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Anwendbarkeit des Mindestlohntarifs bei Mischverwendung

GREGORKALTSCHMID

Der Bekl betreibt in einem Objekt mit 340 m² Nutzfläche, das zugleich seine Privatwohnung ist, eine Zahnarztordination. Die Kl war als Raumpflegerin im Ausmaß von 16 Stunden wöchentlich beschäftigt. Der Bekl trug der Kl auf, in der Ordination acht Stunden in der Woche und die übrigen acht Stunden für seine Mutter in deren Haus sowie deren Wohnung zu arbeiten. In der Ordination des Bekl putzte sie sowohl die Ordinations- als auch die Privaträumlichkeiten, die dem Bekl als Wohnung dienten, darunter auch die offene Küche, die in der Ordination als Sozialraum fungierte. Bei der Mutter räumte die Kl auf, ging einkaufen, zur Bank und zur Post und mit der Katze zum Tierarzt. Weiters wusch sie die Wäsche der Mutter.

Die Kl begehrte die Zahlung von € 3.407,97 brutto abzüglich € 192,- netto sA. Da sie deutlich überwiegend als Hausgehilfin im Haushalt des Bekl bzw dessen Mutter eingesetzt gewesen sei, käme das Hausgehilfen- und Hausangestelltengesetz (HGHAngG) und damit der Mindestlohntarif für im Haushalt Beschäftigte zur Anwendung. Da die Kl unter dem Mindestlohntarif entlohnt worden sei, schulde ihr der Bekl die Differenz.

Der Bekl bestritt die Forderung, da die Kl weder unter das HGHAngG noch unter den entsprechenden Mindestlohntarif falle, weil sie ausschließlich zur Reinigung der vom Bekl gewerbsmäßig betriebenen Ordination eingestellt gewesen sei.

Das Erstgericht gab der Kl statt.

Das Berufungsgericht verneinte zwar die Anwendbarkeit des HGHAngG, bejahte jedoch den Anspruch der Kl aufgrund der Geltung des Mindestlohntarifs für im Haushalt Beschäftigte. 85

Der OGH ließ die Revision des Bekl zu, gab ihr aber keine Folge.

Dazu führte er aus: Der Mindestlohntarif für im Haushalt Beschäftigte kommt nach dessen § 1 Z 2 lit b ua auch auf AN zur Anwendung, die nicht unter das HGHAngG fallen, jedoch bei AG, für die keine kollektivvertragsfähige Körperschaft besteht oder die nicht selbst kollektivvertragsfähig sind, einschlägige Reinigungsund Aufräumungsarbeiten verrichten oder die im Auftrage solcher AG bei dritten Personen diese Arbeiten in privaten Haushalten verrichten.

Der Bekl wendet nun ein, der Mindestlohntarif sei hier schon deshalb nicht anwendbar, weil er als Zahnarzt einer kollektivvertragsfähigen Körperschaft, der Österreichischen Zahnärztekammer, angehöre, auch wenn auf das Arbeitsverhältnis der Kl konkret kein KollV zur Anwendung gelangt.

Ein Mindestlohntarif darf nach § 22 Abs 3 Z 1 ArbVG nur für AN-Gruppen festgesetzt werden, für die ein KollV nicht abgeschlossen werden kann, weil kollektivvertragsfähige Körperschaften auf AG-Seite nicht bestehen. Bereits der Bestand einer kollektivvertragsfähigen Körperschaft der AG allein ist ausschlaggebend dafür, dass eine Festsetzung von Mindestlohntarifen nicht mehr erfolgen kann, gleichgültig, ob auch tatsächlich ein KollV abgeschlossen wurde oder nicht. Die behördliche Festsetzung eines Mindestlohntarifs soll nur einen fehlenden Kollektivvertragspartner auf AG-Seite ersetzen, nicht jedoch einen vorhandenen, aber nicht abschlussbereiten Partner zu Verhandlungen zwingen.

Bereits in der E vom 28.1.1999, 8 ObA 338/98h, hat der OGH festgehalten, dass zu prüfen ist, ob sich der räumliche, persönliche und fachliche Geltungsbereich der Kollektivvertragsfähigkeit des AG-Verbands auch auf den betroffenen AN erstreckt.

Für den Anlassfall folgt daraus, dass eine Kollektivvertragszuständigkeit der Österreichischen Zahnärztekammer nur insoweit vorliegt, als der bekl AG in seiner Eigenschaft als Mitglied der Zahnärztekammer berechtigt war, den Arbeitsvertrag mit der klagenden Raumpflegerin abzuschließen. Für Arbeitsverträge, die die Reinigung der Betriebs- und Geschäftsräumlichkeiten betreffen, ist dies der Fall. Hingegen unterliegen Arbeitsverträge, die die Reinigung im Haushalt des Bekl selbst und dessen Mutter zum Gegenstand haben, nicht der Kollektivvertragszuständigkeit der Kammer.

Hier stellt sich das (nicht geregelte) Problem, dass das (einheitliche) Arbeitsverhältnis der Kl in dieser Hinsicht zweigeteilt ist. Um dieses Problem zu lösen, bietet sich ein Rückgriff auf § 10 ArbVG an. Nach § 10 ArbVG gilt bei einer Kollision von Kollektivverträgen der Grundsatz der Tarifeinheit in Bezug auf das einzelne Arbeitsverhältnis. Es gilt der KollV jenes Betriebs, in dem der AN überwiegend seine Beschäftigung ausübt.

Der Ordnungsgedanke des § 10 ArbVG kann auch für die vorliegende Konstellation fruchtbar gemacht werden, in der sich bei einem einheitlichen Arbeitsverhältnis ein von einem Mindestlohntarif erfasster Bereich und ein kollektivvertragsfreier Bereich gegenüberstehen, wobei nach den Feststellungen die Beschäftigung der Kl in ersterem überwiegt. Da nach der Rsp ein für die AN des wirtschaftlich maßgeblichen Betriebsbereichs anzuwendender Mindestlohntarif in analoger Anwendung des § 9 Abs 3 ArbVG einen für die AN des wirtschaftlich untergeordneten Bereichs geltenden KollV verdrängt, muss umso mehr der Mindestlohntarif gegenüber einem an eine nicht maßgebliche Teiltätigkeit anknüpfenden kollektivvertragsfreien Raum durchschlagen. In analoger Anwendung des § 10 ArbVG ist hier daher das gesamte Arbeitsverhältnis dem Mindestlohntarif für im Haushalt Beschäftigte zu unterstellen. Die Kollektivvertragszuständigkeit der Zahnärztekammer für die bloß untergeordnet ausgeübte Beschäftigung der Kl für einen „anderen Betrieb“ schadet nicht.

Daraus folgt, dass das Berufungsgericht zu Recht auf das gesamte Arbeitsverhältnis den Mindestlohntarif für im Haushalt Beschäftigte zur Anwendung gebracht hat. Der Revision war daher in der Hauptsache nicht Folge zu geben.