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Kein Anspruch auf Pflegegeld bei „Aufenthaltsberechtigung (plus)“

PIA ANDREAZHANG

Angesichts der ausdrücklichen Aufzählung der privilegierten Aufenthaltstitel in § 3a Abs 2 Z 4 Bundespflegegeldgesetz (BPGG) kann dem Gesetzgeber nicht unterstellt werden, auf weitere Aufenthaltstitel vergessen zu haben. Die Entscheidung, nur diese genannten Aufenthaltstitel in den Kreis der Anspruchsberechtigten miteinzubeziehen, verletzt auch nicht das Gleichbehandlungsgebot.

SACHVERHALT

Der Kl ist Staatsbürger der Russischen Föderation und hat seinen gewöhnlichen Aufenthalt in Österreich. Mit Erk vom 23.5.2018 wurde ihm vom BVwG eine Aufenthaltsberechtigung nach § 54 Abs 1 Z 2 AsylG für die Dauer von zwölf Monaten erteilt. Das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl folgte dem Kl einen bis zum 21.8.2019 gültigen Aufenthaltstitel „Aufenthaltsberechtigung plus“ (§ 54 Abs 1 Z 1 AsylG) aus.

VERFAHREN UND ENTSCHEIDUNG

Die Pensionsversicherungsanstalt lehnte den Antrag des Kl auf Zuerkennung von Pflegegeld mit Bescheid vom 20.11.2018 ab, weil er nicht zum Kreis der nach §§ 3 und 3a BPGG anspruchsberechtigten Personen gehöre.

Dagegen erhob der Kl die Klage auf Zuerkennung von Pflegegeld ab 1.7.2018, die vom Erstgericht abgewiesen wurde. Auch das Berufungsgericht gab der Berufung des Kl nicht Folge, da er über keinen der in § 3a Abs 2 Z 4 BPGG genannten Aufenthaltstitel verfüge. Die Voraussetzungen für eine analoge Ausweitung würden ebenso wenig wie die vom Kl behauptete Verfassungswidrigkeit vorliegen.

Der OGH wies die außerordentliche Revision des Kl zurück, da dieser keine Rechtsfrage von erheblicher Bedeutung gem § 502 Abs 1 ZPO aufzeigte. 116

ORIGINALZITATE AUS DER ENTSCHEIDUNG

„[…] 6. Der Kläger stellt in seinem Rechtsmittel nicht in Frage, dass er über keinen der in § 3a Abs 2 Z 4 BPGG genannten Aufenthaltstitel verfügt. Er macht geltend, dass diese Bestimmung verfassungskonform so auszulegen sei, dass er als Inhaber eines Aufenthaltstitels, der aus Gründen des Art 8 EMRK erteilt werde, insbesondere daher zur Wahrung des Privat- und Familienlebens, genauso zu behandeln sei wie Träger von ‚standardisierten‘ Aufenthaltstiteln für Familienangehörige.

7. Eine Analogie setzt jedoch eine Gesetzeslücke im Sinn einer ‚planwidrigen Unvollständigkeit‘ voraus (RIS-Justiz RS0098756 [T1]). Diese liegt dann nicht vor, wenn der Gesetzgeber eine bestimmte Rechtsfolge für einen bestimmten Sachverhalt bewusst nicht angeordnet hat (RS0008866 [T8, T13]). Die in § 3a Abs 2 Z 2 bis 4 BPGG genannten Fälle sollten nach dem Willen des Gesetzgebers (ErläutRV 1208 BlgNR 24. GP 9 f zum PflegegeldreformG 2012, BGBl I 2011/58BGBl I 2011/58) nur jene zusätzlichen Fälle betreffen, die nicht bereits durch das unmittelbar anwendbare Staatsvertragsrecht bzw Unionsrecht nach § 3a Abs 2 Z 1 BPGG erfasst werden. Angesichts der ausdrücklichen Aufzählung der privilegierten Aufenthaltstitel in Gesetz und Materialien kann dem Gesetzgeber nicht unterstellt werden, auf weitere Aufenthaltstitel, wie jene nach den §§ 41a und 43 Abs 3 des Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetzes, BGBl I 2005/100BGBl I 2005/100, NAG, vergessen zu haben (10 ObS 81/18m; RS0132088).

8. Die Erteilung der Aufenthaltstitel ‚Aufenthaltsberechtigung plus‘ (§ 54 Abs 1 Z 1 AsylG) und ‚Aufenthaltsberechtigung‘ (§ 54 Abs 1 Z 2 AsylG) wurden zwar mit dem Fremdenbehördenneustrukturierungsgesetz (FNG, BGBl I 2012/87BGBl I 2012/87) aus Gründen des Art 8 EMRK im neu geschaffenen § 55 AsylG 2005 geregelt. Sie entsprachen aber den bisher geltenden Aufenthaltstiteln der ‚Rot-Weiß-Rot – Karte plus‘ gemäß § 41a Abs 9 und 10 NAG und der Niederlassungsbewilligung gemäß § 43 Abs 3 und 4 NAG jeweils idF BGBl I 2011/38BGBl I 2011/38. […] Personen, die für einen Zeitraum von 12 Monaten über eine ‚Aufenthaltsberechtigung plus‘ oder eine ‚Aufenthaltsberechtigung‘ im Sinn der §§ 55, 56 AsylG verfügt haben, können daher – bei Erfüllung der weiteren Voraussetzungen – über begründeten Antrag einen Aufenthaltstitel ‚Rot-Weiß-Rot – Karte plus‘ (§ 41a Abs 9 NAG idF seit dem FNG, BGBl I 2012/87BGBl I 2012/87) oder [eine] ‚Niederlassungsbewilligung‘ (§ 43 Abs 3 NAG idF seit dem FNG, BGBl I 2012/87BGBl I 2012/87) erlangen. Keiner dieser Aufenthaltstitel war oder ist in § 3a Abs 2 Z 4 BPGG genannt, sodass an der bereits zitierten Rechtsprechung festzuhalten ist, wonach für eine analoge Erweiterung des Anwendungsbereichs dieser Bestimmung kein Raum bleibt.

9. Der in Art 7 B-VG normierte Gleichheitsgrundsatz verbietet willkürliche unsachliche Differenzierungen. Er wird dann verletzt, wenn der Gesetzgeber Gleiches ungleich behandelt (RS0053981). Dem Gesetzgeber steht aber ein Gestaltungsspielraum verfassungsrechtlich insoweit zu, als er in seinen rechtspolitischen und wirtschaftspolitischen Zielsetzungen frei ist. Gerade im Sozialversicherungsrecht ist eine durchschnittliche Betrachtungsweise erforderlich, die auf den Regelfall abstellt und damit Härten in Einzelfällen nicht ausschließen kann (RS0053889 [T2]). Vor diesem Hintergrund vermag der Oberste Gerichtshof die verfassungsrechtlichen Bedenken des Revisionswerbers gegen § 3a Abs 2 Z 4 BPGG nicht zu teilen. Die Entscheidung des Gesetzgebers, nur Personen mit den in § 3a Abs 2 Z 4 BPGG genannten Aufenthaltstiteln in den Kreis der Anspruchsberechtigten einzubeziehen, verletzt den dem Gesetzgeber offen stehenden Spielraum schon deshalb nicht, weil es sich dabei um eine über die völker- und unionsrechtlichen Verpflichtungen hinaus vorgenommene Erweiterung des Kreises der Anspruchsberechtigten ohne Grundleistung (!) handelt. […]“

ERLÄUTERUNG

§§ 3 und 3a BPGG definieren den Kreis der Anspruchsberechtigten des Pflegegeldes in Österreich. Nach § 3 BPGG sind das Personen mit einem gewöhnlichen Aufenthalt in Österreich, die eine der genannten Grundleistungen (zB Pension) beziehen. § 3a BPGG definiert eine eingeschränkte Personengruppe, die auch ohne Grundleistung Anspruch auf Pflegegeld hat, wobei sich Abs 1 nur auf österreichische Staatsbürger bezieht und Abs 2 die diesen gleichgestellten Fremden definiert. In § 3a Abs 2 Z 4 werden taxativ fünf Aufenthaltstitel aufgezählt, durch die eine solche Gleichstellung vorliegt. Darunter fällt auch der Aufenthaltstitel „Familienangehöriger“ nach § 47 Abs 2 NAG. Fremde mit anderem Aufenthaltstitel sind nicht gleichgestellt und ihnen kann daher kein Pflegegeld in Österreich zuerkannt werden.

Im vorliegenden Fall ist der Kl unstrittig nicht in Besitz eines der genannten Aufenthaltstitel und bezieht auch keine genannte Grundleistung. Er gehört damit nach der gesetzlichen Definition nicht zum Kreis der anspruchsberechtigten Personen.

Da ihm zur Aufrechterhaltung seines Privat- und Familienlebens nach Art 8 EMRK eine Aufenthaltsberechtigung nach § 54 Abs 1 Z 2 AsylG (bzw eine „Aufenthaltsberechtigung plus“ nach § 54 Abs 1 Z 1 AsylG) erteilt wurde, ist er der Ansicht, er sei ebenso wie ein Familienangehöriger mit einem gleichgestellten Aufenthaltstitel nach § 3a Abs 2 Z 4 BPGG zu behandeln.

Dieser Argumentation folgt der OGH nicht. Es liegt nach stRsp keine planwidrige Unvollständigkeit vor, weshalb eine Analogie nicht in Frage kommt. Auch eine gegen Art 7 B-VG verstoßende willkürliche, unsachliche Differenzierung ist nicht gegeben. In diesem Zusammenhang ist auch darauf hinzuweisen, dass der Aufenthaltstitel nach § 54 Abs 1 117 Z 2 AsylG im Gegensatz zum Aufenthaltstitel „Familienangehörige“ nach § 47 Abs 2 NAG nicht nur für Familienangehörige gilt, sondern allgemein zur Aufrechterhaltung eines Privat- und Familienlebens nach Art 8 EMRK erteilt wird. Somit kann nicht davon gesprochen werden, dass durch diese Regelung Gleiches ungleich behandelt wird.

Diese rechtlich zweifelfreie Begründung ändert nichts daran, dass gesellschaftlich für die Betroffenen eine „Lücke“ entsteht, da sie in der Regel trotz Vorliegens eines Pflegebedarfs von keinem Land Pflegegeld erhalten.