107

Keine Pensionskontogutschrift für Krisenpflegezeiten auf Grundlage eines entgeltlichen freien Dienstvertrags

PIAANDREAZHANG
§ 15 APG; §§ 8 Abs 1 Z 2 lit g, 227a Abs 2 Z 6 ASVG

Es liegt keine Unentgeltlichkeit der Pflege durch Krisenpflegeeltern vor, wenn im Rahmen eines freien Dienstvertrags, dessen vereinbarten Tätigkeiten untrennbar mit dem Pflegeverhältnis verbunden sind, Entgelt bezogen wird.

Für die Berücksichtigung der Zeiten als Kindererziehungszeiten für die Berechnung der Kontoerstgutschrift gem § 15 APG fehlt es daher an der Voraussetzung einer unentgeltlichen Pflege des Krisenpflegekindes iSd §§ 227a Abs 2 Z 6 und 8 Abs 1 Z 2 lit g ASVG.

Sachverhalt

Im Zeitraum von 18.7.2012 bis 8.5.2013 war bei der Kl ein am 21.8.2009 geborenes Kind als Krisenpflegekind untergebracht. Die Kl bezog gem § 28 Steiermärkisches Jugendwohlfahrtsgesetz (Stmk JWG) ein monatliches Pflegeelterngeld von € 411,-.

Am 18.7.2012 schloss sie mit dem Pflegeelternverein Steiermark für die Dauer der Krisenunterbringung einen freien Dienstvertrag ab. Dieser verpflichtete sie zu verschiedenen Aufgaben, wie Dokumentation, Teilnahme an Fallverlaufsbesprechungen und Qualitätssicherung. Für diese Tätigkeiten erhielt sie ein Entgelt in Höhe von brutto € 460,- monatlich.

Verfahren und Entscheidung

Mit Bescheid vom 31.8.2018 ermittelte die Pensionsversicherungsanstalt (PVA) die Kontoerstgutschrift der Kl zum 1.1.2014 mit € 8.073,66. Dem dagegen erhobenen Widerspruch gab die PVA nicht statt, sondern bestätigte die Gutschrift mit Bescheid vom 9.9.2019.

Die Kl erhob dagegen die Klage und begehrte eine Neuberechnung der Kontoerstgutschrift unter Einbeziehung von Kindererziehungszeiten von 1.7.2012 bis 31.5.2013. Da sie das Krisenpflegekind innerhalb der ersten 48 Monate nach dessen Geburt in Pflege genommen habe, bestehe eine Teilversicherungspflicht nach § 8 Abs 1 Z 2 lit g ASVG in der PV. Das Kind sei ein Pflegekind iSd § 227a Abs 2 Z 6 ASVG und die Pflege sei unentgeltlich erfolgt. Das Pflegeelterngeld decke den Unterhalt des Kindes ab und sei kein Einkommen. Das Entgelt aus dem freien Dienstvertrag decke nur den sozialpädagogischen Mehraufwand ab. Die PVA hielt dem entgegen, dass ein Krisenpflegekind kein Pflegekind iSd § 227a Abs 2 Z 6 ASVG sei und die Pflege auch nicht unentgeltlich erfolgt sei. Das Einkommen aus dem freien Dienstvertrag sei sehr wohl als Entgelt zu werten.

Das Erstgericht folgte der Rechtsansicht der Bekl und wies das Klagebegehren ab. Das Berufungsgericht hob dieses Urteil auf und verwies die Rechtssache zur neuerlichen Entscheidung an das Erstgericht zurück. Es schloss sich der Rechtsansicht der Kl an. Der Rekurs an den OGH sei zulässig, da es zu den lösenden Rechtsfragen an Rsp fehle.

Der Rekurs der Bekl ist zulässig und auch berechtigt; das klagsabweisende Urteil des Erstgerichts wird wiederhergestellt.

Originalzitate aus der Entscheidung

„[…] 1.1 Die Kontoerstgutschrift wird gemäß § 15 APG ermittelt. […]

1.3 Für die nach dem 31.12.1954 geborene Klägerin ist für die hier strittigen, nach dem 31.12.2004 liegenden Zeiten zur Beurteilung der Qualifikation als Kindererziehungszeiten § 8 Abs 1 Z 2 lit g ASVG anzuwenden (Panhölzl in SV-Komm [205. Lfg] § 227a ASVG Rz 23). […]

1.4 Als Kind im Sinn des § 227a Abs 2 ASVG gelten neben den leiblichen Kindern der versicherten Person (Z 1) unter anderem die Stiefkinder (Z 4), die Wahlkinder (Z 5) und, gemäß § 227a Abs 2 Z 6 ASVG, ‚die Pflegekinder, sofern die Übernahme der unentgeltlichen Pflege nach dem 31. Dezember 1987 erfolgte‘.

§ 227a Abs 2 Z 6 ASVG, auf den § 8 Abs 1 Z 2 lit g ASVG zur Definition des Begriffs des ‚Kindes‘ verweist, wurde in seiner auch heute noch geltenden Gestalt mit der 52. ASVG-Novelle, BGBl 1994/20, geschaffen. […]

1.5 Der von der Klägerin geltend gemachte Anspruch setzt also voraus,

  • erstens, dass das von ihr in die Krisenpflege übernommene Kind ein Pflegekind im Sinn des § 227a Abs 2 Z 6 ASVG ist und

  • zweitens, dass die Pflege dieses Kindes (nach dem 31.12.1987 übernommen wurde und) unentgeltlich erfolgte.

2.1 Im vorliegenden Fall fehlt es am erforderlichen Merkmal der Unentgeltlichkeit der Pflege:

2.2 […] Die Einschränkung der Begünstigung der Anrechnung von Kindererziehungszeiten auf die unentgeltliche Pflege liegt innerhalb der rechtspolitischen Freiheit des Gesetzgebers. Sie ist wegen der mit der beitragsfreien Anrechnung von Ersatzzeiten verbundenen besonderen finanziellen Belastung der Versichertengemeinschaft sachgerecht, sodass keine verfassungsrechtlichen Bedenken gegen § 227a Abs 2 Z 6 ASVG bestehen (RS0083750; 10 ObS 300/02v). Daran ist im Hinblick darauf, dass die Beitragslast für Versicherungszeiten gemäß § 8 Abs 1 Z 2 lit g ASVG – wie ausgeführt – von der öffentlichen 210Hand getragen wird, auch für die mit dem APG geschaffene Rechtslage (‚Pensionsharmonisierungsgesetz‘, BGBl I 2004/142BGBl I 2004/142) festzuhalten.

3.1 Das Pflegeelterngeld gebührte gemäß § 28 Abs 1 stmk JWG 1991 (in der damals geltenden Fassung LGBl 2011/63) zur Erleichterung der mit der Pflege verbundenen Aufgaben. […]

3.2 Dies gilt auch für die weitere rechtliche Beurteilung des Berufungsgerichts, dass das von der Klägerin aus dem freien Dienstvertrag bezogene Entgelt für die Bereitstellung ihrer Arbeitskraft geleistet wurde, sodass es als Entgelt zu qualifizieren ist und nicht bloßer Aufwandersatz vorliegt.

4.1 Das Berufungsgericht stützt sich für seine Rechtsansicht, dass ungeachtet des Abschlusses eines freien Dienstvertrags unentgeltliche Pflege vorliege, auf den Forschungsbericht Nr 16/2015 des Österreichischen Instituts für Familienforschung an der Universität Wien (Geserick/Mazal/Petric, Die rechtliche und soziale Situation von Pflegeeltern in Österreich, Juristische Expertise und empirische Erhebung, im Internet abrufbar unter https://www.oif.ac.at/publikationen/forschungsberichte).

4.2 Die genannten Autoren weisen darauf hin, dass § 20 Abs 3 des Bundesgesetzes über die Grundsätze für Hilfen für Familien und Erziehungshilfen für Kinder und Jugendliche (Bundes-Kinder- und Jugendhilfegesetz 2013, BGBl I 2013/69BGBl I 2013/69, B-KJHG) bestimme, dass Pflegepersonen die Möglichkeit zur sozialversicherungsrechtlichen Absicherung geboten werden solle. […] Da ein Pflegevertrag nicht als freier Dienstvertrag qualifiziert werden könne und auch keine Entgeltlichkeit gegeben sei, könne sein Abschluss keine Pflichtversicherung im Sinn des § 4 Abs 4 ASVG begründen.

4.3 Die soziale Absicherung von Pflegepersonen könne auf unterschiedliche Art gegeben sein. […] Bei Abschluss eines freien Dienstvertrags über die Erbringung des ‚sozialpädagogischen Mehraufwands‘ seien Pflegepersonen als freie Dienstnehmerinnen gemäß § 4 Abs 4 ASVG zu qualifizieren, die bei Überschreiten der Geringfügigkeitsgrenze dem Versicherungsschutz in der Kranken-, Unfall-, Pensions- und Arbeitslosenversicherung unterliegen (Geserick/Mazal/Petric, Pflegeeltern 75). Da das Entgelt aus einem solchen freien Dienstvertrag jedoch nicht für die Besorgung der Pflege und Erziehung, sondern für die Erbringung des sozialpädagogischen Mehraufwands geleistet werde, liege dennoch das Merkmal der unentgeltlichen Pflege vor, sodass ein solcher freier Dienstvertrag nicht die Anrechnung von Kindererziehungszeiten gemäß § 8 Abs 1 Z 2 lit g ASVG hindere (Geserick/Mazal/Petric, Pflegeeltern 74).

5. Dem ist jedoch, worauf das Berufungsgericht zutreffend hingewiesen hat, entgegenzuhalten, dass die im Rahmen des freien Dienstvertrags vereinbarten Tätigkeiten der Klägerin untrennbar mit dem Pflegeverhältnis verbunden sind. Dies ergibt sich schon aus Punkt 1 des freien Dienstvertrags, wonach dieser für die Dauer der Krisenunterbringung des Krisenpflegekindes abgeschlossen wird und mit ihrer Beendigung endet. Die Aufwendungen für das Pflegekind werden mit dem – neben dem Entgelt aus dem freien Dienstvertrag bezogenen – Pflegeelterngeld abgegolten. Vor diesem Hintergrund kann nicht von einer Unentgeltlichkeit der Tätigkeit der Klägerin – insbesondere auch nicht im dargestellten vom Gesetzgeber ursprünglich gemeinten Sinn für die Zwecke der Anrechnung von Ersatzzeiten für die Kindererziehung – gesprochen werden.

6. Für die von der Klägerin gewünschte Berücksichtigung der Zeiten von 1.7.2012 bis 31.5.2013 als Kindererziehungszeiten für die Berechnung der Kontoerstgutschrift gemäß § 15 APG fehlt es daher im konkreten Fall an der Voraussetzung einer unentgeltlichen Pflege des Krisenpflegekindes im Sinn der §§ 227a Abs 2 Z 6 und 8 Abs 1 Z 2 lit g ASVG. Einer Auseinandersetzung mit der weiteren Frage, ob das in die Krisenpflege übernommene Kind ein Pflegekind im Sinn des § 227a Abs 2 Z 6 ASVG sei, bedarf es daher hier nicht. […]“

Erläuterung

Krisenpflegeeltern übernehmen durch ihre kurzfristige und zeitlich begrenzte Aufnahme von Kindern eine gesellschaftlich enorm wichtige Aufgabe. Ihre finanzielle und sozialrechtliche Absicherung war in den letzten Jahren immer wieder Thema von politischen und auch rechtlichen Auseinandersetzungen (OGH10 ObS 65/19kDRdA-infas 2019, 352 ff).

In der vorliegenden E hat der OGH nun ausgesprochen, dass die Zeiten der Betreuung durch Krisenpflegeeltern für die PV nicht als Zeiten der Kindererziehung nach § 8 Abs 1 Z 2 lit g ASVG anzurechnen sind, wenn ein entgeltlicher freier Dienstvertrag mit einem Pflegeelternverein vorliegt. Begründet wird dies damit, dass die Pflege nicht unentgeltlich erfolgt und damit die Voraussetzungen des § 227a Abs 2 Z 6 ASVG nicht gegeben sind.

Zur Absicherung von Krisenpflegeeltern wird von Pflegeelternvereinen eine solche Vertragslösung – meist über freie Dienstverträge – angeboten. Auf diese Weise soll eine KV und PV sichergestellt werden. Im Gegenzug müssen die Krisenpflegeeltern bestimmte vereinbarte Aufgaben, wie beispielsweise die Dokumentation der Pflege, eine Supervision, Dienstbesprechungen und Fortbildungen absolvieren. Für diese sozialpädagogischen Mehrleistungen steht ihnen ein Entgelt zu, das meist leicht über der Geringfügigkeitsgrenze liegt. Der OGH schließt sich nicht der Meinung der Autoren des Forschungsberichts des Österreichischen Integrationsfonds (ÖIF) an, wonach der Abschluss eines solchen freien Dienstvertrags der Anrechnung von Kindererziehungszeiten nicht im 211Weg steht, da das Entgelt nicht für die Pflege und Erziehung zusteht, sondern für die Erbringung des sozialpädagogischen Mehraufwands. Er führt dazu aus, dass die vertraglich vereinbarten Tätigkeiten mit dem Pflegeverhältnis untrennbar verbunden sind.

Offen lässt der OGH, ob es sich bei Krisenpflegekindern überhaupt um Pflegekinder iSd § 227a Abs 2 Z 6 ASVG handelt. Insgesamt ist das Ergebnis zumindest gesellschaftspolitisch problematisch, da die Absicherung in der PV damit deutlich schlechter ist als bei der Anrechnung von Kindererziehungszeiten, deren monatliche Beitragsgrundlage 2021 bei € 1.986,04 (12 Mal) liegt. Dies widerspricht damit im Ergebnis dem Zweck derartiger Vertragslösungen, die eigentlich einer besseren Absicherung der Krisenpflegeeltern, die sich oftmals in einer prekären Situation befinden, dienen sollen.