Brameshuber/Aschauer (Hrsg)Jahrbuch Sozialversicherungsrecht 2019

NWV Verlag, Wien 2019, 230 Seiten, broschiert, € 58,–

ELIASFELTEN (LINZ)

Das zu rezensierende Jahrbuch, herausgegeben von Elisabeth Brameshuber und Paula Aschauer, beschäftigt sich mit markanten Entwicklungen im Sozialversicherungsrecht des Jahres 2018. Zentrales Reformprojekt war vor allem die Struktur- und Organisationsreform der österreichischen Sozialversicherung(sträger), die zwischenzeitlich vom VfGH zumindest in Teilen als verfassungswidrig aufgehoben wurde (VfGH 13.12.2019, G 67/2019, G 78/2019, G 119/2019, G 211/2019). Diesem Thema widmen sich daher auch gleich zwei Beiträge.

Gleitsmann/Kircher geben einen Überblick über das Sozialversicherungs-Organisationsgesetz (SV-OG), schildern dessen politische Genese und beschreiben jene Bereiche, in denen es zu organisatorischen Änderungen gekommen ist. Zur besseren Übersichtlichkeit kommen hier auch Grafiken und Tabellen zum Einsatz. Eine kritische Auseinandersetzung fehlt hingegen weitgehend, was freilich der deskriptiven Konzeption des Beitrags geschuldet ist.

Marhold/Glowacka wiederum setzen sich mit einem speziellen Aspekt des SV-OG auseinander, nämlich der Neugestaltung der Repräsentanz der DN- und DGVertreterInnen in den Gremien der Selbstverwaltung der Sozialversicherungsträger. Diese wurden nicht nur personell verschlankt, vielmehr wurde auch eine Parität zwischen den DN- und DG-VertreterInnen hergestellt.

Dagegen wurden zum Teil – mit durchaus beachtlichen Argumenten – verfassungsrechtliche Bedenken erhoben (vgl insb R. Müller in Berka/Th. Müller/Schörghofer [Hrsg], Die Neuorganisation der Sozialversicherung in Österreich [2019] 25). Auch Marhold/Glowacka prüfen die Verfassungsmäßigkeit der Neugestaltung vor dem Hintergrund der Art 120a bis 120c B-VG, des Gleichheitssatzes sowie des Demokratieprinzips. Dabei wird die bisherige Judikatur des VfGH sowie der bestehende Meinungsstand in der Literatur einer eingehenden Analyse unterzogen. Marhold/Glowacka kommen zu dem Ergebnis, dass dem einfachen Gesetzgeber bezüglich der Repräsentanz der betroffenen Interessen in Selbstverwaltungskörpern ein weiter Ermessensspielraum zukommt und somit die paritätische Zusammensetzung der Gremien keinen verfassungsrechtlichen Bedenken ausgesetzt ist. Dieser Meinung war letztlich auch der VfGH.

Das Themenspektrum des Jahrbuches ist aber um ein Vielfaches breiter. Eichenhofer beschäftigt sich bspw mit dem spannenden Problembereich des „Sozialversicherungsrückgriffs“. Nach österreichischer Terminologie würde man von einem Regressanspruch des Sozialversicherungsträgers im Leistungsfall gegenüber dem Schädiger sprechen. Derartiges sieht § 332 ASVG vor. Eine vergleichbare Regelung kennt auch das deutsche Recht. Eichenhofer interessieren vor allem die Schnittstellen zwischen Privat- und Sozialversicherungsrecht, ortet diese vor allem in der sognannten „Kongruenz“ und stellt in diesem Zusammenhang das deutsche dem österreichischen Recht gegenüber.

Einen weiteren Beitrag zum deutschen Recht liefert Wolfram Kothe, der sich mit Hilfsmitteln und technischen Arbeitshilfen im Prozess der Digitalisierung auseinandersetzt; zweifelsfrei ein wichtiges Thema – auch für Österreich. Der Beitrag beschäftigt sich bspw mit Exoskeletten, die als Hebehilfen und damit als Hilfsmittel zum Einsatz kommen (können), und geht der Frage nach, ob und unter welchen Voraussetzungen ein Anspruch auf Bereitstellung solcher Hilfsmittel gegenüber der deutschen SV bestehen. Zu Recht ortet Kothe ein erhebliches Potential der Digitalisierung zur Förderung der Inklusion. Diese werden freilich bis dato nur in geringem Umfang genutzt. Dieser Befund trifft auch für Österreich zu.

Neumann wiederum beschäftigt sich mit einer genuin österreichischen Problematik, nämlich der Drittanstellung von GmbH-GeschäftsführerInnen aus sozialversicherungsrechtlicher Sicht. Ausgangspunkt seiner Überlegungen ist ein Erk des VwGH aus dem Jahr 2017 (Ro 2014/98/0046), in dem der Gerichtshof zu dem Ergebnis gekommen ist, dass die Überlassung eines Geschäftsführungsorgans an ein anderes Unternehmen die Begründung eines Sozialversicherungsverhältnisses zu letzterem nicht ausschließt (vgl Friedrich, DRdA 2019, 486). Neumann setzt sich kritisch mit diesem Judikat auseinander und geht auf die sozialversicherungsrechtlichen Konsequenzen ein. Der Gesetzgeber hat freilich in der Zwischenzeit auf dieses Judikat reagiert und mit BGBl I 2019/8BGBl I 2019/8 in § 35 Abs 2 ASVG ausdrücklich klargestellt, dass im Falle einer Überlassung von Arbeitskräften innerhalb eines Zusammenschlusses rechtlich selbständiger Unternehmen unter einheitlicher Leitung insb zur Übernahme einer Organfunktion der Beschäftiger nicht als DG gilt. 278

Stadler wiederum liefert – wie bereits die Jahre zuvor – einen Überblick über die kaum mehr zu überblickende Judikatur des OGH zum Kinderbetreuungsgeld, bezogen auf das Jahr 2018. Nach einer kurzen Schilderung des Sachverhalts wird jeweils die Begründung des Gerichtshofs wiedergegeben. Am Ende findet sich eine – zum Teil sehr – kurze eigene Stellungnahme. Ebenfalls den Fokus auf die Rsp des Jahres 2018 will der Beitrag von Gerhartl über „Aktuelle Fragen der Arbeitslosenversicherung“ legen. Bei genauerem Hinsehen wird freilich nur vereinzelt auf Judikate des VwGH aus dem Jahr 2018 Bezug genommen. Im Wesentlichen handelt es sich um eine Darstellung der geltenden Rechtslage unter Einbeziehung ihrer Auslegung durch den VwGH im Allgemeinen.

Mit einem in der Öffentlichkeit wohl nur wenig beachteten Thema beschäftigen sich Pinggera/Körner. Ihr Beitrag handelt vom Heimopferrentengesetz (HOG). Sie geben eine Übersicht über dessen wesentliche Inhalte und setzen sich auch mit dem dazugehörigen Verfahrensrecht auseinander. Ebenfalls eher einem „Nischenthema“ widmet sich Sedlacek. Er setzt sich mit sozialversicherungsrechtlichen Folgen der interdisziplinären Kooperation von Wirtschaftstreuhändern mit Bilanzbuchaltern auf Grundlage unterschiedlicher vertragsrechtlicher Konstruktionen auseinander.

Ein für die Praxis äußerst wichtiges Thema ist Gegenstand des Beitrages von Schneider. Gerade im sozialgerichtlichen Verfahren kommt Sachverständigen eine zentrale Bedeutung zu. Schneider beschreibt die rechtlichen Rahmenbedingungen für die Bestellung und Ablehnung von Sachverständigen und analysiert die maßgeblichen Aufgabenfelder im Bereich der SV. Damit bringt er Licht in einen Rechtsbereich, der trotz seiner praktischen Bedeutung wissenschaftlich einigermaßen „unterbelichtet“ ist. Vor diesem Hintergrund erscheint es daher auch unerheblich, wenn der Beitrag die Bezüge zum Berichtszeitraum des Jahres 2018 offenlässt.

Auch für das Jahr 2018 ist es den beiden Herausgeberinnen gelungen, einen bunten Strauß an ganz unterschiedlichen sozialversicherungsrechtlichen Themenstellungen zusammenzustellen. Selbiges gilt für das AutorInnen-Team. Damit spiegelt das Jahrbuch bis zu einem gewissen Grad auch die Vielfältigkeit des Sozialversicherungsrechts selbst wider. Dieser große Variantenreichtum macht zweifelsfrei den Reiz dieses Jahrbuchs aus, auch wenn die Themenauswahl zum Teil etwas beliebig wirken mag und eine gemeinsame Klammer nicht immer erkennbar ist. 279