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Einkommensabhängiges Kinderbetreuungsgeld: Sabbatical als tatsächliche Ausübung einer Erwerbstätigkeit

KRISZTINAJUHASZ

Die Phase der Dienstfreistellung nach § 78e BDG 1979 („Sabbatical“) ist als tatsächliche Ausübung einer Erwerbstätigkeit iSd § 24 Abs 1 Z 1 und Abs 2 KBGG anzusehen. Der Begriff „tatsächlich“ in der Legaldefinition zur Erwerbstätigkeit gem § 24 Abs 2 KBGG bezieht sich nicht auf die konkrete Ausübung einer Arbeitsleistung innerhalb der vereinbarten Arbeitszeit und am vereinbarten Arbeitsort. Vielmehr soll damit einer Scheinbeschäftigung in Österreich entgegengewirkt werden.232

Sachverhalt

Der Kl ist Polizeibeamter. Sein DG gewährte ihm über einen Rahmenzeitraum von 1.4.2016 bis 31.3.2018 ein Sabbatical. Die Zeit von 1.4. bis 1.10.2017 wurde als Freistellungsphase konsumiert. Der Kl war im gesamten Rahmenzeitraum bei der bekl Versicherungsanstalt öffentlich Bediensteter, Eisenbahnen und Bergbau sozialversichert. Er erhielt in diesem Zeitraum ein Grundentgelt im Ausmaß von 75 % (Durchschnittsbezug), womit er den Zeitraum von 1.4. bis 1.10.2017 „eingearbeitet“ hat. Nach der Geburt der gemeinsamen Tochter im März 2018 beantragte die Lebensgefährtin des Kl die einkommensabhängige Variante des Kinderbetreuungsgeldes „12+2“. Die Tatsache des Sabbatical war der Bekl bereits vor der Antragstellung bekannt.

Verfahren und Entscheidung

Die Bekl widerrief die Zuerkennung des einkommensabhängigen Kinderbetreuungsgeldes und forderte die Rückzahlung mit der Begründung, dass der Kl in den letzten 182 Tagen vor der Geburt nicht durchgehend eine Erwerbstätigkeit ausgeübt hatte.

Der Kl begehrte in seiner Klage die Feststellung, dass der Anspruch der Bekl auf Rückzahlung des Kinderbetreuungsgeldes nicht zu Recht bestehe, da ein Sabbatical nicht als Unterbrechung des Dienstverhältnisses zu werten sei.

Das Erstgericht qualifizierte das Sabbatical als Erwerbstätigkeit iSd § 24 Abs 1 Z 2 und Abs 2 KBGG. Das Berufungsgericht teilte diese Rechtsansicht. Die tatsächliche Ausübung einer sozialversicherungspflichtigen Tätigkeit erfordere ein aufrechtes Dienstverhältnis und eine Versicherungspflicht in der KV und PV, nicht aber die Erbringung einer körperlichen oder geistigen Arbeitsleistung innerhalb der vereinbarten Arbeitszeit am vereinbarten Ort. Der Kl habe bei seinem Sabbatical eineinhalb Jahre auf 25 % seines Entgelts trotz voller Arbeitsleistung verzichtet und sich damit ein Zeitguthaben für die Freistellung in der Dauer von einem halben Jahr erarbeitet. Dies sei so zu sehen wie die Konsumation von Zeitausgleich.

Die – nicht beantwortete – Revision der Bekl war zulässig, aber nicht berechtigt.

Originalzitate aus der Entscheidung

„1.1 Das Kinderbetreuungsgeld als Ersatz des Erwerbseinkommens (einkommensabhängiges Kinderbetreuungsgeld) wurde mit der Novelle zum KBGG BGBl I 2009/116BGBl I 2009/116 geschaffen. § 24 KBGG lautet in der Fassung dieser Novelle auszugsweise wie folgt:

‚§ 24 (1) Anspruch auf Kinderbetreuungsgeld nach diesem Abschnitt hat ein Elternteil (Adoptivelternteil, Pflegeelternteil) für sein Kind (Adoptivkind, Pflegekind), sofern

1. ...

2. dieser Elternteil in den letzten sechs Kalendermonaten unmittelbar vor der Geburt des Kindes, für das Kinderbetreuungsgeld bezogen werden soll, durchgehend erwerbstätig gemäß Abs. 2 war, wobei sich Unterbrechungen von insgesamt nicht mehr als 14 Kalendertagen nicht anspruchsschädigend auswirken und

3. ....

(2) Unter Erwerbstätigkeit im Sinne dieses Bundesgesetzes versteht man die tatsächliche Ausübung einer in Österreich sozialversicherungspflichtigen Erwerbstätigkeit. […]‘

1.2 Zum Erwerbstätigkeitserfordernis führten die Gesetzesmaterialien aus (ErläutRV 340 BlgNR 24. GP 16):

‚Zusätzlich steht das einkommensabhängige Kinderbetreuungsgeld nur vor der Geburt tatsächlich erwerbstätigen Eltern offen. Dabei muss es sich um eine in Österreich sozialversicherungspflichtige Erwerbstätigkeit handeln. Die Erwerbstätigkeit muss durchgehend in den letzten sechs Monaten vor Geburt tatsächlich ausgeübt werden. Sehr geringfügige Unterbrechungen (das sind solche von bis zu 14 Tagen) sind zulässig, um Härtefälle zu vermeiden. Keine Unterbrechung der tatsächlichen Ausübung der Erwerbstätigkeit stellen Zeiten des Erholungsurlaubes oder der Krankheit dar (unter der Voraussetzung, dass die Sozialversicherungspflicht aus der Erwerbstätigkeit aufrecht bleibt, wie es etwa bei arbeitsrechtlichen Entgeltfortzahlung der Fall ist).‘

1.3 Mit der Novelle des KBGG BGBl I 2011/139BGBl I 2011/139 wurde in § 24 Abs 2 Satz 2 KBGG der Ausdruck ‚dieser Erwerbstätigkeit‘ jeweils durch die Wortfolge ‚dieser zuvor mindestens sechs Monate andauernden Erwerbstätigkeit‘ ersetzt. […]

1.4 Mit dem FamZeitbG BGBl I 2016/53BGBl I 2016/53 wurde der Zeitraum von sechs Monaten in § 24 Abs 1 Z 2 und Abs 2 KBGG in einen Zeitraum von 182 Tagen geändert. In § 24 Abs 2 Satz 1 KBGG wurde nach dem Wort ‚sozialversicherungspflichtigen‘ der in Klammern gesetzte Ausdruck ‚kranken- und pensionsversicherungspflichtigen‘ eingefügt. In den Gesetzesmaterialien findet sich (auszugsweise) folgender Passus zu diesen Bestimmungen (ErläutRV 1110 BlgNR 25. GP 10):

‚[…] In diesem Zeitraum von 182 Tagen muss tatsächlich (also eine faktisch an den Tag gelegte) Arbeit bzw Erwerbstätigkeit ausgeübt worden sein oder eine dieser Tätigkeit gleichgestellte Zeit vorliegen.‘

2.1 Bei der Auslegung des Begriffs ‚tatsächliche Ausübung einer Erwerbstätigkeit‘ stellen Rechtsprechung (RIS-Justiz RS0128183) und Lehre (Sonntag in Sonntag/Schober/Konezny, KBGG § 24 Rz 10 ff; Burger- Ehrnhofer, Kinderbetreuungsgeldgesetz und Familienzeitbonusgesetz § 24 233KBGG Rz 3 ff; Holzmann-Windhofer in Holzmann-Windhofer/Weissenböck, KBGG 142, 282 ff) darauf ab, ob eine Erwerbstätigkeit ausgeübt wurde, die der Pflichtversicherung (auch) in der Kranken- und Pensionsversicherung unterliegt.

2.2 Diese Voraussetzung ist während der Ableistung des Präsenzdienstes nicht erfüllt (10 ObS 57/12ySSV-NF 26/59; 10 ObS 38/19i SSV-NF 33/43 zu § 2 Abs 1 Z 5 FamZeitbG). In den Fällen einer Urlaubsersatzleistung (10 ObS 164/17s SSV-NF 32/27) oder des Bezugs einer Kündigungsentschädigung (10 ObS 32/19g SSV-NF 33/25) wurde die Ausübung einer ‚tatsächlichen‘ Erwerbstätigkeit verneint, weil das – zunächst vorliegende – Dienstverhältnis bereits beendet war. Während des Bezugs von Krankengeld nach Erschöpfung der arbeitsrechtlichen Entgeltfortzahlungspflicht liegt auch während eines aufrechten Dienstverhältnisses keine ‚tatsächliche‘ Ausübung einer Erwerbstätigkeit im Sinn des § 24 Abs 1 Z 2 und Abs 2 Satz 1 KBGG mehr vor (10 ObS 5/14d SSV-NF 28/8; RS0129362 [T1]). Dasselbe gilt in einem Fall, in dem die Pflichtversicherung infolge Konsumierung eines unbezahlten Urlaubs wegfällt (10 ObS 25/18a SSV-NF 32/25).

3.1 Die Beklagte versteht den Begriff der ‚tatsächlichen‘ Ausübung einer sozialversicherungspflichtigen Erwerbstätigkeit im Sinn einer Erbringung der Arbeitsleistung am vereinbarten Arbeitsort und zur vereinbarten Arbeitszeit.

3.2 Der Oberste Gerichtshof hat diese Auslegung erst jüngst in der Entscheidung 10 ObS 99/20m zu der – mit § 24 Abs 1 Z 2 KBGG inhaltsgleichen – Anspruchsvoraussetzung des § 2 Abs 1 Z 5 FamZeitbG eindeutig abgelehnt […].

4.1 Die in 10 ObS 99/20m dargelegten Kriterien zur ‚tatsächlichen Ausübung der Erwerbstätigkeit‘ gelten auch für den hier zu beurteilenden Fall eines ‚Sabbatical‘ […]:

4.2 Nach § 78e Abs 1 BDG 1979 kann ein Beamter auf Antrag für einen Zeitraum von mindestens sechs und höchstens zwölf Monaten gegen anteilige Bezugskürzung innerhalb einer Rahmenzeit von zwei bis fünf vollen Jahren vom Dienst freigestellt werden (‚Sabbatical‘). […]

4.3 […] Im gesamten Rahmenzeitraum erhielt er [Anm: der Kl] ein Grundgehalt von 75 %. Im 182-tägigen Beobachtungszeitraum vor Geburt des Kindes (10.9.2017 bis 10.3.2018) war er 21 Tage lang freigestellt. Dienstverhältnis, Pflichtversicherung und – auf den gesamten Rahmenzeitraum umgerechneter – Gehaltsanspruch blieben aufrecht.

4.4 Damit sind jene Kriterien erfüllt, die der Oberste Gerichtshof als entscheidend für die tatsächliche Ausübung einer Erwerbstätigkeit ansieht. Der Kläger war zwar in der Freistellungsphase nach § 78e Abs 3 letzter Satz BDG 1979 zwingend von der Verpflichtung zur Dienstleistung befreit, er hatte aber in dieser Zeit den Anspruch auf dasselbe Grundgehalt wie im gesamten Rahmenzeitraum. […]

4.5 Mit der Forderung, dass eine Erwerbstätigkeit im Beobachtungszeitraum ‚tatsächlich‘ ausgeübt werden soll, wollte der Gesetzgeber Missbrauch durch die Ausübung einer bloßen Scheinerwerbstätigkeit verhindern (ErläutRV 1522 BlgNR 24. GP 4). Diesen Intentionen widerspricht es nicht, wenn ein Beamter während einer sechs bis höchstens zwölf Monate dauernden Phase der Dienstfreistellung faktisch keine Dienstleistung erbringen darf und dafür während des gesamten Rahmenzeitraums von zwei bis maximal fünf Jahren auf einen Teil seines Grundgehalts verzichtet.

4.6 Eine gleichheitswidrige Privilegierung von Beamten durch die Gewährung eines Sabbatical liegt nicht vor […]. Die Dienstbehörde […] darf nach § 78e Abs 2 Satz 2 BDG 1979 […] keine Vereinbarung eingehen, wenn für die Dauer der Freistellung voraussichtlich keine ausreichende Vertretung besteht. Das Recht, einen Dienstnehmer über das Ausmaß des gesetzlichen Erholungsurlaubs gegen Fortzahlung des Entgelts vom Dienst freizustellen, steht auch anderen Dienstgebern grundsätzlich offen (vgl 10 ObS 99/20m).

5. Ergebnis: Die Phase der Dienstfreistellung nach § 78e BDG 1979 (‚Sabbatical‘) ist als tatsächliche Ausübung einer Erwerbstätigkeit im Sinn des § 24 Abs 1 Z 1 und Abs 2 KBGG anzusehen. Der Revision ist daher nicht Folge zu geben.“

Erläuterung

Die Revision war zulässig, weil eine Rsp des OGH zur Frage fehlte, ob die Konsumation der Freistellungsphase bei einem Sabbatical als tatsächliche Ausübung einer sozialversicherungspflichtigen Erwerbstätigkeit zu qualifizieren ist.

Eine Legaldefinition für den Begriff Erwerbstätigkeit findet sich im § 24 Abs 2 KBGG, wonach das Erwerbstätigkeitserfordernis nur bei einer tatsächlichen Ausübung einer kranken- und pensionsversicherungspflichtigen Erwerbstätigkeit erfüllt wird. Es reicht daher eine geringfügige Beschäftigung mit Unfallversicherungspflicht nicht aus.

Der OGH führte bereits in seiner E vom 13.10.2020, 10 ObS 99/20m, zu der – mit § 24 Abs 1 Z 2 KBGG inhaltsgleichen – Anspruchsvoraussetzung des § 2 Abs 1 Z 5 FamZeitbG aus, dass der Begriff „tatsächlich“ in § 2 Abs 1 Z 5 FamZeitbG nicht eine konkrete Ausübung einer Arbeitsleistung innerhalb der vereinbarten Arbeitszeit und am vereinbarten Arbeitsort meint. Das ergibt sich schon aus dem Umstand, dass Zeiten des Erholungsurlaubs und der Krankheit – unter der Voraussetzung, dass die Kranken- und Pensionsversicherungspflicht aus der Erwerbstätigkeit aufrecht bleibt – nach dem Willen des Gesetzgebers keine Unterbrechung der Erwerbstätigkeit im Beobachtungszeitraum darstellen. Denn auch im Krankheits- oder Unglücksfall erbringt ein AN seine Arbeitsleistung nicht wie zuvor „Tag für Tag“. Un234geachtet dessen hat ein AN nach § 2 Abs 1 Satz 1 EFZG Anspruch auf das volle Entgelt im Ausmaß von – abhängig von der Dauer des Arbeitsverhältnisses – mindestens sechs bis maximal zwölf Wochen. Durch jeweils weitere vier Wochen besteht ein Anspruch auf das halbe Entgelt (§ 2 Abs 1 Satz 2 EFZG). Die Phase der Entgeltfortzahlung ist unabhängig von ihrer Dauer unbestritten als Ausübung einer tatsächlichen Erwerbstätigkeit anzusehen. Dasselbe gilt für die Dauer des Erholungsurlaubs. Somit kommt es nicht auf eine „physische“ Ausübung der Erwerbstätigkeit an.

Die vom Gesetzgeber verfolgte Absicht wird in der Änderung des § 24 Abs 2 Satz 2 KBGG durch das BGBl I 2011/139BGBl I 2011/139 deutlich. Mit der Betonung, dass eine Erwerbstätigkeit im Beobachtungszeitraum tatsächlich ausgeübt werden soll, wollte der Gesetzgeber vor allem zum Ausdruck bringen, Missbrauch durch die Ausübung einer bloßen Scheinerwerbstätigkeit in Österreich zu verhindern. Eine darüber hinausgehende Bedeutung, dass nur eine physische Arbeitstätigkeit den Tatbestand des § 2 Abs 1 Z 5 FamZeitbG erfüllen könnte, kommt dem Begriff „tatsächlich“ in dieser Bestimmung aus den dargelegten Gründen nicht zu.

Der Rahmenzeitraum dauerte im vorliegenden Fall von 1.4.2016 bis 31.3.2018. Von 1.4. bis 1.10.2017 war der Kl ohne Dienstverpflichtung freigestellt. Nach § 78e Abs 3 letzter Satz BDG 1979 darf der Beamte während der Freistellung nicht zur Dienstleistung herangezogen werden. Während der übrigen Rahmenzeit (Dienstleistungszeit) hat er entsprechend demjenigen Beschäftigungsausmaß, das für ihn ohne Sabbatical gelten würde, Dienst zu leisten (§ 78e Abs 4 BDG 1979). Für die Dauer der Rahmenzeit nach § 78e BDG 1979 gebührt dem Beamten der Monatsbezug in dem Ausmaß, das 1. seiner besoldungsrechtlichen Stellung und 2. dem Anteil der Dienstleistungszeit an der gesamten Rahmenzeit entspricht (§ 12g Abs 1 Gehaltsgesetz 1956).

Der OGH kam daher zum Ergebnis, dass ein Sabbatical als tatsächliche Ausübung einer Erwerbstätigkeit iSd § 24 Abs 1 Z 1 und Abs 2 KBGG anzusehen ist. Der Revision wurde daher nicht Folge gegeben.235