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Haftung des Halters eines Radladers für Schadenersatz nach einem tödlichen Arbeitsunfall wegen Sorgfaltsverstoßes des Lenkers

MANFREDTINHOF

Ein Arbeiter wurde in Ausübung seiner Tätigkeit auf dem Firmengelände von einem Radlader überrollt und kam dadurch zu Tode. Der Verunfallte befand sich rund 0,4 Sekunden vor dem Kontakt mit der Heckstoßstange des Radladers im Sichtfeld des linken Außenspiegels. Er war auch 0,3 bis 0,4 Sekunden vor dem Erstkontakt mit dem Heckstoßfänger und über rund 0,6 bis 0,7 Sekunden nach der Umstoßbewegung im Monitor der Rückfahrkamera, dort sohin über einen Zeitraum von 0,9 bis 1,1 Sekunden sichtbar. Auch unter Berücksichtigung der Reaktionszeit wäre das tödliche Überrollen des Verunfallten durch Beobachtung des linken Rückspiegels und des Fahrassistenten vermeidbar gewesen.

Im vorliegenden Verfahren geht es ua um Regressforderungen der kl Versicherungsanstalten gegen den Halter des Kraftfahrzeuges, mit dem der Unfall verursacht wurde. Der OGH wies dessen außerordentliche Revision, in der die Beurteilung des verfahrensgegenständlichen Unfalls als unabwendbares Ereignis iSd § 9 Abs 2 Eisenbahn- und Kraftfahrzeughaftpflichtgesetz (EKHG) angestrebt wird, gem § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurück.

Gem § 5 Abs 1 EKHG haftet grundsätzlich der Halter des Kraftfahrzeuges für den Schadenersatz. Nach § 9 Abs 1 EKHG ist die Ersatzpflicht hingegen ausgeschlossen, wenn der Unfall durch ein unabwendbares Ereignis verursacht wurde, das weder auf einem Fehler in der Beschaffenheit noch auf einem Versagen der Verrichtungen der Eisenbahn oder des Kraftfahrzeuges beruhte. Die Haftungsbefreiung nach § 9 Abs 2 EKHG setzt zur Annahme eines unabwendbaren Ereignisses ua voraus, dass die beim Betrieb eines Fahrzeuges tätigen Personen „jede nach den Umständen des Falles gebotene Sorgfalt beachtet haben“.

Maßstab für die Sorgfaltspflicht nach § 9 Abs 2 EKHG ist die Sorgfalt eines sachkundigen, erfahrenen Kraftfahrers. Unter dem Begriff „jede nach den Umständen des Falles gebotene Sorgfalt“ ist die äußerste, nach den Umständen des Falles mögliche Sorgfalt zu verstehen. Es muss alles vermieden werden, was zur Entstehung einer gefahrenträchtigen Situation führen könnte. Diese äußerste gebotene Sorgfalt ist dann eingehalten, wenn der Fahrzeuglenker eine über die gewöhnliche Sorgfaltspflicht hinausgehende, besonders überlegene Aufmerksamkeit, Geistesgegenwart und Umsicht gezeigt hat, die zB auch die Rücksichtnahme auf eine durch die Umstände nahegelegte Möglichkeit eines unrichtigen oder ungeschickten Verhaltens anderer gebietet. Es kommt also darauf an, dass auch für einen besonders sorgfältigen Kraftfahrer bei der gegebenen Sachlage der geschehene Unfall unvermeidbar war. Hat der Lenker des Kraftfahrzeuges nicht die äußerste ihm nach den Umständen zumutbare Verkehrssorgfalt beachtet, ist ihm der Entlastungsbeweis nach § 9 Abs 2 EKHG nicht gelungen. Diese Sorgfaltspflicht darf aber nicht überspannt werden, soll eine vom Gesetzgeber nicht gewollte Erfolgshaftung vermieden werden.189

Die Beurteilung des Berufungsgerichts, dass den Lenker des Radladers nach diesen Maßstäben ein Sorgfaltsverstoß am verfahrensgegenständlichen Unfall trifft, hält sich im Rahmen oberstgerichtlicher Rsp. Zutreffend wies das Berufungsgericht darauf hin, dass eine Rückfahrkamera gerade dazu dient, den nicht einsehbaren Bereich hinter dem Fahrzeug sichtbar zu machen. Es sprengt auch nicht den Rahmen der gebotenen äußersten Sorgfalt, bei einer Rückwärtsfahrt eines schweren Baufahrzeuges die Rückspiegel und den Monitor der Rückfahrkamera permanent im Auge zu behalten, insb, wenn mit dem Verunfallten kurz davor am Fenster des Radladers gesprochen wurde und damit nicht ausgeschlossen war, dass er sich noch in der Nähe befand.