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Verspätete Klage gegen Bescheid der Allgemeinen Unfallversicherungsanstalt – Fristhemmung nach dem 1. COVID-19-JustizbegleitG

SOPHIAMARCIAN
§§ 1, 2 1. COVID-19- JuBG

Die Allgemeine Unfallversicherungsanstalt anerkannte die durch Lärm verursachte Schwerhörigkeit des Kl als Berufskrankheit und sprach aus, dass kein Anspruch auf Versehrtenrente bestehe. Der Bescheid wurde dem Kl am 11.3.2020 wirksam zugestellt, demzufolge wäre dieser Bescheid nach Ablauf der vierwöchigen Frist am 8.4.2020 rechtskräftig geworden. Am 29.5.2020 erhob der Kl Klage gegen diesen Bescheid.

Das Erstgericht wies die Kl wegen Unzulässigkeit des Rechtsweges gem § 73 ASGG zurück. Das Rekursgericht gab dem Rekurs des Kl nicht Folge. Entgegen der Rechtsansicht des Kl war das Rekursgericht der Auffassung, § 2 1. COVID-19-JuBG (Hemmung von Fristen zur Anrufung des Gerichts) sei anzuwenden und nicht § 1 Abs 1 1. COVID-19-JuBG (Fristunterbrechung). Das Erstgericht habe zutreffend entschieden, die am 29.5.2020 übermittelte Klage sei nicht rechtzeitig eingebracht worden und daher zurückzuweisen.

Der Kl erhob dagegen einen außerordentlichen Revisionsrekurs.

Dem Standpunkt des Kl, es liege keine oberstgerichtliche Rsp zur Frage der Abgrenzung der Anwendungsbereiche des § 1 Abs 1 und § 2 1. COVID-19-JuBG vor, folgte der OGH nicht. Trotz des Fehlens einer ausdrücklichen Rsp zur Abgrenzung dieser Bestimmungen liege keine Rechtsfrage von erheblicher Bedeutung vor, weil das Gesetz selbst eine klare Regelung trifft.

Klagen gegen einen Bescheid des Versicherungsträgers in einer Leistungssache nach § 65 Abs 1 Z 1, 4 und 6 bis 8 ASGG oder über die Kostenersatzpflicht eines Versicherungsträgers nach § 65 Abs 1 Z 5 ASGG (§ 67 Abs 1 Z 1 ASGG) müssen gem § 67 Abs 2 ASGG bei sonstigem Verlust der Möglichkeit der gerichtlichen Geltendmachung des Anspruchs innerhalb der unerstreckbaren Frist von vier Wochen ab Zustellung des Bescheids erhoben werden. Dabei handelt es sich, worauf der Kl im Revisionsrekurs zutreffend hinweist, um eine prozessuale Frist. Wird eine Klage erhoben, obwohl ua die in § 67 Abs 2 ASGG genannte(n) Frist(en) verstrichen ist (sind), ist die Klage gem § 73 ASGG in jeder Lage des Verfahrens wegen Unzulässigkeit des Rechtswegs zurückzuweisen. Ausgehend von der wirksamen Zustellung des angefochtenen Bescheids am 11.3.2020 wäre die vierwöchige Frist des § 67 Abs 2 ASGG daher am 8.4.2020 abgelaufen gewesen. Mit Ablauf des 21.3.2020 (Tag der Kundmachung) trat das 2. COVID-19-Gesetz, BGBl I 2020/16BGBl I 2020/16, in Kraft. §§ 1 und 2 1. COVID-19-JuBG lauten in dieser Fassung auszugsweise:

Unterbrechung von Fristen

§ 1 (1) In gerichtlichen Verfahren werden alle verfahrensrechtlichen Fristen, deren fristauslösendes Ereignis in die Zeit nach Inkrafttreten dieses Bundesgesetzes fällt, sowie verfahrensrechtliche Fristen, die bis zum Inkrafttreten dieses Bundesgesetzes noch nicht abgelaufen sind, bis zum Ablauf des 30. April 2020 unterbrochen. Sie beginnen mit 1. Mai 2020 neu zu laufen. Dies gilt nicht für Verfahren, in denen das Gericht über die Rechtmäßigkeit eines aufrechten Freiheitsentzuges nach dem Unterbringungsgesetz, … Heimaufenthaltsgesetz, … Tuberkulosegesetz, … oder nach dem Epidemiegesetz 1950 …, entscheidet, sowie für Leistungsfristen.

(2) […] Hemmung von Fristen für die Anrufung des Gerichts

§ 2 Die Zeit vom Inkrafttreten dieses Bundesgesetzes bis zum Ablauf des 30. April 2020 wird in die Zeit, in der bei einem Gericht eine Klage oder ein Antrag zu erheben oder eine Erklärung abzugeben ist, nicht eingerechnet.“

Im vorliegenden Fall wurde von den Vorinstanzen richtigerweise die Bestimmung des § 2 1. COVID-19-JuBG angewendet, so der OGH in seinem Beschluss. Klagen gegen Bescheide in Leistungssachen nach § 67 Abs 2 ASGG wurden ausdrücklich in den Erläuterungen zum 1. COVID-19-JuBG (IA 397/A 27. GP 34 f) als Beispielfall für die Fristenhemmung in § 2 genannt. Der Gesetzgeber unterscheidet darüber hinaus explizit die Fälle der Unterbrechung einer Frist in § 1 1. COVID-19-JuBG von jenen der Hemmung einer Frist in § 2 1. COVID-19-JuBG, die er, wie sich aus den Erläuterungen zu § 1 1. COVID-19-JuBG ergibt, für 118 weniger günstig hält. Er hat dennoch für die Erhebung von Klagen bei Gericht ausdrücklich eine bloße Hemmung von Fristen angeordnet. Mangels einer Rechtsfrage von erheblicher Bedeutung iSd § 528 Abs 1 ZPO war der außerordentliche Revisionsrekurs deshalb zurückzuweisen.