109Berücksichtigung mehrerer gleichzeitig ausgeübter Erwerbstätigkeiten für die Rehabilitationsgeldberechnung
Berücksichtigung mehrerer gleichzeitig ausgeübter Erwerbstätigkeiten für die Rehabilitationsgeldberechnung
Haben zuletzt zwei Beschäftigungsverhältnisse parallel nebeneinander bestanden und sind zu Ende gegangen, stellen beide zusammen die „letzte Erwerbstätigkeit“ iSd § 143a Abs 2 Satz 1 ASVG dar und sind daher gemeinsam bei der Bemessung des Rehabilitationsgeldes zu berücksichtigen, dies unabhängig davon, dass die Pflichtversicherung in der KV in einem der Beschäftigungsverhältnisse mit dem Ende des Anspruchs auf Entgeltfortzahlung früher als in dem anderen Beschäftigungsverhältnis geendet hat.
Die Kl war vom 10.4.2010 bis 31.10.2019 bei der P-GmbH und von 1.6.2015 bis 7.1.2019 bei der G-GmbH beschäftigt. Der volle Entgeltanspruch zur P-GmbH endete am 15.6.2018 und zur G-GmbH am 8.8.2018. Krankengeld wurde der Kl für den Zeitraum vom 16.6. bis 31.10.2018 für das Beschäftigungsverhältnis zur P-GmbH und für den Zeitraum vom 9.7. bis 31.10.2018 für das Beschäftigungsverhältnis zur G-GmbH ausbezahlt. Seit 1.11.2018 bezieht die Kl Rehabilitationsgeld.
Die Bekl lehnte mit Bescheid vom 28.1.2020 den Antrag der Kl ab, ihr ab 1.11.2018 ein höheres Rehabilitationsgeld als täglich € 30,31 brutto bzw € 31,10 brutto zu zahlen. Gegen diesen Bescheid brachte die Kl die Klage ein, in der sie den Anspruch auf Rehabilitationsgeld im Ausmaß des Krankengeldes aus beiden Dienstverhältnissen begehrte.
Das Erstgericht wies die Klage mit der Begründung ab, dass keine planwidrige Lücke vorliege. Der Zweck des Rehabilitationsgeldes, den durch die Arbeitsunfähigkeit erlittenen Entgeltverlust zumindest teilweise zu ersetzen, werde dadurch erfüllt, dass das Rehabilitationsgeld zumindest in der Höhe des Ausgleichszulagenrichtsatzes gebührt.
Das Berufungsgericht führte aus, dass beide Beschäftigungsverhältnisse zu berücksichtigen seien, da das Rehabilitationsgeld dem Krankengeldanspruch nachgebildet sei und bei mehreren Beschäftigungen auch aus jeder Beschäftigung Krankengeld gebühre. Die Bemessungsgrundlage sei jedoch im bisherigen Verfahren unerörtert geblieben. Das Berufungsgericht gab der Berufung der Kl Folge, hob das Ersturteil auf und verwies die Rechtssache zur neuerlichen Verhandlung an das Erstgericht zurück.
Dagegen richtet sich der Rekurs der Bekl, mit dem die Wiederherstellung des abweisenden Ersturteils begehrt wurde.
Der Rekurs ist zulässig, er ist jedoch nicht berechtigt.
„[…] [12] 1.1 Der Zweck des Rehabilitationsgeldes liegt darin, einen Ersatz für die weggefallene befristete Invaliditätspension zu schaffen (ErläutRV 2000 BlgNR 24. GP 20). Während die Invalidiäts- bzw Berufsunfähigkeitspension eine Leistung mit Pensionscharakter ist, ist das Rehabilitationsgeld als eine dem Krankengeld ähnliche Leistung konzipiert, wodurch das Prinzip ‚Rehabilitation vor Pension‘ verstärkt und die Rückkehr in die Arbeitswelt gefördert werden soll (10 ObS 123/17m SSV-NF 32/2). Das Rehabilitationsgeld ist funktional eine Fortsetzung des Krankengeldbezugs bzw dem Krankengeldanspruch nachgebildet. Auch nach der Systematik des Krankengeldes liegt der Fokus auf der Einkommensersatzfunktion (ErläutRV 2000 BlgNR 24. GP 18). Der durch die Arbeitsunfähigkeit erlittene Entgeltverlust soll zumindest teilweise ersetzt werden und eine finanzielle Absicherung des Versicherten während der Wiederherstellung seiner Arbeitsfähigkeit gewährleistet sein (10 ObS 98/16h SSV-NF 30/81; Födermayr in Mosler/Müller/Pfeil in SV-Komm [249. Lfg] § 143a ASVG Rz 14). [...]
[16] 1.5 Bei mehrfacher Krankenversicherung gebührt Krankengeld als Barleistung aus jeder der in Betracht kommenden Versicherungen (§ 128 Satz 2 ASVG). Da das Krankengeld Einkommensersatzfunktion hat und zu einem bestimmten Prozentsatz das ausfallende Einkommen des Versicherten ersetzen soll, soll ein Versicherter, der mehrere Beschäftigungen nebeneinander ausübt (und in beiden Beschäftigungsverhältnissen arbeitsunfähig ist), nach dem Willen des Gesetz213gebers Krankengeld aus allen diesen Beschäftigungen erhalten. Der Versicherte, der sein Einkommen im Rahmen mehrerer Versicherungsverhältnisse erwirbt, soll pro Versicherungsverhältnis den entsprechenden Anteil an Geldleistungen erhalten (Windisch-Graetz in Mosler/Müller/Pfeil in SV-Komm [164. Lfg] § 128 ASVG Rz 4). Wäre ein Versicherter hingegen nur in einem seiner beiden Beschäftigungsverhältnisse als arbeitsunfähig anzusehen, hätte er nur aus diesem Anspruch auf Krankengeld (Schober in Sonntag, ASVG11 [2020] § 143 Rz 6a).
[17] 2.1 Obwohl § 143a Abs 2 Satz 1 ASVG seinem Wortlaut nach für die Bemessung des Rehabilitationsgeldes auf ‚die letzte eine Pflichtversicherung in der Krankenversicherung begründende Erwerbstätigkeit‘ abstellt, somit nach dem Wortlaut von der Ausübung nur einer einzigen Erwerbstätigkeit ausgeht, führt der dargelegte Zweck des Rehabilitationsgeldes sowie seine systematische Anknüpfung an das Krankengeld bei Vorliegen zweier paralleler Beschäftigungsverhältnisse und Eintreten der Arbeitsunfähigkeit in beiden Beschäftigungsverhältnissen dazu, dass beide Beschäftigungsverhältnisse für die Bemessung des Rehabilitationsgeldes zu berücksichtigen sind, sofern diese Beschäftigungsverhältnisse eine Pflichtversicherung in der Krankenversicherung nach dem ASVG oder B-KUVG begründet haben. Wollte man lediglich eines von mehreren Beschäftigungsverhältnissen heranziehen, aus denen der Versicherte bisher sein Einkommen bezogen hat, wäre der Absicht des Gesetzgebers, eine finanzielle Absicherung während der Wiederherstellung der Arbeitsfähigkeit zu gewährleisten, nicht erfüllt. Diesem Zweck wird auch nicht dadurch Genüge getan, dass das Rehabilitationsgeld in der Höhe des Ausgleichszulagenrichtsatzes für Alleinstehende gebührt (§ 143a Abs 2 Satz 3 ASVG), weil es sich dabei der Sache nach um eine Maßnahme der Mindestsicherung bzw Sozialhilfe handelt (Födermayr in SV-Komm [249. Lfg] § 143a ASVG Rz 15).
[18] 2.2 Wie bereits das Berufungsgericht ausgeführt hat, ist als Zwischenergebnis daher festzuhalten, dass bei Bestehen von zuletzt zwei Erwerbstätigkeiten, die eine Pflichtversicherung in der Krankenversicherung nach dem ASVG oder B-KUVG begründet haben, beide Erwerbstätigkeiten in gleicher Weise ‚die letzte Erwerbstätigkeit‘ iSd § 143a Abs 2 Satz 1 erster Halbsatz ASVG darstellen und gemeinsam bei der Bemessung des Rehabilitationsgeldes zu berücksichtigen sind. [...]
[26] 4.2 Seinem Wortlaut nach stellt § 143a Abs 2 Satz 1 ASVG nicht auf das (infolge Krankengeldbezugs) zum Zeitpunkt der Gewährung des Rehabilitationsgeldes aktuelle Nichtbestehen einer aufrechten Pflichtversicherung in der Krankenversicherung ab, sondern knüpft die Bemessung des Rehabilitationsgeldes an das Ausmaß des Krankengeldes, das aus der letzten eine Pflichtversicherung nach dem ASVG oder B-KUVG begründenden Erwerbstätigkeit ‚gebührt hätte‘. Es soll immer jene letzte Erwerbstätigkeit zur Berechnung des Rehabilitationsgeldes herangezogen werden, die nach dem ASVG oder B-KUVG eine Pflichtversicherung in der Krankenversicherung begründet hat (ErlRV 900 BlgNR 25. GP 20). Bestehen zuletzt zwei derartige Erwerbstätigkeiten, stellen beide Erwerbstätigkeiten in gleicher Weise ‚die letzte Erwerbstätigkeit‘ iSd § 143a Abs 2 Satz 1 erster Halbsatz ASVG dar (siehe oben Pkt 2.2). Dem Ende der Pflichtversicherung in der Krankenversicherung infolge Bezugs von Krankengeld im Zeitpunkt der Zuerkennung des Rehabilitationsgeldes in einem der beiden Versicherungsverhältnisse kommt für die Bemessung des Rehabilitationsgeldes somit keine Bedeutung zu.
[27] 5. Aus der historischen Entwicklung des § 143a Abs 2 Satz 1 ASVG ergibt sich nichts anderes:
[28] 5.1 Nach § 143a Abs 2 Satz 1 ASVG idF des SRÄG 2012 (BGBl I 2013/3BGBl I 2013/3) war Anknüpfungspunkt für das Ausmaß des Rehabilitationsgeldes das Krankengeld, das ‚aus der letzten Erwerbstätigkeit‘ gebührt hätte.
[29] 5.2 Mit dem Sozialversicherungs-Anpassungsgesetz 2015 (SVAG, BGBl I 2015/2BGBl I 2015/2) wurde der Anknüpfungspunkt mit der ‚eine Versicherung nach diesem Bundesgesetz oder nach dem B-KUVG begründenden Erwerbstätigkeit‘ konkretisiert. Damit sollte klargestellt werden, dass ausschließlich solche Erwerbstätigkeiten der Berechnung des Rehabilitationsgeldes zugrunde gelegt werden, die eine Versicherung nach ASVG oder B-KUVG begründen (ErlRV 321 BlgNR 25. GP 5; Sonntag in Sonntag, ASVG11 § 143a Rz 13).
[30] 5.3 Eine weitere Modifikation des § 143a Abs 2 Satz 1 ASVG erfolgte durch das Sozialrechts-Änderungsgesetz 2015 (SRÄG 2015, BGBl I 2015/162BGBl I 2015/162). Der Ausdruck ‚Versicherung‘ wurde durch den Ausdruck ‚Pflichtversicherung in der Krankenversicherung‘ ersetzt, sodass nunmehr das ‚aus der letzten eine Pflichtversicherung in der Krankenversicherung nach diesem Bundesgesetz oder nach dem B-KUVG begründete Erwerbstätigkeit‘ gebührende Krankengeld maßgeblich ist. In den Gesetzesmaterialien wird ausgeführt, dass von der früheren Formulierung ‚aus der letzten eine Versicherung nach diesem Bundesgesetz oder dem B-KUVG begründende Erwerbstätigkeit‘ auch Personen umfasst seien, die bei ihrer letzten Erwerbstätigkeit lediglich in der Unfallversicherung versichert waren. Dies habe zur Folge gehabt, dass zur Berechnung des Rehabilitationsgeldes auch eine geringfügige Beschäftigung herangezogen werden konnte und nicht auf die letzte krankenversicherungspflichtige Erwerbstätigkeit abgestellt wurde. [...]
[31] 5.4 Aus der Entwicklung des § 143a Abs 2 erster Satz ASVG ist daher abzuleiten, dass der Gesetzgeber sukzessive den Kreis der für die Bemessung des Rehabilitationsgeldes relevanten Erwerbstätigkeiten verkleinert und zuletzt – zugunsten der Versicherten – bestimmte Erwerbstätigkeiten 214ausgeschlossen hat. Hingegen fehlen Anhaltspunkte dafür, dass – zum Nachteil der Versicherten – parallel nebeneinander ausgeübte Erwerbstätigkeiten bzw Beschäftigungsverhältnisse für die Bemessung des Rehabilitationsgeldes allein deshalb ausgeschlossen werden sollten, weil zum Zeitpunkt der Zuerkennung des Rehabilitationsgeldes (infolge Krankengeldbezugs nach Ende des Entgeltfortzahlungsanspruchs) keine aufrechte Pflichtversicherung in der Krankenversicherung bestehen sollte. [...]“
Gem § 143a Abs 2 Satz 1 gebührt das Rehabilitationsgeld im Ausmaß des Krankengeldes nach § 141 Abs 1 und ab dem 43. Tag im Ausmaß des erhöhten Krankengeldes nach § 141 Abs 2 ASVG, das aus der letzten eine Pflichtversicherung in der KV nach dem ASVG oder B-KUVG begründende Erwerbstätigkeit gebührt hätte, wobei bei Vorliegen von unmittelbar vorangehenden Zeiten des Krankengeldanspruches die nach § 141 Abs 2 ermittelten Tage anzurechnen sind. Das Rehabilitationsgeld ist somit als Fortsetzung des Krankengeldes konzipiert.
Die Bemessungsgrundlage für das Krankengeld und daher auch für das Rehabilitationsgeld ist gem § 125 Abs 1 ASVG der zur Beitragsermittlung heranzuziehende auf einen Kalendertag entfallende Arbeitsverdienst, der dem Versicherten im Kalendermonat (§ 44 Abs 2 ASVG), der dem Ende des vollen Entgeltanspruchs voranging, gebührt hat.
Bei mehrfacher KV, etwa bei gleichzeitiger Ausübung mehrerer Dienstverhältnisse wie im vorliegenden Fall, gebühren gem § 128 2. Satz ASVG Geldleistungen aus jeder der in Betracht kommenden Versicherungen. Die Leistungen haben eine Einkommensersatzfunktion und sollen zumindest einen gewissen Prozentsatz des ausfallenden Einkommens des Versicherten abdecken. Nach den Ausführungen des OGH ist diese Ersatzfunktion nicht dadurch gewährleistet, dass das Rehabilitationsgeld zumindest in der Höhe des Ausgleichszulagenrichtsatzes nach § 293 Abs 1 lit a sublit bb gebührt.
Bemerkenswert an der Entscheidung des OGH ist, dass sie einerseits die erste höchstgerichtliche Entscheidung über das Ausmaß des Rehabilitationsgeldes bei mehreren der Pflichtversicherung in der KV unterliegenden Erwerbstätigkeiten ist und andererseits, dass der OGH trotz der Wortfolge „aus der letzten eine Pflichtversicherung [...] begründenden Erwerbstätigkeit“ anhand der systematischen, teleologischen und historischen Interpretation zu dem Ergebnis gelangt, dass mehrere zuletzt ausgeübte Erwerbstätigkeiten als Bemessungsgrundlage für das Rehabilitationsgeld heranzuziehen sind. Dies entspricht auch den vom OGH angeführten Novellierungen des § 143a ASVG, die zugunsten der Versicherten vorgenommen wurden. So wurde beispielsweise klargestellt, dass das zuletzt erzielte, nur geringfügige Einkommen nicht für die Berechnung des Rehabilitationsgeldes herangezogen werden soll. Durch die Berücksichtigung zweier gleichzeitig ausgeübter Beschäftigungsverhältnisse für die Berechnung des Rehabilitationsgeldes schließt der OGH aus, dass es zu unsachlichen und zufälligen Ergebnissen kommt.