70Sturz über die Treppe bei Gemeinschaftsveranstaltung kein Dienstunfall
Sturz über die Treppe bei Gemeinschaftsveranstaltung kein Dienstunfall
Die Kl ist Lehrerin an einer Volksschule. Einmal jährlich organisiert die Direktorin der Schule eine Gemeinschaftsveranstaltung für die LehrerInnen der Schule, um die Teamentwicklung und Betriebsgemeinschaft zu stärken. Die Teilnahme möglichst aller KollegInnen ist der Direktorin sehr wichtig. In diesem Jahr wurde der Besuch und die Übernachtung in einer Hütte organisiert, es waren gemeinsame Wanderungen, „Schwammerlsuchen“ und Kochen geplant. Es nahmen acht von zwölf KollegInnen teil. Die LehrerInnen saßen gemeinsam bis ca 23:30 Uhr zusammen und gingen dann ins Bett. Die Kl erwachte gegen 2 Uhr früh und stieg eine schmale Holzstiege hinunter, wobei sie zu Sturz kam und sich schwer verletzte. Die Kl begehrte die Anerkennung eines Dienstunfalles sowie die Gewährung einer Versehrtenrente.
Die Versicherungsanstalt öffentlich Bediensteter, Eisenbahnen und Bergbau (BVAEB) lehnte die Anerkennung eines Dienstunfalles ab, da ihrer Ansicht nach keine dem Unfallversicherungsschutz unterliegende betriebliche Gemeinschaftsveranstaltung vorlag.
Das Erstgericht gab der Klage jedoch mit der Begründung statt, es liege eine betriebliche Gemeinschaftsveranstaltung vor und die Kl sei einem aus der dienstlichen Sphäre stammenden Risiko ausgesetzt gewesen, weshalb die eigenwirtschaftliche Tätigkeit der Kl unter Unfallversicherungsschutz stehe. Warum die Kl nachts erwachte und über die Treppe hinunterstieg, konnte nicht festgestellt werden.
Das Berufungsgericht gab der Berufung der Bekl Folge. Es bejahte zwar – ebenso wie das Erstgericht – das Vorliegen einer betrieblichen Gemeinschaftsveranstaltung, jedoch stehe die eigenwirtschaftliche Tätigkeit der Kl nur dann unter Unfallversicherungsschutz, wenn es sich dabei um eine Befriedigung lebensnotwendiger persönlicher Bedürfnisse handle. Da der Kl der Beweis nicht gelungen sei, dass sie die Treppe betrat, um ein solches lebensnotwendiges, persönliches Bedürfnis 115 zu befriedigen, könne der Versicherungsschutz nicht bejaht werden.
Der OGH wies die außerordentliche Revision der Kl mangels Vorliegens einer Rechtsfrage von erheblicher Bedeutung zurück.
In seinem Zurückweisungsbeschluss führte der OGH aus, dass es sich bei der Entscheidung des Berufungsgerichts nicht um eine korrekturbedürftige Fehlbeurteilung handelt. Eine nähere Auseinandersetzung mit der Frage, ob der Ausflug (noch) als betriebliche Gemeinschaftsveranstaltung anzusehen war, konnte laut OGH im vorliegenden Fall unterbleiben, weil das Berufungsgericht in vertretbarer Weise das Vorliegen eines Dienstunfalls im konkreten Fall verneint habe. Denn auch bei solchen Veranstaltungen besteht nicht uneingeschränkt und nicht in jedem Fall durchgehend Unfallversicherungsschutz, sondern erstreckt sich dieser nur auf Handlungen, die mit der Tätigkeit unmittelbar zusammenhängen bzw nur insoweit, als die Teilnahme an der Veranstaltung als Ausfluss der Ausübung der Erwerbstätigkeit angesehen werden kann (OGH 21.5.1996, 10 ObS 2123/96w mwH; R. Müller in Mosler/Müller/Pfeil [Hrsg], Der SV-Komm § 175 Rz 69). Auch unter der Annahme, dass sich der Unfall der Kl während einer geschützten betrieblichen Gemeinschaftsveranstaltung ereignet hätte, war er nach Ansicht des OGH Folge einer in der Privatsphäre der Kl wurzelnden Kausalkette, sodass kein Versicherungsschutz besteht. Denn die Ursache des Unfalls habe in einem Verhalten der Kl gelegen, das mit dem gemeinsamen Ausflug der LehrerInnen in keinem Zusammenhang stand.
Wie bei Dienstreisen kann auch bei einer mehrtägigen betrieblichen Gemeinschaftsveranstaltung die Verrichtung eines lebensnotwendigen Bedürfnisses unter den besonderen Umständen der Übernachtung an einem fremden Ort allenfalls unter dem Schutz der UV stehen. Die Kl hat ihr zunächst erstattetes Vorbringen, sie sei aufgestanden, um die Toilette aufzusuchen, ausdrücklich nicht aufrechterhalten. Auch konnte nicht festgestellt werden, dass die Kl aufstand, um frische Luft zu schnappen, weshalb der Beweis, dass die Kl auf der Treppe am Weg zur Befriedigung eines lebensnotwendigen persönlichen Bedürfnisses stürzte, nicht erbracht werden konnte. Im Revisionsvorbringen der Kl, es seien die Regeln des Anscheinsbeweises bei der Entscheidungsfindung nicht ausreichend berücksichtigt worden, sah der OGH keine Rechtsfrage erheblicher Bedeutung aufgezeigt. Die Zulässigkeit des Anscheinsbeweises beruht darauf, dass bestimmte Geschehensabläufe typisch sind und es daher wahrscheinlich ist, dass auch im konkreten Fall ein derartiger gewöhnlicher Ablauf und nicht ein atypischer gegeben ist. Im vorliegenden Fall steht nicht fest, wie es zum Sturz der Kl über die Treppe kam. Die Kl übte vor dem Sturz keine Tätigkeit im Zusammenhang mit der die Versicherung begründenden Beschäftigung – hier mit der (allenfalls) unter Versicherungsschutz stehenden betrieblichen Gemeinschaftsveranstaltung – aus, der Anscheinsbeweis ist daher nicht zulässig. Der Anscheinsbeweis darf nicht dazu dienen, Lücken der Beweisführung durch bloße Vermutungen auszufüllen.