49Rechtmäßigkeit der Entlassung einer Betreuerin wegen Gefährdung und Vernachlässigung der ihr anvertrauten Kinder
Rechtmäßigkeit der Entlassung einer Betreuerin wegen Gefährdung und Vernachlässigung der ihr anvertrauten Kinder
Eine bei einem Kinderbetreuungsverein tätige AN nahm am 15.10.2019 bei einem Ausflug mit 15 bis 20 der ihr anvertrauten Kindergartenkinder zu einer Märchengrottenbahn zwei Kinder wahr, die neben den Gleisen stehen geblieben waren, um einen Zug zu betrachten. Sie ging dann aber, ohne darauf zu reagieren, mit der Gruppe weiter, obwohl sie sich als Betreuerin am Ende der Gruppe befand.
Bei einem weiteren Vorfall am 18.10.2019 bemerkte die AN beim Mittagessen um 12:15 Uhr einen Fäkalgeruch bei einem Kind, ohne sich bis ca 14:00 Uhr dieser Sache anzunehmen. Nachdem die AN das Kind dann gegen ca 14:00 Uhr doch kontrolliert und festgestellt hatte, dass es sich tatsächlich intensiv eingestuhlt hatte, unternahm die AN nichts weiter, sondern wandte sich mit einer Feuchttuchpackung an eine andere Kinderbetreuerin, die gerade mit einer Mutter sprach, und sagte: „Mach du das.“
Gem Pkt 4 des Dienstvertrags war dem AG die vorübergehende oder dauernde Heranziehung der AN zu auch geringwertigen Aufgaben ausdrücklich vorbehalten. Die AN wurde in diesem Zusammenhang bereits anlässlich des Einstellungsgesprächs darauf hingewiesen, dass sie bei Bedarf ein Kind zu reinigen habe. Anlässlich einer Teamsitzung Anfang Oktober 2019 wurde in Anwesenheit der AN auch noch einmal besprochen, dass „jeder für alles zuständig“ ist.
Auch vor den oben genannten beiden Vorfällen erfüllte die AN ihre Aufgaben nur unzulänglich, weil sie es mehrfach unterließ, sich um weinende Kinder zu kümmern und sie zu trösten, oder die Kinder persönlich zu beaufsichtigen.
Der Obmann des AG erfuhr am Freitag, den 18.10.2019, von dem Vorfall mit dem eingestuhlten Kind und am Samstag, den 19.10.2019, von dem Vorfall in der Märchengrottenbahn. Der AG bewertete das Verhalten der AN bezüglich der oben genannten Vorkommnisse als vertrauensunwürdig und als „absolute Gefahr im Verzug“ und teilte ihr nach Einholung einer Rechtsberatung am Montag, den 21.10.2019, die fristlose Entlassung am darauffolgenden Dienstag, den 22.10.2019, schriftlich mit.
Die Vorinstanzen gaben dem Klagebegehren der AN nicht statt und erachteten das Verhalten der AN als vertrauensunwürdig iSd § 27 Z 1 letzter Fall AngG. Der OGH wies die außerordentliche Revision der AN gegen die Entscheidung der Vorinstanz mangels Vorliegens einer Rechtsfrage von erheblicher Bedeutung gem § 502 Abs 1 ZPO zurück.
Der OGH führte dazu aus, dass die Bejahung der Frage, dass das Verhalten der AN nach den gewöhnlichen Anschauungen der beteiligten Kreise als so schwerwiegend angesehen werden muss, dass das Vertrauen des AG derart heftig zerrüttet wird, dass ihm eine Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses nicht mehr zugemutet werden kann, sich im Rahmen des den Vorinstanzen zukommenden Ermessensspielraums bewegte. Dies gerade auch deshalb, weil sich der Betreiber eines Kindergartens bei der Dienstverrichtung seiner Angestellten uneingeschränkt darauf verlassen können muss, dass die Betreuung und Fürsorge der bei ihm untergebrachten Kinder mit allen sich daraus ergebenden Verpflichtungen durch die Angestellten gewährleistet ist. Dies war hier aber bezüglich der beiden oben genannten Vorkommnisse nicht der Fall: Zum einen, da die von der AN verletzte Aufsichtspflicht als Letzte in der Gruppe beim Besuch der Märchengrottenbahn gerade darauf abzielte, dem Eintritt einer Gefahr im Zusammenhang mit hinter der Gruppe zurückbleibenden Kindern vorzubeugen. Daran änderte auch nichts, dass zwei weitere Begleitpersonen am Anfang und in der Mitte der Ausflugsgruppe zugegen waren, die in der Situation hätten eingreifen können und konkret auch eingreifen mussten, um die Kinder wieder zur Gruppe zu holen, weil die AN ihren expliziten Pflichten eben nicht nachgekommen war. Zum anderen, da die AN entgegen ihren vertraglichen Verpflichtungen und entgegen den expliziten Dienstanweisungen des AG bei dem Vorkommnis der Einstuhlung und der durch den Geruch stark indiziert misslichen Lage des entsprechenden Kindes nahezu zwei Stunden lang untätig blieb und das Kind weiter das Mittagessen einnehmen und es auch noch die Mittagsrast antreten ließ.
Zur Frage der Rechtzeitigkeit des Ausspruchs der Entlassung ergaben sich für den OGH nach den 83 oben dargestellten Umständen des Einzelfalls keine Anhaltspunkte für die Annahme einer verspäteten Entlassungserklärung. In den Erklärungen des Obmanns des AG, dass das Arbeitsverhältnis mit sofortiger Wirkung „innerhalb der Probezeit“ per 22.10.2019 aufgelöst wird, sah der OGH entgegen der Ansicht der AN auch keinen Verzicht des AG auf die Ausübung des Entlassungsrechts, weil eine fristlose Auflösungserklärung einen solchen Verzicht gerade nicht nahelegt.