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Konversion Entlassung zu Kündigung: Präklusion von im Vorprozess nicht vorgebrachten Einwendungen; keine amtswegige Wahrnehmung von Vertragsschablonen

KLAUSBACHHOFER

Zwischen dem Kl und der bekl Stadt wurde ein Vertragsbedienstetenverhältnis begründet. Dieses unterliegt der – nicht im LGBl oder einem anderen Verlautbarungsblatt kundgemachten – Vertragsbedienstetenordnung (VBO) der Bekl als Vertragsschablone, die folgende Bestimmungen enthält:

§ 35 Abs 4 VBO: „Eine entgegen den Vorschriften des § 40 ausgesprochene Entlassung gilt als Kündigung, wenn der angeführte Auflösungsgrund zwar keinen Entlassungs-, wohl aber einen Kündigungsgrund im Sinne des § 37 darstellt; liegt auch kein Kündigungsgrund vor, so ist die ausgesprochene Entlassung rechtsunwirksam.“

§ 37 Abs 2 lit f VBO: „Ein Grund, der den Dienstgeber nach Ablauf der im Abs 1 genannten Frist zur Kündigung berechtigt, liegt insbesondere vor, […] wenn es sich erweist, dass das gegenwärtige oder frühere Verhalten des Vertragsbediensteten dem Ansehen oder den Interessen des Dienstes abträglich ist, sofern nicht eine Entlassung infrage kommt.“

§ 40 Abs 2 lit b VBO: „Ein wichtiger Grund, der den Dienstgeber zur vorzeitigen Auflösung des Dienstverhältnisses (Entlassung) berechtigt, liegt insbesondere vor, […] wenn der Vertragsbedienstete sich einer besonders schweren Verletzung der Dienstpflichten oder einer Handlung oder einer Unterlassung schuldig macht, die ihn des Vertrauens des Dienstgebers unwürdig erscheinen lässt. […]“

Der Kl wurde von der Bekl mit Schreiben vom 15.12.2017 entlassen.

In einem Vorprozess klagte der Kl die Bekl auf Feststellung der Rechtswidrigkeit der vorzeitigen Auflösung des Dienstverhältnisses gem § 40 VBO sowie dessen ununterbrochenen aufrechten Bestehens. Das klagsabweisende Ersturteil wurde vom Berufungsgericht rechtskräftig dahin abgeändert, dass festgestellt wurde, „dass das Dienstverhältnis der klagenden Partei zur beklagten Partei über den 15.12.2017 hinaus aufrecht ist“. Wesentliche Begründung des Berufungsgerichts war, dass der Kl die von der Bekl geltend gemachten Entlassungstatbestände des § 40 Abs 2 lit b VBO nicht verwirklicht habe und alternativ heranzuziehende Kündigungstatbestände von der Bekl nicht behauptet worden seien.

Mit Schreiben vom 20.12.2018 teilte die Bekl unter Bezugnahme auf das Urteil vom 28.11.2018 dem 203Kl vorbehaltlich des Ausgangs des Revisionsverfahrens „aus Gründen der (prozessualen) Vorsicht“ mit, die am 15.12.2017 ausgesprochene Entlassung gem § 35 Abs 4 VBO als Kündigung anzusehen und dass sein Dienstverhältnis daher als gekündigt gelte, sodass es gem § 38 Abs 1 VBO unter Einhaltung der gesetzlichen Kündigungsfrist von drei Monaten mit Ablauf des 31.3.2018 beendet worden sei.

Im nunmehrigen Prozess begehrte der Kl mit seiner bei Gericht am 21.1.2019 eingebrachten Klage, die Kündigung seines Arbeitsverhältnisses zur Bekl mit Schreiben der Bekl vom 20.12.2018 für rechtsunwirksam zu erklären. In eventu begehrte er die Feststellung, dass das Dienstverhältnis über den 31.3.2018 hinaus weiterhin aufrecht sei.

Die Bekl beantragte in Hinsicht auf das Feststellungsbegehren die Abweisung der Klage mit der wesentlichen Begründung, das dem Kl bereits im Vorprozess zur Last gelegte Verhalten erfülle jedenfalls den Kündigungstatbestand ua nach § 37 Abs 2 lit f VBO, weshalb – wie auch von der Bekl mit Schreiben vom 20.12.2018 festgehalten – die in § 35 Abs 4 VBO vorgesehene Konversion der am 15.12.2017 ausgesprochenen Entlassung in eine Kündigung greife.

Das Erstgericht wies die Klage zur Gänze ab. Es stellte den dem Kl als Entlassungsgrund vorgeworfenen Sachverhalt fest. Rechtlich vertrat es die Ansicht, dass im jetzigen Prozess zu klären sei, ob das Dienstverhältnis des Kl zur Bekl durch eine Umdeutung der Entlassung in eine Kündigung zum 31.3.2018 zu diesem Termin beendet worden sei. Dies sei im Vorprozess noch kein Thema gewesen, sodass diesbezüglich keine entschiedene Rechtssache vorliege. Die Abweisung des Feststellungsbegehrens begründete das Erstgericht damit, dass der Kl durch den festgestellten, ihm zur Last gelegten Sachverhalt den Kündigungstatbestand nach § 37 Abs 2 lit f VBO verwirklicht habe. Das Entlassungsschreiben sei nach § 35 Abs 4 VBO in eine Kündigung zum 31.3.2018 umzudeuten, sodass das Dienstverhältnis mit Ablauf dieses Tages geendet habe.

Das Berufungsgericht bestätigte die Abweisung des Hauptbegehrens und änderte das Ersturteil hinsichtlich des ersten Eventualbegehrens im klagsstattgebenden Sinne ab. Die Bekl hätte sich bereits im Vorprozess auf alternativ heranzuziehende Kündigungstatbestände zur Darlegung einer Konversion (Umdeutung) der Entlassung vom 15.12.2017 in eine Kündigung zum 31.3.2018 iSd § 35 Abs 4 VBO berufen und ein Vorbringen dazu erstatten müssen. Nur so hätte zeitnah geklärt werden können, ob das Dienstverhältnis zwischen den Streitteilen weiterhin aufrecht ist. Da dies nicht fristgerecht erfolgt sei, sei im Vorprozess infolge Verneinung des Vorliegens des von der Bekl behaupteten Entlassungstatbestands (Vertrauensunwürdigkeit) der Klage auf Feststellung des aufrechten Dienstverhältnisses über den 15.12.2017 hinaus stattgegeben worden. Damit sei über die Wirksamkeit der Beendigungserklärung vom 15.12.2017 zur Gänze abgesprochen worden. Die von der Bekl mit ihrem Schreiben vom 20.12.2018 erfolgte „Klarstellung“ sei als untauglicher Versuch der Bekl zu werten, ihr Versäumnis im Vorprozess nachzuholen.

Die Revision der Bekl wurde vom OGH für nicht zulässig erklärt.

Der OGH hat bereits in seinem im Vorprozess ergangenen Beschluss ausgeführt, dass der Grundsatz des § 271 ZPO, dass das in einem anderen Staatsgebiet geltende Recht und Sonderrecht des Beweises insofern bedürfen, als sie dem Gericht unbekannt sind, auch für inländisches Sonderrecht, wie Gewohnheitsrechte, Privilegien und Statuten, gilt, weil diese meistens nicht allgemein zugänglich und nicht in amtlichen Publikationsorganen veröffentlicht sind. Dies gilt jedenfalls auch für Vertragsschablonen als „lex contractus“.

Die Bindungswirkung des Urteils des Vorprozesses besteht nach stRsp, wenn das Klagebegehren im Folgeprozess auf demselben Anspruch beruht, auch hinsichtlich von Einwendungen, die schon im Vorprozess hätten erhoben werden können und die dort für die Entscheidung wesentlich gewesen wären. Durch die Rechtskraft eines Urteils ist der Bekl mit allen vor Schluss der mündlichen Verhandlung entstandenen Einwendungen präkludiert. Worüber im Vorprozess als Hauptfrage bzw Hauptgegenstand entschieden wurde, ist jeweils im Einzelfall konkret zu prüfen. Dabei kommt es auf den Gegenstand der spruchmäßigen Entscheidung an.

Der in Rechtskraft erwachsene Spruch des Berufungsurteils im Vorprozess lautet auf Feststellung, „dass das Dienstverhältnis der klagenden Partei zur beklagten Partei über den 15.12.2017 hinaus aufrecht ist“. Zu klären war im Vorprozess die Frage, ob das Entlassungsschreiben vom 15.12.2017 zu einer Beendigung des Dienstverhältnisses führte. Auch das Schreiben vom 20.12.2018 nimmt darauf Bezug. Der aufrechte Bestand des Dienstverhältnisses wurde auf Basis der von der Bekl im Vorprozess einzig eingewendeten Entlassung bejaht. Hätte die Bekl bereits im Vorprozess eingewendet, dass, sollte keine Entlassung vorliegen, das Entlassungsschreiben wegen § 35 Abs 4 iVm § 37 Abs 2 lit f ihrer VBO jedenfalls ein Kündigungsschreiben darstelle, hätte dies bereits im Vorprozess – unter der Annahme, dass der Kl mit dem ihm vorgeworfenen Verhalten zwar keinen Entlassungsgrund, sehr wohl aber den Kündigungsgrund des § 37 Abs 2 lit f VBO setzte – dazu geführt, 204dass das Bestehen des Dienstverhältnisses lediglich bis 31.3.2018 (Zeitpunkt des Wirksamwerdens des in eine Kündigung umgedeuteten Entlassungsschreibens) festgestellt worden wäre. Damit wäre die Konversion ein tauglicher Grund zur – zumindest teilweisen – Abwehr des bereits im Vorprozess erhobenen Feststellungsbegehrens gewesen. Es ist damit jedenfalls vertretbar, wenn das Berufungsgericht annimmt, die Bekl sei aufgrund des Streitgegenstands im Vorprozess von der Berufung auf eine Konversion nach § 35 Abs 4 ihrer VBO präkludiert.

Wenn die Bekl meint, sie hätte die Konversion im Vorprozess nicht einwenden müssen, sei diese doch von Amts wegen wahrzunehmen gewesen, so setzt sie sich in Widerspruch zu dem auch sie bindenden Beschluss des OGH im Vorprozess. Ihre VBO stellt gerade kein Gesetz dar, sondern steht nur als Vertragsschablone in Verwendung, was eine amtswegige Wahrnehmung ihrer Bestimmungen, sofern sich die Parteien auf diese nicht rechtzeitig berufen haben, ausschließt.