Brameshuber/Kovács (Hrsg)Übungsbuch Österreichisches Arbeitsrecht

Verlag Österreich, Wien 2019, 375 Seiten, broschiert, € 38,–

GLORIAPARSHAD (SALZBURG)

Dieses Übungsbuch ist ein relativ junges „Debütexemplar“, das 2019 erschienen ist. 23 ArbeitsrechtsexpertInnen aus ganz Österreich haben hier zusammengewirkt, um für Studierende eine Fallsammlung auf die Beine zu stellen. Primäres Ziel dieses Werks ist die systematische Prüfungsvorbereitung der Studierenden, die letztendlich ihr – mithilfe diverser Lehrbücher oder anderweitiger Literatur – erworbenes theoretisches Wissen auf konkrete Fälle anwenden müssen.

Damit die PrüfungskandidatInnen das für die Falllösung unerlässliche „Basiswissen“ quasi abrufbereit haben, sind vor jedem Fall die jeweils einschlägigen Kapitel samt den genauen Seitenzahlen aus ausgewählten Lehrbüchern angeführt. Weiterführende Literaturhinweise und höchstgerichtliche Entscheidungen findet man hingegen nach der Falllösung. Diese sollen einer vertieften (und evtl parallel zur Falllösung stattfindenden) Auseinandersetzung mit den in den Fällen behandelten Themen dienen.

Wie im Vorwort ausdrücklich erwähnt wird, richtet sich der Schwierigkeitsgrad nach dem Abschlussklausur- bzw Fach-, Modul- und (Teil-)Diplomprüfungsniveau. Bestätigt wird dies durch die Länge der Fälle und die Herangehensweise bei der (ausformulierten) Falllösung: Die Sachverhalte sind in mehrere, zum Teil thematisch abgegrenzte Teile gegliedert; zusätzlich dazu gibt es in den meisten Fällen Sachverhaltsvarianten und stets mehrere AkteurInnen – zumeist sind etliche AN involviert. Somit können die LeserInnen eine möglichst abwechslungsreiche und vor allem thematisch flächendeckende Anspruchsprüfung vornehmen (siehe exemplarisch Fall 10). Zwar ist das Studieren der einschlägigen Normen bzw das Lesen und Erfassen des Gesetzestextes das Um und Auf für das Lösen juristischer Probleme, doch können LeserInnen durch eine derartige Ausgestaltung der Sachverhalte etwaige Abgrenzungsfragen auf Grundlage der einschlägigen Normen nochmals besser und klarer erfassen. Ausgangspunkt jeder Falllösung ist die jeweilige Fallfrage zum Sachverhalt, die die Richtung der nachfolgenden Prüfung vorgibt. In der Mehrzahl der 42 Fälle sind die Fallfragen – wenn auch in unterschiedlicher Art und Weise bzw Dichte – konkret formuliert. Manche AutorInnen hingegen greifen auf die umfassendere, klassische Fragevariante zurück („Wie ist die Rechtslage?“, so zB Fall 4).

Die Herausgeberinnen betonen eingangs, dass sich die Reihenfolge der Fälle an „dem seit Jahren bewährten Lehrkonzept“ orientiert: Demnach werden zuerst Themen aus dem Individualarbeitsrecht und dann aus dem kollektiven Arbeitsrecht behandelt. Im letzten Drittel der Fälle geht es hauptsächlich um Beendigungs- und diverse Entgeltfortzahlungstatbestände. Ein Blick ins Inhaltsverzeichnis offenbart, dass einerseits verwandte Themenblöcke möglichst in einem Fall zusammengeführt wurden. Die „Symbiose“ gleicher oder zumindest verwandter Themenkreise in den einzelnen Fällen ist ausgesprochen gut gelungen (siehe zB Fall 31). Andererseits aber war es unvermeidlich, wenn nicht sogar sinnvoll, eher voneinander unabhängige Themen zu verbinden und in einen Fall zu packen (siehe zB Fall 33).

Zur Vorbereitung auf die Falllösung gibt es vor der jeweiligen Lösungsskizze Ausführungen, in denen die zu behandelnden Problemkreise – quasi als Einführung – grob erläutert werden. Dadurch soll dem Leser geholfen werden, Rechtsprobleme besser zuzuordnen und sich vor der eigentlichen Anspruchsprüfung zunächst einmal in den einzelnen Themengebieten zurechtzufinden.

Ganz generell sind die Fälle sehr lebensnah und in einem anschaulichen Stil ausgestaltet, sodass der Mehrwert der Falllösungen nicht infrage zu stellen ist. Nicht wenige Fälle bzw Fallabschnitte sind offenbar an reale OGH-Entscheidungen angelehnt: Manchmal wurden „Grundsachverhalte“ aus der Judikatur den Fällen zugrunde gelegt – was entweder in den Fußnoten oder bei der weiterführenden Judikatur und Literatur ersichtlich gemacht wurde – und darauf aufbauend eigene Sachverhaltskonstellationen und -varianten kreiert. Während manche Fälle eher stark an diesen OGH-Entscheidungen anknüpfen (siehe zB teilweise Fall 2; nahezu zur Gänze zB Fall 9), sind andere „frei erfunden“ bzw selbst konstruiert und greifen demnach nur rudimentär auf OGH-Sachverhalte zurück (so zB Fall 29).

Die ausgearbeiteten Falllösungen sind so gestaltet, dass man bei strittigen Rechtsproblemen über den wesentlichen Meinungsstand in Literatur und Judikatur im Bilde ist. Auf eine „überbordende“ Darstellung wird (idealerweise) verzichtet. Lediglich dort, wo eine ausführlichere Auseinandersetzung mit bestimmten kontroversen Themen unverzichtbar gewesen ist, wird genauer auf die OGH-Rsp und/oder auf das Schrifttum 275 eingegangen. Erwähnenswert ist in diesem Kontext Fall 31, in dem es ua um Dienstverhinderungsgründe gem §§ 1154b Abs 5 bzw § 8 Abs 3 AngG und deren Abgrenzung zu jenen nach § 1155 ABGB geht. Dort rückt zB das Thema „allgemeine Kalamität“ iSd dem § 1155 ABGB zugrundeliegenden Sphärentheorie in den Mittelpunkt, so zB die Frage, ob Verkehrsstörungen bei einem „Jahrhunderthochwasser“ wichtige, die Person des AN betreffende Gründe sind und demnach ein Entgeltanspruch besteht oder nicht. Der Fallverfasser folgt – mE zu Recht – nicht dem Teil der Lehre, der die Wertungen von § 1155 ABGB unter Berufung auf die „neutrale Sphäre“ ohne weiteres auch auf § 1154b Abs 5 ABGB bzw § 8 Abs 3 AngG überträgt und in diesem Fall den betroffenen AN keinen Entgeltfortzahlungsanspruch zugestehen würde. Zur Untermauerung werden überzeugende historische Argumente (anhand der Gesetzesmaterialien) angeführt, wonach auch Ereignisse größeren Ausmaßes mit Gefährdungs- oder Schädigungspotential zu den wichtigen Gründen iSd Norm zählen.

Im Zuge der Corona-Pandemie, die im Frühjahr 2020 ausbrach, wurde § 1155 ABGB um eine (bis Jahresende befristete) Spezialregelung in den Abs 3 und 4 erweitert. Demnach gelten bzw galten Betriebsschließungen oder -einschränkungen infolge von Maßnahmen auf Grundlage des COVID-19-Maßnahmengesetzes als Umstände, die der DG-Sphäre zuzurechnen sind. Infolgedessen entbrannten in der Literatur lebhafte Diskussionen über das Thema Epidemien und Betriebsschließungen, aber auch ganz grundsätzlich solche über die „neutrale Sphäre“ iSd § 1155 ABGB. So wird zB das Wechselspiel zwischen den Wertungen des § 1154b Abs 5 ABGB und des (erweiterten) § 1155 ABGB samt dem umstrittenen Rechtsinstitut der „neutralen Sphäre“ und die Überwälzung des Entgeltrisikos auf den DN seither verstärkt bzw kritisch unter die Lupe genommen. Diese – durchaus bemerkenswerte (wenn auch nur befristete) – Anlassregelung wird gewiss auch in Zukunft Stoff für weitere Diskussionen bieten und vielleicht – trotz der sich in dieser Ausnahmesituation rasch ändernden, dynamischen Rechtslage – in einer möglichen nächsten Auflage zumindest kurz Erwähnung finden.

Ein wesentlicher Kritikpunkt ist das Fehlen eines Stichwortverzeichnisses. Zwar sind die Schlagwörter zu den in den Fällen vorkommenden Themen im Inhaltsverzeichnis, zudem auch vor jedem Fall anschaulich ausgewiesen, jedoch hat man als Leser keinen detaillierteren Überblick darüber, welche Fälle welche einzelnen Themen(gebiete) genau umfassen. Das könnte das Nachschlagen vor allem für diejenigen erschweren, die an einem spezifischen Thema (zB „Weisungsrecht des AG“) interessiert sind und deswegen nur auf die relevanten Fälle zurückgreifen wollen. Allerdings wird dieser „Mangel“ – neben dem übersichtlichen Inhaltsverzeichnis – wiederum durch die in jeder Falllösung vorkommenden Fettmarkierungen aufgewogen, die beim Durchblättern ins Auge stechen. Außerdem gibt es – wenn auch nur punktuell – hilfreiche Verweise zu (allgemeineren) Themenblöcken, die in anderen Fällen vorkommen (siehe Fall 22, S 177).

Resümierend kann gesagt werden, dass hochkarätige Praxis- und Lehrerfahrung in dieses Werk eingeflossen sind, die aus den jeweiligen Spezialgebieten der AutorInnen stammen. Das ermöglicht einen äußerst qualitativen Zugang zu der Materie und macht den Lernprozess samt Falllösung zu einer spannenden Reise durch das breitgefächerte Arbeitsrecht, an deren Ende man (idealerweise) mit einem soliden Wissen im Gepäck getrost zur Prüfung antreten kann.

Hervorgehoben sei aber auch der Nutzen für Lehrende an Hochschulen oder anderweitige Kursleiter in Fortbildungsveranstaltungen, die die Fälle zumindest als Beispiele oder evtl auch als Vorlage für die Erstellung von eigenen Fällen heranziehen können.

Dieses einzigartige Übungsbuch hat definitiv das Potenzial, sich zu einem „Übungsbuchklassiker“ zu etablieren. Es kann jedem Studierenden und allen anderen am Arbeitsrecht Interessierten nur wärmstens ans Herz gelegt werden – ein Must-have im Repertoire der Prüfungsliteratur!