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Erfordernis der Schriftlichkeit der ärztlichen Bestätigung für den vorzeitigen Mutterschutz

KRISZTINAJUHASZ

Die Kl ist als Angestellte beschäftigt. Anlässlich der Geburt ihres ersten Kindes nahm sie eine Karenz bis zum Ablauf des zweiten Lebensjahres des Kindes in Anspruch. Sie bezog Wochengeld und bis 25.9.2018 Kinderbetreuungsgeld als Ersatz des Erwerbseinkommens. Anlässlich einer zweiten Schwangerschaft wurde der 14.1.2019 als voraussichtlicher Geburtstermin festgestellt. Der Frauenarzt der Kl stellte am 28.9.2018 ein fachärztliches Zeugnis nach § 3 Abs 3 MSchG aus („vorzeitiger Mutterschutz“). Die Kl übermittelte dem Krankenversicherungsträger dieses Zeugnis.

Die Bekl lehnte den Antrag der Kl auf Gewährung von Wochengeld mit der Begründung ab, dass zum Zeitpunkt des Eintritts des individuellen Beschäftigungsverbots am 28.9.2018 keine aufrechte KV mehr bestanden habe. In ihrer dagegen gerichteten Klage brachte die Kl vor, die Voraussetzungen einer „Frühkarenz“ seien bereits am 17.9.2018 vorgelegen.

Das Erstgericht verpflichtete die Bekl zur Zahlung des Wochengeldes. Das Berufungsgericht wies das Klagebegehren ab und begründete seine Entscheidung damit, dass die KV der Kl mit Ablauf des letzten Tages des Kinderbetreuungsgeldbezugs endete. Der Versicherungsfall der Mutterschaft sei iSd § 120 Z 3 ASVG erst mit Ausstellung des fachärztlichen Zeugnisses am 28.9.2018 eingetreten.

Im Revisionsverfahren war zu klären, ob der Versicherungsfall der Mutterschaft bei Vorliegen eines ärztlichen Zeugnisses bereits zu einem Zeitpunkt vor dessen Ausstellung als eingetreten gelte, wenn nachgewiesen werde, dass die Voraussetzungen für die Ausstellung bereits zu einer früheren Zeit vorgelegen seien.

Die Revision der Kl wurde zurückgewiesen.

Nach § 120 Z 3 zweiter Satz ASVG gilt der Versicherungsfall der Mutterschaft in jenem Zeitpunkt als eingetreten, in dem aufgrund eines fachärztlichen, arbeitsinspektionsärztlichen oder amtsärztlichen Zeugnisses nachgewiesen wird, dass das Leben oder die Gesundheit von Mutter oder Kind bei Fortdauer der Beschäftigung oder Aufnahme der Beschäftigung gefährdet werde. Die näheren Bestimmungen über die Ausstellung, Form und den Inhalt des Freistellungszeugnisses sind gem § 3 Abs 3 Z 3 MSchG durch Verordnung festzulegen. Das nach der Mutterschutzverordnung (MSchV) ausgestellte ärztliche Zeugnis beinhaltet eine Wissenserklärung des Arztes über das Vorliegen einer Gefährdung (OGH 24.11.2020, 10ObS66/20h&SkipToDocumentPage=True&SucheNachRechtssatz=False&SucheNachText=True" target="_blank">10 ObS 66/20h). Form und Inhalt des Zeugnisses regelt § 4 MSchV. Nach § 4 Abs 2 MSchV ist für das dem Sozialversicherungsträger vorzulegende Freistellungszeugnis das in der Anlage enthaltene Formular 1 zu verwenden. Dieser Vordruck enthält ua die in § 3 Abs 3 MSchG geregelte Bescheinigung der Gefährdung.

Die Kl vertritt den Standpunkt, dass das Gesetz nicht ausschließlich schriftliche Bestätigungen und Zeugnisse verlange, sondern auch ein mündliches Zeugnis einer nach § 3 MSchV berechtigten Person genüge. Als solches mündliche Zeugnis sieht die Kl die Angaben des als Zeugen vernommenen Frauenarztes an, wonach sie schon mit Juli 2018 in „Frühkarenz“ gehen und der Arzt bereits zu diesem Zeitpunkt eine entsprechende schriftliche Bestätigung ausstellen hätte können. Nach Ansicht der Kl war der Versicherungsfall deshalb bereits im Juli 2018 eingetreten.

Der OGH führte in seiner E aus, dass dieses Argument zur Gleichwertigkeit eines mündlichen ärztlichen Zeugnisses mit der eindeutigen Gesetzeslage nicht in Einklang steht. Der Begriff eines ärztlichen Zeugnisses in § 120 Z 3 zweiter Satz ASVG ist schon nach dem allgemeinen Sprachgebrauch als schriftliche Bestätigung über das Vorliegen einer Gefährdung zu verstehen. Das Freistellungszeugnis muss nach § 4 MSchV bestimmten Form- und Inhaltserfordernissen entsprechen, um das Bestehen der Gefährdung zu dokumentieren, der Arzt hat nach § 4 Abs 2 212MSchV ein bestimmtes Formular zu verwenden. Der behandelnde Facharzt der Kl hat (erst) am 28.9.2018 eine Gefährdung iSd § 3 Abs 3 MSchG bestätigt. In der Regel wird damit das Bestehen der Gefährdung ab dem Ausstellungszeitpunkt dokumentiert (OGH 24.11.2020, 10 ObS 66/20h). Dass mit dem ärztlichen Zeugnis der Eintritt einer Gefährdung zu einem früheren Zeitpunkt bestätigt werden sollte, wurde von der Revisionswerberin nicht behauptet.