsicherung ausgeschlossen. Dieser Ausschlusstatbestand wurde bereits mit BGBl I 2005/102BGBl I 2005/102 ersatzlos aufgehoben. Weiters wurden mit der Novelle BGBl 2007/104BGBl 2007/104 freie DN in den Schutz der gesetzlichen Insolvenz-Entgeltsicherung einbezogen, deren Tätigkeit insb durch das Fehlen der für den Arbeitsvertrag charakteristischen persönlichen Abhängigkeit und durch weitgehende Weisungsfreiheit gekennzeichnet ist.
Nach Ansicht des OGH wurde mit diesen wesentlichen Änderungen den tragenden Gründen der E vom 8.7.1999, 8 ObS 268/98i, die vormals bestehende Rechtsgrundlage entzogen.
Die Berechtigung, ein Unternehmen zu verwalten, wirtschaftliche Entscheidungen zu treffen und es nach außen zu vertreten, kann nach der geltenden Fassung des § 1 Abs 1 und Abs 6 IESG für sich allein nicht mehr zum Ausschluss der Insolvenz- Entgeltsicherung führen (OGH 16.1.2008, 8 ObS 27/07i). Ob sich diese Berechtigung aus einer gesellschaftsrechtlichen Organstellung ergibt (zB Fremdgeschäftsführer einer GmbH) oder aus einer gerichtlichen Kuratorbestellung, spielt dafür keine entscheidende Rolle. Auch die Merkmale der Weisungsunterworfenheit und der persönlichen Abhängigkeit haben durch die Einbeziehung der freien DN in den Kreis der nach § 1 Abs 1 IESG Anspruchsberechtigten insoweit ihre in der früheren Rsp noch betonte Bedeutung verloren.
Andere von der Bekl für ihren Standpunkt zitierte höchstgerichtliche Entscheidungen, wie insb OGH vom 15.2.2001, 8 ObS 187/00h, sind nicht einschlägig. Im Unterschied zum vorliegenden Fall war die Kl im dortigen Verfahren nicht nur gerichtlich bestellte Verlassenschaftskuratorin, sondern aufgrund eines Vertrags mit der Monopolverwaltung als Trafikantin auch Betriebsnachfolgerin des verstorbenen AG.
Auch die Ausführungen der IEF Service-GmbH, wonach die von einem Verlassenschaftskurator durchzuführenden Tätigkeiten von einem stark erweiterten Wirkungs- und Einflussbereich auf das Unternehmensgeschehen gekennzeichnet seien und der Verlassenschaftskurator keinerlei Weisungen mehr erhalte, sind in dieser Allgemeinheit unzutreffend. Der Wirkungskreis eines Verlassenschaftskurators ist nach § 278 ABGB vom Verlassenschaftsgericht genau zu bezeichnen. Er kann die gesamte Verwaltung und Vertretung der Verlassenschaft beinhalten, aber auch auf Teilgebiete beschränkt sein. Handlungen, die über den Rahmen der ordentlichen Verwaltung hinausgehen, bedürfen gem § 167 Abs 3 ABGB grundsätzlich der Genehmigung des Verlassenschaftsgerichts, das eine Aufsichts- und Überwachungspflicht trifft.
Im Anlassfall bestand der Zweck der Kuratorbestellung in der unveränderten Fortführung der Geschäfte der Tabaktrafik. Die Befugnisse der Kl beschränkten sich auf die Leistung der laufenden Zahlungen vom Firmenkonto, die Durchführung von Bestellungen, die Verwaltung der Post und die Funktion als Ansprechpartnerin der anderen AN. Die Kl hatte keinen Kreditrahmen für das Firmenkonto und es war ihr auch nicht erlaubt, größere Zahlungen ohne Rücksprache durchzuführen. Alle Mitarbeiter wussten, was zu tun war; hätte es Probleme mit Mitarbeitern gegeben, hätte die Kl bei der Gerichtskommissärin nachgefragt. Die Zahlung der Gehälter erfolgte durch die Steuerberatungskanzlei.
Auf Grund des beschränkten Aufgabenkreises der Kuratorin, der nicht über die Rechte und Pflichten einer angestellten Filialleiterin hinausging und weder Führungsaufgaben (insb auch keine Befugnis zur Einstellung oder Kündigung von AN) noch unternehmerische Entscheidungen beinhaltete, kann nicht von einem wesentlichen Einfluss der Kl auf die Betriebsführung ausgegangen werden. In Folge der Einbeziehung der freien Dienstverhältnisse in § 1 Abs 1 IESG ist eine allfällige Weisungsfreiheit der Kl im Rahmen der übertragenen Aufgaben – die nach den Feststellungen des Erstgerichts aber ohnehin nicht vorlag, da die Kl in sämtlichen über das Alltagsgeschäft hinausgehenden Angelegenheiten an die Genehmigung des Gerichts oder der Gerichtskommissärin gebunden war – ohnehin nicht erforderlich.
Die Argumentation der IEF Service-GmbH, wonach die geltend gemachten Ansprüche auf Grund einer Analogie zu § 1 Abs 6 Z 2 IESG über den Ausschluss von Gesellschaftern mit beherrschendem Einfluss von der Entgeltsicherung ausgenommen seien, ist unzutreffend. Die Kl war nicht am Unternehmen des Schuldners beteiligt. Die von der Bekl vertretene Ansicht, dass jede theoretisch mögliche Einflussnahme auf die Geschäftsführung den Ausschlusstatbestand erfülle, ist schon deshalb nicht haltbar, weil sie die Aufhebung des Ausschlusses von Ansprüchen der vertretungsberechtigten Organe unterlaufen würde. Die Eröffnung der Entgeltsicherung für diese Personengruppe, soweit es sich um AN oder freie DN handelt, entspricht dem Willen des Gesetzgebers und stellt keine der Schließung durch Analogie zugängliche Regelungslücke dar.
Die Vorinstanzen sind daher zutreffend von einem fortgesetzten Arbeitsverhältnis ausgegangen. 96