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Auslegung eines bedingt formulierten Wiedereinsetzungsantrags

KLAUSBACHHOFER

Die Kl brachte am 8.7.2020 einen Schriftsatz beim Erstgericht ein, der mit „I. Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand. II. Klage“ bezeichnet wurde. In diesem heißt es auszugsweise:

I. Ich bin bei der beklagten Partei seit 2.1.2014 als Kinderbetreuerin beschäftigt. Am 22.6.2020 habe ich das Kündigungsschreiben der beklagten Partei, welches eingeschrieben versendet wurde, behoben. Gemäß Sendungsverlauf wurde das Poststück bereits am 16.6. in die Post-Empfangsbox eingelegt. Dies war mir jedoch nicht bekannt. Für den Fall, dass das Gericht davon ausgeht, dass das Kündigungsschreiben bereits am 16.6. zugegangen ist, stelle ich aus Vorsichtsgründen den Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen Versäumung der Klagsfrist gemäß § 105 Abs 4 Arbeitsverfassungsgesetz. (...)

II. Gleichzeitig mit dem Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand hole ich die versäumte Rechtshandlung nach und erhebe sohin nachstehende Klage:

Ich fechte die mit 9.6.2020 datierte Kündigung wegen Sozialwidrigkeit an (...)

Sohin beantrage ich die Fällung nachstehenden Urteils:

Die Kündigung wird für rechtsunwirksam erklärt.

Das Erstgericht wies die Klage ohne Durchführung eines Bescheinigungsverfahrens als verspätet zurück. Seiner rechtlichen Beurteilung legte es einen Zugang des Kündigungsschreibens am 22.6.2020 zugrunde. Davon ausgehend sei zum Zeitpunkt der Einbringung der Klage am 8.7.2020 die 14-tägige Anfechtungsfrist bereits abgelaufen gewesen, die Klage sei daher verspätet.

Dem Rekurs der Kl gegen diesen Beschluss gab das Rekursgericht nicht Folge. Richtig sei, dass nach der Reihung im verfahrenseinleitenden Schriftsatz zuerst über den Wiedereinsetzungsantrag zu entscheiden gewesen wäre. Der Wiedereinsetzungsantrag sei jedoch nur bedingt für den Fall, dass das Gericht davon ausgehe, dass das Kündigungsschreiben bereits am 16.6.2020 zugegangen sei, erhoben worden. Diese Bedingung sei nicht eingetreten, weil das Erstgericht seiner Beurteilung eine Zustellung am 22.6.2020 zugrunde gelegt habe, sodass über diesen Prozessantrag nicht zu entscheiden gewesen sei. Ausgehend vom 22.6.2020 hätte die Kl bis 6.7.2020 die Klage einbringen können. Für die Versäumung dieser Frist habe die Kl keinen Wiedereinsetzungsgrund behauptet. Die Klage sei damit verspätet.

Der gegen diesen Beschluss gerichtete außerordentliche Revisionsrekurs der Kl wurde vom OGH als zulässig und iSd Aufhebungsantrags auch als berechtigt erkannt.

Der Kl wurde konzediert, dass sie am Deckblatt ihres verfahrenseinleitenden Schriftsatzes eine ausdrückliche Reihung vorgenommen hat, wobei der Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand erstgereiht war. Darüber hinaus hat sie im Schriftsatz ausdrücklich darauf hingewiesen, mit der Klage die versäumte Prozesshandlung nachzuholen, woraus sich schließen lässt, dass sie selbst zu diesem Zeitpunkt von einer Verspätung der Klage ausging und die Klagserhebung nur als Teil des Wiedereinsetzungsantrags behandelt wissen wollte.

Den Vorinstanzen wurde darin recht gegeben, dass der Wiedereinsetzungsantrag von der Kl „aus Vorsichtsgründen für den Fall, dass das Gericht davon ausgeht, dass das Kündigungsschreiben bereits am 16.6.2020 zugegangen ist“ gestellt wurde, also rein nach seinem Wortlaut nur unter einer Bedingung.

Bedingte Prozesshandlungen sind nach stRsp grundsätzlich unzulässig, sofern die Verfahrensgesetze nicht Ausnahmeregelungen enthalten oder die Bedingung nicht in einem Anknüpfen an einen innerprozessualen Umstand oder Vorgang besteht. Dementsprechend kann die Einleitung des Verfahrens selbst nicht bedingt erfolgen. Ein verfahrenseinleitender Wiedereinsetzungsantrag, der nur bedingt erfolgt, ist damit nach Ansicht des OGH grundsätzlich unzulässig. Dessen ungeachtet wäre formell über ihn zu entscheiden, nicht über die damit nur verbundene „nachgeholte“ Prozesshandlung.202

Im konkreten Fall war aber laut OGH Folgendes zu berücksichtigen: Betrachtet man allein den Wortlaut des Antrags der Kl, liegt ausschließlich ein in eventu erhobener Wiedereinsetzungsantrag verbunden mit der Nachholung der versäumten Prozesshandlung (Klage) vor, über den die Vorinstanzen nicht entschieden haben. Geht man demgegenüber allerdings davon aus, was die Kl mit ihrem Antrag beabsichtigt, kann dieser dahingehend verstanden werden, dass die Kl selbst von einer Versäumung der Klagsfrist ausgeht und der Wiedereinsetzungsantrag ungeachtet der missverständlichen Formulierung unbedingt gestellt wurde. Dies ergibt sich nach Ansicht des OGH nicht zuletzt aus dem von der Kl erstatteten Tatsachenvorbringen, dass die Kündigung am 16.6.2020 in ihrer Post-Empfangsbox eingelegt worden sein soll, ihr jedoch erst am 22.6.2020 bekannt geworden sei. Damit geht sie selbst davon aus, dass das Poststück am 16.6.2020 in ihrer Sphäre einlangte.

Darüber hinaus würde bei einem anderen Verständnis des Antrags weder die Reihung des Wiedereinsetzungsantrags an erster Stelle noch die Erhebung der Klage als nur „nachgeholte Prozesshandlung“ Sinn ergeben.

Selbst wenn man davon ausginge, dass dieses Verständnis sich nicht eindeutig aus dem verfahrenseinleitenden Schriftsatz ableiten lässt, wäre allenfalls ein Verbesserungsverfahren einzuleiten, nicht jedoch mit einer Zurückweisung der Klage vorzugehen gewesen.

Es war daher primär von einem unbedingt gestellten Wiedereinsetzungsantrag der Kl auszugehen, über den die Vorinstanzen bislang nicht entschieden haben.

Anmerkung des Bearbeiters:

Mit diesem Beschluss hat der OGH im Vergleich zu den Vorinstanzen, die mit der bei Verfahrenseinleitung offenbar unvertretenen Kl formellrechtlichen „kurzen Prozess“ machten, eine pragmatische und rechtsschutzfreundliche Entscheidung getroffen. Zutreffenderweise wies der Gerichtshof abschließend auch noch auf die Möglichkeit – allenfalls sogar Verpflichtung – zur Erlassung eines Verbesserungsauftrags hin, was nicht zuletzt auch den Gerichten eine langwierige Beanspruchung erspart hätte.