65Zuständigkeit der Allgemeinen Unfallversicherungsanstalt für Arbeitsunfälle auch nach dem SV-OG
Zuständigkeit der Allgemeinen Unfallversicherungsanstalt für Arbeitsunfälle auch nach dem SV-OG
Die Allgemeine Unfallversicherungsanstalt (AUVA) bleibt auch nach Inkrafttreten des Sozialversicherungs- Organisationsgesetzes (SV-OG) zur Durchführung der UV im konkreten Fall des Kl sachlich zuständig. Für den Versicherungsschutz bei selbständig Erwerbstätigen ist entscheidend, ob ein Arbeitsunfall im örtlichen, zeitlichen und ursächlichen Zusammenhang mit einem Verhalten steht, das sich als Ausübung der die Versicherung begründenden Erwerbstätigkeit darstellt. Fortsetzung von OGH 13.9.2018, 10 ObS 30/18m.
Der Kl wollte am 24.1.2012 Schnee vom Dach schaufeln, weil aufgrund vorheriger starker Schneefälle eine Schneewechte vorstand und auf den Eingangsbereich des in diesem Gebäude (auch) befindlichen Cafés abzustürzen drohte. Beim Versuch, die Wechte abzuschaufeln, stürzte der Kl vom Dach und verletzte sich. Für die Folgen dieses Arbeitsunfalls bezieht der Kl aufgrund des rechtskräftigen Bescheids der Sozialversicherungsanstalt (SVA) der Bauern (seit 1.1.2020: SVS) vom 29.1.2014 seit 25.1.2013 eine Betriebsrente nach § 149d Bauern- Sozialversicherungsgesetz (BSVG) im Ausmaß von 20 vH der Vollrente. Der Kl wohnte zum Unfallszeitpunkt mit seiner Ehefrau in diesem Gebäude. Das in diesem Gebäude befindliche Café war dem vom Kl betriebenen Campingplatz angeschlossen, der Kl hatte es jedoch im Unfallzeitpunkt an seinen Sohn verpachtet. Zum Unfallzeitpunkt und danach bis zum 31.10.2012 betrieb der Kl (auch) 106 einen Campingplatz als selbständig Erwerbstätiger. Aufgrund dessen war er auch wegen eines rechtskräftigen Bescheides vom 5.6.2019 in der PV und KV gem § 2 Abs 1 Z 1 GSVG pflichtversichert. Die Rezeption bzw Anmeldung für den Campingplatz befindet sich in den Räumlichkeiten des Cafés. Der Campingplatz ist ganzjährig geöffnet und wird auf mehreren als „Sonderfläche Camping“ gewidmeten Grundstücken betrieben. Er besteht aus 20 Stellplätzen, 7 WCs, 13 Duschen, 2 Waschräumen, einem Behinderten WC, einem Wasch- und Trockenraum sowie einem Erste-Hilfe-Raum.
Mit Bescheid vom 29.11.2016 lehnte die bekl AUVA die Anerkennung des Unfalls des Kl vom 24.1.2012 als Arbeitsunfall ab, weil gem § 28 ASVG nicht sie, sondern die SV der Bauern sachlich zuständig sei.
Der Kl brachte daraufhin Klage ein und begehrte die Zuerkennung einer Versehrtenrente. Die Bekl wandte dagegen ein, dass der Kl zum Unfallzeitpunkt keine unselbständige oder selbständige Erwerbstätigkeit ausgeübt habe und deshalb auch keinen Unfallversicherungsschutz genieße.
Das Erstgericht wies das Klagebegehren auf Zuerkennung einer Versehrtenrente ab. Der Kl habe weder eine Erklärung gem § 2 Abs 1 Z 4 GSVG abgegeben noch von der Möglichkeit des opting in gem § 3 Abs 1 Z 2 GSVG Gebrauch gemacht. Er habe als Betreiber eines Campingplatzes nicht die für 2012 geltende Versicherungsgrenze überschritten und sei daher nicht als neuer Selbständiger gem § 8 Abs 1 Z 3 lit a zweiter Spiegelstrich ASVG in der UV teilversichert gewesen.
Das Berufungsgericht gab der vom Kl gegen dieses Urteil erhobenen Berufung nicht Folge. Die Zuerkennung einer Betriebsrente durch die SV der Bauern hindere nicht die eigenständige Prüfung und Bejahung der Passivlegitimation der Bekl gem § 28 Z 2 ASVG. Da das steuerliche Ergebnis für den Betrieb des Campingplatzes für das Jahr 2012 aber einen Verlust aufweise, sei der Kl nicht gem § 2 Abs 1 Z 4 GSVG in der KV und PV nach dem GSVG pflichtversichert und daher nicht in der UV nach dem ASVG teilversichert gewesen.
Das Berufungsgericht ließ die Revision mangels Vorliegens einer Rechtsfrage von erheblicher Bedeutung gem § 502 Abs 1 ZPO nicht zu.
Der Kl erhob außerordentliche Revision, die der OGH für zulässig erachtete. Der OGH hatte zunächst die Frage zu klären, ob die AUVA im konkreten Fall überhaupt noch zuständig und damit Bekl ist, oder ob nicht aufgrund der Strukturreformen des SV-OG inzwischen die Zuständigkeit der Sozialversicherungsanstalt der Selbständigen (SVS) gegeben sei. Mit Verweis auf die Übergangsbestimmungen bejahte er die Zuständigkeit der AUVA. Im Weiteren ging es dann um den Anspruch auf Versehrtenrente. Mangels entsprechender Feststellungen, ob überhaupt ein Arbeitsunfall vorlag, hob der OGH die Entscheidungen der Vorinstanzen auf und verwies die Rechtssache zurück an das Erstgericht.
„[…] [22] […] Sehr wohl war er aber als Mitglied einer Kammer der gewerblichen Wirtschaft gemäß § 2 Abs 1 Z 1 GSVG kranken- und pensionsversichert. Damit bestand im Unfallszeitpunkt eine Teilversicherung des Klägers in der Unfallversicherung nach § 8 Abs 1 Z 3 […] ASVG. […]
[23] Zur Parteistellung und zur sachlichen Zuständigkeit der beklagten [AUVA] im sozialgerichtlichen Verfahren:
[24] Zur Rechtslage bis zum Inkrafttreten des SVOG, BGBl I 2018/100BGBl I 2018/100:
[25] Im Unterbrechungsbeschluss […], 10 ObS 30/18m, bejahte der Oberste Gerichtshof die sachliche Zuständigkeit auch der AUVA zur Durchführung der Unfallversicherung im konkreten Fall. Begründet wurde dies zusammengefasst damit, dass der Kläger zwar Ansprüche aus demselben Sachverhalt – dem Unfall vom 24.1.2012 – ableitet, diese aber auf unterschiedliche materielle Anspruchsgrundlagen gestützt werden. Gegenüber der AUVA begehrt der Kläger nicht eine Betriebsrente, sondern macht einen Anspruch auf Versehrtenrente geltend. Diesen Anspruch stützt er nicht auf die das bäuerliche Unfallversicherungsrecht […], sondern auf jene des ASVG in Verbindung mit dem GSVG. Seit der Entscheidung 10 ObS 235/90 (SSVNF 4/100) entspricht es ständiger Rechtsprechung, dass ein Anspruch aus der gesetzlichen Unfallversicherung (nur) gegen denjenigen Versicherungsträger geltend gemacht werden kann, dem in § 28 ASVG für diesen Anspruch die Durchführung der Unfallversicherung übertragen ist (RS0083755 mwH). Dies war zum Unfallzeitpunkt und bis zum Inkrafttreten des SV-OG hier die beklagte AUVA.
[26] Die AUVA erließ auch den angefochtenen Bescheid vom 29.11.2016, sodass ihr gemäß § 66 ASGG auch Parteistellung im sozialgerichtlichen Verfahren zukam.
[27] Die Beklagte zeigte jedoch […] an, dass ab 1.1.2020 nicht mehr sie, sondern die [SVS] für das Leistungsstreitverfahren der Selbständigen zuständig sei. Der Rechtsübergang betreffe auch das sozialgerichtliche Verfahren, sodass per 1.1.2020 ein Parteienwechsel auf Seiten der Beklagten stattfinde. Beklagte sei ab diesem Zeitpunkt die SVS als Rechtsnachfolgerin der AUVA.
[28] Zu den organisatorischen Änderungen des SVOG:
[29] Nach den §§ 24 und 28 ASVG idF des SV-OG sind Träger der Unfallversicherung die AUVA (§ 24 Abs 1 Z 1 ASVG) und die SVS (§ 24 Abs 1 Z 2 ASVG, § 3 SVSG), dies jeweils im Rahmen ihrer in § 28 ASVG bezeichneten sachlichen Zuständigkeit. Die 107 §§ 24 und 28 ASVG idF des SV-OG gelten ab 1.1.2020 (§ 718 Abs 1 Z 3 ASVG).
[30] Auch § 28 ASVG idF des SV-OG regelt die grundsätzliche Zuständigkeit der AUVA für die Durchführung der Unfallversicherung. Nur in den in § 28 Z 2 ASVG geregelten Fällen kommt diese Zuständigkeit der SVS zu. Darunter ist als wesentlich die Zuständigkeit der SVS zur Durchführung der Unfallversicherung für die nach § 8 Abs 1 Z 3 lit a ASVG pflichtversicherten selbständig Erwerbstätigen hervorzuheben. Zu dieser Gruppe gehört der Kläger, dies zwar nicht als ‚neuer‘ Selbständiger gemäß § 2 Abs 1 Z 4 GSVG […], jedoch als Mitglied einer Wirtschaftskammer gemäß § 2 Abs 1 Z 1 GSVG […].
[31] Diese Zuständigkeit kommt der SVS allerdings gemäß der Übergangsbestimmung des § 53 Abs 5 SVSG – zu der noch näher Stellung zu nehmen sein wird – erst ab 1.1.2020 zu. Bis dahin kam sie, wie bereits ausgeführt, der beklagten AUVA zu.
[32] Zu den Übergangsbestimmungen des SVSG:
[33] Auch das SVSG trat im Wesentlichen mit dem 1.1.2020 in Kraft (§ 53 Abs 1 SVSG). Änderungen des zwingenden Rechts sind, sofern nicht die Übergangsbestimmungen etwas anderes bestimmen, vom Rechtsmittelgericht von Amts wegen seiner Entscheidung zugrunde zu legen, auch wenn der zu beurteilende Sachverhalt bereits vor Inkrafttreten des neuen Rechts verwirklicht wurde (RS0106868; RS0031419). Regelungen zu am 1.1.2020 noch nicht abgeschlossenen Verfahren enthalten lediglich die Übergangsbestimmungen in § 53 Abs 5 Satz 1 und Abs 6 SVSG.
[34] […] § 250 GSVG, der die Verpflichtung der SVA der gewerblichen Wirtschaft regelte, die Unfallversicherungsbeiträge der selbständig Erwerbstätigen einzuheben und an die AUVA abzuführen, wurde mit Ablauf des 31.12.2019 aufgehoben (§ 373 Abs 2 GSVG). Die Einbringung der Beiträge aus der Unfallversicherung erfolgt durch die SVS (die jedoch gemäß der unveränderten Anordnung in § 35 Abs 1 GSVG als Vertreterin der AUVA tätig wird), ‚soweit‘ sie Beiträge für diese einhebt. […] Die Anordnung der Übernahme des Rentenstocks in § 53 Abs 5 SVSG bedeutet daher die Anordnung der ‚Rückzahlung‘ der von der SVA der gewerblichen Wirtschaft eingehobenen, an die AUVA abgelieferten und noch vorhandenen Unfallversicherungsbeiträge.
[35] § 53 Abs 6 SVSG [… ordnet] eine gesetzliche Zuständigkeit der SVS [an], bestimmte, dort genannte anhängige Verfahren weiterzuführen.
[36] Die Bestimmung des § 53 Abs 6 SVSG ist zweifach eingeschränkt: Sie bezieht sich erstens schon nach dem Wortlaut nicht auf sämtliche laufende Verfahren, sondern erfasst nur solche Verfahren, in denen der Eintritt des Versicherungsfalls des Arbeitsunfalls oder der Berufskrankheit streitig ist (arg: ‚vermeintlich‘). Nicht von § 53 Abs 6 SVSG sind daher beispielsweise Verfahren erfasst, in denen nur noch die Höhe einer Leistung oder deren zeitliches Ausmaß strittig sind. Zweitens enthält § 53 Abs 6 SVSG nur eine Zuständigkeitsregelung für das Verwaltungsverfahren in Leistungssachen vor dem Unfallversicherungsträger, nicht aber – anders als etwa § 48c Abs 4 BPGG oder § 42 Abs 2 HEG – umfasst diese Regelung auch das sozialgerichtliche Verfahren nach dem ASGG. Das ASGG wurde – sieht man von der durch § 720 ASVG bewirkten Änderung der Bezeichnung ‚Hauptverband der österreichischen Sozialversicherungsträger‘ in ‚Dachverband der österreichischen Sozialversicherungsträger‘ in § 93 Abs 2 ASGG ab – vom SV-OG nicht berührt.
[37] Keine Parteienidentität zwischen der AUVA und der SVS:
[38] Auch nach dem – im Wesentlichen mit 1.1.2020 erfolgten – Inkrafttreten des SV-OG handelt es sich bei der AUVA und der SVS um zwei voneinander verschiedene Körperschaften des öffentlichen Rechts (§ 32 Abs 1 ASVG, § 4 SVSG). Daran ändert der Wechsel der sachlichen Zuständigkeit für die Durchführung der Unfallversicherung der gemäß § 8 Abs 1 Z 3 lit a ASVG pflichtversicherten selbständig Erwerbstätigen mit 1.1.2020 von der AUVA zur SVS nichts.
[39] Keine Gesamtrechtsnachfolge von der AUVA auf die SVS:
[40] Das SV-OG enthält an mehreren Stellen die ausdrückliche Anordnung einer Gesamtrechtsnachfolge. Solche Fälle der gesetzlich angeordneten Gesamtrechtsnachfolge regeln etwa § 538t Abs 2 ASVG […], § 168a Abs 2 B KUVG, […] und insbesondere auch § 47 Abs 2 SVSG (Gesamtrechtsnachfolge von der SVA der gewerblichen Wirtschaft und der SVA der Bauern auf die SVS). In allen diesen Fällen normiert der Gesetzgeber, dass ‚alle Rechte und Verbindlichkeiten‘ von einem bestimmten Versicherungsträger auf einen anderen ‚übergehen‘. Eine solche – insbesondere § 47 Abs 2 SVSG – vergleichbare Bestimmung fehlt jedoch im Verhältnis zwischen der AUVA zur SVS. Dies steht allerdings im Einklang mit den dargestellten Übergangsbestimmungen, wonach nicht einmal jedes Verwaltungsverfahren in Leistungssachen der Unfallversicherung von der AUVA auf die SVS übergeht und (lediglich) der Rentenstock übertragen wird. Wie ausgeführt sieht § 35 Abs 1 GSVG weiterhin vor, dass der Versicherungsträger – jetzt die SVS – Beiträge zur Unfallversicherung, soweit er sie für die AUVA einhebt, als deren Vertreter einhebt. Auch aus dieser Bestimmung – will man das Unterbleiben ihrer Streichung mit dem SV-OG nicht wie Taudes (in Sonntag, GSVG9 § 35 GSVG Rz 5) als bloßes Redaktionsversehen deuten – ergibt sich daher, dass der Gesetzgeber in Einzelfällen des Übergangsrechts ein Verbleiben der sachlichen Zuständigkeit zur Durchführung der Unfallversicherung bei der AUVA bedacht hat.
[41] Zur Berichtigung der Parteibezeichnung im sozialgerichtlichen Verfahren:
[…]
[43] Durch ein Vorgehen nach § 235 Abs 5 ZPO darf jedoch keine Parteiänderung im eigentlichen Sinn eintreten (RS0039808). Da es sich bei der AUVA und der SVS wie ausgeführt um verschiedene Körperschaften öffentlichen Rechts handelt, käme eine 108 Berichtigung der Parteibezeichnung auch auf ein anderes Rechtssubjekt nur im Fall einer gesetzlich angeordneten Gesamtrechtsnachfolge in Frage (RS0113856), die jedoch hier, wie ebenfalls bereits ausgeführt, fehlt.
[44] Ergebnis: Die AUVA bleibt auch nach Inkrafttreten des SV-OG zur Durchführung der Unfallversicherung im konkreten Fall des Klägers sachlich zuständig und gemäß § 66 ASGG beklagte Partei in diesem Verfahren (so im Ergebnis bereits 10 ObS 17/20b).
[45] Infolge der Ergebnisse des Verwaltungsverfahrens über die Vorfrage der Versicherungspflicht des Klägers im Unfallszeitpunkt erweist sich das Verfahren als ergänzungsbedürftig:
[46] Zur Frage des Vorliegens eines Arbeitsunfalls:
[47] Für den Versicherungsschutz bei selbständig Erwerbstätigen ist entscheidend, ob ein Arbeitsunfall im örtlichen, zeitlichen und ursächlichen Zusammenhang mit einem Verhalten steht, das sich als Ausübung der die Versicherung begründenden Erwerbstätigkeit darstellt (10 ObS 108/08t SSV-NF 22/59; 10 ObS 178/12t SSV-NF 27/6; RS0084368). Dies ist nach ständiger Rechtsprechung nach subjektiven und objektiven Kriterien zu prüfen. Die Tätigkeit muss vom Versicherten mit der Intention gesetzt worden sein, seiner versicherungspflichtigen Erwerbstätigkeit nachzugehen. Darüber hinaus muss sie auch objektiv (aus der Sicht eines Außenstehenden) noch als Ausübung oder Ausfluss dieser Erwerbstätigkeit angesehen werden können. Für Verrichtungen, die sowohl privaten wie auch betrieblichen Interessen dienen – sogenannte gemischte Tätigkeiten – besteht Versicherungsschutz, wenn die Verrichtung im Einzelfall dazu bestimmt war, auch betrieblichen Interessen wesentlich zu dienen (RS0084271 [T6]). Die subjektive Meinung, dass eine bestimmte Tätigkeit dem betrieblichen Interesse dienlich ist, muss im Einzelfall in den objektiven Verhältnissen eine ausreichende Stütze finden (10 ObS 17/20b; RS0084388).
[48] Bei Selbständigen richtet sich die Frage, was zur Ausübung einer Erwerbstätigkeit gehört, in erster Linie nach berufsrechtlichen Bestimmungen […]. Gemäß § 8 Abs 1 Z 3 lit a […] ASVG wird der Unfallversicherungsschutz der in der Unfallversicherung teilversicherten selbständig Erwerbstätigen durch die Mitgliedschaft zu einer Kammer der gewerblichen Wirtschaft erworben. Die Kammermitgliedschaft begründet allerdings nicht generell für alle gewerblichen Tätigkeiten einen Unfallversicherungsschutz. Er erstreckt sich vielmehr nur auf Tätigkeiten, die in einem inneren Zusammenhang mit dem Gewerbebetrieb stehen, der die Grundlage der Kammermitgliedschaft bildet (9 ObS 8, 9/87 SSV-NF 1/14, 10 ObS 110/18a SSVNF 33/14; RS0083633).
[49] Diese Grundsätze müssen auch im vorliegenden Fall Anwendung finden, in dem die Kammermitgliedschaft des Klägers nicht auf einer Gewerbeberechtigung, sondern auf der Ausübung einer in der Anlage zu § 2 WKG genannten Unternehmung, nämlich des Betreibens eines Campingplatzes, beruhte (§ 2 Abs 1 und 2 WKG).
[50] Aus den bisher getroffenen Feststellungen ergibt sich lediglich, dass der Kläger beim Versuch, eine Schneewechte vom Dach seines Wohnhauses abzuschaufeln, abstürzte und sich dabei verletzte. Es steht auch fest, dass diese Schneewechte drohte, auf den Eingangsbereich des in diesem Haus befindlichen Cafés (‚Camping Stüberl‘) abzustürzen, das der Kläger zum Unfallszeitpunkt jedoch an seinen Sohn verpachtet hatte. Schließlich steht fest, dass sich die Rezeption bzw Anmeldung für den – ganzjährig geöffneten – Campingplatz in den Räumlichkeiten des Cafés befindet.
[51] Um den erforderlichen örtlichen, zeitlichen und ursächlichen Zusammenhang des Unfalls des Klägers mit seiner selbständigen Erwerbstätigkeit als Campingplatzbetreiber beurteilen zu können, bedarf es nach den dargestellten Grundsätzen ergänzender Feststellungen, aus denen sich ergibt, ob das Schneeschaufeln des Klägers – auch unter Berücksichtigung des Umstands, dass es sich auch um das private Wohnhaus des Klägers handelte – im dargestellten subjektiven und objektiven Zusammenhang mit seiner Tätigkeit als Campingplatzbetreiber stand und als Ausübung oder Ausfluss dieser Erwerbstätigkeit angesehen werden kann.
[52] Zur Minderung der Erwerbsfähigkeit:
[53] Sollte sich danach das Vorliegen eines geschützten Arbeitsunfalls ergeben, werden in weiterer Folge Feststellungen über die durch diesen Unfall verursachten Gesundheitsschäden – behauptet werden Berstungsschäden des ersten und dritten Lendenwirbels – und die dadurch bewirkte Minderung der Erwerbsfähigkeit zu treffen sein.
[…]
[55] Zum Einwand der Beklagten, die österreichische Rechtsordnung sehe nicht vor, dass ein und derselbe Arbeitsunfall von zwei Versicherungsträgern entschädigt werde:
[56] Dem Einwand kommt schon deshalb keine Berechtigung zu, weil der Kläger zwar aufgrund des Bescheids der SVA der Bauern vom 29.1.2014 eine Betriebsrente (§ 149d BSVG) bezieht, im nunmehrigen Verfahren aber – wie ausgeführt – eine Versehrtenrente von der Beklagten begehrt. Abgesehen davon, dass nach den bisherigen Verfahrensergebnissen noch nicht einmal feststeht, ob der vom Kläger geltend gemachte Anspruch dem Grunde nach zu Recht besteht, wurde im angefochtenen – den Anspruch des Klägers abweisenden – Bescheid gar keine Entscheidung über die Bemessungsgrundlage der vom Kläger begehrten Leistung getroffen, sodass deren betragliche Höhe nicht Verfahrensgegenstand ist.“
In dieser sehr komplexen E ist Verfahrensgegenstand die Frage der Leistungen aus der UV nach einem Arbeitsunfall im Jahr 2012. Das ursprüngliche Leistungsstreitverfahren wurde unterbrochen 109 zur Klärung der Vorfrage der Versicherungspflicht nach GSVG und wurde dahingehend entschieden, dass eine Versicherungspflicht als Gewerbetreibender (Betreiber eines Campingplatzes) am Tag des Unfalls vorlag. Gleichzeitig bezieht der Kl aber bereits seit 2013 eine Unfallrente als Landwirt – aufgrund dieses Unfalls beim Schneeschaufeln.
Mit dieser E hatte der OGH aber auch Fragen des Ende 2018 kundgemachten und im April 2019 eingeleiteten Umbaus der SV zu klären. Die Frage der nunmehrigen Zuständigkeit für den Anspruch aus dem Unfall als Gewerbetreibender war zu entscheiden. Während früher die AUVA für die UV der Gewerbetreibenden zuständig war, liegt die Zuständigkeit nun bei der SVS. In 22 Randziffern legt das Höchstgericht präzise die Details der Übergangsfragen zwischen AUVA und SVS dar. So ist weiterhin § 35 Abs 1 GSVG in Kraft, der die Einhebung der Beiträge durch die SVS und deren Abfuhr an die AUVA vorsieht. Weil es im Verhältnis AUVA und SVS auch nicht zu einer Gesamtrechtsnachfolge kommt, gibt es gerade die Detailbestimmung des § 53 Abs 6 Selbständigen-Sozialversicherungsgesetz (SVSG), die je nach Verfahrensstand eine Zuständigkeit bzw den Übergang der Zuständigkeit vorsieht. Die AUVA bleibt auch nach Inkrafttreten des SV-OG zur Durchführung der UV im konkreten Fall des Kl sachlich zuständig und gem § 66 ASGG Bekl in diesem Verfahren (so im Ergebnis bereits OGH 16.4.2020, 10 ObS 17/20b).
Anders als im Zweig der PV gibt es in der UV keine materiell-rechtlichen Regelungen zur Leistungsgewährung bei Mehrfachversicherung. Dies gilt nach der aktuellen Judikatur zumindest zwischen dem Kreis der nach dem ASVG-Versicherten (Unselbstständige und Selbstständige in AUVA und SVS) und dem Kreis der BSVG-Versicherten (LandwirtInnen, SVS) für Versicherungsfälle, die auf dem gleichen Ereignis beruhen.
Es ist im vorliegenden Fall allerdings noch festzustellen, ob ein geschützter Arbeitsunfall als Selbständiger überhaupt vorlag. Aus den getroffenen Feststellungen ergibt sich lediglich, dass der Kl beim Versuch, eine Schneewechte vom Dach seines Wohnhauses abzuschaufeln, abstürzte und sich dabei verletzte. Es steht auch fest, dass diese Schneewechte drohte, auf den Eingangsbereich des in diesem Haus befindlichen Cafés („Camping- Stüberl“) abzustürzen, das der Kl zum Unfallzeitpunkt jedoch an seinen Sohn verpachtet hatte. Schließlich steht fest, dass sich die Rezeption bzw Anmeldung für den – ganzjährig geöffneten – Campingplatz in den Räumlichkeiten des Cafés befindet.
Um den erforderlichen örtlichen, zeitlichen und ursächlichen Zusammenhang des Unfalls des Kl mit seiner selbständigen Erwerbstätigkeit als Campingplatzbetreiber beurteilen zu können, bedarf es nach den dargestellten Grundsätzen ergänzender Feststellungen, aus denen sich ergibt, ob das Schneeschaufeln – auch unter Berücksichtigung des Umstands, dass es sich auch um das private Wohnhaus des Kl handelte – im dargestellten subjektiven und objektiven Zusammenhang mit seiner Tätigkeit als Campingplatzbetreiber stand und als Ausübung oder Ausfluss dieser Erwerbstätigkeit angesehen werden kann.
Damit stellt der OGH klar, dass eine Betriebsrente der SVS (für einen Arbeitsunfall von LandwirtInnen) und eine Versehrtenrente unterschiedliche Begehren darstellen und es offenbar zwei Renten für ein und denselben Unfall geben kann. Dennoch hat das Höchstgericht möglicherweise eine kluge Hintertür offen gelassen: Der Hinweis auf die noch nicht festgestellte Bemessungsgrundlage für die Nicht-BSVG- Leistung könnte in Fällen jedenfalls ab 1.1.2020 Ansatzpunkt für eine SVS internen (nämlich zwischen ASVGund BSVG-Versichertengemeinschaften) durchzuführenden Günstigkeitsvergleich führen. Damit wäre die Entscheidung verbunden, nach welchem Sozialversicherungsgesetz welche Leistung gebühre. Denn abgesehen von der Überschrift zielen §§ 203 ASVG und 149d BSVG wohl auf den gleichen Regelungsinhalt, den Unfall aus Erwerbstätigkeit, ab. Insofern könnte auch der Gesetzgeber gefordert sein klarzustellen, ob mehrere Erwerbsverhältnisse auch mehrere Leistungen der UV generieren können.