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Nur Kündigungen von über 50-Jährigen sind bei Verstoß gegen § 45a Abs 1 Z 4 AMFG unwirksam

ANDREASWELLENZOHN

Die Bekl, bei der am 30.9.2019 ca 300 AN beschäftigt waren, löste an diesem Tag insgesamt zehn Arbeitsverhältnisse – ohne eine Anzeige nach § 45a Abs 1 Arbeitsmarktförderungsgesetz (AMFG) zu erstatten – auf. Von diesen Auflösungserklärungen waren sieben AN, die das 50. Lebensjahr zum Zeitpunkt des Ausspruchs der Kündigung bereits vollendet hatten, und drei AN, auf die dies nicht zutraf, betroffen. Zu letzteren gehörte der 1969 geborene Kl, der erst innerhalb der bis zum 31.3.2020 währenden Kündigungsfrist das 50. Lebensjahr vollendet hat.

Der Kl begehrte mit seinem – allein revisionsgegenständlichen – Hauptbegehren die Feststellung des aufrechten Dienstverhältnisses über den 31.3.2020 hinaus. Auch wenn er zum Zeitpunkt der Kündigung das 50. Lebensjahr noch nicht vollendet gehabt habe, sei er vom Schutzzweck des § 45a AMFG umfasst. Die Unwirksamkeit betreffe nämlich alle ausgesprochenen Kündigungen, die ohne Anzeige oder Einhaltung der Sperrfrist ausgesprochen worden seien und nicht nur jene, die die Schwellenwerte des § 45a Abs 1 Z 4 AMFG überschritten hätten. Außerdem habe er innerhalb der Kündigungsfrist das 50. Lebensjahr vollendet.

Die Bekl beantragte die Abweisung des Klagebegehrens. Die Kündigung des Kl sei rechtswirksam erfolgt. Die Unwirksamkeitssanktion des § 45a Abs 5 AMFG wegen fehlender Verständigung des Arbeitsmarktservice (AMS) beziehe sich nicht auf sämtliche Kündigungen innerhalb des 30-Tage-Zeitraums des § 45a Abs 1 AMFG, sondern lediglich auf jene Kündigungen, die bei der Berechnung des jeweiligen Schwellenwerts innerhalb der jeweiligen Ziffer des § 45a Abs 1 AMFG miteinzubeziehen wären. Auf den – zum maßgeblichen Kündigungszeitpunkt – erst im 49. Lebensjahr gestandenen Kl treffe dies aber nicht zu.

Das Erstgericht wies das Hauptklagebegehren mit Teilurteil ab. In seiner Begründung folgte es der Rechtsauffassung der Bekl. Das Berufungsgericht gab der Berufung des Kl Folge und dem Feststellungsbegehren statt. Aus dem Normzweck des Gesetzes ergebe sich, dass der Kündigungsvorgang als Einheit zu betrachten sei. Werde daher – wie hier – der Schwellenwert des § 45a Abs 1 Z 4 AMFG erreicht, so könnten sich auch AN, die zum Zeitpunkt des Ausspruchs der Kündigung das 50. Lebensjahr noch nicht vollendet hätten, auf die Unwirksamkeit der Kündigung berufen. Das Berufungsgericht ließ die ordentliche Revision zu, weil es sich bei seiner Entscheidung jedenfalls nicht auf eine völlig klare Rechtslage und eine gefestigte Rsp habe stützen können.

Der OGH erklärte die Revision für zulässig, iSd Wiederherstellung des Ersturteils für berechtigt und führte aus:

Das Kündigungsfrühwarnsystem dient dazu, eine bessere Abstimmung der personalpolitischen Maßnahmen der Betriebe auf die arbeitsmarktpolitischen Möglichkeiten zu erreichen und durch die Erfüllung der in den §§ 45a bis 45c AMFG auferlegten Verpflichtungen die Voraussetzungen für einen optimalen Einsatz des Instrumentariums nach dem AMFG zu schaffen. Schutzobjekt des § 45a AMFG ist nicht primär der AN, vielmehr ist das AMS der Begünstigte dieser Regelung. Dieses soll durch die Ankündigung der beabsichtigten Auflösung einer größeren Anzahl von Beschäftigungsverhältnissen in die Lage versetzt werden, frühzeitig durch Einleitung geeigneter arbeitsmarktpolitischer Maßnahmen die beabsichtigten Kündigungen überhaupt zu verhindern bzw wenn dies nicht möglich ist, Vorbereitungen für die Erfassung und Betreuung dieser zusätzlich am Arbeitsmarkt als arbeitssuchend auftretenden Personen zu treffen. Die Anzeigepflicht des DG betrifft nur arbeitsmarktpolitisch relevante Auflösungen.

Die Regelung des § 45a Abs 5 AMFG erfasst Kündigungen, die eine Auflösung von „Arbeitsverhältnissen iSd Abs 1 leg cit“ bezwecken. Es handelt sich 78 dabei entweder um Arbeitsverhältnisse, die zusammen einen bestimmten Schwellenwert übersteigen (Abs 1 Z 1–3), oder solche, von denen mindestens fünf über 50-jährige AN betroffen sind (Abs 1 Z 4). Eine andere, vom Kl gewünschte Auslegung dieser Bestimmung widerspricht deren klaren Wortlaut. Dem Gesetzgeber kann nicht unterstellt werden, Grenzfälle übersehen zu haben, die zwar allenfalls auch vom Zweck und Ziel der Bestimmung, aber nicht von ihrem Wirkungsbereich erfasst sind. Den Gerichten ist es verwehrt, im Wege einer „weitherzigen Interpretation“ offenkundige rechtspolitische Aspekte zu berücksichtigen, die den Gesetzgeber bisher nicht veranlasst haben, eine Gesetzesänderung vorzunehmen. Eine für rechtspolitisch lediglich sinnvoll oder wünschenswert erachtete Regelung bietet keine Grundlage für eine ergänzende Rechtsfindung durch Analogie.

Im Unterschied zu den Tatbeständen des § 45a Abs 1 Z 1 bis 3 AMFG, bei denen es nur auf die Anzahl der betroffenen Arbeitsverhältnisse ankommt und ab Erreichen des Schwellenwerts daher jede einzelne Kündigung gleichermaßen zählt, bedarf es zur Anwendung des Tatbestands der Z 4 zwar nur einer gegenüber den Z 1 und 3 geringeren Zahl von betroffenen AN, aber des zusätzlichen Merkmals der erreichten Altersgrenze. Andere Auflösungen von noch jüngeren AN sind von diesem Tatbestand der Z 4 nicht betroffen. Erst wenn durch die beabsichtigte Beendigung der Arbeitsverhältnisse von über 50-jährigen und jüngeren AN insgesamt auch der Schwellenwert nach Z 1 bis 3 überschritten wird, erstreckt sich der daraus abzuleitende Kündigungsschutz auch auf die von Z 4 allein nicht erfassten Personen. Eine zeitliche Streuung von Kündigungen mit dem Effekt, dass das Erreichen des Schwellenwerts verhindert wird, ist dem AG nämlich grundsätzlich nicht verwehrt.

Zusammengefasst erfüllte die Kündigung des Kl weder die Kriterien des § 45a Abs 1 Z 1 bis 3 noch der Z 4 AMFG, weil weder die Gesamtzahl der Auflösungen im Betrieb der Bekl die Schwelle der Anzeigepflicht erreichte, noch der Kl zum Zeitpunkt der Anzeige das 50. Lebensjahr bereits vollendet hatte. Sein Arbeitsverhältnis war in keiner möglichen Variante ein Arbeitsverhältnis gem § 45a Abs 1 AMFG und unterlag damit nicht den Bestimmungen der weiteren Absätze.