Undokumentiert beschäftigte MigrantInnen und die (mangelnde) Durchsetzung ihrer arbeits- und sozialrechtlichen Ansprüche
Undokumentiert beschäftigte MigrantInnen und die (mangelnde) Durchsetzung ihrer arbeits- und sozialrechtlichen Ansprüche
Der Beitrag skizziert, welche arbeits- und sozialrechtlichen Ansprüche drittstaatsangehörige AN haben, mit welchen Problemen sie bei der Durchsetzung konfrontiert sind und inwiefern sich dies auf ihren aufenthaltsrechtlichen Status auswirken kann. Dabei wird gezeigt, dass die aktuell geltenden aufenthalts- und beschäftigungsrechtlichen Regelungen teilweise die wirksame Bekämpfung von Lohn- und Sozialdumping verhindern. Abschließend wird der Frage nachgegangen, ob die leichtere Erlangung eines Aufenthaltsrechts und die dadurch erlangte Rechtssicherheit in Bezug auf den Aufenthaltsstatus zu einer wirksameren Durchsetzung der arbeits- und sozialrechtlichen Ansprüche führt.254
Der Beitrag skizziert zunächst, welche arbeits- und sozialrechtlichen Ansprüche drittstaatsangehörige AN haben, mit welchen Problemen sie bei der Durchsetzung konfrontiert sind und inwiefern sich dies auf ihren aufenthaltsrechtlichen Status auswirken kann (2. und 3.). Dabei wird gezeigt, dass die aktuell geltenden aufenthalts- und beschäftigungsrechtlichen Regelungen teilweise die wirksame Bekämpfung von Lohn- und Sozialdumping verhindern. Anschließend wird die österreichische „Aufenthaltsberechtigung besonderer Schutz“ vorgestellt, die an irregulär aufhältige MigrantInnen erteilt werden kann, damit diese ua ihre arbeits- und sozialrechtlichen Ansprüche durchsetzen können (4.). Anhand dieses Beispiels wird der Frage nachgegangen, ob die leichtere Erlangung eines Aufenthaltsrechts und die dadurch erlangte Rechtssicherheit in Bezug auf den Aufenthaltsstatus zu einer wirksameren Durchsetzung der arbeits- und sozialrechtlichen Ansprüche führt. Abschließend werden These und rechtspolitische Ableitungen präsentiert (5.).
Zum besseren Verständnis erscheint es sinnvoll, vorweg einige zentrale Begriffe zu klären: Als Regularisierung wird jede administrative oder verwaltungsgerichtliche Entscheidung bezeichnet, die irregulär aufhältigen MigrantInnen bei Erfüllen der Mindesterteilungsvoraussetzungen ein Aufenthaltsrecht gewährt.* MigrantIn ist mit Drittstaatsangehörige/r gleichzusetzen.* Undokumentiert beschäftigt sind jene MigrantInnen, die ohne erforderliche Genehmigung einer Beschäftigung nachgehen.* Dies kann alle Formen der Beschäftigung betreffen, angefangen von der unselbständigen, bis hin zur Lehre.
In der Praxis zeigt sich, dass AN in Österreich oft Teile ihres Entgelts von ihren AG vorenthalten werden. An dieser Stelle soll nur auf unterkollektivvertragliche Entlohnung oder die Verletzung des Barzahlungsgebots verwiesen werden.* Arbeitsrechtliche Regelungen versuchen dem genannten Problem Einhalt zu gebieten, wobei die österreichische Rechtsordnung seit 2011 auch spezielle Regelungen zur Bekämpfung von Lohn- und Sozialdumping enthält.* Diese Schutznormen sollen sicherstellen, dass die meisten* im Inland tätigen AN zumindest die gesetzlichen oder kollektivvertraglichen Mindestentgelte erhalten.* Der Fokus liegt auf der behördlichen Kontrolle und gegebenenfalls der Sanktionierung der Unternehmen. So ist die bereits erwähnte unterkollektivvertragliche Entlohnung gem § 29 LSD-BG strafbar.*Kozak hat die Bestimmung zu Recht als „zentrale Norm des LSD-BG“* qualifiziert.
Ein Aspekt kommt dabei aber meist zu kurz: Die Möglichkeit der AN ihre Rechte effektiv durchzusetzen.* Für ÖsterreicherInnen (inländische Arbeitskräfte) stellen sich bei der Geltendmachung und Durchsetzung der arbeits- und sozialrechtlichen Ansprüche bereits Herausforderungen.* Größere Probleme treten bei AN aus den Mitgliedstaaten der EU auf, wenn diese grenzüberschreitend in Form von Entsendungen, vor allem im Baugewerbe, tätig sind und ihre Rechte in Österreich geltend machen wollen.* Noch schwieriger stellt sich die Situation für EU-BürgerInnen und AN aus Drittstaaten, dh MigrantInnen, dar, wenn sie ausschließlich in Österreich beschäftigt sind.* Sie sind meist im Baubereich, der Gastronomie, im Haushalt oder Landwirtschaft tätig. Die Probleme bei der Geltendmachung ergeben sich ua aus den kurzen Verfallsfristen, wobei der OGH in stRsp sogar Fristen von bis zu drei Monaten zulässt.* Außerdem gibt es häufig Beweisprobleme, da es oftmals keine schriftlichen Vereinbarungen über die Arbeitsverhältnisse, bspw Arbeitszeitaufzeichnungen, gibt.* In der Baubranche ergeben sich die Durchsetzungsprobleme aus unternehmensrechtlichen Scheinkonstruktionen.*255
Vorliegender Beitrag konzentriert sich auf MigrantInnen, die ausschließlich in Österreich beschäftigt sind. Speziell bei dieser Personengruppe tritt noch eine weitere Facette hinzu, die die effektive Durchsetzung ihrer Rechte oftmals unmöglich macht: MigrantInnen verfügen häufig aufgrund von aufenthalts- und beschäftigungsrechtlichen Bestimmungen über keinen oder nur einen eingeschränkten Arbeitsmarktzugang.* Gehen sie ohne erforderliche Genehmigung einer Beschäftigung nach, werden sie als undokumentiert beschäftigt bezeichnet. Nicht eingegangen wird auf die Konstellation, dass sich eine Person bereits im Ausland befindet, weil sie abgeschoben wurde oder ausgereist ist. Diesbezüglich ist jedoch zu erwähnen, dass es ohne VertreterIn vor Ort schwer möglich sein wird, eine Klage auf Entgelt bzw auf Differenz der Unterentlohnung vom Ausland aus zu führen.
Grundsätzlich kommt ein Arbeitsvertrag mit (drittstaatsangehörigen) AN mündlich oder schriftlich zustande, wobei gerade die Schriftform kein notwendiges Erfordernis für das Zustandekommen des Vertrages ist.* Anders verhält sich dies bei undokumentiert beschäftigten MigrantInnen. Ein mit ihnen zustande gekommener Arbeitsvertrag ist nach der stRsp des OGH gem § 879 Abs 1 ABGB (ex tunc) absolut nichtig: „Ein Arbeitsvertrag zwischen einem inländischen Arbeitgeber und einem ausländischen Arbeitnehmer ohne Erteilung einer Beschäftigungsgenehmigung bzw Arbeitserlaubnis im Sinne der oben genannten Verordnung ist nichtig“.* Dies betrifft sowohl Fälle, wo von vornherein keine Beschäftigungsbewilligung vorgelegen ist, als auch solche, wo diese nach Ablauf nicht rechtzeitig verlängert wurde.
Trotz der Nichtigkeit des Arbeitsvertrags haben undokumentiert beschäftigte MigrantInnen aber arbeitsrechtliche Ansprüche gem § 29 Abs 1 und 2 AuslBG. Die im AuslBG zitierten Ansprüche bestehen seit 2009 dem Grund nach auch auf europarechtlicher Ebene in der SanktionsRL, wobei diese bis 20.7.2011 in nationales Recht umzusetzen war.* Dort wird in Art 3 SanktionsRL das „Verbot der illegalen Beschäftigung“ normiert, welche als „Beschäftigung eines Drittstaatsangehörigen ohne rechtmäßigen Aufenthalt“ definiert ist. Dadurch ist der Anwendungsbereich der SanktionsRL etwas enger wie der des AuslBG, da er nur Drittstaatsangehörige ohne rechtmäßigen Aufenthalt erfasst. Anknüpfend an Art 3 SanktionsRL müssen die Mitgliedstaaten gem Art 6 Abs 1 SanktionsRL sicherstellen, dass „dem illegal beschäftigten Drittstaatsangehörigen noch zustehende Vergütungen“ von dem/der AG nachgezahlt werden.* Der Begriff „Vergütung“ umfasst „Löhne und Gehälter sowie alle sonstigen Vergütungen (…), die vergleichbare Arbeitnehmer in einem rechtmäßigen Beschäftigungsverhältnis erhalten hätten“.*
Gem § 29 Abs 1 AuslBG haben undokumentiert beschäftigte MigrantInnen für die tatsächliche Arbeitsdauer „die gleichen Ansprüche wie auf Grund eines gültigen Arbeitsvertrages“. Dies umfasst jedenfalls den Anspruch auf Entgelt,* wobei ein mögliches Verschulden – im Gegensatz zu den Beendigungsansprüchen gem § 29 Abs 2 AuslBG* – keine Rolle spielt.
Wurden keine (schriftlichen) Vereinbarungen über das ausstehende Entgelt getroffen, folgt daraus nicht die Unentgeltlichkeit des Arbeitsverhältnisses.* Der VwGH führte diesbezüglich aus, dass den Betroffenen „unabhängig davon, ob ein Dienstverhältnis oder ein freies Dienstverhältnis bzw. ein arbeitnehmerähnliches Verhältnis vorlag“, jedenfalls ein „angemessenes Entgelt“ zusteht.* Die Angemessenheit richtet sich hierbei nach § 1152 ABGB,* wobei der Kollektivvertragslohn dabei als „Richtschnur“ fungiert.*
Weiters gilt gem § 29 Abs 1 AuslBG die gesetzliche Vermutung, dass das Arbeitsverhältnis zumindest für die Dauer von drei Monaten bestanden hat.* Sollte ein/e AG etwas anderes behaupten, trifft ihn/sie die Beweispflicht hierfür. Neben dem Entgeltanspruch können MigrantInnen gem § 29 Abs 1 AuslBG außerdem „Abwicklungsansprüche, wie den Anspruch auf Urlaubsabfindung oder anteilige Sonderzahlungen (…) oder auf Ausstellung eines Dienstzeugnisses“* geltend machen.256
§ 29 Abs 2 AuslBG sieht bei schuldhaftem Verhalten des/der AG am Fehlen der Beschäftigungsbewilligung auch Beendigungsansprüche vor. Davon sind Ersatzansprüche wegen vorzeitiger Beendigung des Arbeitsverhältnisses, wie eine Kündigungsentschädigung oder auch eine etwaige Abfertigung, umfasst.* Die MigrantInnen sind so zu stellen, als ob sie „aufgrund eines gültigen Arbeitsvertrags beschäftigt gewesen“ wären. Dabei wird das Vorliegen eines Arbeitsvertrags „fingiert“.* Der Zweck der Bestimmung zielt darauf ab, dass die AG aus der undokumentierten Beschäftigung keine Art von (finanziellen) Vorteilen ziehen dürfen oder gar Vorteile gegenüber anderen AG, die die beschäftigungsrechtlichen Bestimmungen einhalten, erlangen.* Insgesamt sollen undokumentiert beschäftigte MigrantInnen inländischen Arbeitskräften gleich gestellt werden.* Rechtsdogmatisch handelt es sich um ein „Surrogat für die fehlenden vertraglichen Beendigungsansprüche“.*
Die Frage des Verschuldens spielt nach dem AuslBG eine wesentliche Rolle. Haben die undokumentiert beschäftigten MigrantInnen bloß fahrlässig gehandelt, können sie Ansprüche gem § 29 Abs 2 AuslBG geltend machen.* Handeln sie hingegen vorsätzlich, verlieren sie ihre Ansprüche. Nach der Judikatur ist dies der Fall, wenn die AG getäuscht werden und durch das Verhalten des/der MigrantIn die undokumentierte Beschäftigung vorsätzlich herbeigeführt wird.* Umgekehrt handeln die AG immer dann schuldhaft, insofern sie der/die Beschäftigte nicht im Unklaren über seine/ihre ausländische Staatsbürgerschaft lässt.* Ist es doch die Pflicht der AG, die Beschäftigungsbewilligung zu beantragen.* Laut OGH handeln die AG selbst dann schuldhaft, wenn der/die MigrantIn behauptet, keine Beschäftigungsbewilligung zu benötigen.* Insgesamt wiegt ein Verschulden der AG dementsprechend schwerer als ein solches der undokumentiert Beschäftigten.* Verabsäumt ein/e AG etwa die rechtzeitige Verlängerung der Beschäftigungsbewilligung zu beantragen, so steht dem/der AN eine Kündigungsentschädigung zu.*
Peyrl hat in diesem Zusammenhang aber zu Recht die Frage gestellt, ob die Einschränkung auf das „Verschulden des Betriebsinhabers“ bzw auf das vorsätzliche Verhalten der undokumentiert Beschäftigten nicht im Widerspruch zur SanktionsRL steht.* Die SanktionsRL geht von einem sehr weiten Vergütungsbegriff aus.* Die Nachzahlungspflicht der AG gem Art 6 Abs 1 lit a SanktionsRL umfasst folglich auch Beendigungsansprüche gem § 29 Abs 2 AuslBG. Im Europarecht wird die Nachzahlungspflicht aber weder durch ein schuldhaftes Verhalten der AG noch der undokumentiert Beschäftigten relativiert. Europarechtlich ist daher kein solches Verhalten erforderlich, um Beendigungsansprüche geltend zu machen. Speziell ein vorsätzliches Verhalten der undokumentiert beschäftigten MigrantInnen ist im Anwendungsbereich der SanktionsRL somit nicht anspruchsschädlich.
Sollten Ansprüche gem § 29 Abs 2 AuslBG geltend gemacht werden, ist ausdrücklich normiert, dass auf die Bestimmungen des besonderen Kündigungs- und Entlassungsschutzes nicht Bedacht zu nehmen ist.* Der OGH erklärt dies im Anschluss an die Lehre mit der Tatsache, dass „der Fortbestand des Arbeitsverhältnisses wegen des Fehlens der Beschäftigungsbewilligung rechtlich unmöglich [ist]; daher kann auch im Rahmen des § 29 Abs 2 AuslBG auf ihn nicht Bedacht genommen werden“.* Fraglich ist in diesem Zusammenhang wiederum, ob diese ausdrückliche gesetzliche Normierung nicht uU im Widerspruch zur SanktionsRL steht und daher unangewendet bleiben muss.
Laut SanktionsRL und dem darin enthaltenen weiten Vergütungsbegriff haben drittstaatsangehörige MigrantInnen Anspruch auf alle „sonstigen Vergütungen (…), die vergleichbare Arbeitnehmer in einem rechtmäßigen Beschäftigungsverhältnis erhalten hätten“.* Eine Einschränkung dahingehend, dass der besondere Kündigungs- und Entlassungsschutz nicht geltend gemacht werden kann, ist der SanktionsRL nicht zu entnehmen. Eine solche widerspricht vielmehr dem Zweck der SanktionsRL, wonach unrechtmäßige Beschäftigung bekämpft und verhindert werden soll, damit AG aus ihr keinen Vorteil ziehen.* Letzteres würde aber gerade der Fall sein, wenn undokumentiert beschäftigte MigrantInnen bei der Geltendmachung des besonderen Kündigungs- und Entlassungsschutzes schlechter gestellt werden als Arbeitskräfte aus Österreich, einem anderen Mitgliedstaat oder Drittstaat, nur weil deren Arbeitsverhältnis rechtmäßig ist.257
Zur Veranschaulichung der Problematik soll ein konkretes Beispiel dienen. Eine drittstaatsangehörige Frau arbeitet rechtmäßig bzw undokumentiert als Reinigungskraft.* Sie wird schwanger, erzählt dies anschließend der AG und die AG beendet das Arbeitsverhältnis mit sofortiger Wirkung.*
War die Frau rechtmäßig beschäftigt, greift der Kündigungs- und Entlassungsschutz gem § 10 ff Mutterschutzgesetz 1979 (MSchG),* da es sich um eine frist- und terminwidrige AG-Kündigung handelt. Folglich ist die Beendigung während der Schwangerschaft und bis zum Ablauf von vier Monaten nach der Entbindung rechtsunwirksam. Das Arbeitsverhältnis bleibt aufrecht und die AN hat ein Wahlrecht zwischen Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses oder Geltendmachung der Kündigungsentschädigung.*
War die Frau undokumentiert beschäftigt, greift der besondere Kündigungs- und Entlassungsschutz gem § 10 bzw 12 MSchG nicht, da „der Fortbestand des Arbeitsverhältnisses wegen des Fehlens der Beschäftigungsbewilligung rechtlich unmöglich“.* § 11 MSchG ist ebenso wenig anwendbar, da die betreffende Person nicht im Besitz einer Beschäftigungsbewilligung war und der Ablauf dieser somit auch nicht während der Schwangerschaft und bis zur Entbindung gehemmt wird.* Die Frau ist somit schlechter gestellt wie wenn sie rechtmäßig beschäftigt gewesen wäre.
War die undokumentiert beschäftigte Frau gleichzeitig auch irregulär aufhältig, fällt sie in den Anwendungsbereich der SanktionsRL. Da die SanktionsRL – wie dargestellt – aber die genannte Einschränkung auf den besonderen Kündigungs- und Entlassungsschutz nicht kennt, muss § 29 Abs 2 letzter Satz AuslBG dahingehend unangewendet bleiben. Die Rsp des OGH vom 22.4.2010 ist in diesem Punkt überholt,* vor allem auch, weil die Umsetzungsfrist der SanktionsRL erst am 20.7.2011 geendet ist. Folglich kann die undokumentiert beschäftigte Frau Kündigungsentschädigung nach § 1162b ABGB (bzw § 29 AngG) wie im Falle einer rechtsunwirksamen Kündigung einer rechtmäßig beschäftigten AN für den Zeitraum des besonderen Kündigungsschutzes sowie der Dauer der zu beachtenden Kündigungsfrist geltend machen.* Ein Wahlrecht hat sie in diesem Fall aber nicht, da das Arbeitsverhältnis ja nicht fortgesetzt werden kann.
Gem § 26 Abs 4 AuslBG sind die Betroffenen „in geeigneter Weise über ihre Ansprüche gemäß § 29 und die Möglichkeiten der Geltendmachung zu informieren“. Laut den Erläuterungen wird „den Kontrollorganen ein mehrsprachiges Informationsblatt zur Aushändigung an die betroffenen Ausländer zur Verfügung gestellt“.*Peyrl hat in diesem Zusammenhang richtigerweise bereits angemerkt, dass fraglich ist, ob mit der Aushändigung des Informationsblatts der unionsrechtlichen Informationspflicht über das Bestehen der Ansprüche gem § 29 AuslBG Genüge getan wird.* Diese ist in Art 6 Abs 2 SanktionsRL normiert: „Illegal beschäftigte Drittstaatsangehörige werden vor der Vollstreckung einer Rückführungsentscheidung systematisch und objektiv über ihre Rechte gemäß diesem Absatz und gemäß Artikel 13 informiert.“
Daneben sollen die Mitgliedstaaten dafür Sorge tragen, dass „wirksame Verfahren“ zur Durchsetzung der Ansprüche und gegebenenfalls „Mechanismen“ eingerichtet werden, „die gewährleisten, dass die Drittstaatsangehörigen die eingezogenen Beträge der ihnen zustehenden Vergütungen erhalten können“.*
Abschließend kann festgehalten werden, dass sich aus dem AuslBG sowohl Entgelt- als auch Beendigungsansprüche für undokumentiert beschäftigte MigrantInnen ergeben. Zuständig sind hierfür die arbeits- und sozialrechtlichen Senate der Gerichtshöfe erster Instanz bzw in Wien das Arbeits- und Sozialgericht.*
Undokumentiert beschäftigte MigrantInnen sind nach innerstaatlichem Recht außerdem vom sozialversicherungsrechtlichen AN-Begriff erfasst.* Dies ergibt sich aus § 4 Abs 2 ASVG. Die Bestimmung stellt nämlich auf die tatsächliche entgeltliche Beschäftigung in persönlicher und wirtschaftlicher Abhängigkeit und gerade nicht auf das Bestehen eines gültigen Arbeitsvertrags ab. Folgt doch gerade aus dem „Schutzzweck des Sozialversicherungsrechts“ und des AuslBG, dass die Nichtigkeit des Arbeitsvertrags grundsätzlich keine nachteiligen Folgen im Sozialversicherungsrecht auslösen soll.* Europarechtlich umfasst die Nachzahlungspflicht gem Art 6 Abs 1 lit b SanktionsRL auch die Entrichtung von Sozialversicherungsbeiträ258gen durch die AG. Daraus ergibt sich, dass diese Personengruppe Anspruch auf KV, UV und PV hat.
In der Praxis ist aber ein Arztbesuch ohne E-card nahezu unmöglich. Zuvor ist es erforderlich, dass die Österreichische Gesundheitskasse (ÖGK) die Versicherungspflicht nach § 4 Abs 2 ASVG feststellt.* Verfahrensrechtlich kann hierfür ein Bescheidantrag* gestellt oder eine Niederschrift bei der ÖGK gemacht werden. Die ÖGK hat für die Erledigung sechs Monate Zeit.* Praktisch können die sozialversicherungsrechtlichen Leistungen aber erst ab diesem Zeitpunkt in Anspruch genommen werden, wodurch wiederum gezeigt wird, dass die Ansprüche zwar rechtlich bestehen, aber faktisch erst nach Monaten durchgesetzt werden können. Die Feststellung der Versicherungspflicht nach dem ASVG ist auch notwendig, damit diese als Versicherungszeiten in der PV anerkannt werden.*
Darüber hinaus erwerben undokumentiert Beschäftigte Anwartschaftszeiten für die AlV,* insofern die Versicherungspflicht – neben § 4 Abs 2 ASVG – auch nach § 1 Abs 1 lit a AlVG festgestellt wird. Dies bedeutet, dass sie grundsätzlich Anspruch auf Arbeitslosengeld haben, wenn sie im Zeitpunkt der Antragstellung die allgemeinen Voraussetzungen nach dem AlVG erfüllen und vor allem über ein Aufenthaltsrecht und einen (eingeschränkten) Zugang zum Arbeitsmarkt verfügen.* Ist der Aufenthalt irregulär oder kein Zugang zum Arbeitsmarkt gegeben,* haben die Personen mangels Verfügbarkeit im objektiven Sinne keinen Anspruch auf Arbeitslosengeld,* obwohl sie uU Anwartschaftszeiten erworben haben.
Trotz all dieser Bestimmungen im AuslBG, ASVG, AlVG und in der SanktionsRL können undokumentiert Beschäftigte ihre arbeits- und sozialrechtlichen Ansprüche in der Praxis also oft nur eingeschränkt oder gar nicht durchsetzen. Dh, die rechtliche und faktische Realität driften auseinander, da trotz der undokumentierten Arbeit und des eingeschränkten/nicht vorhandenen Arbeitsmarktzugangs sehr wohl Rechte bestehen. Ein maßgeblicher Aspekt ist hierbei das fremdenrechtliche „Risiko“, dass durch die Geltendmachung der besagten Ansprüche der weitere prekäre Aufenthalt gefährdet werden kann.* Dadurch zeigt sich, dass die Effektivität des Arbeits- und Sozialrechts in diesem Punkt eng mit den aufenthalts- und beschäftigungsrechtlichen Bestimmungen verknüpft ist. Dies wird anhand von zwei konkreten Beispielen veranschaulicht.
Ein Mann ist irregulär aufhältig und im Baugewerbe undokumentiert als Arbeiter beschäftigt. Als die AG bemerkt, dass sie – entgegen ihrer Pflicht nach § 19 Abs 1 AuslBG – keine Beschäftigungsbewilligung beantragt hat, kündigt sie den AN fristwidrig. Laut der oben angeführten Rsp des OGH folgt daraus, dass der Arbeitsvertrag zwar nichtig ist, der AN aber dennoch arbeitsrechtliche Ansprüche gem § 29 AuslBG geltend machen kann. Neben seinem Entgeltanspruch gem § 29 Abs 1 AuslBG könnte er auch einen Beendigungsanspruch gem § 29 Abs 2 AuslBG, in concreto Kündigungsentschädigung gem § 1162b ABGB, geltend machen. Wird er vor Ort betreten, ist er gem § 26 Abs 4 AuslBG „unverzüglich der Fremdenpolizeibehörde oder der nächstgelegenen Sicherheitsdienststelle zu übergeben“.* Dies wird die Einleitung eines Verfahrens zum Erlass einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme zur Folge haben,* wenn ein solches nicht bereits eingeleitet wurde.
Eine drittstaatsangehörige Studentin verfügt über eine entsprechende Aufenthaltsbewilligung gem § 64 NAG. Ihre AG hat für die Studentin eine Beschäftigungsbewilligung beantragt, die sie zur Ausübung einer Erwerbstätigkeit von bis zu 20 Stunden berechtigt.* Die AG bittet sie im Oktober 2020 mehr zu arbeiten, da mehr Arbeit anfällt. Die Studentin arbeitet dadurch insgesamt 30 Stunden pro Woche. Nach dem AuslBG darf sie aber nur 20 Stunden arbeiten, weshalb sie zehn Stunden un259dokumentiert beschäftigt ist. Sie hat Anspruch auf das gesamte Entgelt gem § 29 Abs 1 AuslBG, obwohl der Arbeitsvertrag hinsichtlich der zehn Stunden als (teil-)nichtig zu qualifizieren ist.*
Bei der Verlängerung der Aufenthaltsbewilligung kann sich die undokumentierte Arbeit negativ auswirken und zur Folge haben, dass diese nicht verlängert wird. Gem § 64 Abs 3 NAG darf die Erwerbstätigkeit „das Erfordernis des Studiums als ausschließlichen Aufenthaltszweck nicht beeinträchtigen“. Davon wird bei einer einmaligen Überschreitung des AuslBG wohl nicht auszugehen sein. Problematisch könnte aber sein, dass die öffentlichen Interessen aufgrund der undokumentierten Beschäftigung gem § 11 Abs 2 Z 1 NAG gefährdet werden.
Festgehalten werden kann daher: Die aktuell geltenden aufenthalts- und beschäftigungsrechtlichen Regelungen verhindern teilweise die wirksame Bekämpfung von Lohn- und Sozialdumping. Unter Umständen kann man sogar argumentieren, dass bestimmte Systemfehler im Ausländerbeschäftigungs- und Aufenthaltsrecht dazu führen, dass Menschen Opfer von undokumentierter Beschäftigung und in Folge von Lohn- und Sozialdumping werden.
Nunmehr wird die österreichische „Aufenthaltsberechtigung besonderer Schutz“ näher vorgestellt, die an irregulär aufhältige MigrantInnen erteilt werden kann, damit diese ua ihre arbeits- und sozialrechtlichen Ansprüche durchsetzen können. Anhand dieses Beispiels wird der Frage nachgegangen, ob die leichtere Erlangung eines Aufenthaltsrechts und die dadurch erlangte Rechtssicherheit in Bezug auf den Aufenthaltsstatus zu einer wirksameren Durchsetzung der arbeits- und sozialrechtlichen Ansprüche führt. Unter Umständen könnte dies gleichzeitig auch ein Weg zur Reduzierung undokumentierter Beschäftigung sein.
Die „Aufenthaltsberechtigung besonderer Schutz“ kann gem § 57 Abs 1 Z 2 AsylG an Opfer bzw ZeugInnen des Menschenhandels, grenzüberschreitender Prostitution oder Arbeitsausbeutung erteilt werden.* Europarechtlich bilden dabei die MenschenhandelsopferRL* und SanktionsRL* den Prüfungsmaßstab. Demnach haben die Mitgliedstaaten Opfern von speziell festgelegten Straftaten die Möglichkeit einzuräumen, einen Aufenthaltstitel zu erlangen, wobei die Festlegung der Voraussetzungen und die Entscheidung über die Erteilung im Ermessen der Mitgliedstaaten bleibt. In Österreich muss die Erteilung der „Aufenthaltsberechtigung besonderer Schutz“ zur Gewährleistung der Strafverfolgung von gerichtlich strafbaren Handlungen oder zur Geltendmachung und Durchsetzung zivilrechtlicher Ansprüche im Zusammenhang mit solchen strafbaren Handlungen vonnöten sein. Unter zivilrechtlichen Ansprüchen sind Entgelt- und Beendigungsansprüche gem § 29 Abs 1 und 2 AuslBG zu verstehen. Laut den Erläuterungen ist die Kooperation des Opfers keine objektive Tatbestandsvoraussetzung. Eine solche liegt vielmehr vor, wenn ein Strafverfahren bereits eingeleitet wurde oder zivilrechtliche Ansprüche geltend gemacht wurden. Das Strafverfahren beginnt gem § 1 Abs 2 Strafprozessordnung,* sobald die Kriminalpolizei oder Staatsanwaltschaft zur Aufklärung eines Anfangsverdachts ermitteln.* Auf den Zeitpunkt, ab wann zivilrechtliche Ansprüche als geltend gemacht zu verstehen sind, gehen die Erläuterungen nicht ein. Davon ist jedenfalls eine substantiierte Aufforderung bzw die Klagseinbringung umfasst. Dementsprechend stellt es einen Zurückweisungsgrund dar, wenn weder ein Strafverfahren begonnen wurde noch zivilrechtliche Ansprüche geltend gemacht wurden.* Über einen Antrag gem § 57 Abs 1 Z 2 AsylG hat das BFA innerhalb von sechs Wochen zu entscheiden.* Dieses beschleunigte Verfahren wird mit dem Opferschutz begründet, nach dem „eine rasche Reaktion der Behörde in hohem Maße aus Gründen der Rechtssicherheit angezeigt ist“.* Durch das „niederschwellige Ansetzen“ der Zulässigkeitsvoraussetzung soll dem Opferschutz Rechnung getragen werden.
Dieser Punkt ist aber vor dem Hintergrund der letzten offiziellen Statistiken aus dem Jahre 2013 nicht haltbar.* Demnach handelt es sich bei der „Aufenthaltsberechtigung besonderer Schutz“ de facto um totes Recht, da die Tatbestandsvoraussetzungen kaum zu erfüllen sind. Einerseits muss eine strafbare Handlung vorliegen, mit denen die „zivilrechtlichen Ansprüche“ im Zusammenhang stehen. Liegt keine strafbare Handlung im Zusammenhang mit Arbeitsausbeutung vor,* ist die Erteilung der Aufenthaltsberechtigung nicht möglich. Andererseits führt das Straf- bzw Zivilverfahren an sich zu keiner gesicherten aufenthaltsrechtlichen Perspektive der Betroffenen. Mangels gesichertem Aufenthalts260status besteht daher die Gefahr, dass die Betroffenen wieder in das Abhängigkeitsverhältnis zurückgeworfen werden. Stehen doch Menschen ohne freien Arbeitsmarktzugang gegenüber AG in einem enormen Abhängigkeitsverhältnis.* In der Praxis können also irregulär aufhältige und undokumentiert beschäftigte AN kein Aufenthaltsrecht erlangen, um ihre zivilrechtlichen Ansprüche durchzusetzen. Folglich ist derart auch keine effektive Bekämpfung von Lohn- und Sozialdumping möglich.
Abschließend wird basierend auf den bisherigen Ausführungen die These und rechtspolitischen Ableitungen präsentiert: Durch die Erteilung von Aufenthaltsrechten an irregulär aufhältige und undokumentiert beschäftigte AN ist eine effektivere Durchsetzung ihrer arbeits- und sozialrechtlichen Ansprüche möglich. Die Bekämpfung von Lohn- und Sozialdumping wird nicht wie üblich bloß aus der Perspektive des Arbeits- und Sozialrechts, sondern aus einer Außenperspektive beleuchtet, da das Aufenthalts- und Beschäftigungsrecht miteinbezogen wird.
Die Förderung von Klagen gegen AG ist ein wesentlicher Faktor, der zu einer tatsächlich wirksamen Bekämpfung von undokumentierter Beschäftigung führen würde. Geht doch selbst die EU davon aus, dass die mangelnde Geltendmachung der Rechte von undokumentiert Beschäftigten sich kontraproduktiv auswirke.* Ein befristetes Aufenthaltsrecht würde die Durchsetzung der Entgeltansprüche jedenfalls erhöhen und sich in dem Sinne auch positiv auf die Eindämmung von undokumentierter Beschäftigung auswirken.
Deshalb steht schon seit längerem die Forderung im Raum, dass die Erteilung eines Aufenthaltsrechts an Betroffene des Menschenhandels und von Arbeitsausbeutung nicht zwingend an die Einleitung bzw das Fortbestehen eines Strafverfahrens oder zivilrechtlichen Verfahrens gebunden sein sollte.* Diese Forderung wird durch Art 14 Übereinkommen des Europarats zur Bekämpfung von Menschenhandel unterstrichen.* Nach diesem muss ein Aufenthaltstitel auch dann erteilt werden, wenn die zuständige Behörde der Auffassung ist, „dass der Aufenthalt des Opfers aufgrund seiner persönlichen Situation erforderlich ist“. Durch den Bezug auf die persönliche Situation wird klar, dass soziale und andere Umstände bei der Entscheidung über den Aufenthaltstitel berücksichtigt werden müssen. Österreich müsste deshalb in solchen Situationen auch vor Einleitung eines Gerichtsverfahrens einen Aufenthaltstitel erteilen, um seinen internationalen Verpflichtungen gerecht zu werden.*
Darüber hinaus wird die Ansicht vertreten, dass Betroffenen von Arbeitsausbeutung,* die nicht den Tatbestand des Menschenhandels erfüllen, ein Aufenthaltsrecht zum Zwecke der Durchsetzung ihrer AN-Ansprüche gewährt werden sollte. Somit könnten die Betroffenen, die sich sowohl aufenthalts- als auch arbeitsrechtlich in einer äußerst prekären Situation befinden, zumindest aus dem prekären Arbeitsverhältnis dauerhaft „befreien“.* Österreich würde so sicherstellen, dass die AG den ausstehenden Entgeltanspruch tatsächlich nachzahlen und so ihrer europarechtlichen Verpflichtung nachkommen. Gibt es doch zurzeit keine Garantien im österreichischen Recht, die eine wirksame Durchsetzung der Entgeltansprüche nach der Rückkehr/Rückführung bzw ohne Anwesenheit der Betroffenen vorsehen.
Österreich könnte die bestehende „Aufenthaltsberechtigung besonderer Schutz“ an die faktischen Gegebenheiten anpassen. Beispielsweise könnte der Begriff „gerichtlich strafbare Handlung“ durch „strafbare Handlung“ zu ersetzen sein, weil dadurch auch die Verwaltungsstrafbestimmungen des LSD-BG anwendbar sein würden. Dadurch könnte man die praktische Anwendbarkeit der Bestimmung erhöhen, wobei man gleichzeitig der Gefahr entgegenwirken müsste, dass die Bestimmung „ausufert“. Die relevanten „strafbaren Handlungen“ sollten in ganz unmittelbarem Zusammenhang mit dem Arbeitsverhältnis stehen, wodurch vor allem öffentlich-rechtliche Schutznormen wie das LSD-BG in Betracht kommen. Derart könnte Österreich undokumentierte und prekäre Beschäftigungssituationen effektiver „bekämpfen“ und gleichzeitig Wege aus der Irregularität schaffen.
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