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Ruhen des Rehabilitationsgeldes während des Bezugs einer Urlaubsersatzleistung

FABIANGAMPER

Zusammenfassend ist § 143a Abs 3 Satz 1 ASVG dahin zu verstehen, dass bei Gewährung einer Urlaubsersatzleistung im Fall der Auflösung des Arbeitsverhältnisses während des Bezugs von Rehabilitationsgeld der Anspruch auf Rehabilitationsgeld während des der Urlaubsersatzleistung entsprechenden Zeitraums ruht.

SACHVERHALT

Der Kl bezog ab 1.5.2018 Rehabilitationsgeld. Während des Bezuges wurde das noch bestehende Arbeitsverhältnis zum 31.7.2019 einvernehmlich aufgelöst. Aufgrund eines offenen Urlaubsanspruches erhielt der Kl für den Zeitraum vom 1.8. bis 31.8.2019 eine Urlaubsersatzleistung.

VERFAHREN UND ENTSCHEIDUNG

Die Bekl lehnte mit Bescheid vom 27.9.2019 den Antrag des Kl auf Auszahlung des Krankengeldes sowie Auszahlung des Rehabilitationsgeldes jeweils für den Zeitraum vom 1.8. bis 31.8.2019 ab.

Der Kl brachte gegen die Entscheidung bezüglich des Rehabilitationsgeldes Klage ein und brachte vor, dass er zumindest Anspruch auf Teilrehabilitationsgeld gem § 143a Abs 4 ASVG habe. Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab.

Das Berufungsgericht gab der Berufung des Kl nicht Folge, ließ jedoch die Revision mit der Begründung zu, dass es noch keine Rsp bezüglich der Rechtsfrage, ob der Bezug einer Urlaubsersatzleistung 111 als Anspruch auf Entgeltfortzahlung nach § 143a Abs 3 ASVG oder als Anspruch auf Erwerbseinkommen nach § 143a Abs 4 ASVG zu qualifizieren sei.

Der OGH hielt zwar die Revision für zulässig, aber nicht berechtigt. Er bestätigte die Entscheidungen der beiden Vorinstanzen.

ORIGINALZITATE AUS DER ENTSCHEIDUNG

„[…] [11] […] 1.2 Der Zugang zum Rehabilitationsgeld steht trotz eines aufrechten Dienstverhältnisses offen. Die Ausübung einer Erwerbstätigkeit stellt kein Anfallhindernis dar (ErläutRV 321 BlgNR 25. GP 4).

[12] 2.1 § 143a Abs 3 ASVG regelt das Zusammentreffen eines Anspruchs auf Rehabilitationsgeld mit einem Anspruch auf Entgeltfortzahlung aus einer für die Bemessung des Rehabilitationsgeldes maßgeblichen Erwerbstätigkeit und ordnet an, dass die Ruhensbestimmung des § 143 Abs 1 Z 3 ASVG sinngemäß anzuwenden ist.

[13] 2.2 Damit kommt es bei Anspruch auf Weiterleistung von mehr als 50 vH der vollen Geld- und Sachbezüge (§ 49 Abs 1 ASVG) vor dem Eintritt der Arbeitsunfähigkeit zu einem gänzlichen Ruhen des Anspruchs auf Rehabilitationsgeld, bei Anspruch auf Weiterleistung von 50 vH zu einem Ruhen des Anspruchs auf Rehabilitationsgeld zur Hälfte. Folgeprovisionen gelten nicht als weitergeleistete Bezüge.

[14] 3. Bei der Urlaubsersatzleistung handelt es sich um einen gesetzlichen Anspruch des Arbeitnehmers auf Abgeltung des bei Beendigung des Arbeitsverhältnisses noch nicht verbrauchten Urlaubs in Geld. Im sozialversicherungsrechtlichen Sinn wird die Urlaubsersatzleistung als beitragspflichtiges Entgelt behandelt, das aufgrund einer unselbständigen Erwerbstätigkeit gebührt. Es ist daher als Erwerbseinkommen im leistungsrechtlichen Sinn nach § 91 Abs 1 Z 1 ASVG anzusehen (RS0107809, RS0110088).

[15] 4. Daraus wurde in der Rechtsprechung gefolgert, dass bei Auszahlung einer Urlaubsersatzleistung der Krankengeldanspruch nach § 143 Abs 1 Z 3 ASVG wegen Anspruch auf Weiterleistung von mehr als der Hälfte der Geldbezüge vor dem Eintritt der Arbeitsunfähigkeit ruht. Durch das Ruhen soll eine Doppelversorgung des Arbeitnehmers für denselben Zeitraum sowohl durch Urlaubsersatzleistung als auch Krankengeld vermieden werden (10 ObS 146/97m SSV-NF 11/72; 10 ObS 154/08g SSV-NF 22/83; Felten in Tomandl, SV-System [34. Lfg] 2.2.4; Sonntag in Sonntag, ASVG11 § 143a Rz 23).

[16] 5.1 Mit dem ARÄG 2015, BGBl I 2015/152BGBl I 2015/152, wurde § 15b ins AVRAG eingefügt. Diese mit 1.1.2016 in Kraft getretene Regelung ordnet an, dass im Fall des Bezugs von Rehabilitations- und Umschulungsgeld während des aufrechten Dienstverhältnisses das Arbeitsverhältnis (ex lege) karenziert ist und die Arbeitspflicht und die Entgeltpflicht als Hauptpflichten aus dem Arbeitsverhältnis sowie die Verpflichtung des Arbeitgebers zur Fortzahlung des Entgelts ruhen.

[17] 5.2 § 143a Abs 3 ASVG blieb auch nach Inkrafttreten des § 15b AVRAG unverändert aufrecht.

[18] 6. Daraus folgt für den vorliegenden Fall:

[19] 6.1 Für die Frage, ob ein Ruhen des Rehabilitationsgeldes bei gleichzeitigem Bezug einer Urlaubsersatzleistung eintritt, ist maßgeblich, ob auch der Bezug der Urlaubsersatzleistung unter den Begriff der ‚Entgeltfortzahlung‘ in § 143a Abs 3 ASVG fällt.

[20] 6.2 Den Gesetzesmaterialien lässt sich dazu nichts entnehmen (ErläutRV 321 BlgNR 25. GP 5).

[21] 6.3 Dem Wortsinn nach ist jedenfalls der arbeitsrechtliche Anspruch auf Entgeltfortzahlung bei Dienstverhinderung durch Krankheit oder Unglücksfall erfasst (§ 2 Abs 1 EFZG bzw § 1154b ABGB; § 8 AngG). Dass daneben auch vertragliche Ansprüche auf Fortbezug des Entgelts (im sozialversicherungsrechtlichen Sinn) erfasst sind (Schober in Sonntag, ASVG11 § 143 Rz 3), ergibt sich nicht nur aus dem Verweis auf § 143 Abs 1 Z 3 ASVG (‚solange der Versicherte aufgrund gesetzlicher oder vertraglicher Bestimmungen Anspruch auf Weiterleistung von mehr als 50 vH der vollen Geldund Sachbezüge hat ...‘). Dieses Verständnis entspricht auch der systematischen Auslegung, weil andernfalls nach Inkrafttreten des § 15b AVRAG für § 143 Abs 3 ASVG kein Anwendungsbereich mehr verbliebe (Wolligger in ZellKomm3 § 15b AVRAG Rz 5). Sind zwei Auslegungsvarianten vom Wortlaut gedeckt, ist der Auslegungsvariante, die der Norm einen eigenen Anwendungsbereich belässt, der Vorzug zu geben (RS0010053 [T1]).

[22] 7. Der Begriff der ‚Entgeltfortzahlung‘ in § 143 Abs 3 ASVG ist daher dahin zu verstehen, dass als möglicher Anwendungsfall die Auszahlung einer Urlaubsersatzleistung im Fall der Auflösung des Arbeitsverhältnisses während des Bezugs von Rehabilitationsgeld verbleibt [...]. Da dieses Begriffsverständnis der erkennbaren Absicht des Gesetzgebers Rechnung trägt, steht es auch nicht im Widerspruch dazu, dass Bestimmungen, die das Ruhen eines erworbenen Leistungsanspruchs anordnen, nicht ausdehnend auszulegen sind (RS0086755). Weiters wird dem Zweck der Ruhensbestimmungen entsprochen, eine sozialversicherungsrechtlich unerwünschte Doppelversorgung des Versicherten zu verhindern (10 ObS 135/17a SSV-NF 31/61).

[23] 8. Dass sich der Kläger für seinen Standpunkt auf § 143 Abs 4 ASVG beruft, führt zu keinem anderen Ergebnis:

[24] 8.1 § 143 Abs 4 ASVG regelt den Fall, dass der Versicherte trotz vorübergehender Invalidität bzw Berufsunfähigkeit weiterhin ein Erwerbseinkommen bezieht. Trifft ein Anspruch auf Rehabilitationsgeld mit einem Anspruch auf Erwerbseinkommen zusammen, das den Betrag nach § 5 Abs 2 ASVG übersteigt, gebührt Teilrehabilitationsgeld. Dieses wird nach den Regeln des § 254 Abs 7 ASVG berechnet. 112

[25] 8.2 Voraussetzung für den Anspruch auf Teilrehabilitationsgeld nach § 143a Abs 4 ASVG ist jedoch, dass der Versicherte das Erwerbseinkommen aus einer Tätigkeit bezieht, die nicht für die Bemessung des Rehabilitationsgeldes maßgeblich ist. Die Einkünfte müssen also aus einer ‚daneben‘ ausgeübten Erwerbstätigkeit resultieren, die nicht deckungsgleich mit jener Tätigkeit ist, die für die Bemessung des Rehabilitationsgeldes ist [...]. Der Kläger hat aber (unstrittig) neben seiner Erwerbstätigkeit, die für die Bemessung des Rehabilitationsgeldes maßgeblich ist, keine weitere Erwerbstätigkeit ausgeübt.“

ERLÄUTERUNG

Das Rehabilitationsgeld, das die befristete Invaliditäts- bzw Berufsunfähigkeitspension ersetzt, ist von der Höhe her dem Krankengeldbezug nachgebildet und funktional als dessen Fortsetzung anzusehen. Zweck des Krankengeldes und somit auch des Rehabilitationsgeldes ist der zumindest teilweise Ersatz des durch die Arbeitsunfähigkeit weggefallenen Erwerbseinkommens. Seinem Zweck nach soll das Rehabilitationsgeld gebühren, bis die vorübergehende Arbeitsunfähigkeit durch Maßnahmen der medizinischen Rehabilitation wieder beseitigt ist.

Aufgrund dieser Einkommensersatzfunktion sieht § 143a Abs 3 ASVG vor, dass dann, wenn ein Anspruch auf Rehabilitationsgeld mit einem Anspruch auf Entgeltfortzahlung aus einer für die Bemessung des Rehabilitationsgeldes maßgeblichen Erwerbstätigkeit zusammentrifft, die Ruhensbestimmung des Krankengeldes (§ 143 Abs 1 Z 3 ASVG) sinngemäß anzuwenden ist. Dh, besteht ein Entgeltanspruch gegenüber dem DG im Ausmaß von mehr als 50 %, ruht das Rehabilitationsgeld zur Gänze, bei einem Anspruch im Ausmaß von 50 % ruht das Rehabilitationsgeld zur Hälfte.

§ 15b AVRAG, der 2015 eingeführt wurde, normiert aber, dass für die Dauer des Rehabilitationsoder Umschulungsgeldes die wechselseitigen Pflichten aus den Dienstverhältnis und damit auch die Entgeltfortzahlungspflicht ex lege karenziert sind. § 143a Abs 3 ASVG wurde allerdings nicht geändert. Wenn allerdings gar keine Entgeltfortzahlungspflicht mehr besteht, bedürfte es auch keiner expliziten Ruhensanordnung.

Der OGH befasst sich daher im Weiteren – unter Einbeziehung von Meinungen in der Literatur – mit der Frage, ob eine Urlaubsersatzleitung unter den Begriff „Entgeltfortzahlung“ in § 143a Abs 3 ASVG fällt. Vom Wortsinn her seien zwar beide Auslegungsvarianten gedeckt. § 15b AVRAG hat die praktischen Anwendungsfälle der Ruhensbestimmung des § 143 Abs 1 Z 3 ASVG jedoch stark eingeschränkt. Dass bei einer systematischen Betrachtung die Urlaubsersatzleistung als Entgeltfortzahlung iSd § 143a Abs 3 ASVG zu qualifizieren sei, begründet der OGH damit, dass bei anderer Auslegung für diese Bestimmung kein weiterer Anwendungsfall denkbar sei und sie somit obsolet wäre.

Beachtlich ist die E des OGH insb deshalb, weil sie mit der am selben Tag ergangenen E vom 13.10.2020, 10 Obs 71/20v, erstmals höchstgerichtlich die Rechtsfrage behandelt, ob die Urlaubsersatzleistung zu einem Ruhen des Rehabilitationsgeldes führt. In der E 10 ObS 71/20v präzisiert der OGH weiter, dass bei Gewährung einer Urlaubsersatzleistung der Anspruch auf Rehabilitationsgeld für den entsprechenden Zeitraum zur Gänze ruht.