Funk/Melzer-Azodanloo (Hrsg)Arbeiten in Würde – Festschrift für Günther Löschnigg

Verlag des ÖGB, Wien 2019, 1.304 Seiten, gebunden, € 98,–

GERHARD KURAS (WIEN)

„Der Schwarz/Löschnigg“ war das erste Buch, das mir die Kollegen aus der Arbeitsgerichtsbarkeit 1986 als systematische Darstellung des Arbeitsrechts empfohlen haben. Erstmals bei einem Vortrag erlebt habe ich Löschnigg in Zell am See zum Thema der neu geschaffenen Bestimmungen des § 96a ArbVG, damals schon mit einer sehr vorausblickenden Analyse der Probleme der Datenverarbeitung im Zusammenhang mit dem Arbeitsverhältnis. Ein weiterer Berührungspunkt war naturgemäß die Funktion des Geehrten als Leiter der Rechtsschutzabteilung der Gewerkschaft der Privatangestellten.

Diese Breite des beruflichen Lebensweges – Dogmatiker – Forscher – Praktiker – und auch die über das rein Juristische hinausgehende Ausbildung und Interessenlage spiegelt sich in der Festschrift wider.

Die Festschrift ist eine Fundgrube niveauvoller und auch für PraktikerInnen hochinteressanter Beiträge, die es verdienen, die Aufmerksamkeit einer breiten (Fach-)Öffentlichkeit zu erlangen. Dies mit der Besprechung zumindest eines mehr oder weniger großen Teils zu erreichen, scheitert hier schon daran, dass allein die bloße Aufzählung der Beiträge den zur Verfügung stehenden Rahmen sprengen würde. Unglaubliche 86 Beiträge von 90 hochrangigen AutorInnen aus Wissenschaft und Praxis haben zu Ehren des Jubilars auf 1.278 Seiten ihre scharfsinnigen und weitblickenden Analysen und Gedanken ausgebreitet und machen das Werk schon von Umfang und Gewicht her zu einer ganz besonderen Festschrift.

Systematisch gegliedert sind die Beiträge in vier Bereiche – „Österreichisches Arbeits- und Sozialrecht“ – „Europäisches und internationales Arbeits- und Sozialrecht“ – „Weitere Rechtsgebiete und Fächerübergreifendes – national und international“ sowie „Über das Recht hinaus“. Um den vorgegebenen Rahmen des Umfangs der Besprechung auch nur annähernd halten zu können, kann ich nur die Beiträge in arbeitsrechtlichen, mehrfach angesprochenen Themenfeldern hervorheben:

Im Bereich „Österreichisches Arbeits- und Sozialrecht“ finden sich Beiträge etwa zu den Themenfeldern Arbeitszeitrecht von Felten (Zur Zulässigkeit einseitiger Eingriffe in das Gleitrecht des Arbeitnehmers), Friedrich (Arbeitszeit neu und All-In-Vereinbarungen – ein nicht zu lösender Widerspruch?) und Klein (Die Abgeltung von Überstunden jenseits der 10. Stunde täglich und der 50. Stunde wöchentlich), Kündigungsschutz von Jabornegg (Zur Kündigung befristeter Arbeitsverhältnisse) und Wachter (Der Konkretisierungszeitpunkt beim allgemeinen Kündigungsschutz), Diskriminierungsrecht von Drs (Der „persönliche“ Feiertag), Gahleitner (Diskriminierung im Zusammenhang mit Betriebspensionsansprüchen), Mosing (Diversity in der Arbeitsrechtsgesetzgebung), Risak (Das Verbot der Diskriminierung wegen der Weltanschauung – Reflexionen zu einem bislang wenig beachteten Diskriminierungsmerkmal) und kollektives Arbeitsrecht von Burger (Drittelbeteiligung der Belegschaft im Aufsichtsorgan eines karitativen Dachvereins?), Karl (Umgehung der Frauenquote im Aufsichtsrat durch Unterlassung der Entsendung), Melzer-Azodanloo (Die Rückkehr des Generalkollektivvertrags – ein paar Anmerkungen zu Grenzen und Möglichkeiten autonomer Kräfte im österreichischen Arbeitsrecht), Naderhirn (Betriebsverfassungsrecht und arbeitnehmerähnliche Personen), Schindler (KV-Interpretation: Wann ordnen frühere KV-Normen die Abdingung nachgiebigen Gesetzesrechts an?), Schneller (Minderheitenrechte im Kollektivorgan Betriebsrat) sowie an der Schnittstelle zu den Grundrechten von Schoditsch (Grundrechte und kollektives Arbeitsrecht).

Der Bereich „Europäisches und internationales Arbeitsrecht und Sozialrecht“ enthält zahlreiche Beiträge zum Themenfeld Grundrechte, etwa von Benedek (Menschenrecht auf Privatleben am Arbeitsplatz), Brameshuber (Privatautonomie und § 611a ABGB), Brecht-Heitzmann (Diskriminierung wegen des Geschlechts im deutschen Arbeitsrecht), Hendrickx (The European Pillar of Social rights: prospects for the future of labour law), Fernandes/Alves (The concept of Harrassment in european Labour law), Ranic (Unlawful Workplace Discrimination against Homosexuals, Transsexuals and Transgender People) sowie zahlreichen Darstellungen der Situationen in einzelnen Staaten. Arbeiten zu diesem Themenfeld finden sich aber auch in den nachfolgenden Bereichen, so in den „Weiteren Rechtsgebieten“ etwa die Arbeit von Mair (Entwicklungstendenzen im Antidiskriminierungsrecht) oder im letzten Abschnitt – „Über das Rechts hinaus“ – jene vom Acham (Mutmaßungen über die Zukunft gewisser Formen von Ungleichheit) oder Koller (Behinderung und soziale Gerechtigkeit).

Im Bereich „weitere Rechtsgebiete“ finden sich dann noch Schwerpunkte zum Themenfeld Datenschutzrecht263mit Beiträgen von Bergauer (Erwägungen zu Art 88 DSGVO „Datenverarbeitung im Beschäftigungskontext) und Goricnik (Gesetzlich eingerichtete weisungsfreie Kollegialorgane als datenschutzrechtliche Verantwortliche) sowie Haftungsrecht mit Beiträgen von Grünwald (Strategien zur Vermeidung der Haftung von Leitungsorganen bei einem Verschulden von Mitarbeitern) sowie Kerschner (Zum Freistellungsanspruch im österreichischen Zivilrecht, insbesondere auch bei der Dienstnehmerhaftung).

Der Aufforderung der Redaktion, mich wissenschaftlich mit den Ausführungen und Thesen des Werkes auseinanderzusetzen, kann ich mich selbst beschränkt auf mehrfach angesprochene Themenfelder im Arbeitsrecht nur ansatzweise und nur auf einer Metaebene nähern. Vergleicht man die Festschrift mit jenen vor 20 Jahren, so fällt auf, dass der Anteil der Arbeiten mit Grund- und Europarechtsbezug drastisch zugenommen hat. Die systematische Verknüpfung dieser Bereiche liegt – wie schon die Erfassung in unterschiedlichen Abschnitten zeigt – noch in den Anfängen. Für den gerichtlichen Alltag ist aber eine solche Trennung nicht relevant, weil alle Ebenen – unions- und nationale (Grund-)Rechte – zur einer konkreten Entscheidung (Rechtsfolgeanordnung) zu verschmelzen sind. Dabei zeichnen sich gerade die Grundrechte dadurch aus, den im Arbeitsrecht besonders bedeutsamen kollektiven Rechtserzeugungsmechanismen Grenzen zu setzen und ihre Ergebnisse im Einzelfall in Frage zu stellen, also die Vorhersehbarkeit gerichtlicher Entscheidungen zu verringern. Gerade jene Beiträge, die die gewachsenen dogmatischen Rahmenbedingungen des österreichischen Arbeitsrechts ausleuchten und Impulse aus dem Unionsrecht systematisch einordnen (vgl dazu etwa auch zu den Auswirkungen der RL [EU] 2017/2359 für Versicherungsanlageprodukte auf Versicherungsangestellte Mosler, Änderung von Provisionssystemen), bieten da eine wichtige Unterstützung. Wenn es gelingt, auch für diese Schnittstellen allgemein akzeptierte dogmatische Grundlagen zu finden, so wird die Vorhersehbarkeit und Akzeptanz gerichtlicher Entscheidungen verbessert. Es ist erfreulich, dass besondere Geburtstage von Menschen, die sich der Aufgabe einer systematischen Durchdringung des Arbeitsrechts gewidmet haben, auch noch Anlass sind, diese weiter zu fördern. Insoweit scheint die Hoffnung nicht zu verwegen, dass künftige Richtergenerationen auch auf Werke zurückgreifen werden können, die schon ein systematisch aufgearbeitetes gemeinsames Bild von Unions- und österreichischem Arbeitsrecht bieten. Das vorliegende Werk ist jedenfalls ein Spiegel des Standes und ein Beitrag zu dieser Entwicklung, vor allem aber auch höchst interessant und anregend zu lesen.