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Keine Auslösung des Frühwarnsystems gemäß § 45a AMFG mangels Erreichens des Schwellenwertes in einzelnen, keinen einheitlichen Betrieb iSd § 45a AMFG darstellenden Filialen eines Unternehmens

MANFREDTINHOF

Die Bekl, die ein Handelsunternehmen betreibt, schloss zwei ihrer vier in Österreich betriebenen Filialen und löste die Arbeitsverhältnisse der dort beschäftigten AN auf, darunter auch jenes der Kl. Die Bekl beschäftigte zum Zeitpunkt der Kündigung der Kl insgesamt 28 Personen, in den geschlossenen Filialen waren sechs bzw sieben AN tätig.

Die einzelnen Filialen verfügten über getrennte und eigene technische Mittel, eine eigene organisatorische Struktur sowie getrennte Verrechnungskreise. Jede Filiale hatte eine eigene Kostenstelle, in der auch separat Gewinn und Verlust sowie Wareneinsatz und Lagerstand ermittelt wurden und auch einen eigenen Filialleiter.

Die Kl machte die Rechtsunwirksamkeit ihrer Kündigung geltend, da die Bekl durch die gleichzeitige Auflösung von 13 der 28 Arbeitsverhältnisse die Bestimmung des § 45a Arbeitsmarktförderungsgesetz (AMFG) verletzt habe. 176

Anmerkung des Bearbeiters:

Gem § 45a Abs 1 AMFG sind AG verpflichtet, die nach dem Standort des Betriebs zuständige regionale Geschäftsstelle des Arbeitsmarktservice (AMS) durch schriftliche Anzeige zu verständigen, wenn sie beabsichtigen, Arbeitsverhältnisse von mindestens fünf AN in Betrieben mit in der Regel mehr als 20 und weniger als 100 Beschäftigten innerhalb eines Zeitraums von 30 Tagen aufzulösen.

Die Vorinstanzen wiesen das Klagebegehren ab, der OGH wies die außerordentliche Revision der Kl mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurück.

Die Kl stellte die Rechtsansicht der Vorinstanzen, dass die vier Filialgeschäfte der Bekl in Österreich keinen einheitlichen Betrieb iSd MassenentlassungsRL 98/59/EG gebildet haben, in der Revision nicht mehr in Frage. Sie vertrat vielmehr den Standpunkt, dass das Unionsrecht nur einen Mindestschutz gewähren wolle und daher unabhängig davon auch eine Prüfung der Betriebseigenschaft nach dem nationalen österreichischen Arbeitsverfassungsrecht erforderlich sei, wenn dieses im Ergebnis für die Kl günstiger wäre. Diese Prüfung führe nach Ansicht der Kl zu dem Ergebnis, dass den Filialen der Bekl nicht das erforderliche Mindestmaß an Selbstständigkeit, insb in technischer Hinsicht, eingeräumt gewesen sei, um sie als getrennte Betriebe anzusehen.

Der OGH führte dazu aus, dass es nur anhand einer Gesamtbetrachtung der Umstände des Einzelfalls beantwortet werden kann, ob einem Standort Betriebsqualität (hier: iSd § 45a AMFG) zukommt. Während es der Zweck des ArbVG ist, durch den Begriff des Betriebs solche Einheiten zu bilden, in deren Rahmen es der Betriebsvertretung möglich ist, eine wirksame Tätigkeit zu entfalten und insb ihre Mitwirkungsrechte auch tatsächlich auszuüben, ist es der teleologische Zweck des § 45a AMFG, in Umsetzung der unionsrechtlichen MassenentlassungsRL die sozioökonomischen Auswirkungen der Kündigung einer großen Zahl von AN in einer bestimmten örtlichen und sozialen Umgebung zu begrenzen.

Davon abgesehen wird nach der Rsp die für den arbeitsverfassungsrechtlichen Betriebsbegriff zu verlangende organisatorisch-technische Einheit nicht entscheidend beeinträchtigt, wenn bestimmte administrative, kaufmännische oder wirtschaftliche Agenden für eine Reihe von Betriebsstellen in einer Zentrale gemeinsam geführt werden. Insb geht der Betriebscharakter nicht deshalb verloren, weil die Personalangelegenheiten für mehrere Betriebe gemeinsam von der Unternehmensspitze bearbeitet werden.

Wenn hier die Vorinstanzen davon ausgegangen sind, dass die jeweils im Zuständigkeitsbereich verschiedener Standorte des AMS gelegenen Verkaufsfilialen der Bekl jeweils organisatorisch getrennte Einheiten gebildet haben, die keinen einheitlichen Betrieb iSd § 45a AMFG darstellten, hält sich diese Beurteilung im Übrigen auch im Rahmen der stRsp zum Betriebsbegriff des § 34 ArbVG.