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Unberechtigte Entlassung nach weisungswidriger Nichtverwendung des elektronischen Zeiterfassungssystems

MANFREDTINHOF
§ 27 Z 4 erster Fall AngG, § 27 Z 1 letzter Fall AngG

Ein seit dem Jahr 1980 beschäftigter AN kam den Anforderungen der AG an die korrekte Nutzung des im Jahr 2018 installierten elektronischen Arbeitszeiterfassungssystems nicht ordnungsgemäß nach, indem er die Eintragungen in das System manuell und teilweise im Voraus vornahm. Dem AN war die Verpflichtung zur ordnungsgemäßen Verwendung des elektronischen Zeiterfassungssystems zwar bewusst, er empfand es aber als mühsam, den vorgesehenen Software-Terminal zu benutzen. Im Schnitt war der AN aber sogar länger am Arbeitsplatz anwesend, als sich dies aus seinen Arbeitszeiteintragungen ergibt. Im Jänner 2019 erhielt er ein Erinnerungsmail mit der Weisung, das System entsprechend den Vorgaben der AG zu benützen. Da der AN die Weisung nicht befolgte, wurde er entlassen und klagte in der Folge Ansprüche aufgrund der seines Erachtens ungerechtfertigten Entlassung ein.

Die Vorinstanzen gaben dem AN Recht, der OGH wies die außerordentliche Revision der AG zurück.

Die Annahme einer beharrlichen Dienstpflichtverletzung iSd § 27 Z 4 AngG setzt grundsätzlich eine vorangegangene Ermahnung oder wiederholte Aufforderung zur Dienstleistung bzw Befolgung der Anordnung voraus, es sei denn, dass es sich um eine Dienstverletzung so schwerwiegender Art handelt, dass auf die Nachhaltigkeit der Willenshaltung des Angestellten mit Grund geschlossen werden kann, weil dann dem AN die Bedeutung oder das Gewicht seines pflichtwidrigen Verhaltens bekannt sein muss. Um eine Ermahnung entbehrlich zu machen, muss also die Weigerung des AN, seinen Dienstpflichten nachzukommen, derart eindeutig und endgültig sein, dass angesichts eines derartigen, offensichtlich unverrückbaren Willensentschlusses des Angestellten eine Ermahnung als bloße Formalität sinnlos erscheinen müsste.

Im vorliegenden Fall wird nicht bestritten, dass das Erinnerungsmail der AG vom Jänner 2019 eine bloße Weisung und noch keine Ermahnung darstellte. Wenn das Berufungsgericht das Vorliegen des Entlassungsgrundes des § 27 Z 4 erster Fall AngG verneint hat, weil beim AN nicht davon ausgegangen werden könnte, dass eine entsprechende Aufforderung der AG zur pflichtgemäßen Nutzung des Zeiterfassungssystems nicht gefruchtet hätte, also von vornherein als aussichtslos und damit sinnlos angesehen werden müsste, so ist dies nach der Lage des Falls nicht zu beanstanden.

Auch die Frage, ob der Tatbestand der Vertrauensunwürdigkeit iSd § 27 Z 1 letzter Fall AngG verwirklicht ist, kann nur anhand der konkreten Umstände des jeweiligen Einzelfalls beurteilt werden. Die Beurteilung des Berufungsgerichts, der Verstoß des AN bei der Arbeitszeitaufzeichnung habe zwar eine gewisse Erschütterung des in den AN gesetzten Vertrauens bewirkt, hätte aber aus objektiver Sicht noch zu keinem die Entlassung rechtfertigenden Vertrauensverlust geführt, bewegt sich im Rahmen des den Vorinstanzen zukommenden Ermessensspielraums. Insb ist im konkreten Fall zu berücksichtigen, dass der AN in seinen 38 Dienstjahren sonst kein anderes Fehlverhalten gesetzt hat und durch seine manuellen, teils im Voraus vorgenommenen Eintragungen im Zeiterfassungssystem nicht den Anschein längerer Arbeitszeiten als tatsächlich geleistet erwecken wollte, um sich dadurch Leistungen der AG zu erschleichen.