„Wohlan, die Kammer möge ihre Arbeit beginnen!“
Das AKG 1920 und die AK-Wahlen 1921

 KLAUS-DIETERMULLEY (WIEN)

Vor 100 Jahren, im Laufe des Jahres 1921, fanden die ersten Wahlen der durch das Arbeiterkammergesetz 1920 (AKG)* errichteten Arbeiterkammern statt. Im Anschluss an die Ausführungen zur Frühgeschichte der AK in dieser Zeitschrift* soll nun die Gesetzwerdung des AKG und die Durchführung der AK-Wahlen 1921 behandelt werden.* Mit dem im Titel zitierten Satz schloss die Zeitschrift „Die Gewerkschaft“, das Organ der in der Gewerkschaftskommission zusammengeschlossenen freien (sozialdemokratischen) Gewerkschaften, einen Leitartikel über den „Beginn der Tätigkeit der Arbeiterkammer Niederösterreichs“.*

1.
Handelskammergesetz (HKG) und Arbeiterkammergesetz (AKG)

Bekanntlich hatte die Reichskonferenz der Freien (sozialdemokratischen) Gewerkschaften im November 1917* nach einem publizistischen Vorstoß von Karl Renner* und einem Antrag tschechischer Sozialdemokraten an den Reichsrat* im November 1917 die Forderung nach Errichtung von Arbeiterkammern erhoben.* Konnte ein entsprechender von Franz Domes und Karl Renner ausgearbeiteter Gesetzesentwurf infolge des Zusammenbruchs der Habsburgermonarchie nicht mehr in den Reichsrat eingebracht werden, so waren es im Frühjahr 1919 die Christlichsozialen, die aufgrund eines Beschlusses des „christlichen Arbeiterkongresses für Österreich“ vom September 1918 in der Nationalversammlung am 5.3.1919 beantragten, dass die Regierung aufgefordert wird „ehestens den Entwurf eines Gesetzes, betreffend die Schaffung von Arbeiterkammern, vorzulegen“.* Der am 12.5.1919 tagende Ausschuss für soziale Verwaltung beschloss den Antrag (sowie jenen auf Schaffung einer Staatsangestelltenkammer) „der Regierung zur vollen Würdigung“ zu überweisen.*

In der Zwischenzeit waren jedoch die Wirtschaftstreibenden und das unter christlichsozialer Leitung stehende Staatsamt für Handel und Gewerbe, Industrie und Bauten bereits mehrmals zur Sicherung und Neugestaltung ihrer Handels- und Gewerbekammern in der Nationalversammlung politisch aktiv geworden. Zum einen ging es um die Verlängerung der „wirklichen Mitglieder der Handels- und Gewerbekammern“* und zum zweiten um die Neugestaltung dieser Institution. Bereits am 19.12.1918 hatte die Provisorische Nationalversammlung über die Verlängerung der Funktionsdauer der Kammerräte zu entscheiden. Der Kremser Handelskammerrat Gustav Richter brachte eine Resolution zur Abstimmung, in der das Staatsamt aufgefordert wurde, ehestens einen „Gesetzesentwurf vorzulegen, welcher die Umgestaltung der Handels- und Gewerbekammern in Deutschösterreich den derzeitigen Verhältnissen entsprechend beinhaltet“.* Unterstützt durch Anträge des christlichsozialen Abgeordneten Eduard Heinl* legte das Staatsamt für Handel und Gewerbe, Industrie und Bauten bereits im April 1919 einen Gesetzesentwurf für eine neue Handels- und Gewerbekammer (HK) vor und rief damit den schärfsten Protest der sozialdemokratischen Gewerkschaften hervor. Der Gesetzesentwurf wurde nämlich nicht – wie damals bei wichtigen Gesetzesvorhaben üblich – der Gewerkschaftskommission zur Begutachtung und Beratung vorgelegt.

Im Juni 1919 fasste die Gewerkschaftskommission einen Beschluss, in dem unmissverständlich deutlich gemacht wird, dass über ein neues HKG erst zu entscheiden sein wird, wenn „den Arbeitern, Angestellten und Konsumenten der zeitgemäße gebührende Einfluss gesetzlich sichergestellt sein wird“. Und „die sodann zu schaffenden, bisher den Handelskammern zugedachten Einrichtungen werden nur im Anschlusse an die gesetzlichen Einrichtungen erfolgen können, mit denen den sozialen Interessen der Arbeiter und Angestellten im Wirtschaftsprozeß entsprochen werden soll“.* Festzu- 255 halten ist, dass in dem Protest der Gewerkschaftskommission die Bezeichnung „Arbeiterkammer“ als Gegenpart zu den Handels- und Gewerbekammern vermieden wird. Das nährt die Vermutung, dass in der sozialdemokratischen Gewerkschaftsbewegung sowie in der Sozialdemokratischen Arbeiterpartei (SDAP) Überlegungen angestellt wurden, die ungeliebten Handels- und Gewerbekammern überhaupt zu beseitigen. Stattdessen sollte ein aus AG und AN zusammengesetztes Gremium, ähnlich einem „Wirtschaftsrat“, die Abgeordneten in wirtschaftspolitischen Fragen beraten. Später, am 12.2.1921, machte Ferdinand Hanusch in einem Vortrag in Graz eine entsprechende Andeutung. Hanusch sprach über die „Entwicklung der sozialpolitischen Gesetzgebung in Österreich“ und meinte: „Was die Arbeiterkammern betrifft, so hätten wir sie nicht gebraucht, wenn es gelungen wäre, die Handelsund Gewerbekammer zu beseitigen. Da dies nicht gelang, so mußte ein Gegengewicht gegen ihren schädlichen Einfluß geschaffen werden.“*

2.
Der „Ausschuss für die Vorberatung der Kammergesetze“

Die Christlichsoziale Partei und die Großdeutschen in der Nationalversammlung waren nicht bereit auf die HK zu verzichten. Als Reaktion auf den Protest der Gewerkschaftskommission brachten christlichsoziale und deutschnationale Abgeordnete am 29.7.1919 im Ausschuss für Handel und Gewerbe, Industrie und Bauten eine Entschließung ein, in welcher die Regierung aufgefordert wurde, „den im Staatsamte bereits fertiggestellten Gesetzesentwurf betreffend die Umgestaltung der Handelsund Gewerbekammern bis längstens 30. September l.J. in Vorlage zu bringen“.* Die Entschließung wurde am folgenden Tag von der Nationalversammlung angenommen. Allerdings wurde in der Folge eine politische Vereinbarung der Fraktionen in der Nationalversammlung getroffen, dass die Novellierung des HKG gemeinsam mit einem AKG in einem eigenen parlamentarischen „Spezialausschuss“ zu verhandeln ist. Als dann am 3.12.1919 die Regierung einen Entwurf für ein HKG vorlegte, wurde dieser den am 16.12. beschlossenen „Ausschuss zur Vorberatung der Kammergesetze“ zugewiesen.* Der deutschnationale Abgeordnete Karl Kittinger hegte die Befürchtung, dass dadurch die Beschlussfassung des HKG verzögert werden könnte. Er richtete deshalb an die Staatsregierung die Bitte, „die noch zu gegenwärtigende Vorlage über die Arbeiterkammern, die wir aber lieber durch eine Vorlage über Arbeitskammern ersetzt gesehen hätten, baldmöglichst dem Hause vorzulegen“.*Ferdinand Hanusch versprach, den Entwurf eines AKG in den folgenden Tagen vorzulegen, was denn auch geschah. In der Sitzung vom 16.12.1919 kritisierte der sozialdemokratische Abgeordnete und Angestelltengewerkschafter Karl Pick die Institution der Handelskammern scharf, sah sie als „Schöpfung des Absolutismus“ und als „Teilgesetz“.* Er deutete an, dass die Beratungen des Spezialausschusses zu den beiden Gesetzesvorlagen HKG und AKG zur gesetzlichen Schaffung eines wirtschaftlichen Konsultativgremiums ähnlich des paritätisch zusammengesetzten deutschen „Wirtschaftsrates“ führen sollten. Tatsächlich wurde dann in den Ausschussberatungen über das HKG darauf Bezug genommen, allerdings nicht so, wie sich das die Sozialdemokraten vorgestellt hatten. Christlichsoziale und Großdeutsche ließen sich „ihre“ HK nicht nehmen. Der Ausschuss stellte fest, dass in Deutschland Wirtschaftsräte, „welche die öffentlich-rechtliche Vertretung von Handel, Industrie, Handwerk und Landwirtschaft ausüben und die sich sowohl aus Unternehmern als auch aus Vertretern der Arbeiterschaft und der Verbraucherkreise zusammensetzen sollen“, gegründet werden.* Darauf Bezug nehmend hieß es anschließend im Ausschussbericht: „Damit werden jedoch die einzelnen Interessenvertretungen wie die Handels- und Gewerbekammern, die Landwirtschaftskammern und schließlich auch die Arbeiterkammern nicht überflüssig. Die Schaffung von Wirtschaftsräten setzt vielmehr das Bestehen solcher Interessenvertretungen voraus.“*

Am 19.12.1919 wurde – wie von Hanusch einige Tage vorher versprochen – der Entwurf eines AKG in die konstituierende Nationalversammlung eingebracht und sofort dem „Spezialausschuss“ zur Beratung der Kammergesetze zugewiesen.

Ohne nun den AKG-Entwurf im Detail zu besprechen, zumal er in den Grundgedanken auch heute noch geltendes Recht ist, sollen nur einige prägnante Bestimmungen hervorgehoben und auf die Änderungsvorschläge des „Spezialausschusses“ hingewiesen werden. Letztlich wollten Staatsamt und Parlamentarier durch eine enge Annäherung des AKG an die Bestimmungen des HKG-Entwurfs „die Parität beider Kammerinstitutionen zueinander“ statuieren. So wurden die „Standorte und Sprengel“ der AK nach jenen des HKG bestimmt.*

Nachdem sich das Burgenland noch in Konstituierungsphase befand, die HK Wien auch Niederösterreich betreute und die HK Vorarlberg in Feldkirch ihren Sitz hatte, wurden vorläufig nur sieben Arbeiterkammern (Wien & NÖ, Steiermark, Oberösterreich, Salzburg, Kärnten, Tirol, Vorarlberg) errichtet und die Vorarlberger AK wählte Feldkirch als Standort. Im „Spezialausschuss“ wurden die Aufgaben der AK gemäß jenen der HK gereiht.*

Der AKG-Entwurf enthielt neben der Festlegung des aktiven und passiven Wahlrechts auch detaillierte, die AK-Wahlen betreffenden Bestimmungen. Diese wurden vom Ausschuss gestrichen, da es solche auch im HKG nicht gab. Anordnungen über die Durchführung der AK-Wahl sollten einer vom 256 Staatsamt für soziale Verwaltung zu erlassenden AK-Wahlordnung (AK-WO) vorbehalten sein.

Bedeutsam war jedoch, dass der Ausschuss dem Gesetz eine neue Bezeichnung gab: Sprach die Regierungsvorlage von der „Errichtung von Arbeiterkammern“, so änderte dies der Ausschuss in „Kammern für Arbeiter und Angestellte (Arbeiterkammern)“, womit den Angestellten Rechnung getragen wurde.

Ähnlich den Sektionen für Handel, Gewerbe und Industrie in der HK, gliederte sich die AK vorerst in eine Sektion für Arbeiter und eine zweite für Angestellte.

Ein besonderer Unterschied bestand in den, den Handels- und Gewerbekammern übertragenen gesetzlichen Aufgaben im Bereich der Gewerbe- und Wirtschaftsverwaltung. Zur Erfüllung dieser Aufgaben wurde – gegen die Stimmen der Sozialdemokraten* – ein „Kammeramt“ eingerichtet, dem ein unmittelbarer Wirkungskreis (Industrie- und Gewerbestatistik, Führung der Wahllisten, Wirtschaftsberichte, gesetzliche Registrierungsaufgaben etc) zugewiesen wurde.* Sollten die Kammerämter der HK somit „gleichzeitig als Organe der Staatsverwaltung fungieren“, so wollte man die AK bewusst nicht mit ähnlichen administrativen Aufgaben belasten, da dies interessenpolitisch zu Schwierigkeiten führen könnte: Bestünde doch die Gefahr, „dass das Bureau den von der Kammer in eigenem Wirkungskreis zu erfüllenden Aufgaben zum Teil entfremdet oder die Kammer mit den Kosten eines vergleichsweise großen Beamtenapparates belastet würde“.* Deshalb gab es im AKG statt dem „Kammeramt“ der HK ein „Kammerbureau“.*

Neu eingefügt wurde neben einer Reihe von stilistischen Änderungen ein § 26, der die AK und die HK sowie ähnliche gesetzliche Interessenvertretungen beauftragt, „die in öffentlicher Sitzung unterbreiteten Vorlagen und Gutachten gegenseitig sofort und nach ihrer Fassung oder Unterbreitung auszutauschen“.*

Darüber hinaus nahm der Ausschuss eine von den Christlichsozialen eingebrachte Resolution an, in der es um die Mitwirkung der wahlwerbenden Gruppen bei der Wahlvorbereitung und in den Wahlkommissionen sowie um die Sicherstellung eines für jeden ungehinderten und unbeeinflussten Wahlrechtes ging.* Dies war ein Anliegen der christlichen Gewerkschafter, die eine Mayorisierung durch die um vieles mitgliederstärkeren freien Gewerkschaften befürchteten.

3.
Das AKG im Plenum der Nationalversammlung

Nachdem am 25.2.1921 die Konstituierende Nationalversammlung einstimmig das neue HKG beschlossen hatte, stand am darauffolgenden Tag die Beschlussfassung über das AKG auf der Tagesordnung.* Es hatten sich neben dem Berichterstatter Franz Domes nur jeweils ein Redner aus den Reihen der Deutschnationalen und der Christlichsozialen sowie zwei sozialdemokratische Redner eingetragen. Alle betonten ihr grundsätzliches Einverständnis mit der im Kammerausschuss modifizierten Gesetzesvorlage. Die Mitsprache der Arbeiterschaft an der Gestaltung der volkswirtschaftlichen Verhältnisse wurde nicht in Zweifel gezogen. Nachdem im Kammerausschuss auch eine Petition zur Errichtung eigener Angestelltenkammern diskutiert wurde, sahen alle Redner die Sektionierung der AK in je eine Sektion für Arbeiter und eine für Angestellte als bessere Lösung an. Auch der (sozialdemokratische) Obmann des Zentralvereins der kaufmännischen Angestellten Österreichs, Karl Pick, betonte die Zusammengehörigkeit von Arbeitern und Angestellten in einer Kammer. Es wäre ein Anachronismus, wollte man zwei verschiedene Gebilde schaffen. Diese hätten sich bereits vor ihrer Entstehung überlebt. Der deuschnationale Abgeordnete Karl Kittinger warnte vor einer Politisierung der AK. Franz Spalowsky, Vorsitzender der Zentralkommission der Christlichen Gewerkschaften, betonte eingangs die Bemühungen der christlichen Arbeiterschaft um die Errichtung von Arbeiterkammern. Er berichtete, dass sich die Mitsprache der AN, wie sie in der Monarchie von 1898-1917 im von AN-Vertretern und AG sowie Fachleuten paritätisch besetzten „Arbeitsbeirat des Arbeitsstatistischen Amtes“ ermöglicht wurde, nicht bewährt hatte. Letztlich gaben in diesem Beirat die Fachmänner den Ton an, die sich einmal auf die AG-Seite, dann wieder auf die AN-Seite schlugen.* Von größter Bedeutung sei aber nun, dass – wie HKG und AKG festlegen* – die Kammern auf Wunsch der Staatsämter zur Beratung gemeinsamer Angelegenheiten oder Einrichtungen paritätisch zusammengesetzte Ausschüsse bilden können. Nachdem sich die christlichen Arbeiter bei der Wahl der Gehilfenvertretungen durch den Wahlmodus benachteiligt fühlten, appellierte Spalowsky für eine umfangreiche Wahlordnung, die Missstände ausschließt. Der sozialdemokratische Abgeordnete Anton Hölzl sah das AKG als notwendige Ergänzung der Gesetze über die Betriebsräte und Einigungsämter. Sowohl er wie auch der Berichterstatter Franz Domes und der Angestelltengewerkschafter Karl Pick wiesen darauf hin, dass vorderhand von der Arbeiterschaft an das AKG „keine überschwenglichen Hoffnungen“ gesetzt werden, es aber dennoch von großem Wert ist.

4.
Die AK-Wahlordnung

Das AKG trat drei Monate nach seiner Kundmachung, also am 9.6.1921, in Kraft. In der Zwischenzeit 257 begann – zumindest in Wien – bereits eine hektische Suche nach einem für die AK geeigneten Gebäude.* Am 10.7.1920 wurde per Vollzugsanweisung des Staatsamtes für soziale Verwaltung die Wahlordnung für die Arbeiterkammern erlassen. Diese hatte nur für eine kurze Dauer Gültigkeit. Im Rahmen der nun beginnenden Vorbereitungen zur Durchführung der AK-Wahlen sah man, dass die Anzahl der im Verkehrsbereich angestellten AN so groß ist, dass sie die Sektion der Angestellten in der AK wohl dominiert hätte. Dazu kam der Wunsch der Eisenbahnangestellten nach einer eigenen ihrer Personalvertretung entsprechenden Sektion. So standen etwa in Wien im Rahmen der AK-Wahl 122.157 in das Wählerverzeichnis eingetragenen Angestellten 83.004 Verkehrsangestellten gegenüber. Zweifellos hatten die zum großen Teil in Staatsbetrieben beschäftigten Verkehrsangestellten spezifische Interessen, die mit den „Privatbeamten“ oder Handelsangestellten relativ wenig gemein hatten. Am 29.7. brachten denn auch der sozialdemokratische Eisenbahngewerkschafter Josef Tomschik und der Angestelltengewerkschafter Karl Pick einen entsprechenden das AKG abändernden Antrag in die Nationalversammlung ein,* der am 30.9.1920 im Ausschuss für soziale Verwaltung beraten wurde. Der Ausschuss kam zur Ansicht, dass man zwei – für die Verkehrsangestellten und -arbeiter getrennte – Sektionen in jeder AK bilden sollte. Die Christlichsozialen verbanden ihre Zustimmung mit der Annahme einer Resolution, die für die neue AK-WO den Sonntag als Wahltag bestimmte und den Wohnort als Abstimmungsort ermöglichte.* Am 1.10.1920 beschloss die Nationalversammlung wie im Ausschuss vereinbart zwei neue Sektionen in jeder AK für die Arbeiter und Angestellte der „dem öffentlichen Verkehr dienenden Unternehmungen (Eisenbahn, Dampfschifffahrt, Post, Telegraphie)“.*

Am 10.11.1920 wurde die neue, an die Änderung des AKG angepasste Wahlordnung erlassen.* Sie bestimmte den Sitz der sieben Arbeiterkammern wie im AKG vorgesehen und die in jeder AK und in jeder Sektion einer AK zu vergebenden Mandate. Sie enthielt Bestimmungen über die Anordnung und Leitung der Wahlen, über die Aufgaben der Hauptwahl- und Zweigwahlkommissionen sowie über das Anlegen der Wählerlisten, das Einbringen der Wahlvorschläge, das Abstimmungsverfahren und über die Feststellung des Wahlergebnisses. Die AK-WO wurde durch eine umfangreiche vom Ministerium erlassene „Instruktion“ ergänzt.

Nachdem gegen Ende 1920 das BM für soziale Verwaltung die Vornahme der AK-Wahlen angeordnet hatte, wurden von den Hauptwahlkommissionen die Termine für die AK-Wahlen bekanntgegeben: Am Samstag, den 19. und Sonntag, den 20.2.2021 startete die AK-Wahl in Wien und Niederösterreich, darauf folgte am 5. und 6.3.1921 Salzburg, eine Woche danach wurde in der Steiermark (12./13.3.) gewählt und am darauffolgenden Wochenende in Oberösterreich (19./20.3.). Erst ein Monat später, am 16. und 17.4.2021, fand die AK-Wahl in Tirol statt und Vorarlberg fixierte den 23. und 24.4. Die Kärntner AN wählten am 7., 8. und 9.1.1922.

Wie sich zeigte, kam es auf bürgerlich-deutschnationaler Seite zu zahlreichen Listenkoppelungen zwischen christlichen und deutschvölkischen Gewerkschaften. Die von den wahlwerbenden Gruppen eingereichten Listen enthielten überwiegend die Namen von Gewerkschaftsangestellten oder -funktionären. Sie wurden im Rahmen der Wahlagitation zum Teil veröffentlicht. Beispielsweise enthielt die Kandidatenliste der „christlichen Arbeiterschaft“ für die AK-Wahl in Oberösterreich auf den ersten zehn Plätzen fünf Gewerkschaftssekretäre, zwei Gemeinderäte, einen „Arbeitersekretär und Redakteur“ sowie zwei Arbeiter ohne Angabe politischer Funktionen.* Die sozialdemokratischen Frauen bedauerten, dass sich unter den freigewerkschaftlichen KandidatInnen für die AK Wien nur fünf Frauen befanden: „Das ist wenig, sehr wenig, aber es kommt dabei nur die bedauerliche Tatsache zum Ausdruck, dass die Arbeiterinnen an dem organisatorischen Leben viel zu wenig Anteil nehmen.“*

Die Erfassung der Wahlberechtigten oblag den Zweigwahlkommissionen, die aber vollkommen vom Goodwill der AG abhängig waren. Die AG wurden gegen Androhung einer Geldstrafe verpflichtet, der zuständigen Behörde erster Instanz detaillierte Verzeichnisse ihrer AN binnen drei Wochen nach der Ausschreibung der Wahl abzugeben. Die Behörde hatte diese Listen an die Zweigwahlkommissionen weiterzuleiten, die zusammen mit eventuell von anderer Seite zur Verfügung gestellten Verzeichnissen die Wählerliste festlegte und veröffentlichte.*

Gewählt wurde im Ort (Gemeinde/Bezirk) des Betriebsstandortes. Für größere Betriebe waren eigene Wahlkommissionen vorgesehen. Eine Abgabe des Stimmzettels am Wohnsitz des/der WählerIn war möglich, wurde jedoch als „umständlich“ bezeichnet. Die Freien Gewerkschaften fanden es daher „ratsam, dass alle Arbeiter und Angestellten gemeinsam sofort nach Betriebsschluss zu ihrer zuständigen Wahlkommission gehen und ihr Wahlrecht ausüben“.*

Der Wahlakt wurde entweder durch die von den Organisationen aufgelegten bzw verteilten Stimmzettel oder durch ein in der Wahlzelle auszufüllendes Formular ausgeübt. Jede wahlwerbende Gruppe in jeder Sektion jeder Kammer hatte einen eigenen Stimmzettel. Die entsprechenden Stimmzettel konnten in den Sekretariaten der politischen Organisation abgeholt werden. Beispielsweise lauteten die Stimmzettel für eine Wiener AK-Sektion: „Die Gruppe der Arbeiter. Stimmzettel für die Liste der der Gewerkschaftskommission angeschlossenen freien Gewerkschaften (Arbeitergruppe) Listenführer: Franz Domes. Vorsitzender des Verbandes der Metallarbeiter.“*258 Nach dem Wahlgang waren die Mandate nach den Vorschriften der Nationalratswahlordnung zu berechnen und kund zu tun.*

5.
Wahlagitation

Der Wahlkampf zu den AK-Wahlen wurde in betrieblichen und außerbetrieblichen gewerkschaftlichen Veranstaltungen, an Gewerkschaftstagen, in Partei- oder Vereinsveranstaltungen sowie in der Gewerkschafts- und Parteipresse geführt.

Ende Jänner 1921 startete die Wahlagitation der Sozialdemokraten für die AK-Wahlen in Wien und Niederösterreich mit dem Aufruf „Rüstet zu den Wahlen in die Arbeiterkammer!“.* Die AN wurden aufgefordert zu kontrollieren, ob sie auch in den Wählerlisten korrekt eingetragen sind, denn „es gilt ein neues Kampfmittel zu erobern“. In einem großen Leitartikel der „Arbeiter-Zeitung“ im Februar 1921 wurde den AN die Notwendigkeit von Arbeiterkammern erklärt. Neben BetriebsrätInnen und Gewerkschaften „fehlte bisher die Institution, die nach dem Gesetz berufen ist, die Interessen der Arbeiter und Angestellten gegenüber Staat und Gesellschaft zu vertreten. Diese Lücke ist durch die Institution der Arbeiterkammer ausgefüllt“.* Zum zweiten wurde die Stimm abgabe für die Freien (sozialdemokratischen) Gewerkschaften zur Pflicht gemacht. Die christlichen und deutschnationalen Gewerkschaften wurden des „Arbeiterverrats“ und der „Arbeiterspaltung“ bezichtigt und den Kommunisten wurde „Sonderbündelei“ unterstellt, da sie die „Einheit der gewerkschaftlichen Aktion“ durchbrachen. Und später hieß es von Seiten der Sozialdemokraten: „In der Arbeiterkammer ist kein Platz für Arbeiterverräter, gelbe „Gewerkschafter“, christliche und deutschvölkische Vereinsmeier haben dort nichts verloren. Die Arbeiterkammer soll aber auch kein Diskutierclub, keine Arena für Parteikämpfe sein, daher ist in ihr auch für die Kommunisten kein Raum.“* Die Kommunisten verwahrten sich gegen den Vorwurf, die „linken“ Gewerkschaften zu spalten. Sie behaupteten, die (sozialdemokratische) Gewerkschaftskommission gebeten zu haben, einige Listenplätze für kommunistische Gewerkschafter zu reservieren. Dies ist aber nicht geschehen: „Somit waren die kommunistischen Arbeiter innerhalb der Freien Gewerkschaft durch den Übermut der Gewerkschaftskommission gezwungen einen eigenen Wahlvorschlag einzubringen, da sonst ihre Ansichten und ihr Wille völlig unterdrückt gewesen wären.“*

Die Christlichsozialen dagegen betonten in ihrer Wahlpropaganda die großen weltanschaulichen Gegensätze: „Klassenkampf, Umsturz, Sozialismus und Materialismus stehen auf der einen Seite und Klassenversöhnung im Sinne christlicher Bruderliebe, werktätige Hilfe für Volk und Vaterland, eine Sozialreform (...) so stellt sich das Bild auch in diesem Wahlkampf dar.“* Die Christlichsozialen warben um Stimmen, „damit der Plan der Sozialdemokraten aus den Kammern ein Instrument des wüstesten Klassenkampfes zu machen, vereitelt werde“.* Die christliche Arbeiterpresse ereiferte sich darüber hinaus in wüstem Antisemitismus:*

Arbeiter dürfen nicht ihr Schicksal jenen anvertrauen, „die auf Tod und Leben mit Revolutionsjuda verbunden sind“. Die Angestellten kommen nicht aus ihrer Not heraus, da „ihre wirtschaftlichen Kämpfe von einigen herrschgierigen Judenführern der Sozialisten fortwährend zur Erreichung ihrer politischen Ziele ausgenützt werden“. Im Übrigen wurde den christlichen AN in Wien empfohlen, eventuell im Betrieb verteilte Stimmzettel der Freien Gewerkschaften – „um unnötige Zwischenfälle zu vermeiden“ – nicht abzulehnen, jedoch in der Wahlzelle den Stimmzettel „Liste: Christliche Gewerkschaften“ in das Wahlkuvert zu stecken.*

In allen Arbeiterkammern kam es in einigen (in Salzburg und Kärnten in allen) Sektionen zu einer Listenkoppelung von christlichen und deutschvölkischen Gewerkschaften. Man gab sich auf Seiten dieser Wahlgemeinschaften der Illusion hin, damit eine Mehrheit der Sozialdemokraten zu verhindern. Nachdem in den ländlichen Regionen auch die AN kleiner und kleinster Betriebe zur Wahl aufgerufen wurden, glaubte man mit diesem nichtorganisierten AN-Potential, die Dominanz der freien Gewerkschaften zu brechen. Vor allem in der Angestelltensektion hoffe man auf Stimmen verbürgerlichter AN. Doch auch in jener Sektion, in der christliche und deutschnationale Gewerkschaften nur eine sehr kleine Anhängerschaft hatten, wie etwa im Verkehrsbereich, glaubte man, durch ein entsprechendes Bündnis Mandate zu bekommen. So etwa galt für die christlichen Verkehrsarbeiter und -angestellten in Wien der Stimmzettel mit der Aufschrift: „Ich wähle die Arbeitsgemeinschaft der Verbände nationaler und christlicher Verkehrsangestellter und Arbeiter und des Deutschösterreichischen Eisenbahnbeamtenvereins.“* Grundsätzlich trafen sich die christlichen und deutschvölkischen GewerkschafterInnen in der Formulierung des Zieles, dass jede nichtsozialdemokratische Stimme „ein feierlicher Protest gegen die Sozialdemokratie und deren unerträglichen Terror“ sei.* Darüber hinaus bestanden in einem unterschiedlichen Ausmaß neben einem fanatischen Antisemitismus auch ideologische Gemeinsamkeiten, wie etwa ein sozialharmonisches Wirtschaftsleben sowie Vorstellungen von einer nach Ständen gegliederten Gesellschaft.

6.
Das Wahlergebnis der AKWahlen 1921

Tabelle: Ergebnis der AK-Wahl 1921*259

AK WienAK StmkAK OÖAK TirolAK SbgAK KtnAK VbgSumme
Wählerzahl546.963115.52373.65133.98619.07134.12015.088838.402
Abgegebene Stimmen354.22278.58258.46320.45115.31519.01710.818556.868
Wahlbeteiligung in %64,7668,0279,3860,1780,3155,7471,766,42
Freie Gewerkschaften300.45270.84448.89213.66512.25516.0156.015468.138
Christliche Gewerkschaften15.3311.7302.9082.5193.18925.677
DtVölkische Gewerkschaften7.2437267.969
Christlich/DtVölkische Gew.16.0816.0085.3834.1333.0603.00288838.555
Kommunisten13.8541.28013415.268
Sonstige1.2611.261

Die hier berechnete Wahlbeteiligung bezieht sich auf eine „Wählerzahl“ und nicht – wie oft fälschlich angegeben – auf die Anzahl der Wahlberechtigten. Die „Wählerzahl“ bezeichnet die Anzahl der von den AG gemeldeten und im Wählerverzeichnis eingetragenen AN: „Die Wählerzahl laut den Wähler listen betrug für das ganze Bundesgebiet 838.402, während die Zahl der tatsächlichen Wahlberechtigten auf etwas über eine Million geschätzt werden kann.“*

Tabelle: Anzahl der Mandate in den AK-Vollversammlungen nach wahlwerbenden Gruppen*

AK WienAK StmkAK OÖAK TirolAK SbgAK KtnAK VbgSumme
Freie Gewerkschaften114584833313422340
Christliche Gewerkschaften51281430
DtVölkische Gewerkschaften246
Christl/DtVölkische Gew.55799641
Kommunisten44
GESAMT130645750404040421

Von den insgesamt zu vergebenden 421 Mandaten erhielten 1921 die freien Gewerkschaften 341 Mandate, die christlichen Gewerkschaften 30 Mandate, die deutschvölkische Gruppierung 6 Mandate, die Arbeitsgemeinschaften von christlichen und deutschvölkischen Gewerkschaften 41 und die Kommunisten 4 Mandate. Trotz der Sektionierung der Kammern in vier Sektionen kam den in jedem zweiten Monat einzuberufenden Vollversammlungen eine zentrale Bedeutung zu. Neben Arbeiter- und Angestelltentagen trat einmal im Jahr der „Kammertag“ zusammen, der aus den Vorständen aller Arbeiterkammern gebildet wurde.*

7.
„Tag der Schmach und Schande“?

„Ein Tag der Schmach und Schande!“, so betitelte die „Christlichsoziale Arbeiter-Zeitung“ ihre Analyse der AK-Wahlen in Wien.* Damit war aber nicht das ohnehin zu erwartende schlechte Wahlergebnis der christlichen Gewerkschafter gemeint, sondern der Wahlvorgang. Dieser „war eine einzige freche Verhöhnung der Würde der Arbeiterschaft, der Wahlfreiheit und des Wahlgeheimnisses“. Die Christlichen GewerkschafterInnen kritisierten, dass die AN in großen Betrieben von den Betriebsräten geschlossen zur Wahl gehen mussten, dass die Stimmabgabe „unter der Kontrolle der Betriebsräte, teilweise sogar unter Mitwirkung der Betriebsräte und Vertrauensmänner“ vollzogen und die Wahlzelle „in zahlreichen Fällen außer Gebrauch gesetzt“ wurde. Die Sozialdemokraten hätten sich nun in der Wiener Arbeiterkammer „eine Mehrheit geschaffen, die schrankenlos schalten und walten kann“. Und doch sei das Ergebnis für die Sozialdemokraten nicht so glänzend gewesen, denn die Wahlbeteiligung sei mit rund 50 % niedrig, viele AN hätten sich „angeekelt von dem Treiben der Sozialdemokraten in der Furcht, dass das Wahlgeheimnis nicht gesichert und dadurch ihre Existenz bedroht ist, der Wahl enthalten“. Die christlichen AN aber werden – so endet der Leitartikel der Christlichsozialen Arbeiter-Zeitung – weiter kämpfen für „die Befreiung der Arbeiterschaft aus jüdischer Bevormundung und sozialdemokratischer Tyrannei“.

Nur wenige Tage nach der Wiener AK-Wahl wurde das Wahlergebnis von der „Zentralkommission der christlichen Gewerkschaften“ angefochten. In der Wahlanfechtung vom 22.3.1921 wurde behauptet, dass durch „Vorgänge rund um die Wahlen das Ergebnis zu Ungunsten der christlichen Gewerkschaften beeinflusst“ worden war.* In der Eingabe wurde Kritik daran geübt, dass Betriebsräte AN zur Wahl geführt haben, dass es angeblich in bestimmten Orten keine Wahlzellen gab, dass die Zulassung zur Wahl in manchen Orten nicht dem Wählerverzeichnis entsprach und dass AN mit Entlassung gedroht wurde, sollten sie nicht freigewerkschaftlich wählen.* Wiewohl Zeugen für die Behauptungen angeboten wurden, verwarf das 260 Sozialministerium als Aufsichtsbehörde die Wahlanfechtung.

8.
„Die Arbeiterkammer unser!“

Die freien Gewerkschaften feierten ihren Wahltriumph mit dem Slogan „Die Arbeiterkammer unser!“:*„Und was rechts oder links von ihnen da mitgelaufen ist, liegt zerschmettert am Boden.“ Die Wahl wurde „wahrlich ohne Terror“ vollzogen und bestätigte die gewerkschaftlichen Machtverhältnisse. Besonders freute die Sozialdemokraten, dass 75 % der Angestellten die freien Gewerkschaften wählten, galten diese doch als „Armeereserve“ der christlichen und deutschnationalen Gewerkschaften. Die Wahl hat „den Dunst, der christliche und deutschvölkische ‚Gewerkschaften‘ umhüllte“, zerrissen, denn „hinter diesen Vereinchen steht nichts als Pfaffentroß und Burschenherrlichkeit – die Arbeiterschaft ist in den freien Gewerkschaften“.

Vom gesamtösterreichischen Ergebnis her mussten die freien Gewerkschaften mit dem Wahlergebnis sehr zufrieden sein. Sie hatten in allen Arbeiterkammern in den Vollversammlungen die absolute Mehrheit der Mandate, mit Ausnahme von Tirol und Vorarlberg sogar zum Teil weit über eine 2/3-Mandatsmehrheit erreicht. Allerdings gab es einen Wehrmutstropfen: Die freien Gewerkschaften hatten 1921 rund eine Million Mitglieder.* Es wurden aber nur weniger als die Hälfte der Mitgliederanzahl an Stimmen für die freien Gewerkschaften abgegeben. „330.000 gewerkschaftlich organisierte Arbeiter zählte Wien, davon haben nur 112.525 ihr Wahlrecht gebraucht, ein Drittel!“, beklagte der Grazer „Arbeiterwille“.* Somit litt die Wahl unter einem nicht geringen – auch gewerkschaftlichen – Mobilisierungsproblem.

9.
Resümee

Die AK-Wahl 1921/22 brachte den freien Gewerkschaften durch die große Anzahl ihrer Mitglieder den zu erwartenden Erfolg. Allerdings wurden in diesem Wahlgang bei der Erstellung der Wählerlisten und der Wählermobilisierung zahlreiche Schwächen sichtbar, die zum Teil den (politischen) Zeitumständen, zum anderen Teil aber auch der AK-WO geschuldet waren.

  • Die Errichtung der AK war 1919/20 ein Projekt der politischen Eliten. Die Zeit, diese neue Institution den AN zu erklären, war zu kurz. Betriebsrätegesetz und Einigungsamtsgesetz erforderten allein bereits die höchste Aufmerksamkeit des organisierten Teils der Arbeiterschaft: „Viele Arbeiter stehen den kommenden Arbeiterkammerwahlen interessenlos gegenüber. Das kommt daher, weil sie von dem Wesen solcher Einrichtungen wenig wissen. Die meisten Arbeiter glauben, dass ihnen die Arbeiterkammern sehr wenig werden bieten können.“*

  • Zumindest im Westen Österreichs, wo die Gewerkschaften vergleichsweise schwach waren, stand man in Hinblick auf eine nun zusätzliche Erschwernis bei der Mitgliederrekrutierung den Arbeiterkammern mit einer gewissen Skepsis gegenüber.*

  • Die Organisation der Arbeiterräte, vielfach durch Wahlen legitimiert, die Gewerkschaften jeglichen Couleurs und selbstverständlich die politischen Parteien versprachen lokal, regional und auf staatlicher Ebene politische Partizipation. Die zahlreichen Wahlen 1919 bis 1921 und Aufrufe zu Abstimmungen lassen wohl zu Recht eine gewisse „Wahlmüdigkeit“ in der Bevölkerung vermuten.*

Abgesehen von diesen für die Abhaltung von AK-Wahlen nicht gerade förderlichen „äußeren“ Umstände, die durch eine katastrophale wirtschaftliche Lage verstärkt wurde, stellten der AK-Wahlmodus nach Sektionen, die Erfassung der Wähler und weitere Bestimmungen in der AK-WO, wie etwa die Stichtagsregelung, Hindernisse für einen unkomplizierten Wahlgang dar.

  • Die Wahlberechtigung war zu einem guten Teil vom Goodwill der AG abhängig. Sie hatten ihre AN zu melden. Viele taten das trotz Strafandrohung nicht. So wurde aus Tirol gemeldet, dass wiewohl die Einreichfrist der Wählerverzeichnisse bereits abgelaufen war, über eintausend AG noch keine Meldung über ihre AN gemacht haben.*

  • Handels- und Gewerbekammern und Sozialversicherungsinstitute beteiligten sich kaum an der Wählererfassung, wiewohl sie verpflichtet waren, die erforderlichen Auskünfte zu erteilen.*

  • Trotz wiederholter Aufforderung in der Presse und wohl auch bei Veranstaltungen kontrollierten viel zu wenige AN das aufliegende Wählerverzeichnis und machten von ihrem Einspruchsrecht Gebrauch: Der „Arbeiterwille“ schrieb: „Wenn man weiß, dass in Graz allein mindestens 20.000 Arbeiter und Angestellte in der Wählerliste fehlen, dass es in der Provinz teilweise noch ärger ist, dann muss man geradezu entsetzt über solche Gleichgültigkeit bei einer für die Arbeiterklasse so bedeutsamen Einrichtung sein!“

  • Als Flop stellte sich die von den Christlichsozialen politisch durchgesetzte Möglichkeit der Wahl an einem Sonntag im Heimatort dar. „Von dem Weg von der Hl. Messe ins Wahllokal“261 machten nur wenige AN Gebrauch: So etwa wurden bei den AK-Wahlen für Wien und Niederösterreich nur 8.469 Stimmen in der Heimatgemeinde abgegeben. Davon waren – wie sich in der Hauptwahlkommission herausstellte – 46 % nicht in den Wählerlisten verzeichnet, somit ungültig. Darüber hinaus standen der administrative Aufwand und die anfallenden Kosten in keinem Verhältnis zur gewonnenen Stimmenanzahl.*

Unbeeinflusst von der Kritik an den ersten AKWahlen und den Klagen über eine zu geringe Akzeptanz durch die Masse der AN* gelang es den Arbeiterkammern bald durch die Rekrutierung engagierter MitarbeiterInnen, durch fachlich wertvolle Gutachten (Stellungnahmen) und durch den Aufbau eines breiten Netzwerkes sozial engagierter WissenschaftlerInnen höchste Anerkennung in der Administration und bei den politischen Parteien zu erreichen.