53Bei einer „Fabrik in der Fabrik“ liegt Arbeitskräfteüberlassung vor – eine Inländerdiskriminierung durch § 4 AÜG besteht nicht
Bei einer „Fabrik in der Fabrik“ liegt Arbeitskräfteüberlassung vor – eine Inländerdiskriminierung durch § 4 AÜG besteht nicht
1. Es besteht keine Veranlassung, von der bisherigen Rsp des OGH zu § 4 Abs 2 Arbeitskräfteüberlassungsgesetz (AÜG) abzugehen. Der Wortlaut der Vorschrift ist eindeutig. Der Gesetzgeber stellt mit der Verwendung des Wortes „oder“ klar, dass der wahre wirtschaftliche Gehalt schon dann der einer Arbeitskräfteüberlassung ist, wenn auch nur eine der in § 4 Abs 2 AÜG demonstrativ aufgezählten Ziffern zutrifft.
2. Es macht bei wirtschaftlicher Betrachtung keinen Unterschied, ob die einzelnen AN direkt von einem Vertreter des Werkbestellers Anweisungen erhalten, oder ob dazwischen noch eine Hierarchieebene beim Werkunternehmer eingezogen wird, der seinerseits Weisungen 86des Werkbestellers entgegennimmt und formal als vom Werkunternehmer stammend einfach weitergibt. In beiden Fällen verfügt der Werkbesteller über den Einsatz der Arbeitskräfte so, wie wenn es seine eigenen wären.
3. Die bisherige Rsp des OGH bleibt auch vor dem Hintergrund der E des EuGH in der Rs C-586/13, Martin Meat, aufrecht, obwohl eine Arbeitskräfteüberlassung iSd Entscheidung wohl nicht vorläge. Dass im Ergebnis Arbeitskräfteüberlassung vom EuGH (und für grenzüberschreitende Sachverhalte nun auch vom VwGH) nach Art 1 Abs 3 lit c der RL 96/71/EG offenbar enger als nach § 4 Abs 2 AÜG ausgelegt wird, ist ohne Bedeutung: Die Anwendung der für gewerblich überlassene Arbeitskräfte in Österreich geltenden Kollektivverträge kann nicht nur auf die lit c des Art 1 Abs 3 der RL 96/71/EG, sondern – wie hier im Fall einer „Fabrik in der Fabrik“ – auch auf lit b gestützt werden. Eine Inländerdiskriminierung liegt damit nicht vor.
Im Jahr 2009 schloss die Bekl mit der B* eine als „Rahmen-Werkvertrag“ bezeichnete Vereinbarung über „Bügelflaschenreparatur“ – konkret das Sortieren von Flaschen und das Reparieren von beschädigten Verschlusskappen – ab. Als Leistungsort wurde die B* vereinbart. Weiters vereinbart wurde, dass die Bekl von der B* einen Hubstapler anmietet, dass der Preis pro Flasche € 0,024 beträgt und dass die AN in einheitlicher Arbeitskleidung der Bekl auftreten. Im Vertrag wurde außerdem ausdrücklich festgehalten, dass das Personal der Bekl nicht in die betriebliche Organisation der B* eingegliedert werden dürfe, ausschließlich der Dienst- und Fachaufsicht der Bekl unterliege und keine Weisungsbindung gegenüber Mitarbeitern der B* bestehe.
Die Kl war bei der Bekl als Kommissioniererin beschäftigt und wurde von Anfang an – zusammen mit weiteren fünf bis sechs Mitarbeitern der Bekl – bei der Bügelflaschenreparatur eingesetzt. In der von der Kl unterfertigten Dienstanweisung wurde ausdrücklich festgehalten, dass sie keine direkten Weisungen seitens Führungskräften und Mitarbeitern der B* AG entgegenzunehmen habe und dass die Unterweisung hinsichtlich Art/Ablauf und Arbeitsvorbereitung ausschließlich durch Führungskräfte der Bekl erfolgen würde.
Der Arbeitsort der Kl befand sich in einer Halle der B*, in der auch die zu bearbeitenden sowie die bereits kontrollierten Flaschen auf Paletten gelagert wurden. Die Hallen wurden von den Mitarbeitern der Bekl nicht exklusiv benutzt. Es waren dort auch DN der B* tätig, die teilweise ebenfalls Flaschen kontrollierten und reparierten. In der alten Halle hatte sich ein Schild mit der Aufschrift „S*“ befunden, um den Bereich der Mitarbeiter der Bekl abzugrenzen. Bereits nach rund zwei Wochen war diese Abgrenzung jedoch entfernt worden, um den Staplerfahrern das Durchfahren zu ermöglichen.
Die Tätigkeit der Kl bestand in einer Sichtkontrolle der Flaschen sowie im Bedarfsfall einem Reparieren der Bügel. Diese Arbeit war nach einer Einschulung im Wesentlichen jeden Tag gleich. Nachschulungsmaßnahmen waren nicht erforderlich. Für den Fall, dass von Seiten der B* dringend zusätzliche Flaschen benötigt wurden bzw eine überwiegende Reparatur von Flaschen erforderlich war, kontaktierten die zuständigen Lagerleiter die zuständige Objektleiterin der Bekl, welche die entsprechenden Weisungen erteilte.
Mit Ausnahme von Sicherheitsschuhen und leuchtender Oberbekleidung gab es keine Anweisung im Hinblick auf das Tragen von Arbeitskleidung. Die Sicherheitsschuhe wurden von der Bekl, Schutzbrillen und Arbeitshandschuhe von der B zur Verfügung gestellt. T-Shirts, Westen und auch Hosen waren von der B* und auch von der Bekl zur Verfügung gestellt worden, wobei die Mitarbeiter, so auch die Kl, lieber die T-Shirts der B* trugen, da diese leuchteten und somit keine zusätzlichen Warnwesten erforderlich waren.
Für die Tätigkeit der Kl und ihrer Kollegen war ausschließlich ein Spezialwerkzeug erforderlich, nämlich ein „Entbügler“. Dieser wurde in der Werkstatt der B* hergestellt und befand sich in Schachteln auf den Tischen der Arbeitsplätze in den Hallen. Wenn die Mitarbeiter der Bekl neue „Entbügler“ benötigten, gingen sie in die Werkstatt und besorgten sich diese.
Der Transport der zu bearbeitenden Flaschen innerhalb der Halle erfolgte mit einem Hubstapler, welchen die Bekl von der B* angemietet hatte. Bei Bedarf wurde dieser Hubstapler auch von Mitarbeitern der B* verwendet. Ein Fahrtenbuch wurde nicht geführt.
Die Objektleiterin der Bekl war nur sporadisch vor Ort, sie stand jedoch im telefonischen Kontakt mit den Mitarbeitern vor Ort. Zeitaufzeichnungen wurden ihr ebenso übergeben, wie Urlaub und Krankenstand ihr gemeldet wurden.
Die Kl begehrte die der Höhe nach unstrittige Entgeltdifferenz zwischen der tatsächlich erfolgten Entlohnung nach dem KollV für Denkmal-, Fassaden- und Gebäudereiniger und dem ihrem Standpunkt nach anzuwendenden Arbeitskräfteüberlassungs- KollV (KVAÜ). Sie sei von der Bekl der B* iSd § 4 Abs 2 AÜG überlassen worden. Die Bekl bestritt 87 das Vorliegen einer Arbeitskräfteüberlassung. Sie habe die Kl bloß zur Abarbeitung eines mit der B* abgeschlossenen Rahmen-Werkvertrages eingesetzt.
Erstgericht und Berufungsgericht gaben dem Klagebegehren statt. In ihrer dagegen erhobenen außerordentlichen Revision hält die Bekl dem Berufungsurteil im Wesentlichen entgegen, es hätte aufgrund der E des )EuGH in der Rs Martin Meat (18.6.2015, C-586/13) in richtlinienkonformer Interpretation des AÜG zur Vermeidung einer Inländerdiskriminierung keine Arbeitskräfteüberlassung annehmen dürfen.
Der OGH erachtete die außerordentliche Revision zwar für zulässig, aber nicht für berechtigt.
„[…] 8. Es besteht grundsätzlich keine Veranlassung, von der bisherigen Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs zu § 4 Abs 2 AÜG abzugehen. Der Wortlaut der Vorschrift ist eindeutig. Aus dem Wort ‚oder‘ in Verbindung mit der Wendung, dass Arbeitskräfteüberlassung ‚insbesondere auch vor[liegt], wenn …‘, ergibt sich zwingend, dass jeder der vier im Folgenden vom Gesetzgeber aufgezählten Tatbestände (Fälle) zur Annahme von Arbeitskräfteüberlassung führt. Dieses Verständnis war – wie aus den Gesetzesmaterialien ersichtlich – auch jenes des historischen Gesetzgebers (siehe Pkt 1). § 4 Abs 2 AÜG konkretisiert zu Verhinderung von Umgehungskonstruktionen die wirtschaftliche Betrachtungsweise.
Die Kritik an der Rechtsprechung und dem Gesetzgeber ist, wenn man § 3 AÜG als Darstellung von Rechtsgeschäften […] versteht und einen ‚Beschäftiger‘ nur dort annimmt, wo jemandem die typischen Arbeitgeberbefugnisse übertragen werden, verständlich. Dieser Ansatz kommt aber schon bei § 3 Abs 4 AÜG an seine Grenzen, bei dem der Begriff der Arbeitskräfte auf arbeitnehmerähnliche Personen, die in keinem Arbeitsverhältnis stehen, erweitert wird […]. § 4 Abs 1 AÜG ordnet dann ja auch deutlich an, dass es um den ‚wahren wirtschaftlichen Gehalt‘ – also nicht die Vertragskonstruktion und auch nicht die ‚äußere Erscheinungsform des Sachverhaltes‘ – geht. Diese wirtschaftliche Betrachtungsweise rechtfertigt sich auch aus dem Ziel des AÜG, nicht nur die überlassenen Arbeitskräfte, sondern auch die Stammarbeitnehmer zu schützen und arbeitsmarktpolitisch nachteilige Entwicklungen zu vermeiden. Dem Ansatz einer wirtschaftlichen Betrachtungsweise kommt insoweit gerade bei der zentralen Anordnung des AÜG zur Sicherung des Niveaus der kollektivvertraglichen Ansprüche in den Beschäftigerbetrieben (§ 10 AÜG; vgl im Übrigen § 9 Abs 3 ArbVG) Bedeutung zu.
Insoweit ist es auch schlüssig, wenn nach § 4 Abs 2 AÜG ‚insbesondere auch‘ dann Arbeitskräfteüberlassung vorliegt, wenn die Erbringung von Arbeitsleistungen ‚im Betrieb des Werkbestellers‘ in Erfüllung von Werkverträgen erfolgt, aber kein ‚von den Produkten … des Werkbestellers abweichendes, unterscheidbares und dem Werkunternehmer zurechenbares Werk‘ erstellt wird oder die Arbeiten nicht vorwiegend mit Material und Werkzeug des Werkunternehmers geleistet werden. Dass in jedem dieser Fälle dieser Faktor ‚wirtschaftlich‘ (§ 4 Abs 1 AÜG) so relevant sein muss, dass dies die Gleichstellung rechtfertigt, erfordert noch nicht eine Gesamtbetrachtung, schließt diese aber auch nicht aus, vermeidet aber die in der Kritik genannten Befürchtungen, dass schon das Zurverfügungstellen eines Isolierbandes an einen beauftragten Elektriker zur Annahme einer Arbeitskräfteüberlassung nach § 4 Abs 2 Z 2 AÜG führen könnte. Weder zu 8 ObA 7/14h (Prüfung von Werkteilen im Betrieb) noch 8 ObA 6/16i(Sachbearbeiter im Betrieb) lag ein abweichendes unterscheidbares ‚Produkt‘ vor. Dieses setzt wohl voraus, dass – auch außerhalb der arbeitsrechtlichen Rahmenbedingungen – wirtschaftliche Gestaltungsmöglichkeiten eröffnet werden, die es sinnhaft erscheinen lassen, die Leistungen als eigenes Werk allgemein am Markt anzubieten oder zu beziehen. Dies kann wohl bei den in der Kritik genannten im Betrieb eines Auftraggebers erbrachten Leistungen eines Softwareunternehmens oder eines Reinigungsunternehmens nicht ausgeschlossen werden.
Anhand der Vorschrift des § 4 Abs 2 AÜG kann der Arbeitnehmer zudem leicht ermitteln, ob sein Arbeitsverhältnis den Vorschriften über die Arbeitskräfteüberlassung unterliegt. Käme es insofern primär auf den Vertrag zwischen seinem Arbeitgeber und dem Unternehmen, in dessen Betrieb er seine Arbeit erbringt an, so wäre dies für ihn mit beträchtlicher Rechtsunsicherheit verbunden, zumal er in die diesbezügliche Vereinbarung gerade nicht eingebunden ist und sie für ihn daher in der Regel auch im Dunkeln liegt.
Eine richtlinienkonforme Auslegung darf einer nach Wortlaut und Sinn eindeutigen nationalen Regelung keinen durch die nationalen Auslegungsregeln nicht erzielbaren abweichenden oder gar entgegengesetzten Sinn geben […]. Das Verbot des Judizierens contra legem gilt gleichermaßen für die verfassungskonforme Interpretation […]. Gleichgültig, ob die in der Literatur verbreitete Forderung, eine Arbeitskräfteüberlassung nicht bereits dann anzunehmen, wenn einer der vier Fälle des § 4 Abs 2 AÜG erfüllt ist, sondern nur dann, wenn sie nach einer Gesamtbetrachtung im Sinne der Rechtsprechung des EuGH vorliege, methodisch auf einer richtlinienkonformen oder – zur Vermeidung einer allenfalls unzulässigen Inländerdiskriminierung – verfassungskonformen Interpretation beruhen sollte, vermag der Oberste Gerichtshof aufgrund des strikten Wortlauts von § 4 Abs 2 AÜG dieser Forderung de lege lata nicht näherzutreten. Dies ist, wie im Folgen 88 den zu zeigen sein wird, auch bei Beachtung der EuGH-Entscheidungen nicht erforderlich.
Nach dem vom Obersten Gerichtshof weiterhin vertretenen Verständnis liegt im vorliegenden Fall eine Arbeitskräfteüberlassung vor. Dies ergibt sich ansatzweise schon daraus, dass die Klägerin die Arbeit im Betrieb der Brauerei nicht vorwiegend mit Material und Werkzeug der Beklagten leistete (§ 4 Abs 2 Z 2 AÜG), vor allem aber daraus, dass kein abweichendes unterscheidbares, der Beklagten zurechenbares Produkt vorliegt (§ 4 Abs 2 Z 1 AÜG). Für die Qualifizierung als Arbeitskräfteüberlassung spricht auch, dass die B* entscheidet, ob sie gerade mehr oder weniger Flaschen braucht, und sie das der Teamvorgesetzten S* mitteilt, die den Wunsch umsetzt, indem sie die Arbeitnehmer entsprechend anweist. Es macht bei wirtschaftlicher Betrachtung keinen Unterschied, ob die einzelnen Arbeitnehmer direkt von einem B*Vertreter Anweisungen erhalten, oder ob dazwischen noch eine Hierarchieebene auf Beklagtenseite eingezogen wird, die ihrerseits Weisungen der B* entgegennimmt und formal als von der Beklagten stammend einfach weitergibt. In beiden Fällen verfügt die B* über den Einsatz der Arbeitskräfte so, wie wenn es ihre eigenen wären.
9. Selbst wenn das Beibehalten der bisherigen Rechtsprechung zu einer Inländerdiskriminierung führen sollte, wäre zu prüfen, ob diese nicht sachlich gerechtfertigt wäre. Ob es dazu ausreicht, dass schon aufgrund der Entfernungen rein inländische Arbeitskräfteüberlassungen ungleich häufiger als grenzüberschreitende Arbeitskräfteüberlassungen vorkommen, und es dem Gesetzgeber wohl darum ging, einfache Kriterien aufzustellen, bei denen aufgrund ihrer Typizität unwiderlegbar das Vorliegen einer Arbeitskräfteüberlassung vermutet wird, wäre näher zu prüfen. […]
10. Entgegen der Ansicht der Beklagten liegt keine Inländerdiskriminierung vor:
10.1. Die Richtlinie 96/71/EG über die Entsendung von Arbeitnehmern im Rahmen der Erbringung von Dienstleistungen (Entsende-RL) wäre – hätte die Beklagte zB in der Slowakei ihren Sitz – aufgrund von Art 3 Abs 1 Unterabs 1 Satz 2 der (Änderungs-)Richtlinie (EU) 2018/957 im vorliegenden Fall noch in ihrer Stammfassung anzuwenden. […]
10.3. Nach dem Urteil des EuGH in der Rechtssache Martin Meat, C-586/13, liegt eine Arbeitskräfteüberlassung iSv Art 1 Abs 3 lit c der EntsendeRL vor, wenn drei Voraussetzungen (kumulativ) erfüllt sind (Rz 33):
‚Erstens muss es sich bei der Überlassung von Arbeitskräften um eine gegen Entgelt erbrachte Dienstleistung handeln, bei der der entsandte Arbeitnehmer im Dienst des die Dienstleistung erbringenden Unternehmens bleibt, ohne dass ein Arbeitsvertrag mit dem verwendenden Unternehmen geschlossen wird.Zweitens muss das wesentliche Merkmal dieser Überlassung darin bestehen, dass der Wechsel des Arbeitnehmers in den Aufnahmemitgliedstaat der eigentliche Gegenstand der Dienstleistung des erbringenden Unternehmens ist.Drittens muss der Arbeitnehmer im Rahmen einer solchen Überlassung seine Aufgaben unter der Aufsicht und Leitung des verwendenden Unternehmens wahrnehmen.‘
10.4. Die erste Voraussetzung ist im vorliegenden Fall offenkundig erfüllt.
10.5.1. Die zweite Voraussetzung erfordert nach dem EuGH eine Analyse des eigentlichen Gegenstands der Dienstleistung des erbringenden Unternehmens. Dabei ist jeder Anhaltspunkt dafür zu berücksichtigen, dass der Wechsel des Arbeitnehmers in den Aufnahmemitgliedstaat den Gegenstand der betreffenden Dienstleistung darstellt oder nicht darstellt (Martin Meat, Rz 34). Insbesondere ist jeder Anhaltspunkt dafür zu berücksichtigen, dass der Dienstleistungserbringer nicht die Folgen einer nicht vertragsgemäßen Ausführung der vertraglich festgelegten Leistung trägt (Martin Meat, Rz 35).
10.5.2. Nach dem VwGH soll es deshalb darauf ankommen, ob der für einen Werkvertrag essenzielle ‚gewährleistungstaugliche‘ Erfolg vereinbart wurde (VwGHRa 2017/11/0068; Ra 2018/11/0061ua), ‚nach welchen die für den Werkvertrag typischen Gewährleistungsansprüche bei Nichtherstellung oder mangelhafter Herstellung des Werkes beurteilt werden können‘ (VwGH2013/09/0097). […]
10.5.3. Im zu beurteilenden Fall war zwischen der Beklagten und der B* vereinbart, dass die Beklagte der B* die ‚palettenweise Lieferung von sortierten Bierflaschen mit funktionstüchtigen Schnellverschlüssen‘ schuldet […]. […] Die Beklagte als ‚Dienstleistungserbringer‘ hatte damit iSd Rz 35 des Urteils des EuGH in der Rechtssache Martin Meat die ‚Folgen einer nicht vertragsgemäßen Ausführung der vertraglich festgelegten Leistung‘ zu tragen, weil sie nur pro (ordnungsgemäß) sortierter und gegebenenfalls (ordnungsgemäß) reparierter Flasche das vereinbarte Entgelt erhielt.
Eine Subsumtion des Sachverhalts (hätte sich dieser grenzübergreifend ereignet) unter die lit c des Art 1 Abs 3 Entsende-RL wäre daher wohl nicht möglich.
10.6. Damit wäre die Anwendbarkeit der Entsende- RL nach ihrem Art 1 Abs 3 lit a und b zu prüfen.
Die lit a erfasst alle Fälle, in denen Unternehmer in ihrem Namen und unter ihrer Leitung Arbeitnehmer in das Hoheitsgebiet eines anderen Mitgliedstaats im Rahmen eines Vertrags mit einem in diesem Mitgliedstaat tätigen Dienstleistungsempfängers entsenden. Weder die Rechtsnatur noch die Natur der Dienstleistung ist entscheidend […]. Soweit also eine Beschränkung der Dienstleistungsfreiheit releviert würde, könnte 89 die Anwendung von §§ 3, 4 und 10 AÜG auch auf diese Bestimmung gestützt werden.
Näher liegt hier aber noch die Prüfung nach der lit b des Art 1 Abs 3 der RL 96/71/EG.
Dieser Fall nennt folgende länderübergreifende Maßnahme, bei deren Vorliegen die Richtlinie Anwendung findet, soweit sie von einem in Art 1 Abs 1 genannten Unternehmen gesetzt wird: ‚b) einen Arbeitnehmer in eine Niederlassung oder ein der Unternehmensgruppe angehörendes Unternehmen im Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats entsenden, sofern für die Dauer der Entsendung ein Arbeitsverhältnis zwischen dem entsendenden Unternehmen und dem Arbeitnehmer besteht‘.
10.6.1. Nach dem Vorschlag der Kommission für die Entsende-RL könnte ein Verzicht auf Art 1 Abs 3 lit b die ganze Richtlinie zur Bedeutungslosigkeit verurteilen. Ein Unternehmen bräuchte nur eine Niederlassung oder Tochtergesellschaft in einem anderen Mitgliedstaat zu eröffnen und einige seiner Arbeitnehmer zur Erbringung einer zeitlich befristeten Arbeitsleistung dieser Niederlassung oder Tochtergesellschaft zuzuweisen, um nicht mehr an die Richtlinie gebunden zu sein (KOM [91] 230 endg 15). Somit soll lit b (auch) Umgehungstatbestände erfassen […]. […]
10.6.2. Weil eine Niederlassung reicht, ist nicht zwingend erforderlich, dass der Dienstleistungsempfänger eine bestimmte Rechtsform annimmt […]. […] Die Aufrechterhaltung einer ständigen Präsenz in einem Mitgliedstaat durch ein in einem anderen Mitgliedstaat niedergelassenes Unternehmen kann daher den Bestimmungen des Vertrags über die Niederlassungsfreiheit unterliegen, auch wenn diese Präsenz nicht die Form einer Zweigniederlassung oder einer Agentur angenommen hat, sondern lediglich durch ein Büro wahrgenommen wird, das gegebenenfalls von einer Person geführt wird, die zwar unabhängig, aber beauftragt ist, auf Dauer für dieses Unternehmen wie eine Agentur zu handeln (EuGHC-316/07, C-58-360/07, C-409 und 410/07 – Rs Stoß, Rz 59 mwN). Die Niederlassungsfreiheit findet damit Anwendung, wenn Dritte als verlängerter Arm des Unternehmens und damit ‚wie eine Agentur‘ fungieren (Korte in Calliess/Ruffert5 [2016] Art 49 AEUV Rz 17).
10.6.3. Diesen Maßstab zu Grunde gelegt wäre hier – hätte sich der Sachverhalt grenzüberschreitend ereignet – ein Fall der lit b des Art 1 Abs 3 Entsende-RL zu bejahen: Nimmt man die Weisungsfreiheit der Klägerin ernst, handelte diese gegenüber der B* unabhängig, aber auf Dauer als verlängerter Arm der Beklagten. Ferner hatte sich nach den Feststellungen in der alten Halle ein Schild mit der Aufschrift ‚S*‘ befunden, um den Bereich der Mitarbeiter der Beklagten abzugrenzen. Es wurde zwar nach rund zwei Wochen entfernt, um den Staplerfahrern das Durchfahren zu ermöglichen. Durch seine Anbringung zielte die Beklagte aber erkennbar darauf ab, einen Betriebsteil und damit eine Niederlassung zu errichten. Es lag eine ‚Fabrik in der Fabrik‘ vor.
10.6.4. Damit wäre auch unter Annahme eines grenzüberschreitenden Sachverhalts die Entsende-RL anzuwenden.
10.7. Die Entsende-RL sieht in ihrem Art 3 Abs 1 vor, dass die Mitgliedstaaten dafür sorgen, ‚dass unabhängig von dem auf das jeweilige Arbeitsverhältnis anwendbaren Recht die in Art 1 Abs 1 genannten Unternehmen den in ihr Hoheitsgebiet entsandten Arbeitnehmern bezüglich der nachstehenden Aspekte die Arbeits- und Beschäftigungsbedingungen garantieren, die in dem Mitgliedstaat, in dessen Hoheitsgebiet die Arbeitsleistung erbracht wird,
durch Rechts- oder Verwaltungsvorschriften und/oder
durch für allgemein verbindlich erklärte Tarifverträge oder Schiedssprüche im Sinne des Abs 8, sofern sie die im Anhang genannten Tätigkeiten betreffen, festgelegt sind:
[…]
c) Mindestlohnsätze einschließlich der Überstundensätze […];
d) Bedingungen für die Überlassung von Arbeitskräften, insbesondere durch Leiharbeitsunternehmen; […]‘
Nach Abs 10 des Art 3 der RL 96/71/EG können die Mitgliedstaaten die Arbeits- und Beschäftigungsbedingungen, die in Tarifverträgen festgelegt sind, auch auf andere als die im Anhang genannten (Bau-)Tätigkeiten ausdehnen. Es ist nun nicht ersichtlich, warum die Anordnung der Geltung der für das Gewerbe der Leiharbeitsunternehmen geltenden kollektivvertraglichen Mindestlöhne in § 6 Abs 3 LSDBG bei dauerhaften Beschäftigungen wie den vorliegenden nicht schon aufgrund der lit c des Art 3 Abs 1 der RL 96/71/EG mit der Dienstleistungsfreiheit in Übereinstimmung stehen sollte (vgl auch Art 3 Abs 1 und Abs 1a der RL 2018/957). Welche Art der Entsendung im Sinne des Art 1 Abs 3 der RL 96/71/EG vorliegt, ist bei dauerhaften Entsendungen insoweit irrelevant (vgl zu den zeitlichen und inhaltlichen Untergrenzen etwa die Abs 2 bis 6 des Art 3 der RL 96/71/EG). Dass im Ergebnis für ‚Entsendungen‘ im Rahmen von Leiharbeitsunternehmen vom EuGH und dem nun folgend auch vom VwGH der Begriff des Leiharbeitsunternehmens nach Art 1 Abs 3 lit c der RL 96/71/ EG offenbar enger als in § 4 Abs 2 AÜG verstanden wird, ist insoweit ohne Bedeutung, weil sich die Anwendung gar nicht auf die lit c des Art 1 Abs 3 der RL 96/71/EG stützen muss.
Eine Inländerdiskriminierung liegt damit nicht vor. […]“
Die Abgrenzung zwischen Arbeitskräfteüberlassung und Werkvertrag ist seit jeher heiß umfehdet. Das AÜG enthält in seinem § 4 Abs 2 seit der 90 Stammfassung unverändert scharfe Kriterien, um das Vorliegen von Arbeitskräfteüberlassung klar vom Vorliegen eines Werkvertrages abzugrenzen und somit rechtliche Umgehungskonstruktionen hintanzuhalten.
Zwei Rechtsmeinungen prägen dabei die Auslegung dieser Bestimmung. Nach der in der Literatur überwiegend vertretenen Auffassung ist das Vorliegen von Arbeitskräfteüberlassung iS einer Gesamtbetrachtung unter Berücksichtigung aller vier Ziffern des Abs 2 zu prüfen. Nach der zweiten Auffassung ist der Abs 2 strikt nach dem klaren Wortlaut auszulegen. Daraus wird abgeleitet, dass bereits die Erfüllung nur einer der Ziffern des Abs 2 zwingend zum Vorliegen von Arbeitskräfteüberlassung führt. Eine Gesamtbetrachtung ist nur notwendig, wenn keine der vier Ziffern erfüllt ist. Der OGH hatte sich bereits in der E zu 8 ObA 7/14h vom 25.8.2014 dieser zweiten Auffassung angeschlossen, wobei der VwGH noch vor dem OGH diese Rsp vertreten hat. In der nun neu vorliegenden E hat der OGH diese Rsp bestätigt.
Dabei ist festzuhalten, dass es sich um einen rein österreichischen Sachverhalt gehandelt hat, nach dem sowohl die Z 1 als auch die Z 2 des § 4 Abs 2 erfüllt waren. Es liegt kein abweichendes, unterscheidbares und der Bekl zurechenbares Produkt vor, und die Arbeit wurde nicht vorwiegend mit Material und Werkzeug der Bekl geleistet. Darüber hinaus hat die Brauerei auch entschieden, ob sie mehr oder weniger Flaschen benötigt und dies der Objektleiterin der Bekl mitgeteilt, die ihrerseits die AN entsprechend angewiesen hat, was auch für das Vorliegen von Arbeitskräfteüberlassung spricht. Diese Bedingungen sind typisch für eine „Fabrik in der Fabrik“; der OGH hielt dazu nun fest, dass es sich in solchen Fällen um Leiharbeit handelt und der KVAÜ gilt.
Diese strengen Abgrenzungskriterien stehen bei Überlassungen aus EU-Staaten in einem Spannungsverhältnis zur Entsende-RL. Der EuGH hat entschieden, dass der unionsrechtliche Begriff der Überlassung enger ist als der des § 4 Abs 2 AÜG. Demnach spricht ua die Vereinbarung eines „gewährleistungstauglichen Erfolgs“ gegen das Vorliegen von Arbeitskräfteüberlassung. Aus diesem Grunde hat der OGH festgehalten, dass nach den Auslegungskriterien des EuGH eine Arbeitskräfteüberlassung wohl nicht vorläge.
Der unionsrechtliche Begriff der Überlassung ist nur auf grenzüberschreitende Sachverhalte anzuwenden. In der Rs Martin Meat ging es nicht um Entgeltfragen. Der EuGH hat sich in dieser Rechtssache mit der Definition von Arbeitskräfteüberlassung beschäftigt, da überlassene Arbeitskräfte damals noch eine Beschäftigungsbewilligung benötigten. Zur Erfüllung eines Werkvertrages entsandte AN konnten hingegen ohne Beschäftigungsbewilligung eingesetzt werden. In grenzüberschreitenden Fällen hat sich der VwGH mittlerweile der Judikatur des EuGH angeschlossen. Dass er seine Rsp in österreichischen Fällen ändern würde, ist wohl mit Blick auf die vorliegende E des OGH nicht zu erwarten.
Seit der E des EuGH in der Rs Martin Meat sind Stimmen laut geworden, die bei Festhalten an der strikten Auslegung des § 4 Abs 2 AÜG in Fallgestaltungen ohne Auslandsbezug von einer sachlich nicht gerechtfertigten Inländerdiskriminierung sprechen, weil österreichische Unternehmer strenger behandelt würden als im Ausland ansässige (siehe Pkt 7.1. der E). Von großer Bedeutung ist in diesem Zusammenhang, ob teurere Kollektivverträge eingehalten werden müssen. Vor diesem Hintergrund hat sich der OGH in der vorliegenden E – obwohl der zugrunde liegende Sachverhalt keinen Auslandbezug hatte – umfassend mit der Fragestellung beschäftigt, ob im konkreten Fall unter der Annahme eines grenzüberschreitenden Sachverhalts eine Inländerdiskriminierung gegeben wäre. Dabei ist er zum Ergebnis gekommen, dass das kollektivvertragliche Entgelt des KVAÜ auch dann zu bezahlen wäre, wenn nach den Regeln der Entsende-RL keine Arbeitskräfteüberlassung vorliegt. Auch bei einer grenzüberschreitenden Entsendung, die keine Überlassung ist, muss gem Art 3 Abs 1 lit c der Entsende- RL und auch der einschlägigen Bestimmungen des Lohn- und Sozialdumping-Bekämpfungsgesetzes (LSD-BG) jenes kollektivvertragliche Entgelt bezahlt werden, das am Arbeitsort vergleichbaren AN von vergleichbaren inländischen AG gebührt. Welche Art der Entsendung iSd Art 1 Abs 3 der Entsende-RL vorliegt, ist insoweit irrelevant. Teurere Kollektivverträge sind daher jedenfalls auch bei grenzüberschreitenden Entsendungen nach Österreich einzuhalten. Somit liegt im Ergebnis keine Inländerdiskriminierung vor, und der OGH sah auch unter diesem Aspekt keine Veranlassung, von der bisherigen Rsp zu § 4 Abs 2 AÜG abzugehen.
Die E des OGH sollte dazu ermutigen, genauer darauf zu achten, ob in der Praxis vergleichbare Beispiele einer „Fabrik in der Fabrik“ vorkommen. Im Fokus steht dabei auch die Frage, wer letztlich über den Einsatz der Arbeitskräfte verfügt. Der Versuch, dies durch formale „Zwischenvorgesetzte“ zu verschleiern, ist ein untauglicher.
Die E hat mehr als deutlich gemacht, wie wichtig es ist, an den klaren und strengen Abgrenzungskriterien des § 4 Abs 2 AÜG festzuhalten. Eine Änderung des Gesetzes iS einer Anpassung an das EU-Recht ist weder geboten noch sinnvoll und sollte daher jedenfalls vermieden werden.91