80

Kein voller Kostenersatz für Knieoperation in Deutschland bei fehlender Vorabgenehmigung

WERNERPLETZENAUER
§ 7b SV-EG
OGH 28.7.2020, 10 ObS 43/20a

Die Kl hat ihre Wohnadresse in Vorarlberg, hält sich aber in Deutschland auf, wohin ihr Mann von seinem AG entsendet worden war. Gegenstand des Verfahrens ist der auf die Patientenmobilitäts-RL und auf § 7b Sozialversicherungs-Ergänzungsgesetz (SV-EG) gestützte Anspruch der Kl auf Ersatz der Gesamtbehandlungskosten einer in einem Klinikum in Deutschland vorgenommenen operativen Implantation einer Knie-Hemiprothese samt stationärem Aufenthalt. Dieses Klinikum steht in keinem Vertragsverhältnis zur Bekl. Eine Vorabgenehmigung der Bekl liegt nicht vor. Der Kl wurde mit Bescheid der Bekl ein Pflegekostenzuschuss für den stationären Aufenthalt in Deutschland in Höhe von € 2.587,31 (€ 235,21 täglich) gewährt. Das streitgegenständliche Mehrbegehren von € 4.371,04 (bei Gesamtbehandlungskosten von € 6.958,35) wurde abgewiesen.

Das Erstgericht verpflichtete die Bekl (in Wiederholung des Bescheids), der Kl € 2.587,31 zu erstatten. Das Begehren auf eine höhere Kostenerstattung wurde abgewiesen. Als Begründung wurde angeführt, dass die Kl die in Deutschland vorgenommen Behandlung unter Berücksichtigung ihres damaligen Gesundheitszustandes und des voraussichtlichen Krankheitsverlaufs rechtzeitig und ohne unvertretbar lange Wartezeiten in Vertragseinrichtungen der Bekl hätte erhalten können.

Das Berufungsgericht wies den in der Berufung enthaltenen Antrag auf Einleitung eines Vorabentscheidungsverfahrens gem Art 267 AEUV zurück und gab der Berufung der Kl nicht Folge. Das Berufungsgericht ließ die Revision unter Hinweis darauf, dass es sich an der einheitlichen Rsp des OGH und des EuGH habe orientieren können, nicht zu.

Die außerordentliche Revision der Kl wurde vom OGH zugelassen, weil bisher noch keine E des OGH zu § 7b SV-EG ergangen sei. Sie ist aber nicht berechtigt.

In ihrer Revision hält die Revisionswerberin an ihrem bereits in den Unterinstanzen vorgebrachten Standpunkt fest, dass das in § 7b SV-EG vorgesehene 132 Erfordernis einer Vorabgenehmigung im gegenständlichen Fall richtlinienwidrig sei. Sie stützt die Richtlinienwidrigkeit des § 7b Abs 4 SV-EG darauf, dass der in Art 8 Abs 2 lit a der Patientenmobilitäts-RL enthaltene Hinweis auf den Planungsbedarf nicht in § 7b Abs 4 SV-EG wiederholt werde. Zudem bestehe in Österreich kein Katalog jener Gesundheitsleistungen, für die ein Vorabgenehmigungsverfahren notwendig sei und der den Voraussetzungen des Art 8 Abs 7 der Patientenmobilitäts-RL entspreche. Die Bekl habe daher die Behandlungskosten in voller Höhe zu begleichen.

Ihren Antrag auf Einleitung eines Vorabentscheidungsverfahrens wies der OGH unter Hinweis auf seine stRsp zurück. Nach dieser Rsp hat eine Prozesspartei keinen verfahrensrechtlichen Anspruch, die Einholung einer Vorabentscheidung des EuGH zu beantragen. Die behauptete Unionsrechtswidrigkeit des § 7b Abs 4, insb die Richtlinienwidrigkeit, wurde vom OGH verneint.

Zur angeblichen Richtlinienwidrigkeit des § 7b Abs 4 SV-EG führte der OGH aus: Der Umstand, dass in § 7b Abs 4 SV-EG der Hinweis auf den Planungsbedarf nicht wiederholt wird, ist offenkundig darauf zurückzuführen, dass der Gesetzgeber im Hinblick auf die Rsp des EuGH den Planungsbedarf bei stationären Behandlungen auch für das österreichische Gesundheitssystem als gegeben annimmt und voraussetzt. Hintergrund dieser – aus Sicht des österreichischen Gesetzgebers unionsrechtlich erlaubten – Beschränkung ist, „dass solche mit hohem Planungs- und Kostenaufwand im Zusammenhang stehende Leistungen bei einer unkontrollierten Inanspruchnahme im Ausland im Inland ernstlich gefährdet sein könnten, da eine Einbeziehung der durch die Patientenmobilität in anderen Mitgliedstaaten nachgefragten Leistungen in die nationale Planung wohl kaum möglich ist. In sensiblen Bereichen der nationalen Gesundheitspolitik brächte dieser Umstand unweigerlich die Gefahr einer Unter- oder Überversorgung durch das nationale Gesundheitssystem mit sich“ (ErläutRV 33 BlgNR 25. GP 6).

Des Weiteren verweist der OGH auf die Rsp des EuGH aus der Zeit vor Inkrafttreten der Patientenmobilitäts-RL. Nach dieser Rsp steht das Primärrecht einem System der Vorabgenehmigung bei stationären Behandlungen grundsätzlich nicht entgegen. Ein solches System ist mit der Notwendigkeit zu rechtfertigen, im Inland ein ausreichendes, ausgewogenes und ständiges Angebot an Krankenhausversorgung aufrechtzuerhalten und die finanzielle Stabilität des Systems der KV zu gewährleisten (EuGH 12.7.2001, C-157/99, Smits und Peerbooms, Rz 76; EuGH 13.5.2003, C-385/99, Müller-Fauré und van Riet, Rz 76 – 81; EuGH 16.5.2006, C-372/04, Watts, Rz 103, 107 ff; EuGH 5.10.2010, C-512/08, Kommission/Frankreich, Rz 33).

Der OGH kam zum Schluss, dass der österreichische Gesetzgeber im Rahmen der Umsetzung der Richtlinie für den Bereich der stationären Behandlung nachvollziehbar auf die Gefahr einer Unteroder Überversorgung im nationalen Gesundheitssystem und die damit verbundene Gefahr einer unverhältnismäßigen Beeinträchtigung der Gesundheitsversorgung in diesem Bereich im Fall freier grenzüberschreitender Leistungsbeanspruchung hingewiesen hat. Da nach der Rsp des EuGH schon die Möglichkeit der Gefährdung des finanziellen Gleichgewichts des nationalen Gesundheitssystems und seiner Versorgungssicherheit ausreicht, um die Beschränkung zu rechtfertigen (EuGH Rs Kommission/Frankreich, Rz 41), ist daher eine Richtlinienwidrigkeit des § 7b SV-EG aus dem von der Revisionswerberin genannten Grund zu verneinen.

Auch dem weiteren Argument der Revisionswerberin, die Voraussetzungen des Art 8 Abs 7 der Patientenmobilitäts- RL wären nicht erfüllt, weil kein Leistungskatalog vorhanden sei, in dem die Implantation einer Knie-Hemiprothese ausdrücklich als genehmigungspflichtig genannt werde, ist der OGH nicht gefolgt. Zusammenfassend führte der OGH diesbezüglich aus, dass für die von der Kl geplante Gesundheitsdienstleistung § 7b Abs 4 Z 1 SV-EG maßgeblich ist. Daraus ergibt sich in eindeutiger Weise das Erfordernis einer Vorabgenehmigung für stationäre Behandlungen, darunter auch für die unstrittig mit einer stationären Aufnahme verbundene Implantation einer Knie-Hemiprothese.

Bezüglich der Höhe der zu erstattenden Kosten hielt der OGH fest, dass wenn – wie im vorliegenden Fall – eine Vorabgenehmigung nicht zu erteilen war (über die Verpflichtungen der Patientenmobilitäts-RL hinausgehend), weiterhin Anspruch auf Erstattung in Höhe des Pflegekostenzuschusses nach § 150 ASVG besteht. Wie der OGH bereits mehrfach ausgesprochen hat, besteht grundsätzlich kein Anspruch auf Ersatz der tatsächlichen Kosten einer medizinisch gleichwertigen, allenfalls auch aufwändigeren Krankenbehandlung im Ausland, solange der Krankenversicherungsträger im Inland eine zweckmäßige und ausreichende Krankenbehandlung zur Verfügung stellt und dadurch seiner Verpflichtung zur Sachleistungsvorsorge entsprochen hat. Es ist der Versichertengemeinschaft nicht zumutbar, die wesentlich höheren Kosten einer Behandlung im Ausland zu übernehmen, wenn eine solche Behandlung auch im Inland erfolgen könnte (RS0106772). Allein maßgeblich ist, ob die zur Behandlung der Krankheit erforderliche Behandlung in zumutbarer Weise in Österreich durchgeführt werden kann.

Der Revision der Kl wurde daher nicht Folge gegeben. 133