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Strafurteil als Nachweis iSd §§ 24, 25 AlVG – Erstreckung der dreijährigen Verjährungsfrist für Widerruf und Rückforderung von Leistungen

REGINAZECHNER

Durch das Verschweigen wiederholter Auslandsaufenthalte im Zeitraum vom 30.6.2012 bis zum 6.1.2018 wurden einem Notstandshilfebezieher Leistungen des Arbeitsmarktservice (AMS) iHv € 17.667,77 zu Unrecht ausgezahlt. Er wurde mit Urteil des Landesgerichts vom 10.9.2018 rechtskräftig wegen schweren gewerbsmäßigen Betrugs nach §§ 146, 147 Abs 2, 148 erster Fall StGB verurteilt, da er wiederholt im Zuge seiner Antragstellungen mit dem Vorsatz, durch das Verhalten des Getäuschten, sich oder einen Dritten unrechtmäßig zu bereichern, die im Urteil Genannten durch Täuschung über Tatsachen zu einer Handlung verleitet hat, welche die Genannten, darunter Verfügungsberechtigte des AMS, am Vermögen schädigte. Mit Bescheid des AMS vom 16.10.2018 wurde die Zuerkennung der Notstandshilfe in den im Strafverfahren gegenständlichen Zeiträumen in den Jahren 2012 bis 2018 widerrufen und Notstandshilfe iHv € 17.715,49 zurückgefordert.

In seiner Beschwerde gegen den Bescheid brachte der Beschwerdeführer ua vor, dass die Rückforderung der Leistung einer Doppelbestrafung gleichkomme, da er für seine Straftat bereits zu einer (bedingten) Freiheitsstrafe verurteilt worden sei.

Die Beschwerde wurde vom AMS – ohne eine Beschwerdevorentscheidung zu erlassen – dem BVwG vorgelegt, das die Entscheidung des AMS dem Grunde nach bestätigte, allerdings den Rückforderungsbetrag geringfügig berichtigte. Folgende Erwägungen legte das BVwG seiner Entscheidung zugrunde:

Das Ruhen des Anspruches während eines Auslandsaufenthaltes tritt gem § 16 Abs 1 lit g AlVG grundsätzlich ex lege ein, sofern nicht gem Abs 3 leg cit eine Nachsicht vom Ruhen beantragt und gewährt wurde. Mit BGBl I 2017/38BGBl I 2017/38 wurden in den §§ 24 und 25 AlVG einheitliche Verjährungsregeln eingeführt. Danach soll eine Änderung nach Ablauf von drei Jahren weder zu Gunsten noch zum Nachteil der Leistungsbezieher möglich sein. Diese Frist wird jedoch gem § 24 Abs 2 und § 25 Abs 6 AlVG erstreckt, sofern die zur Prüfung der Rechtmäßigkeit erforderlichen Nachweise erst nach Ablauf von drei Jahren vorliegen. Als Nachweise iSd Bestimmungen kommen laut Durchführungsweisung des BM für Arbeit, Soziales und Konsumentenschutz vom 31.10.2017, 435.005/0014-VI/B/1/2017, vor allem solche in Betracht, die Personen im Rahmen der Mitwirkungspflicht (§ 36c AlVG) dem AMS vorlegen müssen. Dies sind im Wesentlichen die nach § 36a Abs 5 AlVG maßgeblichen Einkommensbelege sowie auch Entscheidungen anderer Behörden oder Gerichte (zB zur Feststellung des Bestehens eines Arbeitsverhältnisses). Der VwGH hat in seinem Erkenntnis vom 14.11.2018, Ra 2018/08/0088, grundlegende Klarstellungen zur Novellierung getroffen. Die Verlängerung der Frist erfolgt um „längstens drei Monate nach dem Vorliegen der Nachweise“. Dabei kommt es darauf an, dass die Nachweise dem AMS tatsächlich vorliegen: Das Gesetz stellt weder darauf ab, ob das AMS sich durch eigene Abfragen schon früher entsprechende Kenntnisse verschaffen hätte können, noch normiert es eine weitere Fristverlängerung, wenn die Nachweise dem AMS zwar vorliegen, die arbeitslose Person aber ihrer Mitwirkungspflicht (vgl §§ 36c und 50 AlVG) nicht nachgekommen ist. Die Verlängerung der Frist um drei Monate tritt auch dann ein, wenn die Nachweise innerhalb der letzten drei Monate der Dreijahresfrist vorliegen. Dabei ist unerheblich, ob das AMS die Daten zu einem früheren Zeitpunkt hätte abfragen können, da das AMS keine Verpflichtung zu einer regelmäßigen Abfrage zB von Einkommensteuerbescheiden trifft.

Zur Definition des „Anspruchs- oder Leistungszeitraums“ führt der VwGH in der E aus, dass sich eine solche weder dem Gesetz noch den Gesetzesmaterialien (ErläutRV 1474 BlgNR 25. GP 4) entnehmen lässt. Da Geldleistungen nach dem AlVG gem dessen § 51 Abs 2 grundsätzlich monatlich ausgezahlt werden, liegt es aber nahe, unter „Anspruchs- oder Leistungszeitraum“ iSd §§ 24 Abs 2 und 25 Abs 6 AlVG ebenfalls den (Kalender-)Monat (bzw den Teil eines Monats) zu verstehen, für den ein Anspruch auf die Leistung besteht bzw für den eine solche bezogen wird. Wird ein Nachweis verspätet vorgelegt, der sich auf ein gesamtes Kalenderjahr bezieht, so verlängert sich die ab jedem Anspruchs- bzw Leistungsmonat dieses Kalenderjahres zu berechnende Frist um die drei Monate nach Vorliegen des Nachweises, sodass eine Rückforderung für den gesamten betroffenen Zeitraum ermöglicht wird.

Die Auslandsaufenthalte des Beschwerdeführers zwischen 30.6.2012 und 6.1.2018 und deren Verschweigen gegenüber dem AMS wurden zunächst im Zuge der strafrechtlichen Ermittlungen gegen den Beschwerdeführer von der Staatsanwaltschaft erhoben und erstmals mit Urteil des LG vom 10.9.2018 rechtskräftig festgestellt.

Dem AMS lag der Nachweis über die Auslandsaufenthalte des Beschwerdeführers und deren Verschweigung somit erst mit Urteilsverkündung am 10.9.2018 vor. Bei Gerichtsentscheidungen ist der 206Anspruchs- oder Leistungszeitraum der gesamte Zeitraum, über den abgesprochen wurde, gegenständlich vom 30.6.2012 bis 6.1.2018. Der angefochtene Bescheid erging am 16.10.2018, somit innerhalb der Frist von drei Monaten nach Vorliegen des Nachweises. Der Widerruf und die Rückforderung für alle der Verurteilung zugrundeliegenden Zeiträume erfolgte somit nach Ansicht des BVwG zu Recht.

Die vom Beschwerdeführer beanstandete unzulässige Doppelbestrafung liegt laut BVwG nicht vor. Widerruf und Rückforderung einer Leistung aus der AlV haben keinen strafrechtlichen Charakter. Der von der belangten Behörde verfügte Widerruf samt Rückforderung der Leistung ergebe sich daraus, dass die Notstandshilfe zu Unrecht bezogen wurde und bei Meldung der Auslandsaufenthalte nicht ausbezahlt worden wäre. Es liegen demnach unterschiedliche Regelungsbereiche vor. Insb handle es sich bei der Entscheidung der belangten Behörde nicht um eine Strafe iSd EMRK, weshalb von einer Doppelbestrafung nicht gesprochen werden könne (VwGH 22.1.2015, Ra 2014/21/0019).

Da bisher keine Rsp des VwGH zu der Frage vorliegt, ob die Kenntnisnahme einer Gerichtsentscheidung (hier: einer strafgerichtlichen Verurteilung) durch das AMS einem Nachweis zur Beurteilung des Leistungsanspruchs iSd §§ 24 Abs 2 und 25 Abs 6 letzter Satz AlVG gleichzuhalten ist und damit die Frist für Widerruf und Rückforderung zu verlängern vermag, hat das BVwG die Revision für zulässig erklärt.