RedderDer verfassungsrechtliche Schutz von Whistleblowern

Duncker & Humblot Verlag, Berlin 2020, 276 Seiten, € 79,90

DIETMARJAHNEL (SALZBURG)

Der englische Begriff Whistleblower hat keine unmittelbare Entsprechung in der deutschen Sprache, am nächsten kommen ihm noch die Bezeichnungen Hinweisgeber, Enthüller oder Aufdecker. Verstanden wird darunter eine Person, die für die Allgemeinheit wichtige Informationen aus einem geheimen oder geschützten Zusammenhang an die Öffentlichkeit bringt. Dazu gehören typischerweise Missstände oder Verbrechen wie Korruption, Insiderhandel, Menschenrechtsverletzungen, Datenmissbrauch oder allgemeine Gefahren, von denen der Whistleblower an seinem Arbeitsplatz oder in anderen Zusammenhängen erfahren hat. In der Realität betreffen die Enthüllungen meist Vorgänge in der Politik, in Behörden und in Wirtschaftsunternehmen.

Durch ihre Offenlegungen sorgen Whistleblower für Transparenz bzw für die nachfolgende Aufdeckung von Missständen, wobei die Folgen für die Hinweisgeber selbst selten positiv sind. Um innerhalb der Europäischen Union zumindest einen Mindestschutz für Hinweisgeber zu gewährleisten, hat der europäische Gesetzgeber die „Richtlinie zum Schutz von Personen, die Verstöße gegen das Unionsrecht melden“ beschlossen, die die Mitgliedstaaten zur Einführung entsprechender legislativer Maßnahmen bis zum 17.12.2021 verpflichtet. Die Vorgaben dieser RL (EU) 2019/1937 sind nicht Gegenstand des hier besprochenen Werkes, welche die Druckfassung der Dissertation des Autors darstellt, und das bereits vor Inkrafttreten der EU-RL abgeschlossen wurde. Vielmehr geht es hier um die Frage, in welchem Umfang sich aus dem deutschen Verfassungsrecht ein Schutz von Whistleblowern ergibt.

Jan-Philipp Redder widmet sich zunächst der Eingrenzung und der sinngemäßen Übersetzung des Begriffs „Whistleblowing“ und stellt in der Einleitung die praktische Bedeutung seiner Arbeit anhand von drei Praxisfällen vor: 1. Fall Werner Pätsch (Aufdeckung eines Abhörskandals beim Bundesamt für Verfassungsschutz), 2. Fall Edward Snowden (Abhörskandal NSA [National Security Agency]) und 3. Fall Brigitte Heinisch (Missstände im Pflegeheim der Vivantes GmbH).

Im Kapitel über den grundrechtlichen Schutz von Whistleblowing befasst sich der Autor recht ausführlich mit den Art 5 Abs 1 Satz 1 GG (Meinungsfreiheit) und dem Art 4 Abs 1 GG (Gewissensfreiheit). Dabei kommt er vor allem zum Ergebnis, dass das (deutsche) Grundrecht auf Meinungsfreiheit auch auf anonym ergehende Meldungen anwendbar ist. Wie bei einer Dissertation an einer deutschen Universität zu erwarten ist, liegt der Fokus der Überlegungen auf den Grundrechten im deutschen Grundgesetz. Die Behandlung der korrespondierenden Grundrechte in Art 10 Abs 1 und Art 9 Abs 1 EMRK sowie in der EU-Grundrechtecharta und dem Internationalen Pakt über bürgerliche und politische Rechte (IPBPR) bleibt recht kursorisch, was aus der Sicht eines österreichischen Lesers bedauerlich ist. 272

Der dritte Teil der Arbeit widmet sich den Fragen rund um die Zulässigkeit von internem Whistleblowing. Hiebei wird zwischen dem „privatem Sektor“ und dem „öffentlichem Dienst“ unterschieden. Redder kommt zum Ergebnis, dass in beiden Bereichen ein Recht zum internen Whistleblowing besteht. Ebenso kann sich je nach dem Verursacher und der Schwere des Missstandes auch eine Pflicht zum internen Whistleblowing ergeben.

Der vierte – und mit 150 Seiten ganz klar als Kernkapitel des Buches erkennbare – Abschnitt befasst sich mit der Zulässigkeit des externen Whistleblowings, also der Weitergabe von Hinweisen an externe Adressaten. Wie bei Grundrechtsfragen wenig überraschend, kommt er letztlich zum Ergebnis, dass die Zulässigkeit externen Whistleblowings maßgeblich von den relevanten Umständen des Einzelfalls abhängt. Weiters plädiert der Autor dafür, dass die deutschen Gerichte sich stärker an den Urteilen des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte orientieren sollten, um sich nicht dem Vorwurf der Konventionswidrigkeit aussetzen zu müssen. Dazu arbeitet er aus der EGMR-Judikatur zu Whistleblowing folgende wesentliche Kriterien bei der Abwägung heraus: die Priorität interner Meldungen, das öffentliche Interesse an den Inhalten, die Authentizität der Informationen, etwaige negative Auswirkungen des Whistleblowings sowie Motivation und Strafen für die meldende Person.

Insb die Abschnitte, in denen die Judikatur des EGMR genauer analysiert wird, machen das hier besprochene Werk auch für den Leser aus Österreich lohnenswert. Darüber hinaus erweitert die Lektüre den Horizont auf das bislang wenig beachtete Verhältnis von Whistleblowing zu den diversen Grundrechten. Nicht aus den Augen gelassen werden darf allerdings die künftige Umsetzung der Whistleblowing-Richtlinie, mit der sich das vorliegende Werk noch nicht näher befassen konnte.