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Berechnung des Arbeitsentgelts gem § 14 MSchG im Anschluss an eine Bildungskarenz

GREGORKALTSCHMIDT
§§ 6, 14 MSchG; Art 7, 11 Mutterschutz-RL

§ 14 MSchG ist in unionsrechtskonformer Auslegung dahingehend auszulegen, dass als Referenzzeitraum nur ein solcher in Betracht kommt, in welchem die AN von ihrem AG überhaupt ein Entgelt bezog. Bei einer der Beschäftungseinschränkung bzw dem Beschäftigungsverbot nach dem MSchG vorangehenden Bildungskarenz kommen damit als Referenzzeitraum für die Berechnung des weiterzuzahlenden Entgelts nur die dreizehn Wochen vor Antritt der Bildungskarenz in Betracht.

Sachverhalt

Die Kl ist seit dem 1.11.2012 bei der Bekl als diplomierte Gesundheits- und Krankenschwester beschäftigt. Die Kl befand sich vom 1.3.2018 bis 28.2.2019 in Bildungskarenz (Sonderausbildung Kinder- und Jugendlichenpflege) auf Kosten der 195Bekl. Während der Bildungskarenz wurde die Kl schwanger. Der errechnete Geburtstermin war der 12.9.2019. Das absolute Beschäftigungsverbot begann am 18.7.2019. Die Kl kehrte mit 1.3.2019 aus der Bildungskarenz zurück und wurde seit diesem Tag von der Bekl nicht mehr zu Nachtdiensten eingeteilt. Unter Zugrundelegung der letzten drei Monate vor Beginn der Bildungskarenz beträgt der Nachtdienstzulagenschnitt € 205,54 brutto pro Monat.

Verfahren und Entscheidung

Die Kl begehrte den Nachtdienstzulagenschnitt für den Zeitraum 1.3. bis 17.7.2019 in Höhe des eingeklagten Betrags. Die Bekl verweigerte ihr die Zahlung des Dreimonatsschnitts der Nachtdienstzulage gem § 14 MSchG, weil sie in den letzten dreizehn Wochen vor dem 1.3.2019 während der Bildungskarenz mit Weiterbildungsgeldbezug keine Nachtdienste geleistet habe.

Die Bekl beantragte die Klagsabweisung. Sie führte im Wesentlichen aus, dass § 14 Abs 1 MSchG die Verlängerung der dreizehnwöchigen Frist (Durchrechnungszeitraum) nur in zwei Fällen vorsehe, nämlich in jenem der Erkrankung und jenem der Kurzarbeit. Keiner dieser gesetzlichen Ausnahmefälle liege vor.

Das Erstgericht wies die Klage ab. Das Berufungsgericht änderte das Urteil im klagsstattgebenden Sinn ab. Der OGH ließ die außerordentliche Revision der Bekl zwar zu, erachtete sie aber als nicht berechtigt.

Originalzitate aus der Entscheidung

„[…] [14] 1. Für werdende und stillende Mütter gilt ein in § 6 Mutterschutzgesetz 1979 (kurz: MuttSchG, BGBl 1979/221 [Wv] idgF) näher bestimmtes Verbot der Nachtarbeit. Mit § 6 MuttSchG wird grundsätzlich Art 7 Richtlinie 92/85/EWG über die Durchführung von Maßnahmen zur Verbesserung der Sicherheit und des Gesundheitsschutzes von schwangeren Arbeitnehmerinnen, Wöchnerinnen und stillenden Arbeitnehmerinnen am Arbeitsplatz (kurz: Mutterschutz-RL) in das österreichische Recht umgesetzt […]. Danach treffen die Mitgliedstaaten die erforderlichen Maßnahmen, damit Arbeitnehmerinnen iSd Art 2 – dies sind schwangere Arbeitnehmerinnen, Wöchnerinnen und stillende Arbeitnehmerinnen – während ihrer Schwangerschaft und während eines von der für die Sicherheit und den Gesundheitsschutz zuständigen einzelstaatlichen Behörde festzulegenden Zeitraums nach der Entbindung nicht zu Nachtarbeit verpflichtet werden […]. […]

[15] 2.1. Nach Art 11 Nr 1 Mutterschutz-RL müssen (unter anderem) in dem in Art 7 Mutterschutz-RL genannten Fall ‚die mit dem Arbeitsvertrag verbundenen Rechte der Arbeitnehmerinnen iSd Art 2, einschließlich der Fortzahlung eines Arbeitsentgelts und/oder des Anspruchs auf eine angemessene Sozialleistung, entsprechend den einzelstaatlichen Rechtsvorschriften und/oder Gepflogenheiten gewährleistet sein‘. Die Vorschrift gibt konkret Rechte vor. Zu deren Schutz sind die nationalen Gerichte verpflichtet (EuGH C-194/08, Rs Gassmayr, Rz 53).

[16] Dem in der Mutterschutz-RL verankerten Anspruch auf Fortzahlung eines Arbeitsentgelts und/oder auf eine angemessene Sozialleistung liegt die Erwägung zugrunde, dass die arbeitsorganisatorischen Maßnahmen zum Schutz der Gesundheit der schwangeren Arbeitnehmerinnen, der Wöchnerinnen oder der stillenden Arbeitnehmerinnen, wie etwa Art 7 über die Nachtarbeit, keine praktische Wirksamkeit hätten, wenn nicht gleichzeitig die mit dem Arbeitsvertrag verbundenen Rechte gewährleistet wären […].

[17] 2.2. Die Umsetzung von Art 11 Nr 1 Mutterschutz-RL in das österreichische Recht erfolgt grundsätzlich durch die Vorschrift des § 14 MuttSchG, die für bestimmte – in der Norm taxativ genannte […] – Anwendungsfälle die Weiterzahlung des Arbeitsentgelts regelt. Ziel der Vorschrift ist zumindest im Grundsatz, Entgelteinbußen, die sich aus der Anwendung der Beschäftigungsverbote und -beschränkungen des MuttSchG ergeben, hintanzuhalten […].

[18] Liegt einer der in § 14 Abs 1 Satz 1 MuttSchG umschriebenen Anwendungsfälle vor, ‚so hat die Dienstnehmerin Anspruch auf das Entgelt, das dem Durchschnittsverdienst gleichkommt, den sie während der letzten 13 Wochen des Dienstverhältnisses vor dieser Änderung bezogen hat‘. Zumindest in einem solchen Fall ist der Grundgedanke des § 14 MuttSchG, dass eine Dienstnehmerin durch die Mutterschaft keinen Entgeltverlust erleiden soll, verwirklicht. Anderes gilt für jene Veränderungen, die zu einem Entgeltverlust der Dienstnehmerin führen, aber nicht in der Aufzählung des § 14 Abs 1 Satz 1 MuttSchG angeführt sind, etwa die Vorschrift über das Verbot der Sonn- und Feiertagsarbeit in § 7 MuttSchG oder das Verbot der Leistung von Überstunden in § 8 MuttSchG. Hier hat sich der Gesetzgeber bis dato dagegen entschieden, die Dienstnehmerin vor einem Lohnverlust zu schützen (vgl 8 ObA 233/95; 8 ObA 124/03y; 10 ObS 115/17k [Pkt 2.1]).

[19] 2.3. Einer der in § 14 Abs 1 Satz 1 MuttSchG angeführten Anwendungsfälle stellt seit der Novelle BGBl 1974/178 jener dar, dass eine Arbeitnehmerin dem ‚Verbot der Nachtarbeit‘ nach § 6 MuttSchG unterliegt und die Anwendung dieser Norm ‚eine Änderung der Beschäftigung im Betrieb erforderlich [macht]‘. Dieser Anwendungsfall liegt wie bereits erwähnt hier unstrittig vor, weil die Klägerin nach der Rückkehr aus ihrer Bildungskarenz aufgrund ihrer Schwangerschaft wegen § 6 MuttSchG keine Nachtdienste mehr leisten durfte. […].196

[20] 3.1. Nach der gesetzlichen Konzeption des § 14 Abs 1 Satz 1 MuttSchG kommt es regelmäßig nicht darauf an, wie viel die Dienstnehmerin hypothetisch verdient hätte, wäre sie nicht schwanger geworden. Maßgeblich ist vielmehr ihr ‚Durchschnittsverdienst […], den sie während der letzten 13 Wochen des Dienstverhältnisses vor dieser Änderung bezogen hat‘. Unter der ‚Änderung‘ ist hier unstrittig der Eintritt des Verbots der Nachtarbeit nach § 6 MuttSchG zu verstehen […].

[21] Es wird nicht auf einen fiktiven Sachverhalt abgestellt, sondern – der Rechtssicherheit dienend – auf einen Sachverhalt, der sich bereits ereignet hat […]. Das Abstellen auf einen Durchschnittsverdienst in einem Referenzzeitraum ist mit Art 11 Mutterschutz-RL vereinbar (EuGHC-194/08, Rs Gassmayr[Rz 76]).

[22] 3.2. Fallen in den in § 14 Abs 1 Satz 1 MuttSchG genannten Referenzzeitraum Zeiten, während derer die Dienstnehmerin infolge Erkrankung oder Kurzarbeit nicht das volle Entgelt bezogen hat, so verlängert sich gemäß § 14 Abs 1 Satz 2 HalbS 1 MuttSchG der Zeitraum von dreizehn Wochen um diese Zeiten. HalbS 2 leg cit ordnet an, dass diese Zeiten – also jene, in welche die Dienstnehmerin infolge Erkrankung oder Kurzarbeit nicht das volle Entgelt bezogen hat – bei der Berechnung des Durchschnittsverdienstes außer Betracht bleiben.

[23] Der Gesetzgeber geht somit davon aus, dass bei einem Minderverdienst der Dienstnehmerin wegen Erkrankung oder Kurzarbeit der Referenzzeitraum ungeeignet ist. Deshalb scheidet er von den genannten Umständen beeinflusste Zeiten aus dem Referenzzeitraum aus und lässt an ihre Stelle vorangegangene, nicht von Krankheit oder Kurzarbeit beeinflusste Zeiten treten. Daraus ist die Wertung ersichtlich, dass der Referenzzeitraum von dreizehn Wochen vor dem Eintritt der Änderung kein Selbstzweck ist. Vielmehr muss er eine taugliche Vergleichsgrundlage bieten.

[…]

[25] Der nationale Gesetzgeber hat […] bei Umsetzung der Mutterschutz-RL einen weiten Gestaltungsspielraum. Die Vergütungssicherung muss nicht vollständig sein […]. Es darf aber das mit der Mutterschutz-RL verfolgte Ziel des weitreichenden Gesundheitsschutzes – wozu auch die Gewährleistung einer Entgeltfortzahlung unabdingbar ist (vgl den bereits in Pkt 2.1 genannten ErwGr) – nicht beeinträchtigt werden […].

[26] 3.4. Die von der Beklagten vertretene Auslegung des § 14 Abs 1 MuttSchG liefe darauf hinaus, dass Referenzzeitraum ein solcher wäre, in welchem die Klägerin gar kein Entgelt bezog. Eine Gesetzesauslegung, die auf ein Durchschnittseinkommen im Referenzzeitraum von Null hinausläuft, lässt sich mit dem Ziel von Art 7 Mutterschutz-RL sowie auch § 14 MuttSchG nicht vereinbaren. Ein solcher ‚Nullverdienst‘ läge hier aber vor, weil die Arbeitnehmerin nach § 14 MuttSchG im Fall der Änderung der Beschäftigung im Betrieb aufgrund schwangerschaftsbedingter Beschäftigungsbeschränkung einen Anspruch auf das Entgelt hat, das dem Durchschnittsverdienst gleichkommt, den sie während der letzten dreizehn Wochen des Dienstverhältnisses vor dieser Änderung bezogen hat. Das Entgelt umfasst jede Leistung, die der Arbeitnehmer vom Arbeitgeber dafür bekommt, dass er ihm seine Arbeitskraft zur Verfügung stellt (RS0031505). Kein Entgelt ist damit das von der Klägerin während ihrer Bildungskarenz allein bezogene Weiterbildungsgeld nach § 26 AlVG.

[27] In unionsrechtskonformer Auslegung ist daher der vom Berufungsgericht bereits aufgezeigten Auslegung der Vorzug zu geben, dass als Referenzzeitraum nur ein solcher in Betracht kommt, in welchem die Arbeitnehmerin von ihrem Arbeitgeber überhaupt ein Entgelt bezog. Da dies vom 1.3.2018 bis 28.2.2019 nicht der Fall war, scheidet dieser Zeitraum (Bildungskarenz) als Referenzzeitraum von vornherein aus. Als Referenzzeitraum kommen damit nur die dreizehn Wochen vor dem 1.3.2018 (Antritt der Bildungskarenz) in Betracht. In diesem Referenzzeitraum verrichtete die Klägerin nach den Feststellungen – der dort genannte Dreimonatszeitraum und der dreizehnwöchige Zeitraum sind praktisch kongruent – aber Nachtdienste und verdiente durch diese (zusätzliche) 205,54 EUR brutto pro Monat, somit um diesen Betrag monatlich mehr als schwangerschaftsbedingt nach Rückkehr aus der Bildungskarenz.“

Erläuterung

Nach Art 11 Nr 1 Mutterschutz-RL müssen bei verbotener Nachtarbeit die mit dem Arbeitsvertrag verbundenen Rechte der AN, einschließlich der Fortzahlung „eines“ Arbeitsentgelts gewährleistet sein. Der österreichische Gesetzgeber hatte aufgrund dieser Formulierung also Gestaltungsspielraum, welches Entgelt bei Beschäftigungsverboten zustehen sollte.

Die Umsetzung erfolgte in Österreich großteils durch § 14 MuttSchG. Gemäß dieser Bestimmung hat eine DN, deren Beschäftigung im Betrieb aufgrund von bestimmten, im Gesetz definierten Schutzvorschriften geändert werden muss, Anspruch auf das Entgelt, das dem Durchschnittsverdienst gleichkommt, den sie während der letzten 13 Wochen des Dienstverhältnisses vor dieser Änderung bezogen hat.

Bei den angesprochenen Schutzvorschriften handelt es sich um folgende:

  • Gem § 2b MuttSchG hat der DG die DN ganz allgemein vor nachteiligen Auswirkungen der Arbeit zu schützen und die potenziellen Gefahren durch Änderung der Beschäftigung auszuschließen. Ist eine Änderung nicht möglich, muss er sie auf einem anderen Arbeitsplatz be197schäftigen. Ist auch das nicht möglich, ist sie freizustellen.

  • Gem § 4 Abs 1 MuttSchG dürfen werdende Mütter nicht mit schweren körperlichen Arbeiten beschäftigt werden (Definition, was unter die verbotenen Arbeiten fällt, in Abs 2).

  • § 4a MuttSchG betrifft den Schutz stillender Mütter, es sind einige Arbeiten gem § 4 Abs 2 MuttSchG verboten.

  • § 5 Abs 3, 4 MuttSchG betreffen den Schutz der Mütter nach der Entbindung.

  • Gem § 6 MuttSchG dürfen werdende und stillende Mütter (mit Ausnahmen) nicht zwischen zwanzig und sechs Uhr beschäftigt werden.

DN sollen also vor Entgeltverlusten geschützt werden, wenn sie aufgrund dieser Vorschriften ihre Tätigkeiten oder Teile derselben nicht mehr ausüben dürfen.

Im vorliegenden Fall wurde die DN während einer Bildungskarenz gem § 11 AVRAG schwanger. Das Nachtarbeitsverbot gem § 6 MuttSchG betraf sie daher erst mit Wiederantritt der Beschäftigung nach der Bildungskarenz. Naturgemäß hatte sie in der Bildungskarenz keine Nachtdienste für die DG verrichtet.

Während einer Bildungskarenz gem § 11 AVRAG erhält ein DN kein Entgelt vom DG. Das Weiterbildungsgeld des Arbeitsmarktservice während der Bildungskarenz stellt kein Entgelt dar. Der gesamte Zeitraum der Bildungskarenz konnte daher schon aufgrund des Wortlauts des nationalen Gesetzes nicht als maßgeblicher 13 Wochen-Betrachtungszeitraum für die Berechnung des Arbeitsentgelts gem § 14 MuttSchG herangezogen werden. Außerdem hätte sich bei Heranziehung dieses Zeitraums ein Arbeitsentgelt von Null ergeben. Ein solches Ergebnis wäre nicht mit Art 11 Mutterschutz-RL und § 14 MuttSchG vereinbar. Daher wurden vom OGH in unionsrechtskonformer Auslegung die 13 Wochen vor der Bildungskarenz als maßgeblicher Betrachtungszeitraum herangezogen. Das Klagebegehren bestand daher zurecht. Der Revision war der Erfolg zu versagen.