114Kein Anspruch auf Ausgleichszulage auf der Grundlage des Fürsorgeabkommens zwischen Österreich und Deutschland
Kein Anspruch auf Ausgleichszulage auf der Grundlage des Fürsorgeabkommens zwischen Österreich und Deutschland
Der Kl ist ein 1944 geborener deutscher Staatsangehöriger, der eine monatliche Rente von € 445,30 netto aus der deutschen Rentenversicherung bezieht. Der Kl war ab 2004 mit einer Ausnahme (Auslandsaufenthalt für wenige Tage) in Österreich aufhältig. Sein Lebensunterhalt wurde von seiner Lebensgefährtin finanziert. Seit 2018 ist er im Besitz einer unbefristeten Anmeldebescheinigung gem § 51 Abs 1 Z 2 Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz (NAG). Der gemeinsame Haushalt mit der Lebensgefährtin bestand bis 15.9.2019. Seit 1.10.2019 bezieht der Kl bedarfsorientierte Mindestsicherung.
Mit Bescheid lehnte die Bekl den Antrag des Kl auf Gewährung der Ausgleichszulage mit der Begründung ab, dass kein rechtmäßiger Aufenthalt im Inland vorliege.
Gegenstand des Rechtsstreits war die Frage, ob er zur Begründung seines Anspruchs auf Ausgleichszulage einen auf Art 8 des Abkommens zwischen der Republik Österreich und der Bundesrepublik Deutschland über Fürsorge und Jugendwohlfahrtspflege (in der Folge nur: „FürsorgeAbk“) gegründeten Aufenthalt als rechtmäßigen gewöhnlichen Aufenthalt im Inland geltend machen kann. Nach Art 8 des FürsorgeAbk darf der Aufenthaltsstaat einem Staatsangehörigen der anderen Vertragspartei nicht allein aus dem Grunde der Hilfsbedürftigkeit den weiteren Aufenthalt versagen, es sei denn, dass er sich noch nicht ein Jahr ununterbrochen in seinem Hoheitsgebiet aufhält.
Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab.
Das Berufungsgericht gab der Berufung des Kl Folge und sprach ihm die Ausgleichszulage zu. Da sich der Kl vor der Antragstellung seit mehr als einem Jahr in Österreich aufgehalten habe, seien die Voraussetzungen des Art 8 Abs 1 des FürsorgeAbk erfüllt und der Aufenthalt des Kl trotz seiner Hilfsbedürftigkeit rechtmäßig, weshalb sein Anspruch auf Ausgleichszulage zu bejahen sei. Darauf, ob die Ausgleichszulage vom Anwendungsbereich des FürsorgeAbk umfasst sei, komme es nicht an.
Die außerordentliche Revision der Bekl war nach Auffassung des OGH zulässig und iSd Wiederherstellung des das Klagebegehren abweisende Urteil des Erstgerichts auch berechtigt:
Gem § 292 Abs 1 ASVG hat der Pensionsberechtigte bei Erfüllung der weiteren Voraussetzungen Anspruch auf Ausgleichszulage, „solange er seinen rechtmäßigen, gewöhnlichen Aufenthalt im Inland hat“. Durch das Abstellen auf den „rechtmäßigen Aufenthalt“ soll ein Gleichklang der Ausgleichszulagenregelung mit dem europäischen und österreichischen Aufenthaltsrecht hergestellt werden.
Beim Fürsorgeabkommen handelt es sich um einen unmittelbar anwendbaren völkerrechtlichen Vertrag, der eine unmittelbare Grundlage für innerstaatliche Vollzugsakte darstellt. Es trifft Regelungen über die Gewährung von Fürsorge- und Jugendwohlfahrtspflege und gewährt Staatsangehörigen einer Vertragspartei, die sich im Hoheitsgebiet der anderen Vertragspartei aufhalten, Fürsorge- und Jugendwohlfahrtspflege in gleicher Weise, in gleichem Umfang und unter den gleichen Bedingungen wie den Staatsangehörigen des Aufenthaltsstaats. Unter dem Begriff der „Fürsorge“ sind Geld-, Sach-, Beratungs-, Betreuungs- und sonstige Hilfeleistungen aus öffentlichen Mitteln zu verstehen, die zur Deckung und Sicherung des Lebensbedarfs für Personen dienen, die keine andere Voraussetzung als die der Hilfsbedürftigkeit zu erfüllen haben. Der Aufenthaltsstaat darf einem Staatsangehörigen der anderen Vertragspartei nicht allein aus dem Grunde der Hilfsbedürftigkeit den weiteren Aufenthalt versagen, es sei denn, dass er sich noch nicht ein Jahr ununterbrochen in seinem Hoheitsgebiet aufhält. Bei einer Abwesenheit bis zur Dauer eines Monats gilt der Aufenthalt gem Art 9 Abs 2 FürsorgeAbK als nicht unterbrochen.
Das FürsorgeAbk ist nach dem Willen der Vertragsstaaten als Einschränkung der pass- und fremdenrechtlichen Bestimmungen zu verstehen und soll nicht nur verhindern, dass gegen einen Hilfsbedürftigen mit fremdenpolizeilichen Zwangsmaßnahmen (Aufenthaltsverbot) vorgegangen wird, sondern auch sicherstellen, dass solchen Personen die begehrte Verlängerung der Aufenthaltsberechtigung nicht aus dem Grund der Hilfsbedürftigkeit versagt wird. Art 8 des FürsorgeAbk wird ua als fremden- bzw aufenthaltsrechtliche Bestimmung verstanden, die den Aufenthalt Hilfsbedürftiger rechtmäßig macht, wenn dieser ansonsten (allein) aufgrund der Hilfsbedürftigkeit unrechtmäßig wäre (zB 220Versagung eines befristeten Sichtvermerks oder Lichtbildausweises für Fremde).
Die Schlussfolgerung, deshalb sei auch der Anspruch auf Ausgleichszulage zu bejahen, kann im Hinblick auf die bisherige Rsp zum Zusammenspiel von fremden- bzw aufenthaltsrechtlichen Bestimmungen und dem Anspruch auf Ausgleichszulage aber nach Ansicht des OGH nicht geteilt werden:
§ 52 Abs 1 Z 3 NAG macht das Aufenthaltsrecht bestimmter Angehöriger eines EWR-Bürgers davon abhängig, dass diesen tatsächlich familienintern Unterhalt gewährt wird, was wiederum staatliche Versorgungsleistungen entbehrlich macht. Dass die von den Unterhaltszuwendungen abgeleitete Rechtmäßigkeit des Aufenthalts nach § 52 Abs 1 Z 3 NAG zu einem Ausgleichszulagenanspruch führt, wurde unter Hinweis darauf verneint, dass es ansonsten zu dem „Unionsbürgerschaft als Münchhausen“-Effekt (Rebhahn, wbl 2013, 605 [611]) käme: Die innerfamiliären Zuwendungen, die staatliche Unterstützung entbehrlich machen, machen den Aufenthalt rechtmäßig, woraus sich dann der Anspruch auf eben diese staatliche Unterstützungsleistung ergäbe. Um dieses Ergebnis, das § 52 Abs 1 Z 3 NAG ausschalten will, zu vermeiden, gleichzeitig aber die Rechtmäßigkeit des Aufenthalts nicht zu tangieren, sprach der OGH bereits in der E vom 19.7.2016, 10 ObS 31/16f, aus, dass § 292 Abs 1 ASVG im Licht des § 52 Abs 1 Z 3 NAG auszulegen sei. Danach führt der durch § 52 Abs 1 Z 3 rechtmäßige Aufenthalt nicht zu einem Anspruch auf Ausgleichszulage, weil die Kosten des Aufenthalts in Österreich (in den ersten fünf Jahren) nicht durch die Ausgleichszulage, sondern über den familieninternen Unterhalt finanziert werden sollen. Diese Überlegungen treffen nach Ansicht des OGH auch auf den vorliegenden Fall zu:
Die von § 51 Abs 1 Z 2 NAG geforderten ausreichenden Existenzmittel sollen es möglich machen, dass die Freizügigkeit ausübende EWR-Bürger ihre wesentlichen Unterhaltsbedürfnisse ohne staatliche Unterstützungsleistungen bestreiten können. Wollte man das Vorliegen eines rechtmäßigen Aufenthalts des Kl bereits nach einjährigem Aufenthalt in Österreich unter Hinweis auf Art 8 FürsorgeAbk bejahen, auch wenn er tatsächlich nicht über ausreichende Existenzmittel verfügt, träte gleichfalls der genannte „Unionsbürgerschaft als Münchhausen“-Effekt ein. Obwohl der Kl hilfsbedürftig ist und Mindestsicherung bezieht, wäre sein Aufenthalt als rechtmäßig anzusehen, woraus sich dann der Anspruch auf Ausgleichszulage ergäbe. Da § 52 Abs 1 Z 2 NAG dieses Ergebnis vermeiden will, weil die Kosten des Aufenthalts in Österreich (in den ersten fünf Jahren) nicht durch die Ausgleichszulage, sondern über eigene Existenzmittel finanziert werden sollen, kann auch ein iSd Art 8 des FürsorgeAbk rechtmäßiger Aufenthalt nicht zu einem Anspruch auf Ausgleichszulage führen.