63Bezug von Arbeitslosengeld trotz Anspruchs auf Korridorpension – Zeitraum von einem Jahr beginnt nicht starr ab erstmaliger Erfüllung der Voraussetzungen für Korridorpension
Bezug von Arbeitslosengeld trotz Anspruchs auf Korridorpension – Zeitraum von einem Jahr beginnt nicht starr ab erstmaliger Erfüllung der Voraussetzungen für Korridorpension
§ 22 Abs 1 zweiter Satz AlVG verlangt die Erfüllung der Anspruchsvoraussetzungen der Korridorpension, der Anwendungsbereich ist daher überhaupt erst dann eröffnet, wenn der Arbeitslose nicht mehr der Pflichtversicherung in der PV auf Grund einer Erwerbstätigkeit unterliegt und kein die Geringfügigkeitsgrenze übersteigendes Erwerbseinkommen bezieht (§ 4 Abs 2 APG).
Die einjährige Frist des § 22 Abs 1 zweiter Satz AlVG ist so zu verstehen, dass der Bezug von Leistungen aus der AlV für die Dauer eines Jahres trotz gleichzeitigen Vorliegens102der Anspruchsvoraussetzungen für die Korridorpension zulässig sein soll.
Der im Juli 1953 geborene Beschwerdeführer war seit 1991 bei seinem AG beschäftigt und bezog ab 16.2.2017 Krankengeld. Das Arbeitsverhältnis wurde am 31.3.2017 durch einvernehmliche Lösung beendet. Von 1.4. bis 9.4.2017 bezog der Beschwerdeführer eine Urlaubsersatzleistung. Die einvernehmliche Auflösung wurde dem Beschwerdeführer aufgrund einer Krebserkrankung und dadurch verursachter Krankenstände vom AG nahegelegt, damit verbunden war die Zusage einer Wiedereinstellung im Falle einer Besserung des Gesundheitszustands. Der Beschwerdeführer machte am 27.1.2018 einen Anspruch auf Arbeitslosengeld geltend. Das Arbeitsmarktservice (AMS) sprach mit dem in Revision gezogenen Bescheid aus, dass das Arbeitslosengeld ab 1.2.2018 gem § 22 Abs 1 AlVG eingestellt werde. Der Beschwerdeführer wurde ab 1.3.2018 wieder von seinem AG beschäftigt.
Das AMS wies die Beschwerde mit Beschwerdevorentscheidung vom 3.5.2018 ab. Der Beschwerdeführer erfülle die Anspruchsvoraussetzungen für eine Korridorpension bereits seit 1.8.2015. ISd § 22 Abs 1 zweiter Satz AlVG ende sein Anspruch auf Arbeitslosengeld jedenfalls ein Jahr nach Erfüllung der Anspruchsvoraussetzungen. Der Beschwerdeführer hätte daher längstens bis 31.7.2016 einen Anspruch auf Arbeitslosengeld gehabt.
Das BVwG behob den Bescheid und führte begründend aus, dass Voraussetzung der Korridorpension – neben der erforderlichen Versicherungszeit – auch sei, dass die bisherige mit einer Pflichtversicherung verbundene Erwerbstätigkeit aufgegeben bzw kein die monatliche Geringfügigkeitsgrenze übersteigendes Erwerbseinkommen bezogen werde. Entgegen den Annahmen des AMS sei die Jahresfrist des § 22 Abs 1 zweiter Satz AlVG am 1.2.2018 noch nicht abgelaufen gewesen.
Die Revision wurde für zulässig erklärt, da keine Rsp zum Zeitpunkt des Beginns der einjährigen Frist nach § 22 Abs 1 letzter Satz AlVG vorliege. Ebenso fehle Rsp zur Frage, aufgrund welcher Umstände iSd § 22 Abs 1 Z 6 lit b AlVG eine Abstandnahme von der einvernehmlichen Auflösung als unzumutbar anzusehen sei.
Der VwGH hält die Revision für zulässig, aber nicht berechtigt.
„[…] 13 [§ 22 Abs. 1 zweiter Satz AlVG] bewirkt, dass eine arbeitslos gewordene Person, die bereits einen Anspruch auf eine Korridorpension erworben hat, unter den genannten Bedingungen zunächst nicht gezwungen ist, zur Sicherung ihres Lebensunterhalts eine Korridorpension zu beantragen, sondern zeitlich begrenzt weiter Leistungen aus der Arbeitslosenversicherung beziehen und eine Reintegration in den Arbeitsmarkt versuchen kann. Dieser unterschiedlichen Behandlung eines Anspruches auf eine Korridorpension gegenüber Ansprüchen auf andere Pensionen aus den Versicherungsfällen des Alters liegt zu Grunde, dass mit einer Korridorpension eine Verminderung der Pensionsleistung (vgl. § 5 APG) einhergeht, sodass nach der Intention des Gesetzgebers ein ökonomischer Zwang zur Antragstellung in den Fällen des § 22 Abs. 1 zweiter Satz AlVG vermieden werden soll […].
14 […] Hinsichtlich der Auflösung des Dienstverhältnisses des Mitbeteiligten zur P GmbH kommt der Tatbestand des § 22 Abs. 1 Z 6 lit. b AlVG in Betracht, der einvernehmliche Auflösungen erfasst, die nachweislich unter Umständen erfolgt sind, welche eine Abstandnahme von der einvernehmlichen Auflösung unzumutbar gemacht haben.
[…]
20 Der Tatbestand des § 22 Abs. 1 Z 6 lit. b AlVG ist im Sinn der Intention des Gesetzgebers dagegen dann erfüllt, wenn durch den Arbeitslosen nicht verschuldete Gründe vorliegen, die der Auflösung zu Grunde liegen. […] Darüber hinaus ist eine Abstandnahme von der einvernehmlichen Auflösung auch dann im Sinn des § 22 Abs. 1 Z 6 lit. b AlVG als unzumutbar für den Arbeitslosen anzusehen, wenn sein Arbeitgeber an ihn mit der begründeten Absicht herangetreten ist, das Dienstverhältnis aufgrund von Umständen in seiner Person, die nicht zu einer Entlassung berechtigt hätten, bzw. aufgrund von betrieblichen Erfordernissen, die gegen eine weitere Beschäftigung des Arbeitslosen gesprochen haben, zu beenden. In einem solchen Fall kann von einem Arbeitnehmer nicht verlangt werden, auf einer Kündigung durch den Dienstgeber zu bestehen, zumal sich in der Realität des Arbeitsmarktes häufig eine einvernehmliche Auflösung für sein weiteres Fortkommen günstiger als eine einseitige Auflösung durch den Dienstgeber erweisen wird (vgl. idS VwGH 12.5.1998, 96/08/0168).
21 […] Es kann nämlich nicht zweifelhaft sein, dass der Wunsch des Dienstgebers zur Auflösung des Dienstverhältnisses – jedenfalls in Hinblick auf das Vorliegen von lang dauernden Krankenständen – auf sachliche in der Person des Mitbeteiligten liegende, aber von ihm nicht verschuldete Gründe gestützt war und es dem Mitbeteiligten daher im Sinn der obigen Ausführungen nicht zumutbar war, auf eine Dienstgeberkündigung zu bestehen.
22 Davon ausgehend ist zu untersuchen, ob die in § 22 Abs. 1 zweiter Satz AlVG festgelegte Frist von einem Jahr für den Bezug von Leistungen nach dem AlVG bereits ausgeschöpft war. […]
23 § 22 Abs. 1 zweiter Satz AlVG verlangt […] ohne Einschränkung die Erfüllung der 103 Anspruchsvoraussetzungen für den Bezug einer Korridorpension gemäß § 4 Abs. 2 APG. […] Der Anwendungsbereich des § 22 Abs. 1 zweiter Satz AlVG ist daher überhaupt erst dann eröffnet, wenn der Arbeitslose nicht mehr der Pflichtversicherung in der Pensionsversicherung auf Grund einer Erwerbstätigkeit unterliegt und kein die Geringfügigkeitsgrenze nach § 5 Abs. 2 ASVG übersteigendes Erwerbseinkommen bezieht (vgl. idS Schrattbauer aaO Rz 12).
[…]
26 In manchen Fällen […] vergeht somit zwischen dem (erstmaligen) Eintritt der Voraussetzungen nach § 4 Abs. 2 APG und der Möglichkeit, Leistungen aus der Arbeitslosenversicherung zu beziehen, Zeit. Dies trifft insbesondere dann zu, wenn – wie im vorliegenden Fall – zunächst Krankengeld (vgl. § 16 Abs. 1 Z 1 lit. a AlVG) bzw. eine Ersatzleistung für Urlaubsentgelt (vgl. § 16 Abs. 1 Z 1 lit. l AlVG) bezogen wird. Eine Sichtweise, wonach der Anspruch auf Arbeitslosengeld nach § 22 Abs. 1 zweiter Satz AlVG nur in einer (starren) Zeitspanne eines Jahres ab erstmaliger Erfüllung der Voraussetzungen für die Korridorpension gewahrt bliebe, würde daher in diesen Fällen dazu führen, dass ein nach dieser Bestimmung eingeräumter Anspruch auf Arbeitslosengeld schließlich nur mehr für einen ein Jahr unterschreitenden Zeitraum bzw. allenfalls – etwa bei einem an den Eintritt der Arbeitslosigkeit anschließenden Bezug von Krankengeld in der Dauer von 52 Wochen (vgl. § 139 ASVG) – überhaupt nicht mehr zustünde. Ein solches Ergebnis befände sich aber mit der Intention des Gesetzgebers, Personen, die ihre Arbeitslosigkeit nicht selbst herbeigeführt bzw. verschuldet haben, keinen ökonomischen Zwang zur Stellung eines Antrages auf Korridorpension aufzuerlegen, sondern zunächst die Möglichkeit einzuräumen, zeitlich begrenzt weiter Leistungen aus der Arbeitslosenversicherung zu beziehen und eine Reintegration in den Arbeitsmarkt zu versuchen, in einem Spannungsverhältnis.
27 Auch sind Fälle möglich, in denen Versicherte zunächst nach Erfüllung der Anspruchsvoraussetzungen für die Korridorpension für weniger als ein Jahr im Sinn des § 22 Abs. 1 Z 1 bis 6 AlVG Leistungen aus der Arbeitslosenversicherung beziehen und danach wieder ein Beschäftigungsverhältnis aufnehmen. Wird das aufgenommene Beschäftigungsverhältnis in der Folge erneut durch eine der in § 22 Abs. 1 Z 1 bis 6 AlVG genannten Formen beendet, ist keine sachliche Rechtfertigung dafür ersichtlich, dass die mit dieser Bestimmung eingeräumte Wahlmöglichkeit zwischen dem Bezug des Arbeitslosengeldes und der Korridorpension dadurch, dass zumindest vorübergehend eine Integration in den Arbeitsmarkt erneut gelungen ist, vernichtet bzw. zumindest die Zeitdauer des Bezuges verkürzt werden sollte.
28 Vor diesem Hintergrund legt die Intention des § 22 Abs. 1 zweiter Satz AlVG nahe, dass mit der Wortfolge ‚für den Zeitraum von einem Jahr‘ die Dauer des Bezuges angesprochen wird. Die einjährige Frist des § 22 Abs. 1 zweiter Satz AlVG ist daher so zu verstehen, dass der Bezug von Leistungen aus der Arbeitslosenversicherung für eine Dauer eines Jahres trotz gleichzeitigen Vorliegens der Anspruchsvoraussetzungen für die Korridorpension zulässig sein soll (vgl. idS im Ergebnis Schrattbauer aaO Rz 12).“
Ein Anspruch auf eine Pension aus einem der Versicherungsfälle des Alters führt grundsätzlich zum Ausschluss von Leistungen aus der AlV. Davon ausgenommen ist die Korridorpension. Vorausgesetzt, die letzte Beschäftigung wurde durch eine in § 22 Abs 1 zweiter Satz AlVG genannten Formen aufgelöst, ist für den Zeitraum von einem Jahr eine Wahlmöglichkeit zwischen Leistungen aus der AlV und der Korridorpension vorgesehen.
Im gegenständlichen Verfahren hat sich der VwGH mit zwei Fragen beschäftigt:
1. Aufgrund welcher Umstände iSd § 22 Abs 1 Z 6 lit b AlVG ist eine Abstandnahme von der einvernehmlichen Auflösung als unzumutbar anzusehen?
2. Wann beginnt die einjährige Frist nach § 22 Abs 1 zweiter Satz AlVG?
Im vorliegenden Fall wurde das letzte Beschäftigungsverhältnis des Beschwerdeführers aufgrund seiner Krebserkrankung durch einvernehmliche Auflösung beendet, damit verbunden war die Zusage einer Wiedereinstellung im Falle einer Besserung des Gesundheitszustands. Der VwGH stellt mit dieser Entscheidung fest, dass iSd Intention des Gesetzgebers der Tatbestand des § 22 Abs 1 Z 6 lit b AlVG dann erfüllt ist, wenn durch den Arbeitslosen nicht verschuldete Gründe vorliegen, die der einvernehmlichen Auflösung zu Grunde liegen. Dies soll zweifellos bei Sachverhalten, die den Arbeitslosen zu einem vorzeitigen Austritt berechtigt hätten, der Fall sein, aber auch dann, wenn der AG an den AN mit der begründeten Absicht herangetreten ist, das Arbeitsverhältnis aufgrund von Umständen in seiner Person, die nicht zu einer Entlassung berechtigt hätten, bzw aufgrund von betrieblichen Erfordernissen zu beenden. Der Wunsch des AG zur Auflösung des Arbeitsverhältnisses war im vorliegenden Fall auf sachliche in der Person des Beschwerdeführers liegende, aber von ihm nicht verschuldete Gründe gestützt.
Die zweite zentrale Frage der vorliegenden E ist, ob die Frist von einem Jahr für den Bezug von Leistungen aus der AlV bereits ausgeschöpft war. Der VwGH bezieht sich auf den Gesetzeswortlaut und stellt klar, dass der Anwendungsbereich des § 22 Abs 1 zweiter Satz AlVG erst dann eröffnet ist, wenn der Arbeitslose nicht mehr der Pflichtversicherung in der PV auf Grund einer Erwerbstätigkeit unterliegt und kein die Geringfügigkeitsgrenze 104 übersteigendes Erwerbseinkommen bezieht (vgl § 4 Abs 2 APG).
Hinsichtlich des Beginns und des Laufs des festgelegten Zeitraums von einem Jahr lässt der Gesetzeswortlaut zwei verschiedene Auslegungsmöglichkeiten zu. ISd vom BVwG vertretenen Auffassung sollen Leistungen aus der AlV nur in einer (starren) Zeitspanne eines Jahres ab erstmaliger Erfüllung der Voraussetzungen für die Korridorpension zustehen. Der VwGH lehnt diese Rechtsansicht ab. In manchen Fällen vergeht zwischen dem (erstmaligen) Eintritt der Voraussetzungen für eine Korridorpension und der Möglichkeit, Leistungen aus der AlV zu beziehen, Zeit, insb wie im vorliegenden Fall bei Bezug von Krankengeld bzw einer Urlaubsersatzleistung. Der VwGH bezieht sich auf die Intention des Gesetzgebers und stellt klar, dass auch in diesen Fällen die Möglichkeit, Leistungen aus der AlV zu beziehen und eine Reintegration in den Arbeitsmarkt zu versuchen, eingeräumt werden muss. Dies soll auch für Fälle gelten, in denen Versicherte zunächst nach Erfüllung der Voraussetzungen für die Korridorpension Leistungen aus der AlV für weniger als ein Jahr beziehen und danach wieder eine Beschäftigung aufnehmen. Mit dieser E hat der VwGH klargestellt, dass die einjährige Frist des § 22 Abs 1 zweiter Satz AlVG so zu verstehen ist, dass der Bezug von Leistungen aus der AlV für die Dauer eines Jahres trotz gleichzeitigen Vorliegens der Anspruchsvoraussetzungen für die Korridorpension zulässig sein soll.
Fazit: Sofern die sonstigen Voraussetzungen des § 22 Abs 1 zweiter Satz AlVG vorliegen, kann eine arbeitslose Person, die wie im vorliegenden Fall bei Beendigung des Arbeitsverhältnisses bereits 63 Jahre alt ist, trotz Anspruchs auf Korridorpension noch Arbeitslosengeld beziehen und eine Reintegration in den Arbeitsmarkt versuchen. Auch wenn zunächst Krankengeld (bis zu 52 Wochen) bzw eine Urlaubsersatzleistung bezogen wird, kann im Anschluss bei Erfüllung der sonstigen Voraussetzungen Arbeitslosengeld trotz Anspruch auf Korridorpension bezogen werden. Es ist grundsätzlich auch möglich, den einjährigen Bezug einer Leistung aus der AlV durch ein Arbeitsverhältnis zu unterbrechen und später wieder fortzusetzen, sofern erneut eine nicht anspruchsschädliche Beendigung des letzten Arbeitsverhältnisses vorliegt.