85

Keine Nichtigkeit der Betriebsratswahl trotz mehrfacher Verstöße gegen Regelungen zum Wahlverfahren

MARTINACHLESTIL

Die Kl (eine wahlwerbende Gruppe sowie eine Wahlberechtigte) richten sich mit ihrer außerordentlichen Revision gegen die Beurteilung der Vorinstanzen, dass die bekämpfte Betriebsratswahl wegen wesentlicher Fehler des Wahlverfahrens nur ungültig (Eventualbegehren), nicht aber nichtig (Hauptbegehren) gewesen sei.

Der OGH folgt den Vorinstanzen: Nach § 59 Abs 1 ArbVG sind die einzelnen Wahlberechtigten und jede wahlwerbende Gruppe zur Wahlanfechtung berechtigt, wenn wesentliche Bestimmungen des Wahlverfahrens oder leitende Grundsätze des Wahlrechts verletzt wurden und hiedurch das Wahlergebnis beeinflusst werden konnte.

Bei der Abgrenzung der konkurrierenden Bestimmungen der §§ 59 und 60 ArbVG muss darauf Bedacht genommen werden, dass durch die sehr umfassende Konzeption der Anfechtungsgründe, die dazu dienen soll, auch schwerwiegende Verstöße gegen die Bestimmungen über das Wahlverfahren nach Ablauf der Anfechtungsfrist im Interesse der Rechtssicherheit möglichst zu sanieren, für die Geltendmachung der Nichtigkeit nur mehr ein sehr kleiner Bereich verbleibt. Eine nichtige Betriebsratswahl ist also nur in ganz besonderen Ausnahmefällen anzunehmen, in denen gegen allgemeine Grundsätze jeder ordnungsgemäßen Wahl in so hohem Maße verstoßen ist, dass auch der Anschein einer dem Gesetz entsprechenden Wahl nicht mehr vorliegt; wenn der betreffende Vorgang also „nicht einmal die Merkmale einer Wahl aufweist“ und deshalb nur als „Zerrbild“ einer Wahl bezeichnet werden kann.

Bei mehreren Verstößen ist eine Gesamtbeurteilung erforderlich. Auch bei einer Gesamtbewertung mehrerer Verstöße beim Wahlvorgang, die bei getrennter Beurteilung nur anfechtbar wären, bei einer Gesamtbeurteilung jedoch das Gewicht einer Nichtigkeit erhalten können, ist aber Vorsicht geboten, um nicht die vom Gesetzgeber verfolgte Absicht, durch eine umfassende Regelung des Anfechtungsbereichs den Nichtigkeitsbereich möglichst einzuschränken, zu vereiteln.

Im gegenständlichen Fall stützen sich die Kl auf drei Mängel: Erstens sei das in der Wahlkundmachung bekannt gegebene Ende der Frist zur Einbringung von Wahlvorschlägen unrichtig gewesen, weil es bereits innerhalb der zweiwöchigen Frist vor dem ersten Wahltag (§ 20 Betriebsrats-Wahlordnung [BRWO]) gelegen sei. Der am letzten Tag der Frist eingereichte Wahlvorschlag der Zweitkl sei deshalb nicht zugelassen worden.178

Der OGH verweist dazu auf § 19 Abs 2 Z 6 lit a BRWO, wonach die Wahlkundmachung auch die Aufforderung zu enthalten hat, Wahlvorschläge ab Wahlkundmachung spätestens zwei Wochen vor dem (ersten) Wahltag schriftlich bei einem Mitglied des Wahlvorstands einzubringen, widrigenfalls sie nicht berücksichtigt werden könnten. Davon ausgehend hat der Wahlvorstand hier ein falsches Fristende kundgemacht, das wurde bereits vom Erstgericht als die Ungültigkeit der Wahl bewirkender Umstand angesehen. Dass die Zweitkl überhaupt an der Ausübung des passiven Wahlrechts gehindert oder der Wahlvorschlag nicht zugelassen werden sollte, geht aus dem Sachverhalt nicht hervor, gibt es doch keinen Grund zur Annahme, dass ihr Wahlvorschlag bei objektiver Fristwahrung nicht angenommen worden wäre. In der Kundmachung eines rechtswidrigen Fristendes für die Erstattung von Wahlvorschlägen (um zwei Tage zu lange Frist) liegt nach dem OGH aber noch kein solcher Verstoß gegen tragende Wahlgrundsätze, dass die Wahl nur als „Zerrbild“ einer Wahl und sohin als „Nichtwahl“ angesehen werden müsste. Die folgende Nichtzulassung des verspäteten Wahlvorschlags entsprach § 21 Abs 2 BRWO.

Nach dem zweiten Vorbringen der Kl habe der Wahlvorstand das Wahlergebnis nach den Grundsätzen des Verhältniswahlrechts zunächst richtig ermittelt und die Mandate auch korrekt im Verhältnis 7:5 auf zwei Listen verteilt. Danach habe ein Listenführer ein Mandat einer konkreten Person der anderen Liste „vergeben“. Der Wahlvorstand habe diesen „Vorgang“ gebilligt, sein Wahlergebnis korrigiert und deshalb als endgültiges Wahlergebnis eine Zusammensetzung des BR kundgemacht, die im Hinblick auf die Mandatsverteilung (8:4) und die personelle Besetzung nicht dem ermittelten Wählerwillen entsprach. Nach dem OGH liegt darin fraglos ein erheblich rechtswidriger Vorgang, weil mit einer solchen Mandatsveränderung nicht das richtige Wahlergebnis kundgemacht würde, mag dies auch nur in der irrigen Vorstellung über die Zulässigkeit einer solchen Vorgehensweise erfolgt sein. Der Fehler liege hier nicht in der Durchführung des Wahlvorgangs ieS oder der Ermittlung des Wahlergebnisses, sondern in dessen nachträglicher Korrektur und Kundmachung. Da jedoch selbst eine Verletzung leitender Grundsätze des Wahlrechts nur einen Anfechtungsgrund bildet (§ 59 Abs 1 ArbVG), sei auch in dieser Abänderung des Wahlergebnisses insgesamt noch kein Vorgang zu sehen, der als „Nichtwahl“ zu bezeichnen wäre (es hätte insofern nur der Kundmachung des korrekt ermittelten Wahlergebnisses bedurft).

Auch im dritten Vorbringen der Kl betreffend Kundmachung des Wahlergebnisses, welches vom Wahlvorstand (urlaubsbedingt) vorzeitig, dh vor Ablauf der dreitägigen Frist zur Erklärung der Nichtannahme eines Mandats unterschrieben wurde, sah der OGH noch keinen derart gravierenden Verstoß gegen Wahlregeln oder -grundsätze, sodass er auch im Zusammenhalt mit den vorhin genannten schwerer wiegenden Wahlmängeln nicht zur Nichtigkeit der Betriebsratswahl führen muss.

Mangels einer erheblichen Rechtsfrage iSd § 502 Abs 1 ZPO war die außerordentliche Revision der Kl zurückzuweisen.