KerschnerDHG – Dienstnehmerhaftpflichtgesetz – Kommentar

3. Auflage, Manz Verlag, Wien 2019, XXXIV, 248 Seiten, Leinen, € 68,–

THOMASPFALZ (KLAGENFURT)

Der 1992 erstmals herausgegebene und 2004 aktualisierte Kommentar Kerschners zum DHG ist Ende 2019 in dritter Auflage erschienen. Das Format der Printausgabe wurde im Vergleich zu den Vorauflagen vergrößert, das Buch wird vom Verlag nicht mehr als „Kurzkommentar“, sondern schlicht als Kommentar klassifiziert. Trotz dieser Änderungen steht der Kommentar in Bezug auf Inhalt und Aufbau ganz klar in der (bewährten) Tradition der Vorauflagen. Vorweg sei gesagt, dass nach der Lektüre des Kommentars viel Lob wenig Kritik gegenübersteht. Positiv hervorzuheben ist zunächst die methodisch saubere Arbeitsweise Kerschners, der die Fragen der DN-Haftung stets in die zivilrechtlichen Grundlagen des Schadenersatzrechts einbettet. Heute nicht mehr selbstverständlich ist weiters, dass sich Ferdinand Kerschner darauf beschränkt, was ein Kommentar zu leisten imstande ist: Bei den einzelnen Sachproblemen werden Argumente für und wider bestimmte Auslegungsvarianten dargestellt und bewertet, ohne die Gesichtspunkte zu vernachlässigen, die gegen die eigene Ansicht sprechen. Rechtsdogmatische Analyse wird klar von rechtspolitischen Vorschlägen (solche finden sich am Ende jedes Abschnitts) getrennt. Wenn im Folgenden Anmerkungen überwiegen, die von den Thesen Kerschners abweichen, so liegt das allein daran, dass der Meinungsaustausch die wissenschaftliche Diskussion mehr vorantreibt als bloße Zustimmung. In den meisten hier unerwähnt bleibenden Fragen ist Kerschners Ansicht vollumfänglich zuzustimmen.

Allgemein muss gesagt werden, dass die Vorauflagen mitunter ein wenig zu deutlich sichtbar werden. So wird etwa an zahlreichen Stellen auf eine „neue“, „neueste“ oder „jüngste“ Publikation/Entscheidung etc Bezug genommen, die mittlerweile 20 oder 30 Jahre zurückliegt. Diese Formulierungen erwecken den vermeidbaren Eindruck, der Kommentar sei nicht auf dem neuesten Stand, der sich anhand der verarbeiteten Literatur und Judikatur keineswegs bestätigt. Die Kritik daran mag auf den ersten Blick sehr kleinlich erscheinen, vereinzelt besteht aber das Risiko, dass der Leser in die Irre geführt wird (zB wenn eine veraltete sozialversicherungsrechtliche Gesetzeslage dargestellt [§ 1 Rz 12/1] oder auf § 15c Abs 2 AZG [2006 aufgehoben und materiell in § 15f Z 1 AZG verschoben, § 2 Rz 54] oder auf außer Kraft getretene Bestimmungen der Konkurs- und Ausgleichsordnung verwiesen wird [§ 3 Rz 22/2]).

Der Kommentar beginnt mit einer knappen Einleitung, die eine gute Einführung in das Thema der Schadenshaftung im Arbeitsverhältnis insgesamt und bereits grobe Orientierungslinien für die Analyse der einzelnen Sachfragen bietet. Zentrale teleologische Gesichtspunkte, insb die Verteilung von wirtschaftlichen Chancen und Risken im Arbeitsverhältnis werden dargestellt, die Rechtsentwicklung in Österreich und Deutschland nachgezeichnet.

Zu § 1 DHG erörtert Kerschner nicht nur den persönlichen Anwendungsbereich des DHG (Inhalt des § 1), sondern auch den sachlichen Anwendungsbereich (Schädigung bei Erbringung der Dienstleistungen), internationale Zuständigkeit und anwendbares Recht, prozessuale Fragen und die Risikohaftung des AG nach § 1014 ABGB p.a. Die Systematik des Gesetzes wird damit verlassen. Das tut der inhaltlichen Qualität zwar keinen Abbruch, eine andere Gliederung (zB Prozessuales „Vor § 1“; eigener Abschnitt für Risikohaftung) wäre aber überlegenswert.

Inhaltlich führt § 1 DHG in eine gewisse Zwickmühle. Der persönliche Anwendungsbereich des DHG wird vor allem über den AN-Begriff und den Begriff der AN-Ähnlichkeit definiert. Eine umfassende Aufarbeitung dieser Begriffe würde Rahmen und Zweck eines Kommentars zum DHG sprengen, andererseits kann man den persönlichen Anwendungsbereich nicht unbehandelt lassen. Diese Gratwanderung gelingt Kerschner meist aber nicht immer, einzelne Aspekte des AN-Begriffs oder der AN-Ähnlichkeit werden verkürzt dargestellt (zB Rz 4: Vorstandsmitglieder einer Aktiengesellschaft als AN [nach hA wegen Weisungsfreiheit nach § 70 AktG ausgeschlossen]; Rz 12/1 ff: teilweise 273 Wiedergabe veralteter Rechtslage zur SV). Positiv hervorzuheben sind dagegen die Erwägungen zum Verhältnis des DHG zu sondergesetzlichen Haftungsregeln des Gesellschafts- bzw Vereinsrechts (§ 1 Rz 4 ff) und zum Ausschluss der Tätigkeit der Belegschaftsvertreter (Betriebsräte) aus dem DHG (§ 1 Rz 16). Zustimmung und Aufmerksamkeit der Gerichte verdienen auch die Versuche Kerschners, den Anwendungsbereich der Risikohaftung des AG (§ 1014 ABGB p.a.) einzugrenzen, um eine Umgehung der Regeln und Wertungen des DHG zu vermeiden (§ 1 Rz 21 und § 3 Rz 13).

Das Kernstück des Kommentars (und des DHG) bilden die §§ 2 bis 4. Hier kann Kerschner aus dem Vollen schöpfen. Die schadenersatzrechtlichen Grundlagen werden umfassend und in für die verschiedenen Konstellationen der Schadenshaftung im Arbeitsverhältnis gewinnbringender Weise aufgearbeitet. Dies gilt etwa für Fragen des Mitverschuldens, die Zurechnung fremden Verhaltens, die Beweislast, den anwendbaren Sorgfaltsmaßstab usw. Ausdrückliches Lob verdienen in diesem Zusammenhang die Erwägungen zu Fällen der Schädigermehrheit, in denen die stets diffizilen Fragen mehrpersonaler gesetzlicher Schuldverhältnisse dogmatisch einwandfrei erörtert werden (§ 2 Rz 65 ff). Für PraktikerInnen besonders wertvoll ist die reichhaltige Analyse der Rsp nach Berufsgruppen (§ 2 Rz 41).

Bei den Mäßigungskriterien des § 2 Abs 2 DHG ist Kerschner im Allgemeinen (Verhältnis der Kriterien zueinander, Wirkungsrichtung zugunsten und zulasten der AN) zuzustimmen (§ 2 Rz 45 f). Einige Details sind aber zu hinterfragen. So kann eine besondere Verantwortung der AN (vgl § 2 Abs 2 Z 1 DHG) nach Kerschner auch zu einer stärkeren Mäßigung, dh zu einer niedrigeren Haftung der AN, führen (Rz 49). In den angesprochenen Fällen führt aber richtigerweise nicht die hohe Verantwortung der AN, sondern deren geringes Entgelt (Z 2 leg cit) zu einer tendenziell stärkeren Mäßigung ihrer Haftung. Bei der Frage, ob die Vermögensverhältnisse der AN bei der Mäßigung berücksichtigt werden sollen, spricht sich Kerschner zunächst überzeugend gegen eine solche Berücksichtigung aus (kein Bezug zur Dienstleistung). Sollten die wirtschaftlichen Verhältnisse der AN doch berücksichtigt werden (so die Judikatur), so müsse dies auch auf Seite der AG gelten. Auch insoweit kann Kerschner gefolgt werden. Abweichend von diesem klaren Befund nimmt Kerschner dann für Fälle der Existenzgefährdung sehr wohl an, dass Sorge- und Unterhaltspflichten der AN zu berücksichtigen sind. Der normative Anknüpfungspunkt für diese Differenzierung scheint zumindest auf den ersten Blick zweifelhaft.

Ähnliches gilt im Zusammenhang mit einem allfälligen Freistellungsanspruch des AN gegen den AG in Fällen des § 3 DHG (§ 3 Rz 22 ff). § 3 DHG erfasst Konstellationen, in denen der AN bei Erbringung seiner Dienstleistung einem Dritten (vor allem Kunden) einen Schaden zufügt und von diesem zum Ersatz herangezogen wird. Wenn der AG für das Verschulden des AN einzustehen hat (insb §§ 1313a, 1315 ABGB), hat der AN, der vom Dritten zum Ersatz herangezogen wurde, unter den Voraussetzungen des § 3 Abs 2 DHG einen Vergütungsanspruch gegen den AG. Fraglich ist in diesem Zusammenhang, ob der AN Vergütung erst nach tatsächlicher Zahlung an den Dritten verlangen kann (so der Wortlaut) oder ob ihm ein Freistellungsanspruch gegenüber dem AG zukommt. Kerschner verneint grundsätzlich einen solchen Freistellungsanspruch, bejaht ihn aber für Fälle der Existenzbedrohung auf Basis der Fürsorgepflicht. Fraglich bleibt, ob die Fürsorgepflicht des AG (vgl § 1157 ABGB) eine taugliche Grundlage bildet, um für Fälle der Existenzbedrohung des AN eine Vorleistungspflicht des AG anzunehmen.

Die Kommentierung des § 3 umfasst praktisch alle relevanten Fragen im Zusammenhang mit der Mitteilungs- und Streitverkündungspflicht des AN (spiegelbildlich für § 4 DHG verwertbar) und den Voraussetzungen des erwähnten Vergütungsanspruchs. Positiv hervorzuheben sind hier die Ausführungen zu den häufigen Fällen der Deckung des Schadens durch Versicherungen (§ 3 Rz 14) und zur Reichweite vertraglicher Haftungsbeschränkungen (Rz 31). Auch die von Kerschner im Zusammenhang mit den Regressvoraussetzungen des § 3 Abs 2 DHG in Erwägung gezogene Analogie zu § 154 Abs 2 VersVG überzeugt (Rz 32).

§ 4 DHG regelt den spiegelbildlichen Fall, dass der geschädigte Dritte nicht den AN, sondern den AG zum Ersatz heranzieht (zu den Unterschieden vgl § 4 Rz 23). Die Erläuterungen decken sich daher zum Teil. Besondere Aufmerksamkeit verdient die notwendige Abgrenzung von Eigenschäden des AG (für diese gilt § 2 DHG) von Drittschäden iSd § 4 DHG (§ 4 Rz 7). Diese Unterscheidung ist notwendig, weil das Entstehen einer Verbindlichkeit des AG gegenüber dem Dritten beim AG selbst zu einem Schaden führt. Damit wäre neben § 4 DHG auch der Anwendungsbereich des § 2 DHG eröffnet. Der Rückgriffsanspruch des AG nach § 4 unterliegt im Vergleich zu § 2 DHG aber zusätzlichen Voraussetzungen (§ 4 Abs 2 DHG). Kerschner plädiert für eine pragmatische Herangehensweise (§ 4 Rz 7): Solange dem geschädigten Dritten noch Erfüllungsoder Gewährleistungsansprüche zustehen (also vor allem während noch laufender Gewährleistungsfrist), seien dessen Forderungen als Eigenschäden des AG zu sehen. Dann sei § 2 DHG anwendbar und der AG könne vom AN für den verursachten Schaden Ersatz fordern, ohne dass die Voraussetzungen des § 4 Abs 2 DHG vorliegen (vgl auch OGH 10.7.2003, 6 Ob 83/03d). Es erscheint jedoch fraglich, ob mit dieser Lösung dem Zweck des § 4 Abs 2 DHG Rechnung getragen wird. § 4 Abs 2 DHG soll verhindern, dass sich AG und Dritter zulasten des AN absprechen. Dieses Risiko besteht grundsätzlich in allen Fällen, in denen der Schaden des AG in einer Verbindlichkeit einem Dritten gegenüber besteht (indirekte Schädigung). Man könnte daher in Frage stellen, ob der rechtlichen Qualifikation des Verlangens des Dritten (Erfüllungs- oder Schadenersatzanspruch) entscheidende Relevanz zukommt.

Im Zusammenhang mit § 5 DHG (Rechte der AN können nur durch KollV beschränkt werden) ist Kerschner vor allem darin beizupflichten, dass ein konstitutives Anerkenntnis der AN von Schadenersatzforderungen der AG bis zur Beendigung (und Abwicklung) des Arbeitsverhältnisses nach § 5 DHG unzulässig ist (§ 5 Rz 5). Auch die Reichweite des § 5 wird von Kerschner zutreffend über den Wortlaut der Bestimmung hinaus erstreckt (§ 5 Rz 2 bzw § 6 Rz 10).

§ 6 DHG sieht für Ersatzansprüche, die aus leichter Fahrlässigkeit resultieren, eine (kurze) sechsmonatige 274 Frist zur Geltendmachung vor. Beginn und Berechnung der Frist werden erörtert. Zuzustimmen ist Kerschner in seiner grundsätzlichen Kritik an der Unterscheidung zwischen Verjährungs- und Verfallsfristen und bei der analogen Anwendung von § 6 DHG auf Regressansprüche des AG, die auf grober Fahrlässigkeit des AN beruhen, da ansonsten ein eklatanter Wertungswiderspruch droht (Begünstigung grob fahrlässigen Verhaltens gegenüber leicht fahrlässigem).

§ 7 DHG ermöglicht schließlich dem AN, einer Aufrechnung des AG mit Entgeltansprüchen des AN zu widersprechen. Der Kommentar erörtert die dazu relevanten Fragen (Anwendungsbereich, Aufrechnungsvoraussetzungen, Wirkung des und Frist für den Widerspruch, etc). Gewinnbringend sind vor allem die Erwägungen zur Mäßigungspflicht des DG im Zusammenhang mit der Aufrechnungsvoraussetzung der „Richtigkeit“ (§ 7 Rz 13) und die Klärung des Verhältnisses zwischen § 5 und § 7 DHG (Unterschied zwischen Anerkenntnis und nicht erhobenem Widerspruch).

Zusammengefasst bietet Kerschners Kommentar eine reichhaltige Fundgrube für fast alle Fragen der DN-Haftung. Der Kommentar ist und bleibt aktuell das Standardwerk zum DHG und damit sowohl für PraktikerInnen wie auch für Lehrende unentbehrlich.