96SWÖ-KollV: Keine unterkollektivvertragliche Entlohnung bei ausschließlicher Leistung und Bezahlung von geringer zu entlohnender Nachtarbeitsbereitschaft; Widmung offener Minusstunden als konsumierte Nachtgutstunden
SWÖ-KollV: Keine unterkollektivvertragliche Entlohnung bei ausschließlicher Leistung und Bezahlung von geringer zu entlohnender Nachtarbeitsbereitschaft; Widmung offener Minusstunden als konsumierte Nachtgutstunden
Weder allgemeine arbeitsrechtliche Bestimmungen noch der KollV der Sozialwirtschaft Österreich im Besonderen untersagen es einem AN, sich vertraglich ausschließlich zur Leistung von Nachtbereitschaftsdiensten zu verpflichten. Die Bestimmungen des § 8 Abs 3 lit d und e des SWÖ-KollV, welche für die in den Nachtstunden von 22 Uhr bis 6 Uhr erbrachte Arbeitsbereitschaft nicht den Grundlohn, sondern ein reduziertes Entgelt vorsehen, definieren für ihren inhaltlich umschriebenen Anwendungsbereich das kollektivvertragliche Mindestentgelt für die Nachtarbeitsbereitschaft.
Ist die Modalität des Naturalverbrauchs von Nachtgutstunden iSd § 9 Abs 4 SWÖ-KollV weder in einer BV noch in einer einzelvertraglichen Vereinbarung geregelt, so bestehen keine Bedenken gegen eine rechtliche Beurteilung dahingehend, dass die AG den Konsum offener Gutstunden durch eine entsprechende kürzere Diensteinteilung verwirklichen konnte, sodass sie auch berechtigt war, die bei Beendigung des Dienstverhältnisses offenen Minusstunden, die tatsächlich Freizeit darstellten, als konsumierte Gutstunden zu widmen.
Ein AN war vom 19.5.2014 bis 31.8.2018 bei der bekl AG als Pflegeassistent in Vollzeit mit 38 Wochenstunden beschäftigt. Das Dienstverhältnis unterlag dem KollV der Sozialwirtschaft Österreich (SWÖ-KollV). Seit 2016 verrichtete der AN über seinen Wunsch ausschließlich nur mehr Nachtbereitschaftsdienste. Eine Änderung des Beschäftigungsausmaßes erfolgte nicht. Zwischen den Parteien war die Bezahlung jener Zeiten, in denen der Bereitschaftsdienst des AN durch Arbeitstätigkeit unterbrochen wurde, als Nachtarbeitsstunden vereinbart, für die auch kollektivvertragliche Nachtgutstunden nach § 9 Abs 4 SWÖ-KollV verzeichnet wurden (für jeden geleisteten Nachdienst steht dieser Regelung zufolge ein Zeitguthaben im Ausmaß von zwei Gutstunden zu, das binnen sechs Monaten zu verbrauchen ist und nicht in Geld abgegolten werden darf; Anm des Bearbeiters). Die Stunden des bloßen Bereitschaftsdienstes wurden von der AG nach § 8 Abs 3 lit e SWÖ-KollV (geringer entlohnte Nacharbeitsbereitschaft in vom AG beigestellten Dienstwohnungen) mit 25 % des Grundstundenlohns bezahlt.
Bei Beendigung des Dienstverhältnisses wies der AN rund 23 Nachtgutstunden und gleichzeitig rund 13 Minusstunden auf. Der Geschäftsführer der AG erklärte dem AN, dass er eine Gegenverrechnung vornehme und ihm daher zehn Nachtgutstunden ausbezahlt würden. In seiner Klage begehrte der AN – soweit hier von Bedeutung – die Differenz zwischen dem erhaltenen Entgelt und dem kollektivvertraglichen Mindestgehalt für die Normalarbeitszeit sowie die Auszahlung weiterer 13 Nachtgutstunden.
Das Erstgericht sprach dem AN die geforderte Differenz auf den kollektivvertraglichen Mindestgehalt für eine 38 Stunden-Woche sowie die verlangten Nachtgutstunden zu. Das Berufungsgericht gab dem Rechtsmittel der AG teilweise Folge und sprach dem AN lediglich die Differenz auf 50 % des Grundstundenlohnes für die geleistete Nachtarbeitsbereitschaft gem § 8 Abs 3 lit d SWÖ-KollV, aber nicht die Nachtgutstunden zu. Der OGH erachtete die Revision des AN zwar für zulässig, nicht aber für berechtigt.
„[…] [15] 1.1. Nach § 5a AZG kann der Kollektivvertrag, wenn die Arbeitszeit überwiegend aus Arbeitsbereitschaft mit besonderen Erholungsmöglichkeiten besteht, die Betriebsvereinbarung auf Grundlage eines arbeitsmedizinischen Gutachtens ermächtigen, dreimal pro Woche eine Ausdehnung der täglichen Normalarbeitszeit bis auf 24 Stunden zuzulassen. […]
[16] 1.2. In § 8 SWÖ-KV wird von dieser gesetzlichen Ermächtigung in folgender Weise Gebrauch gemacht:
‚(...) 2) Fällt in die Arbeitszeit der Arbeitnehmerin regelmäßig und in erheblichem Umfang Arbeitsbereitschaft, kann die Betriebsvereinbarung eine Erhöhung der täglichen Normalarbeitszeit auf zwölf Stunden zulassen.
3) a) Fällt in die Arbeitszeit der Arbeitnehmerin in überwiegendem Umfang Arbeitsbereitschaft und liegen die übrigen Voraussetzungen iSd § 5a AZG vor, kann die Betriebsvereinbarung eine Verlängerung sowohl der täglichen als auch der wöchentlichen Normalarbeitszeit zulassen.
b) Die Betriebsvereinbarung kann eine Ausdehnung der täglichen Normalarbeitszeit im Zusammenhang mit geringer zu entlohnender Arbeitsbereitschaft auf bis zu 16 Stunden max. 3 x pro Woche zulassen. Die Betriebsvereinbarung kann eine weitere Ausdehnung auf bis zu 24 Stunden zulassen, wenn in die Arbeitszeit 193Teambesprechungen, Supervision, Wochenenddienst oder gleichwertige Formen der Arbeit fallen.
c) (...) Die Betriebsvereinbarung kann eine weitere Ausdehnung der durchschnittlichen Wochenarbeitszeit auf 50 Stunden zulassen, wenn die Anzahl der Arbeitnehmerinnen pro Team unter 8 Arbeitnehmerinnen liegt. (...) Die Verlängerung der wöchentlichen Normalarbeitszeit hat sich dabei ausschließlich aus Zeiten der Nachtarbeitsbereitschaft zu ergeben. (...).
d) Zeiten der Nachtarbeitsbereitschaft (von 22:00 bis 6:00 Uhr) werden mit 50 % des Grundstundenlohnes abgegolten (= geringer zu entlohnende Nachtarbeitsbereitschaft). Eine Arbeitsaufnahme während der geringer zu entlohnenden Nachtarbeitsbereitschaft unterbricht diese und ist wie folgt zu vergüten: Jede angefangene halbe Stunde wird als halbe Stunde gerechnet und wie Nachtarbeit (siehe § 9) vergütet. (...).‘
[17] 1.3. Der SWÖ-KV unterscheidet zwischen Bereitschaftszeiten, die bei regelmäßigem Anfall unter den Voraussetzungen des § 5a AZG eine Ausdehnung der Normalarbeitszeit ermöglichen, und der Nachtarbeitsbereitschaft, die ausschließlich zwischen 22:00 Uhr und 6:00 Uhr anfällt.
[18] Der unterschiedlichen Behandlung von Nachtarbeitsbereitschaft und sonstigen Bereitschaftszeiten liegt der Gedanke zugrunde, dass die Arbeitskraft der Dienstnehmer während der Zeit der allgemeinen Nachtruhe typischerweise selten in Anspruch genommen wird und die Phasen der besonderen Erholungsmöglichkeit überwiegen (Löschnigg/Resch, SWÖ-KV 2020, § 8 Anm 13).
[19] Nach ständiger Rechtsprechung dürfen Zeiten der Arbeitsbereitschaft aufgrund der geringeren Beanspruchung des Arbeitnehmers (Überstunden ‚minderer Art‘) grundsätzlich auch geringer entlohnt werden (RIS-Justiz RS0116870, RS0054879, RS0027969, RS0021399, RS0021667). Die entlohnungsrechtliche Seite ist vom arbeitnehmerschutzrechtlichen Aspekt zulässiger Höchstarbeitszeiten zu unterscheiden (vgl schon 4 Ob 111/81
[Runggaldier]). Eine Unzulässigkeit einer Mehrarbeitsleistung wirkt sich nicht auf den Entlohnungsanspruch aus.[20] 1.4. In diesem Sinn ist es für über die Normalarbeitszeit hinausgehende Bereitschaftszeiten nicht notwendig, dass ohne Rücksicht auf das Ausmaß der erbrachten vertragsmäßigen Arbeitsleistung Überstundenentgelt zustehen muss (vgl RS0054541, 9 ObA 99/08m; 9 ObA 25/11h; tw krit Klein, AZG5 §§ 5 und 5a Rz 17 ff). Es ist sogar zulässig, ein kollektivvertragliches oder einzelvertragliches Entgelt zu vereinbaren, das geringer als der Normalstundenlohn ist (RS0021399).
[21] 1.5. Der SWÖ-KV sieht in seinem § 8 Abs 3 lit d und e eine abweichende Mindestentgeltregelung für Nachtarbeitsbereitschaft vor. Eine Einschränkung dahin, dass dieses verringerte Mindestentgelt lediglich für Zeiten gelten sollte, die innerhalb einer nach § 8 Abs 2 und 3 lit a bis c SWÖ-KV verlängerten Normalarbeitszeit liegen, kann dieser Regelung nicht entnommen werden.
[22] Der gegenteilige Standpunkt des Revisionswerbers würde bedeuten, dass die gleiche Arbeitsleistung in den Nachtstunden abhängig von der Person des Arbeitnehmers unterschiedlich zu entlohnen wäre. Arbeitnehmer, die auch tagsüber arbeiten bzw im Rahmen einer ausgedehnten Normalarbeitszeit von mehr als 38 Stunden beschäftigt werden, hätten für die Zeit der Nachtarbeitsbereitschaft ungeachtet einer insgesamt größeren zeitlichen Belastung einen geringeren Entgeltanspruch als der Kläger. Eine solche Auslegung stünde mit dem Gleichbehandlungsgrundsatz im Konflikt und vermag nicht zu überzeugen.
[23] 1.6. Weder allgemeine arbeitsrechtliche Bestimmungen noch der SWÖ-KV im Besonderen untersagen es einem Dienstnehmer, sich vertraglich ausschließlich zur Leistung von Nachtbereitschaftsdiensten zu verpflichten.
[…]
[25] 1.7. Für die in den Nachtstunden von 22:00 Uhr bis 6:00 Uhr erbrachte Arbeitsbereitschaft gebührt nach § 8 Abs 3 lit d bzw lit e SWÖ-KV nicht der Grundlohn, sondern ein reduziertes Entgelt. Für die während der Nachtarbeitsbereitschaft angefallenen Arbeitsstunden sind darüber hinaus die in § 9 Abs 2 SWÖ-KV geregelten (hier nicht gegenständlichen) Zuschläge zu bezahlen. Die Regelung des § 8 Abs 3 lit d und e SWÖ-KV definiert daher für ihren inhaltlich umschriebenen Anwendungsbereich das kollektivvertragliche Mindestentgelt.
[26] Von dieser Rechtsansicht ist das Berufungsgericht zutreffend ausgegangen. Seine Beurteilung, dass die Voraussetzungen des § 8 Abs 3 lit e SWÖ-KV für eine Reduktion auf 25 % des Grundstundenlohns nicht erfüllt waren und dem Klagebegehren insoweit teilweise Berechtigung zukommt, ist unbekämpft geblieben.
[27] 2. Gegen die Abweisung des auf Entlohnung offener Gutstunden gerichteten Teils des Klagebegehrens wendet sich die Revision mit der Begründung, dass es der Beklagten möglich gewesen wäre, das Entstehen der gegenverrechneten Minusstunden bei entsprechender Diensteinteilung zu verhindern. Der Kläger habe der Verrechnung auch nicht konkludent zugestimmt, weil einem bloßen Schweigen kein eindeutiger Rechtsfolgewillen beigemessen werden könne.
[28] 2.1. Der Kläger stützt seinen Anspruch auf § 9 Abs 4 SWÖ-KV, der vorsieht, dass für jeden geleisteten Nachtdienst für Mitarbeiterinnen in Einrichtungen mit stationärer Pflege für den Bereich Pflege ein Zeitguthaben im Ausmaß von zwei Gutstunden gebührt.
[…]
[32] 2.5. Zur Frage, in welcher Weise im Betrieb der Beklagten Nachtgutstunden üblicherweise zu konsumieren waren, haben die Parteien nichts vorgebracht. Weder haben sie sich auf eine allfällige Betriebsvereinbarung im Sinn des § 9 Abs 4 194SWÖ-KV berufen, noch stützt sich der Kläger auf eine einzelvertraglich vereinbarte Modalität des Naturalverbrauchs.
[33] Unter diesen Voraussetzungen bestehen keine Bedenken gegen die rechtliche Beurteilung des Berufungsgerichts, dass die Beklagte den Konsum offener Gutstunden durch eine entsprechende kürzere Diensteinteilung verwirklichen konnte, sodass sie auch berechtigt war, die bei Beendigung des Dienstverhältnisses offenen Minusstunden, die tatsächlich Freizeit darstellten, als konsumierte Gutstunden zu widmen.“
In der vorliegenden E geht es einerseits um die Höhe der Entlohnung eines Pflegeassistenten, der im Bereich des SWÖ-KollV ausschließlich Nachtarbeitsbereitschaft geleistet hat und andererseits darum, ob eine von der AG – in geringerem Ausmaß als vereinbart – vorgenommene Diensteinteilung, durch die „Minusstunden“ entstanden sind, mit den gemäß KollV zustehenden Nachtgutstunden kompensiert werden kann.
Die zwischen den Arbeitsvertragsparteien vereinbarte Wochenarbeitszeit von 38 Stunden entsprach der kollektivvertraglichen Normalarbeitszeit. Der AN leistete ausschließlich Nachtarbeitsbereitschaften, die nach dem KollV geringer zu entlohnen sind; und zwar grundsätzlich mit 50 % (§ 8 Abs 3 lit d KollV), im Fall von beigestellten Dienstwohnungen mit 25 % (§ 8 Abs 3 lit e KollV) des Grundstundenlohnes. Die Gerichte hatten die Frage zu entscheiden, ob in diesem eher ungewöhnlichen Fall trotzdem die im KollV für die Normalarbeitszeit vorgesehene Entlohnung zusteht, oder eben die gekürzte Entlohnung, die für die Nachtarbeitsbereitschaft vorgesehen ist.
Zur Begründung seiner Entscheidung, dass im gegenständlichen Fall die geringere Entlohnung statthaft ist, verweist der OGH auf die im KollV vorgenommene Unterscheidung zwischen Nachtarbeitsbereitschaft (§ 8 Abs 3 lit d KollV) und sonstigen Bereitschaftszeiten (§ 8 Abs 3 lit a-c KollV). Während die Regelungen über die sonstigen Bereitschaftszeiten den Zweck haben, die Arbeitszeit ohne verpflichtende Gewährung von Überstundenzuschlägen zu verlängern, sieht der KollV für Nachtarbeitsbereitschaft eine abweichende Mindestentgelt-Regelung vor. Der zeitliche Rahmen für Nachtarbeitsbereitschaft ist genau definiert (22 bis 6 Uhr). Sie muss auch nicht in Zeiträumen der durch sonstige Arbeitsbereitschaft verlängerten Normalarbeitszeit liegen. Das kollektivvertragliche Mindestentgelt wird daher hier durch die Bestimmung über die geringer zu entlohnende Nachtarbeitsbereitschaft definiert. Der AN hatte somit trotz 38 Stunden-Woche keinen Anspruch auf das in der Gehaltstabelle für eine Vollzeitkraft ersichtliche Gehalt. Da die AG keine Dienstwohnung beigestellt hatte, konnte der AN aber zumindest die Differenz zwischen der gewährten 25 %-igen und der 50 %-igen Entlohnung erstreiten.
Gem § 1155 Abs 1 ABGB gebührt dem AN auch für Dienstleistungen, die nicht zustande gekommen sind, das Entgelt, wenn er zur Leistung bereit war und durch Umstände, die auf der Seite des AG liegen, daran verhindert worden ist. Im Regelfall darf der AG somit das vereinbarte Entgelt dann nicht kürzen, wenn durch sein Handeln – etwa durch zeitlich zu geringe Arbeitseinteilung – „Minusstunden“ entstanden sind. Hier wurde das Begehren des AN auf Bezahlung von restlichen Nachtgutstunden vom Berufungsgericht – bestätigt durch den OGH – dennoch abgewiesen. Der OGH ließ die Widmung der offenen Minusstunden als konsumierte Gutstunden zu. Dies, obwohl anzunehmen ist, dass weder AG noch AN bei der ein geringeres als das vereinbarte Stundenausmaß aufweisenden Diensteinteilung im Auge hatten, offene Nachtgutstunden einzulösen. Sonst wären wohl die Zeitkonten unmittelbar nach Konsumation der Gutstunden angepasst worden. Der OGH begründete diese Entscheidung mit dem mangelnden Vorbringen der Parteien zur Frage, in welcher Weise im Betrieb Nachtgutstunden üblicherweise zu konsumieren waren.