DäublerArbeitsrecht in Zeiten der Corona-Krise – Rechte und Pflichten im Ausnahmezustand

Bund-Verlag, Frankfurt am Main 2020, 154 Seiten, kartoniert, € 29,90

BARBARATROST

Selbst bei größter Eile dauert es seine Zeit, ein Buch zu schreiben und gar erst auf den Markt zu bringen, und weil „Zeit“ in diesem besonderen Jahr eine neue, nie gekannte Interpretation erfahren hat, verdient der Umstand, dass der Stand des vorliegenden Buches 22.5.2020 ist, ausdrücklich Erwähnung (S 6). Wenn man als Rezensentin pünktlich zur Weihnachtszeit das Buch in Händen hält, erinnert man sich unwillkürlich daran, wie man im Mai 2020 voll der Vorfreude auf den gemeinsamen Sommer mit deutschen FreundInnen auch schon Pläne für das gemeinsame grenzüberschreitende Weihnachtsfest geschmiedet hat. Den zweiten Lockdown hatten zu jener Zeit PessimistInnen heimlich befürchtet; einen dritten hatte man sich auch in Albträumen nicht vorstellen wollen. Nun ist alles schlimm und schlimmer und Schlag auf Schlag gekommen, sodass man für das hier vorliegende Buch fürchten könnte, es wäre noch vor Erscheinen der Rezension hoffnungslos veraltet. Mitnichten! In Voraussicht, dass etwas kommen würde – wenn auch keiner ahnen hatte können, was und in welchen Dimensionen –, hat der Autor die digitale Ausgabe des Buches bereits für die Aktualisierung vorgesehen und verweist zudem im Vorwort auf regelmäßige Aktualisierungen unter www. bund-verlag.de sowie www.daeubler.dewww.daeubler.de.

Über die Grenzen zu blicken, namentlich von Österreich nach Deutschland, macht immer Sinn – ganz besonders, wenn der Anlass ein weltweiter ist: Ein Virus, das keine Grenzen kennt. Und was das Recht überhaupt und das Arbeitsrecht speziell anbelangt, kann der Vergleich gerade in der pandemischen Krise neue Impulse geben. Abgesehen davon, dass wir als vorbildlich wahrgenommen haben, wie sich die deutsche Regierung mehrfach beim Volk für die Folgen von Versäumnissen und für die „Zumutung“ an sich entschuldigt hat, scheint in rechtstechnischer Hinsicht das Mittel der „Formulierungshilfe“ (Anhängen an bereits vorberatene andere Gesetze) (S 5) zur Bewältigung von Akutproblemen durchaus recht hilfreich gewesen zu sein. Nicht minder interessant ist aber der Umgang mit dem „alten“ (= „Vor-Corona“-)Normenbestand, den uns der Autor in den neun Hauptkapiteln des Buches ebenfalls nahebringt. Geschichten zu Recht und Praxis bieten sich hier gleich zu Beginn anhand der Thematik Arbeitsschutz an (S 14 ff). Die deutliche Anordnung in § 3 Abs 3 Arb-SchG, wonach die Kosten für Arbeitsschutzmaßnahmen nicht auf den AN überwälzt werden dürfen (in Österreich übrigens gem § 3 Abs 1 ASchG noch deutlicher: „… auf keinen Fall zu Lasten der Arbeitnehmer …“), träfe nur dann nicht zu, wenn es sich 168 um „übertriebene Vorsorgemaßnahmen“ handle (S 18), was aber bereits im Mai 2020 etwa bezüglich Mund-Nasen-Schutz nicht vertreten wurde und wohl mittlerweile weltweit allenfalls noch von Verschwörungstheoretikern verbreitet wird. Soll heißen: Die kostenlose Zurverfügungstellung von Gesichtsmasken durch den AG ist sowohl in Österreich als auch in Deutschland verpflichtend gesetzlich geregelt! In der Praxis ortet Wolfgang Däubler sogar einen Fall, in dem das Tragen eines Mund-Nasen- Schutzes vom AG verboten wurde (S 17, Rz 8). Mittlerweile wird man freilich auf der Basis der zitierten Gesetze sowohl in Deutschland als auch in Österreich überall dort, wo Kontakt mit Menschen zum Arbeitsleben dazu gehört, vom AG gratis zur Verfügung gestellte FFP2-Masken fordern können.

Mit der Frage, ob „zwangsweises“ Fiebermessen vor dem Betreten des Betriebs als Grundrechtseingriff unzulässig oder doch mit Zustimmung des BR bzw der Einigungsstelle gem § 87 Abs 1 Nr 6 bzw 7 BetrVG zulässig ist (S 20 f), betritt man (logischerweise) arbeitsrechtliches Neuland. Ob man tatsächlich auch ohne konkreten Verdacht mit der Fürsorgepflicht gegenüber anderen AN den Eingriff in Art 9 Abs 1 DSGVO unter Berufung auf Art 9 Abs 2 lit b DSGVO rechtfertigen kann (S 21, Rz 20), erscheint mir aber sehr fraglich. Mindestens müsste hierfür geklärt werden, dass dies allenfalls für kontaktloses Fiebermessen gelten kann, dass die Person dabei also weder mit der Hand des Testenden noch mit dem Messgerät berührt werden darf, und vor allem auch, dass ein allfällig für notwendig erachtetes anschließendes Absondern der Person diskret zu erfolgen hätte. Kurz gesagt: Ein „Aussortieren“ eines/r AN aus einer Reihe anstehender KollegInnen vor deren Augen geht gar nicht – auch nicht mit Zustimmung des BR! Auf die Notwendigkeit der Gesundheitsdatensicherheit weist Däubler ohnehin zurecht hin.

Homeoffice im Unterschied zu dem in § 2 Abs 7 ArbStättVO geregelten Telearbeitsplatz (S 28 f) ist im 3. Kapitel ausführlich und praxisnah dargestellt. Das Postulat der Freiwilligkeit steht auch hier – so wie aus Österreich bekannt – in einem ständigen Spannungsverhältnis zu dem Bedürfnis, anlassbezogen generell etwas darüber zu regeln. Das Muster einer fakultativen BV über „Mobile Arbeit“ in dem vor allem für Betriebsratskollegien sehr nützlichen Anhang auf S 142 bringt die Freiwilligkeit deutlich zum Ausdruck. Dass diese leicht ins Wanken geraten könnte, wenn man auch den „echten“ Mitbestimmungstatbestand des § 87 Abs 1 Nr 7 BetrVG in Erwägung ziehen möchte, deutet der Autor vorsichtig in Rz 51 an: „Allerdings muss die Betriebsvereinbarung auch auf die spezifischen Belange Einzelner Rücksicht nehmen und kann deshalb nicht jedermann in ein (ggf. völlig ungeeignetes) Homeoffice zwingen.“ Noch ein bisschen zutreffender wäre wohl: „Betriebsvereinbarungen können überhaupt niemanden in ein Homeoffice zwingen“ – und zwar eben auch nicht vor dem Hintergrund des Gesundheitsschutzes! Und dies gilt für § 87 Abs 1 Nr 7 BetrVG ebenso wie für den in Österreich etwa (materiell, nicht auch hinsichtlich der Intensität der Mitbestimmung) vergleichbaren § 97 Abs 1 Z 8 ArbVG.

Absolut im Einklang damit, nämlich dass es eben einen Zwang zum Homeoffice weder direkt noch im Wege einer BV geben kann, stehen durchwegs all jene Ausführungen, welche die Abgrenzungen der Risikosphären und insb die Reichweite des § 615 sowie § 616 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) betreffen (so zB S 22 ff, S 39 ff, 62 ff).

Für die Alltagsarbeit der Betriebsratskollegien in der Krise sind neben dem Kapitel 7 (über Video- und Telefonkonferenzen in der Betriebsverfassung S 64 ff) und den bereits erwähnten Betriebsvereinbarungsmustern (S 135 ff) die nach einer zwischendrin eingefügten Literaturliste (S 93 ff) und dem Stichwortverzeichnis (S 96 ff) angehängten „75 Fragen und Antworten zum Arbeitsrecht und der Betriebsratsarbeit“ (S 101 ff) mit Sicherheit sehr hilfreich.

Insgesamt deckt das Buch in vorzüglicher Weise und für die notgedrungen kurze Zeit der Herstellung in beeindruckender Dichte den Informationsbedarf für die arbeitsrechtliche Bewältigung der Krise. Die Reihe heißt „aktiv im Betriebsrat“, und genau den daraus resultierenden Anforderungen wird hier bestens entsprochen.