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FahrerInnen von Transportplattformen als überlassene Arbeitskräfte

MARTINGRUBER-RISAK (WIEN)
OLG Wien (rechtskräftig) 23.11.2020 10 Ra 59/20zASG Wien 20.2.2020 10 Cga 147/18m
  1. Selbst bei Annahme einer vom Kl behaupteten Arbeitskräfteüberlassung an die Zweitbekl kann hier eine Haftung lediglich als Ausfallsbürgin in Frage kommen.

  2. Nach dem klaren Gesetzeswortlaut des § 14 AÜG kommt die Ausfallsbürgenhaftung bereits dann zum Tragen, wenn der Beschäftiger die Ansprüche des Überlassers aus dem Dienstverschaffungsvertrag (arg „seine Verpflichtungen aus der Überlassung“) nachweislich erfüllt hat, er also das mit dem Überlasser für die Überlassung einer Arbeitskraft vereinbarte Honorar bereits bezahlt hat.

Der Kl begehrte, die erst- und zweitbekl Partei (Erstbekl/Zweitbekl) zur ungeteilten Hand zur Zahlung von € 1.692,70 brutto sA und die Erstbekl zur Ausstellung eines Dienstzeugnisses zu verpflichten. Er brachte zusammengefasst vor, dass er vom 4.10.2017 bis 18.10.2017 bei einer aus der Erstbekl und der insolventen * GmbH bestehenden Gesellschaft bürgerlichen Rechts als *-Mietwagenlenker beschäftigt gewesen und iSd § 1 AÜG an die Zweitbekl (Anm: eine Transportplattform) überlassen worden sei. [...] Gem § 2 Abs 13 GewO gelange auf das Dienstverhältnis der KollV für das Gewerbe der Arbeitskräfteüberlasser (KollV-AÜ) zur Anwendung. Die zwei bekl Parteien würden dem Kl zur ungeteilten Hand Lohn für 4.10.-18.10.2017 und Überstunden, Urlaubsersatzleistung samt Sonderzahlungen und Aufwandersatz für Treibstoff schulden. [...] Die Zweitbekl als Beschäftigerin hafte gem § 14 AÜG als Bürge für die Forderung, da die außergerichtliche Einmahnung bei beiden Überlassern erfolglos geblieben sei. [...]

Die Zweitbekl wandte zusammengefasst die mangelnde Passivlegitimation ein und brachte im Wesentlichen vor, dass sie Fahrgäste an Mietwagenunternehmen über eine Handy-App, also die *-App vermittle. Diesbezüglich würden an Mietwagenunternehmen fahrwillige oder fahrbereite Kunden vermittelt und ihnen zur Kenntnis gebracht. Darüber hinaus erfolge das Inkasso über die Zweitbekl, die hiefür eine Provision erhalte. Die Zweitbekl gebe keine Anweisungen an Fahrer, die üblicherweise bei den Vertragspartnern, also den Mietwagenunternehmen, angestellt seien. [...] Die Zweitbekl habe in ihrer App lediglich ein Navigationssystem, das den kürzesten Weg vorschlage, es obliege dem Fahrer selbst, welchen Weg er einschlage. Darüber hinaus sei für Zeiteinteilung, Urlaubsplanung, sonstige Anweisungen an die Fahrer ausschließlich das Mietwagenunternehmen verantwortlich. Die Zweitbekl habe hierauf keinen Einfluss. Sie hafte höchstens als Ausfallsbürge. [...]

Mit dem angefochtenen Urteil hat das Erstgericht 1. die Erst- und Zweitbekl zur ungeteilten Hand zur Zahlung von € 1.563,26 brutto sA verpflichtet, 2. das Mehrbegehren auf Zahlung von weiteren € 129,44 brutto sA abgewiesen und 3. die Erstbekl zur Ausstellung eines Dienstzeugnisses verpflichtet.

Rechtlich folgerte das Erstgericht zusammengefasst, es liege ein Arbeitsvertrag iSd § 1151 ABGB des Kl zur Erstbekl als DG vor. [...] Die Zweitbekl sei in Österreich nicht der vertragsrechtliche DG der Fahrer (so auch des Kl) gewesen, wohl aber der Beschäftiger. Es liege damit Arbeitskräfteüberlassung nach dem AÜG vor, zumal ein Beförderungsvertrag zwischen dem Kunden und * zustande komme und es sich um keine bloße Vermittlung handle. Die Erstbekl habe zwar einen Gewerbeschein für das Mietwagen-Gewerbe, jedoch komme der *-Überlassung gem § 9 Abs 3 ArbVG die maßgebliche wirtschaftliche Bedeutung zu. Dass die Erstbekl keine Gewerbeberechtigung für die Arbeitskräfteüberlassung habe, sei insofern unbeachtlich, als gem § 2 Abs 13 GewO 1994 Normen der kollektiven Rechtsgestaltung, die für Arbeitsverhältnisse zu AG gelten würden, welche ihre Tätigkeiten auf Grund von Gewerbeberechtigungen ausübten, auch für Arbeitsverhältnisse zu jenen AG Geltung hätten, die diese Tätigkeiten ohne die erforderliche Gewerbeberechtigung ausübten. Es gelte daher der KollV-AÜ [...].

Die Zweitbekl hafte für die gesamten, dem Kl für die Beschäftigung in dem Betrieb zustehenden Entgeltansprüche und die entsprechenden DG- und DN-Beiträge zur SV als Bürge gem § 14 AÜG. Selbst bei Nachweis, dass die Zweitbekl ihre Schuld aus dem Überlassungsvertrag mit der Erstbekl erfüllt habe, bestehe nämlich für die Zweitbekl eine Haftung gem § 14 Abs 2 AÜG als Ausfallsbürge (siehe § 1356 ABGB), wozu darauf verwiesen werde, dass nunmehr sowohl die * GmbH als auch die Erstbekl insolvent seien.

Gegen den Zuspruch von € 1.563,26 brutto sA (Spruchpunkt 1.) richtet sich die Berufung der Zweitbekl wegen Aktenwidrigkeit, unrichtiger Tatsachenfeststellung aufgrund unrichtiger Beweiswürdigung und unrichtiger rechtlicher Beurteilung mit dem Antrag, das angefochtene Urteil im (gänzlich) klagsabweisenden Sinn abzuändern; hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.

Mit der Beweisrüge bekämpft die Berufung folgende Feststellungen:

„Der Kl war von 4.10.2017 bis 18.10.2017 bei der erstbekl Partei als Mietwagenlenker beschäftigt, die mit der * GmbH eine GesbR bildete, und wurde als Personenkraftfahrer an die zweitbekl Partei in diesem Zeitraum überlassen. ... Auf das gegenständliche Arbeitsverhältnis kam der KollV-AÜ zur Anwendung. ... Mit der zweitbekl Partei wurde vereinbart, 204 dass sich die zweitbekl Partei um sämtliche organisatorische Belange im Zusammenhang mit der Personenbeförderung kümmern werde (Werbung und Markenpflege, Akquise der Fahrgäste, Festlegen des Fuhrlohns, GPS-Ortung des Fahrers/Fahrzeuges, GPS-Ortung des Fahrgastes, Festlegung der Fahrtroute zum Abholort des Fahrgastes (bei Änderung der Route ist Beschwerde des Fahrgastes zu erwarten), Festlegen der Fahrtroute zum Zielort, engmaschige und laufende Navigation zum Abholort und Zielort, Inkasso des Fuhrlohnes durch Kreditkartenbelastung, Ausstellen der Rechnungen, Bereitstellen eines digitalen Bewertungssystems für Fahrgäste, Einheben von Ersatzzahlungen für Beschädigungen/ Verschmutzungen durch Fahrgäste, Organisation der Zurückstellung vergessener Gegenstände, digitale Dokumentation vergangener Fahrten, Übermittlung von Portrait, Foto und Vorname des Fahrers an den Fahrgast, Beschwerdemanagement, etc). Dies würde die zweitbekl Partei in erster Linie durch Bereitstellen von Software-Systemen (Apps), welche auf den Smartphones aller Fahrer und aller potentieller Fahrgäste zu installieren seien und den Einsatz von weiteren Computer- und Telekommunikationssystemen bewirken. Das jeweilige Partnerunternehmen, an das der Kl heranzutreten hätte, habe sich im Wesentlichen nur um die Zahlung der Löhne und Sozialversicherungsbeiträge des Kl sowie um die Zurverfügungstellung eines PKW zu kümmern. Der Kl wiederum habe sich ausschließlich um die rigide Einhaltung der ihm elektronisch von der zweitbekl Partei erteilten Anordnungen und das dementsprechende Lenken des Fahrzeuges zu kümmern. ... Die technisch mögliche Verweigerung einer Fahrt ist von der zweitbekl Partei hochgradig unerwünscht, da dies zur Folge hat, dass der Fahrgast etwa drei Minuten länger auf den nachfolgend betrauten Fahrer zu warten hat. ... Die zweitbekl Partei missbilligt es, wenn Chauffeure von der Stornofunktion Gebrauch machen. Wird diese Funktion zu häufig benutzt (was bereits bei einer 3 %-igen Stornoquote der Fall sein kann), wird dies mit einer temporären oder permanenten Systemsperre ‚bestraft‘. ... Sämtliche Aspekte der Tätigkeit sind durch die zweitbekl Partei determiniert und ist ein eigenständiges kaufmännisches Agieren einem *-Fahrer nicht möglich. Mangels Taxischild/Funkgerät oder Möglichkeit, Fahrgäste vom Straßenrand aufnehmen zu können, sowohl aus faktischen als auch aus rechtlichen Gründen, können keine anderen Fahrgäste als *- Fahrgäste befördert werden, wenn der Kl nur diese App hat und diese im Mietwagenunternehmen nur verwendet wird.... Hierbei hat sich die Software ‚*Driver‘ wie ein Navigationsgerät geriert und hat die zweitbekl Partei dem Kl elektronisch engmaschige Dienstanweisungen erteilt, wie er sich zum Abholort zu begeben hat. Jede einzelne Gasse und Abzweigung ist dem Kl hierbei von der zweitbekl Partei diktiert worden und sind diese Dienstanweisungen in Form einer violetten Linie am Bildschirm in einer Straßendarstellung aus Vogelperspektive erteilt worden, wobei ein Abweichen von der vorgegebenen Fahrtroute zwar möglich ist und auch das Nutzen eines anderen Navis, allerdings bei Beschwerde des Kunden durch Eingabe in die App, der sich einen Screenshot von der von * vorgeschlagenen Route machen kann, zur Folge hat, dass sich der Fahrer * gegenüber rechtfertigen muss. ... Hierbei muss der Fahrgast dem Kl das Ziel nicht mitteilen, da die zweitbekl Partei wie bereits bei der Fahrt zum Fahrgast den Weg engmaschig vorgibt. Dies ist auch daran erkennbar, dass die * die exakte Fahrtroute noch vor Auswahl eines Partnerunternehmens bzw eines Fahrers nämlich bereits, nachdem der Fahrgast das Formularfeld ‚Wohin soll es gehen?‘ ausgefüllt hat, festgelegt hat, und die schließlich gefahrene Strecke dieser ohne Abweichung entspricht. ... Der Beförderungsvertrag kommt zwischen Fahrgast und der zweitbekl Partei zustande.“

Begehrt werden folgende Feststellungen:

[...] Abgesehen davon, dass es auf die weiters bekämpften Feststellungen hier rechtlich nicht entscheidend ankommt, vermag die Berufung keine Aktenwidrigkeit aufzuzeigen bzw hinreichende Bedenken an der erstgerichtlichen Beweiswürdigung zu erwecken. [...]

Die Feststellung, dass der Kl an die Zweitbekl „überlassen“ worden sei, kann hier nur so verstanden werden, dass der Kl als Personenkraftfahrer für die Zweitbekl eingesetzt wurde. Ob es sich dabei um eine Überlassung iSe Arbeitskräfteüberlassung im rechtlichen Sinne handelte, stellt aber eine Rechtsfrage dar. Dass der Kl im klagsgegenständlichen Zeitraum über die von ihr eingerichtete, angebotene und betriebene App Fahrten durchführte, für welche die Zweitbekl den Fuhrlohn inkassierte, wird auch von ihr nicht in Zweifel gezogen.

Dass eine Verweigerung der Fahrt seitens des Kl möglich war, wie die Berufungswerberin festgestellt wissen möchte, steht mit den getroffenen Feststellungen ohnehin nicht im Widerspruch. Das Erstgericht hat dazu jedoch noch nachvollziehbar auf die Aussage des Kl gestützt lebensnah weiter festgestellt, dass dies von der Zweitbekl unerwünscht gewesen sei.

Das Berufungsgericht übernimmt daher die Feststellungen im aufgezeigten Sinne. [...]

Selbst bei Annahme einer vom Kl behaupteten Arbeitskräfteüberlassung an die Zweitbekl kann hier eine Haftung lediglich als Ausfallsbürgin in Frage kommen, wovon auch das Erstgericht insofern zutreffend ausgegangen ist: Im Falle der Arbeitskräfteüberlassung hat der AN grundsätzlich sämtliche Entgeltansprüche an den Überlasser zu richten (RIS-Justiz RS0050620 [T3]; etwa 9 ObA 55/11w). Darüber hinaus schafft § 14 AÜG dem AN einen weiteren Haftungsfonds in Gestalt einer Bürgenhaftung des Beschäftigers: [...] Schon der Gesetzeswortlaut nimmt in den Abs 1 und 2 eine klare Differenzierung zwischen den Entgeltansprüchen der Arbeitskraft aus ihrem Vertragsverhältnis mit dem Überlasser einerseits und den Ansprüchen des Überlassers aus dem Dienstverschaffungsvertrag gegenüber dem Beschäftiger andererseits vor. Diese Ansprüche können, müssen freilich keineswegs ident sein, weil das vom Überlasser dem Beschäftiger in Rechnung gestellte Entgelt für die Überlassung einer Arbeitskraft vor allem zur Gewinnerzielung höher, im Einzelfall je nach Vereinbarung aber 205 auch niedriger oder auch pauschaliert sein kann. Nach dem klaren Gesetzeswortlaut kommt die Ausfallsbürgenhaftung bereits dann zum Tragen, wenn der Beschäftiger die Ansprüche des Überlassers aus dem Dienstverschaffungsvertrag (arg „seine Verpflichtungen aus der Überlassung“) nachweislich erfüllt hat, er also das mit dem Überlasser für die Überlassung einer Arbeitskraft vereinbarte Honorar bereits bezahlt hat. Dafür ist der Beschäftiger beweispflichtig (arg „nachweislich“). Als Nachweis kann vor allem die Vorlage einer saldierten, dh vom Überlasser unterfertigten, Rechnung gelten. Der Formulierung ist dagegen nicht zu entnehmen, dass es sich bei der Erfüllung dieser Verpflichtungen aus der Überlassung nur um solche Zahlungen zu handeln hätte, die den Ent gelt ansprüchen des AN gegenüber dem Überlasser entsprechen. Es wäre ein Leichtes gewesen, dies – wenn gewollt – im Gesetzestext zum Ausdruck zu bringen. Auch der Gesetzeszweck erfordert keine über den Wortlaut der Bestimmung hinausreichende Auslegung. Die Bürgenhaftung des § 14 AÜG ist zentral im Anliegen des Gesetzgebers begründet, den Entgeltanspruch der überlassenen Arbeitskraft und die dem Sozialversicherungsträger zustehenden Leistungen zu sichern und darüber hinaus auch den Beschäftiger zu einer sorgfältigen Auswahl des Überlassers anzuregen (ErläutRV 450 BlgNR 17. GP. 20, 21; RIS-Justiz RS0120833; 9 ObA 55/11w). Zur Ausgestaltung der Bürgenhaftung halten die Erläuterungen, aaO, fest: „... Im Sinne des § 1355 ABGB kann der Beschäftiger erst dann belangt werden, wenn der Überlasser gerichtlich oder außergerichtlich gemahnt wurde. Eine gerichtliche Klage gegen den Überlasser ist nicht erforderlich (Abs 1). Wenn der Beschäftiger aber die Kosten der Überlassung bereits dem Überlasser vergütet hat, haftet der Beschäftiger nur als Ausfallsbürge. ... (Abs 2).“ Sofern dazu fraglich sein könnte, ob sich die vergüteten „Kosten der Überlassung“ auf die Kosten des Beschäftigers gegenüber dem Überlasser oder auf die Kosten des Überlassers aus der Entgeltzahlung an den DN beziehen, muss schon deshalb dem zuerst genannten Verständnis der Vorzug gegeben werden, weil nur er auch dem Gesetzeswortlaut entspricht (9 ObA 55/11w). [...]

Daraus folgt, dass die Zweitbekl selbst unter Annahme der vom Kl behaupteten Überlassung iSd AÜG (derzeit) nicht in Anspruch genommen werden kann.

Der Berufung musste daher Folge gegeben und das angefochtene Urteil hinsichtlich der Zweitbekl im gänzlich abweislichen Sinn abgeändert werden.

[...]

ANMERKUNG
1.
Zur Einordnung der Entscheidung

Diese mittlerweile rechtskräftige E des OLG Wien ist nicht deshalb von Bedeutung, da sie die bereits in der Rsp (OGH9 ObA 55/11winfas 2011, 81) geklärte Frage behandelt, wann eine eine volle Bürgenhaftung gem § 1355 ABGB eintritt und wann eine bloße Ausfallsbürgschaft (dazu zB Schindler in Neumayr/Reissner [Hrsg], ZellKomm3 [2018] § 14 AÜG Rz 2 ff; Schrattbauer in Schrattbauer, AÜG [2020] § 4 Rz 4). Darauf soll hier deshalb nicht weiter eingegangen werden. Ihre Wichtigkeit liegt nämlich vielmehr darin, dass mit ihr erstmals in Österreich arbeitsrechtliche Fragen der Plattformarbeit, in concreto betreffend die Erbringung von Transportdienstleistungen über eine Transportplattform, behandelt werden. Freilich ist dies nicht unbedingt ausdrücklich erfolgt, sondern im Wesentlichen durch die Bestätigung der erstinstanzlichen Entscheidung in dafür wesentlichen Punkten. Diese betreffen das Verhältnis zwischen der Transportplattform, dem Mietwagenunternehmen und den bei ihnen angestellten FahrerInnen. Dieses Rechtsverhältnis ist nämlich, anders als in anderen Ländern, in denen bereits Entscheidungen zur Plattformarbeit gefällt wurden (dazu Pkt 2.), nicht nur dreipersonal (FahrerIn – Transportplattform – KundIn), sondern vierpersonal ausgestaltet, da zwischen die Plattform und die FahrerInnen zusätzlich noch ein Mietwagenunternehmen zwischengeschaltet ist. Das dahinterliegende Verhältnis wurde arbeitsrechtlich, wie bereits in der Literatur (Balla, Transportdienstleistungen: Uber, in Lutz/Risak, Arbeit in der Gig-Economy [2017] 106 [117]) argumentiert, als Arbeitskräfteüberlassung eingestuft, womit Transportplattformen die Pflichten als BeschäftigerInnen treffen.

Das Erstgericht nahm dabei nicht nur eine Arbeitskräfteüberlassung an, sondern auch eine Haftung der Transportplattform für nicht bezahltes Entgelt – das Berufungsgericht bestätigte die diesbezüglichen Feststellungen, die oben zum besseren Verständnis des Sachverhaltes wiedergegeben wurden, und hält sich aber bei der rechtlichen Qualifikation des Vertragsverhältnisses zurück. Es sieht nämlich die Voraussetzungen für ein Eingreifen der Haftung nach § 14 AÜG, anders als das Erstgericht, nicht als erfüllt an und lässt es daher offen, ob eine Arbeitskräfteüberlassung vorliegt. Dennoch ist die Entscheidung von großer Bedeutung, da trotz dieser Zurückhaltung klar die Weichen in die Richtung gestellt wurden, dass bei der Organisation von Transportdienstleistungen über Transportplattformen eine Arbeitskräfteüberlassung vorliegt (dazu Pkt 3.). Dabei ist zu beachten, dass dieses Segment der Plattformwirtschaft eine ganz besonders komplexe vertragliche Konstruktion aufweist, die in anderen Bereichen (insb der Essenszustellung oder auch der virtuellen Onlinearbeit) nicht gegeben ist, weshalb aus ihr dafür kaum weitergehende Schlüsse gezogen werden können. Dies insb deshalb, da im Anlassfall die Qualifikation als AN unbestritten war, was aber abseits der Transportdienstleistungen eher selten der Fall ist. Ganz im Gegenteil wird dem grundsätzlich von den Plattformen entgegengetreten, da sie davon ausgehen, dass es sich bei Plattformbeschäftigten um Selbständige handelt. Diesem sogenannten „Status-Problem“ soll nun auf EU-Ebene durch eine Plattformarbeits-RL begegnet werden, die erste Phase der SozialpartnerInnen-Konsultation (C[2021] 1127 final) wurde Ende Februar 2021 eingeleitet und zum Ende des Jahres 2021 ist dann wohl mit einem Richtlinienvorschlag der Europäischen Kommission zu rechnen. 206

2.
Grundsätzliches zur arbeitsrechtlichen Einordnung von Plattformbeschäftigten

Die Plattformarbeit erscheint – zumindest auf den ersten Blick – als Abkehr von der hierarchischen Organisation von Arbeit, wie sie dem traditionellen Arbeitsvertrag zugrunde liegt. Sie etabliert nämlich ein internetbasiertes Modell der Arbeitsorganisation, bei dem (vermeintlich) Selbständige einzelne Leistungen an wechselnde VertragspartnerInnen auf Abruf und im Rahmen eines dezentral und bedarfssynchron gesteuerten Systems erbringen. Dabei treten die LeistungsempfängerInnen/KundInnen und die Plattformbeschäftigten nicht direkt miteinander in Kontakt, sondern ihr Verhältnis wird wesentlich über eine Intermediärin, eine Internet-Plattform, mittelbar abgewickelt (Gruber-Risak/Berger/Warter, Plattformarbeit – was tun? Grundlagenpapier für die AK Wien [2020]; Risak, Gig-Economy und Crowdwork – was ist das? in Lutz/Risak, Arbeit in der Gig-Economy 12 [16]; ähnlich Warter, Crowdwork [2016] 27 ff; Pfalz, Grundfragen der Plattformarbeit, in Kietaibl/Mosler/Pacic [Hrsg], Gedenkschrift Robert Rebhahn [2019] 425 [426]; Eurofound, Employment and working conditions of selected types of platform work [2018]; Kilhoffer et al, Study to gather evidence on the working conditions of platform workers [2019] 25). Plattformarbeit ist somit ein wichtiges Beispiel für neue Formen der Arbeitsorganisation, die den herkömmlichen AN-Begriff vor Herausforderungen stellen. Dies insb deshalb, da Plattformen idR davon ausgehen, dass die über sie tätigen LeistungserbringerInnen Selbständige seien und daher nicht dem Arbeitsrecht unterliegen. Es ist aber in vielen Fällen fraglich, ob das tatsächlich der Fall ist, da wegen der starken faktischen Kontroll- und Einflussmöglichkeiten bei der Leistungserbringung durch die Plattformen in Wirklichkeit häufig Scheinselbständigkeit vorliegt und Plattformbeschäftigte eigentlich AN sind. Gerade die virtuelle Dimension der Plattformarbeit, die eine besonders effektive automatisierte Form der Leistungssteuerung und -kontrolle ermöglicht, legt ein solches Ergebnis nahe (so schon Risak, Crowdwork, ZAS 2015/3; Warter, Crowdwork 153 ff; ders, Anm zu EuGH Rs Yodel Delivery, DRdA 2021, 127 [131]).

Und tatsächlich haben in letzter Zeit zahlreiche Gerichte in Europa Plattformbeschäftigte als AN umqualifiziert, wobei aber sowohl die Sachverhalte als auch die Argumente zT sehr unterschiedlich waren (dazu De Stefano et al, Platform work and the employment relationship, ILO Working Paper 27 [2021]). Der wohl bekannteste Fall war jener im Vereinigten Königreich in der Rs Aslam und Farrar gegen Uber BV, der am 19.2.2021 vom UK Supreme Court ([2021] UKSC 5) in letzter Instanz entschieden wurde. Demnach sind Uber-FahrerInnen als workers nach Englischem Arbeitsrecht anzusehen, der österreichischen AN entsprechende Status als employees wurde nicht eingeklagt. Zur Begründung werden fünf Argumente angeführt (Festlegung der Preise und der Arbeitsbedingungen durch Uber, faktisch beschränkte Ablehnungsrechte bei angebotenen Aufträgen, Kontrolle über die Leistungserbringung durch ein Rating-System, Beschränkung der Kommunikation mit KundInnen). Auch das französische Höchstgericht Court de Cassation hat 2020 den AN-Status von Uber-FahrerInnen bestätigt (4.3.2020, N° 374), nachdem es schon 2018 selbiges für EssenszustellerInnen der Plattform Take That Easy festgestellt hat (28.11.2018, N° 1737). Auch in Spanien hat das Höchstgericht Tribunal Supremo ebenfalls für EssenszustellerInnen (diesmal die Plattform Glovo) deren AN-Status festgestellt (25.9.2020, rec. 476/2019), wobei hier insb das Argument herangezogen wurde, dass die Plattform selbst das wichtigste (digitale) Produktionsmittel und zudem das Reputationssystem ein wesentliches Kontrollinstrument sei. Auch das deutsche BAG (1.12.2020, 9 AZR 102/20) sieht einen über die Plattform Roamler Arbeitenden, der die Präsentation von Markenprodukten im Einzelhandel und an Tankstellen durch auf die Plattform hochzuladende Fotos kontrolliert, als AN an. Es wird argumentiert, dass die Tätigkeit über die Plattform so gesteuert wurde, dass der Auftragnehmer diese nicht nach Ort, Zeit und Inhalt frei gestalten konnte. Zwar war er vertraglich nicht zur Annahme von Angeboten verpflichtet, die Organisationsstruktur der Plattform war aber darauf ausgerichtet, dass deren NutzerInnen kontinuierlich Bündel einfacher, Schritt für Schritt vertraglich vorgegebener Kleinstaufträge annehmen, um diese persönlich zu erledigen. Erst ein mit der Anzahl durchgeführter Aufträge erhöhtes Level im Bewertungssystem ermöglichte es ihnen, gleichzeitig mehrere Aufträge anzunehmen, um diese auf einer Route zu erledigen und damit faktisch einen höheren Stundenlohn zu erzielen. Durch dieses Anreizsystem wurde der Kl im deutschen Anlassfall dazu veranlasst, kontinuierlich Kontrolltätigkeiten zu erledigen, sodass nach dem Bundesarbeitsgericht (BAG) ein durchgängiges Arbeitsverhältnis vorlag. Das italienische HöchstgerichtCorte di Cassatione (24.1.2020, 1663/2020) ging einen anderen Weg, indem es den AN-Status nicht mehr als den alleinigen Anknüpfungspunkt für die Schutzbedürftigkeit von Plattformbeschäftigten (hier: EssenszustellerInnen) ansah und ihnen unabhängig davon auf Basis von deren organisatorischer Eingliederung Kündigungsschutz gewährte (dazu Aloisi, A fascinating chapter in the „gig“ saga. How to deliver decent work to platform workers in Italy? [2020] 4).

Freilich ist dieses für Plattformbeschäftigte positive Bild nicht ganz einheitlich, gibt es doch auch Entscheidungen, die dem Narrativ der Plattformen folgen und eine AN-Eigenschaft von Plattformbeschäftigten verneinen. Allen voran der Beschluss des EuGH in der Rs Yodel Delivery (C-692/19, AuR 2020, 524 [krit Risak] = DRdA 2021, 127 [krit Warter]). Der EuGH betont, dass über Plattform arbeitende PaketzustellerInnen nicht als AN iSd Arbeitszeit-RL 2003/88/EG anzusehen sind, wenn ihnen Entscheidungsspielräume durch Vertretungs- und Weitergaberechte, Ablehnungsrechte, Arbeitszeitautonomie und das Fehlen von Nebenbeschäftigungs- und Wettbewerbsverboten eingeräumt sind. Dies freilich alles unter der Bedingung, dass die Selbständigkeit nicht bloß fiktiv ist und auch sonst kein Unterordnungsverhältnis zwischen ihnen und den mutmaßlichen AG besteht. 207

Die anderen EuGH-Entscheidungen zur Plattformwirtschaft, in concreto zur Transportplattform Uber (EuGH 20.12.2017, C-434/15, Elite Taxi; EuGH 10.4.2018, C-320/16, Uber France) behandeln nicht den AN-Status der FahrerInnen, sondern die Frage der Einordnung der Geschäftstätigkeit im Lichte der E-Commerce-RL 2000/31/EG. Ähnlich wie der EuGH in der Rs Yodel Delivery argumentiert auch ein Gericht in Belgien (Tribunal de l‘enterprise francophone de Bruxelles 16.1.2019, A/18/02920) zu Uber-FahrerInnen und verneint deren AN-Eigenschaft, weil es ihnen freisteht, wo, wann und wie lange sie arbeiten wollen sowie welche Fahrten sie annehmen oder ablehnen.

Somit zeichnet sich europaweit ein gewisser Trend ab in die Richtung, dass verstärkt Plattformbeschäftigte als AN umqualifiziert werden bzw ihnen zumindest zT der Schutz des Arbeitsrechts zugesprochen wird. Dies ist freilich nicht einheitlich, wie insb die E des EuGH in der Rs Yodel Delivery zeigt. Eines ist aber klar: Immer dort, wo ein eher traditionelles Verständnis vertreten wird, das zudem noch stark auf formale Elemente abstellt, dort sieht es nicht unbedingt gut aus für eine Einbeziehung der Plattformbeschäftigten hinsichtlich des Sozialschutzes (so auch Warter, DRdA 2021, 134). Die zeitgemäße Anpassung des Schutzbereiches des Arbeitsrechts hat daher mE an zwei Hebeln anzusetzen: Einerseits geht es darum, ob bestimmte Rechte nur deshalb in den Vertrag aufgenommen wurden, um die Qualifikation als Arbeitsvertrag zu vermeiden oder ob es auch tatsächliche Spielräume für die Arbeitenden gibt. In diesem Sinne hat die Rsp auch schon in der Vergangenheit berücksichtigt, ob vertragliche Spielräume (zB Ablehnungs- und Vertretungsrechte) in der Praxis auch tatsächlich genutzt werden, und, falls nicht, die Umstände es zumindest wahrscheinlich machen, dass sie genutzt werden können (so zB OGH 13.11.2003, 8 ObA 86/03; OGH 19.12.2007, 9 ObA 118/07d). Andererseits geht es um eine angemessene Berücksichtigung der virtuellen Dimension der Plattformarbeit, die zu einer hohen Kontrolldichte führt, die in einigen der oben angesprochenen Entscheidungen bereits als relevant angesehen wurde (siehe auch Risak, Cyberwork-Rechtliche Aspekte des Arbeitens im virtuellen Raum, in Reichl/Pfeil/Urnik, Die Arbeit ist immer und überall [2020] 71 [76]).

3.
Zur Arbeitskräfteüberlassung bei Transportplattformen in Österreich

Der Sachverhalt der hier zu besprechenden E ist freilich anders gelagert als jene in Pkt 2. angeführten, da es hier keine direkte rechtliche Beziehung zwischen der Plattform und den FahrerInnen gibt. Es sind nämlich aus gewerberechtlichen Gründen Mietwagenunternehmen dazwischengeschaltet, die FahrerInnen in einem Dienstverhältnis beschäftigen. Die AN-Eigenschaft ist daher nicht strittig, sondern lediglich, ob die Transportplattform AG-Befugnisse in einem Ausmaß ausübt, dass diese als Beschäftiger der vom Mietwagenunternehmen überlassenen FahrerInnen angesehen werden können (so schon Balla in Lutz/Risak, Arbeit in der Gig-Economy 117).

Letztlich geht es dabei aber wieder um die Frage, inwieweit die Transportplattform die Arbeitsleistung determiniert und kontrolliert, sodass gesagt werden kann, dass diese sie iSd § 3 Abs 4 AÜG „zur Arbeitsleistung für betriebseigene Aufgaben einsetzen“. Die entsprechende Beurteilung ist nach § 4 Abs 1 AÜG nach dem wahren wirtschaftlichen Gehalt vorzunehmen, womit der gelebten Vertragspraxis eine große Bedeutung zukommt (dazu Schindler in ZellKomm3 § 4 AÜG Rz 1 ff; Laback in Schrattbauer, AÜG § 4 Rz 4 ff). Das ist insb im Zusammenhang mit dem von der Transportplattform vorgebrachten Ablehnungsrecht betreffend einzelner Aufträge von Bedeutung, wobei das Erstgericht davon ausging, dass dies „hochgradig unerwünscht war“ und dass das gesamte Geschäftsmodell wegen der daraus resultierenden zusätzlichen Wartezeiten für die KundInnen in Frage gestellt werden würde.

Ebenso von Interesse sind die Kriterien des § 4 Abs 2 AÜG, wobei auch schon bei der Erfüllung nur bei einer der vier Ziffern nach der Rsp jedenfalls Arbeitskräfteüberlassung vorliegt (VwGH 22.10.1996, 94/08/0178; OGH8 ObA 7/14hDRdA-infas 2015, 14 [zust Tinhof ]). Daran hält der OGH zuletzt auch weiterhin fest (OGH8 ObA 63/20h ARD 6735/10/2021; OGH 17.12.2020, 9 ObA 60/20v). Diese Kriterien, die für die Abgrenzung zum Werkvertrag entwickelt wurden, können auch für den vorliegenden Fall einer Transportdienstleistung fruchtbar gemacht werden, wobei eine angemessene Berücksichtigung der virtuellen Dimension der Arbeitsleistung wesentlich ist. Der „Betrieb“ iSd § 4 Abs 2 AÜG ist in dem Zusammenhang auch und vor allem als virtueller Betrieb zu sehen (dazu Gruber-Risak in Reichel/Pfeil/Urnik, Die Arbeit ist immer und überall 81), der wesentlich durch digitale Arbeitsmittel (die App) konstituiert wird. Der vom Erstgericht festgestellte Sachverhalt zeigt sehr gut, dass eigentlich der gesamte Arbeitsablauf über diese organisiert und abgewickelt wird. Konkret sind insb die Z 1 (keine abweichende, unterscheidbare und dem Transportunternehmen zurechenbare Dienstleistung) und die Z 3 leg cit (organisatorische Eingliederung in den virtuellen Betrieb der Transportplattform und Unterstellung unter deren Fachaufsicht insb durch das KundInnen-Rating und -Feedback). Damit kann auf Basis des festgestellten und letztlich auch vom Berufungsgericht bestätigten Sachverhaltes nicht mehr strittig sein, dass die vom Mietwagenunternehmen angestellten FahrerInnen an die Transportplattform iSd AÜG überlassen wurden. Dass das Berufungsgericht dies nicht zumindest in einem obiter dictum ausdrücklich bestätigte, ist bedauerlich und trägt nicht unbedingt zur Klärung der Rechtslage in diesem von Grauzonen bestimmten Wirtschaftssegment bei. Das Ergebnis des Verfahrens zeigt leider auch, dass selbst bei Vorliegen von Arbeitsverhältnissen in der Plattformwirtschaft weiterhin Schutzdefizite bestehen und Plattformen sich erfolgreich der Verantwortung für die Einhaltung insb von (Mindest-)Entgeltbestimmungen durch Zwischenschaltung von zusätzlichen VertragspartnerInnen entledigen können. 208