78Bei Säumnis des zuständigen Trägers besteht Anspruch auf vorläufige Ausgleichszahlung zum Kinderbetreuungsgeld in voller Höhe
Bei Säumnis des zuständigen Trägers besteht Anspruch auf vorläufige Ausgleichszahlung zum Kinderbetreuungsgeld in voller Höhe
Die Kl beantragte das pauschale Kinderbetreuungsgeld in der Variante 30+6 anlässlich der Geburt ihrer Tochter am 22.12.2014. Die Kl lebt mit ihrem Kind in Österreich, der Vater des Kindes in Italien. Die Bekl hat bis zur Klageeinbringung im März 2017 keinen Bescheid über eine (vorläufige) Leistung erlassen. Gegenstand des Revisionsverfahrens war der Anspruch der Kl auf pauschales Kinderbetreuungsgeld.
Mit der Vorentscheidung des OGH vom 28.5.2019, 10 ObS 42/19b, wurde klargestellt, dass im konkreten Fall mit der Entscheidung über die Gewährung (oder Nichtgewährung) eines allfälligen vorläufigen Unterschiedsbetrags nicht so lange zugewartet werden könne, bis der prioritär zuständige Träger (hier Italien) über die vergleichbare Familienleistung und deren Höhe endgültig entschieden habe. Dass die Bekl bis Klageeinbringung keinen Bescheid über die (vorläufige) Leistung erlassen habe, begründe einen Säumnisfall, auch wenn ihr noch keine rechtskräftige Entscheidung des prioritär zuständigen italienischen Trägers über die Höhe der in Italien gebührenden Familienleistung vorgelegen habe.
Im fortgesetzten Verfahren hielt die Kl ihren Standpunkt aufrecht, wonach ihr kein Anspruch auf italienische Familienleistungen zustehe und legte ein Schreiben des Nationalen Verbandsinstituts für Sozialbetreuung – Abteilung Österreich vor, nach dem für sie die (erst für Geburten ab 2015 eingeführte) italienische Familienleistung „bonus bebe“ nicht in Betracht komme.
Das Erstgericht sprach der Kl das pauschale Kinderbetreuungsgeld, als Ausgleichszahlung zu einer allfälligen vorrangigen italienischen Leistung, vorläufig zu.
Das Berufungsgericht gab der Berufung der Bekl nicht Folge und ließ die Revision nicht zu.
Die außerordentliche Revision der Bekl wurde mangels einer Rechtsfrage von erheblicher Bedeutung als nicht zulässig zurückgewiesen.
Die Bekl hatte in ihrer Revision eine Verletzung der Mitwirkungs- bzw Informationspflichten (Art 76 Abs 4 Satz 3 VO 883/2004) durch die Kl geltend gemacht, weil sie die erforderlichen Nachweise aus Italien nicht erbracht habe. Bei einer Verletzung der Mitwirkungspflicht wären angemessene Maßnahmen nach dem nationalen Recht zu ergreifen (Art 76 Abs 5 VO 883/2004). Diese Maßnahmen sind in § 32 Abs 4 KBGG vorgesehen, wonach der Krankenversicherungsträger den Leistungsanspruch ohne weitere Ermittlungen ablehnen kann.
Diesen Standpunkt teile der OGH nicht. Zum einen hatte die Bekl auch im fortgesetzten Verfahren erster Instanz nicht behauptet, die Kl wäre einer Mitwirkungspflicht nicht nachgekommen. Zum anderen wurde der von der Kl gestellte Antrag auf Kinderbetreuungsgeld von der Bekl an den – ihres Erachtens prioritär zuständigen – italienischen Träger weitergeleitet, der über die Prioritätsregeln keine Stellungnahme iSd Art 60 Abs 3 Durchführungsverordnung (DVO) (EG) 987/2009 abgegeben hat.
Der italienische Träger hätte iSd Prinzips der europaweiten Relevanz der Antragstellung den Antrag so zu bearbeiten gehabt, als wäre er direkt bei ihm gestellt worden. Zudem sind die Träger und Personen, die in den Geltungsbereich der Verordnung fallen, nach Art 76 Abs 4 der VO (EG) 883/2004 zur gegenseitigen Information und Zusammenarbeit verpflichtet. Ist es den Trägern unmöglich, in angemessener Zeit eine Lösung zu finden, besteht für sie die Möglichkeit, die Verwaltungskommission einzuschalten. Der italienische Träger hat entgegen dieser Verpflichtung der Kl weder eine positive noch eine negative Entscheidung zukommen lassen, noch der Bekl die erforderlichen Informationen erteilt. Die Bekl sah sich daher nicht in der Lage, die Höhe einer vorläufigen oder endgültigen Ausgleichszahlung festzustellen.
Betreffend Höhe des Unterschiedsbetrags wurde vom OGH ausgeführt, dass einem Leistungsempfänger – nach dem Regelungszweck des Art 7 der DVO (EG) 987/2009 – zeitgerecht ein Gesamtbetrag an Leistungen zu garantieren ist, der gleich dem Betrag der höchsten Leistung ist, die ihm nach dem Recht nur eines dieser Staaten zusteht. Auch wenn dieses Verhalten des italienischen Trägers im Ergebnis zu einer Überwälzung der (vollen) Leistungsverpflichtung auf Österreich führt, so soll durch die Verpflichtung der zuständigen Träger zur loyalen Zusammenarbeit iSd Art 76 Abs 4 VO (EG) 883/2004 doch vermieden werden, dass Streitigkeiten der Träger auf dem Rücken der Betroffenen ausgetragen werden. 127