Födermayr/Hais/Ivansits/PrinzingerGesundheitsrecht – Eine systematische Darstellung der österreichischen Rechtslage
Verlag des ÖGB, Wien 2020, 468 Seiten, broschiert, € 59,-
Födermayr/Hais/Ivansits/PrinzingerGesundheitsrecht – Eine systematische Darstellung der österreichischen Rechtslage
Unter dem Sammelbegriff „Gesundheitsrecht“ wird die Gesamtheit all jener Normen verstanden, die der Regelung des Gesundheitswesens dienen. Auf Verfassungsebene besteht das österreichische Gesundheitsrecht größtenteils aus den Kompetenzartikeln „Sozialversicherungswesen“ (Art 10 Abs 1 Z 11 B-VG), „Gesundheitswesen“ (Art 10 Abs 1 Z 12 B-VG) und „Heil- und Pflegeanstalten“ (Art 12 Abs 1 Z 1 B-VG). Es handelt sich somit um eine klassische Querschnittsmaterie, die sowohl zivil-, straf- als auch öffentlich-rechtliche Komponenten aufweist.
Wie das Gesundheitssystem selbst, ist das Gesundheitsrecht von gesellschaftlichen und politischen Herausforderungen, wie auch durch den stetigen technischen und wissenschaftlichen Fortschritt, geprägt. Seine Materien zeichnen sich durch komplexe und vielschichtige Strukturen aus, welche in den vergangenen Jahren eine zunehmende Verrechtlichung erfahren haben und damit auch in den Fokus der Rechtswissenschaft gerückt sind.
Das vorliegende Werk richtet sich – wie auch die Zusammensetzung des AutorInnenteams aus HochschullehrerInnen und PraktikerInnen zum Ausdruck bringt – nicht nur an Studierende, sondern auch an berufsmäßig mit der Materie befasste Personen. Es eignet sich aber ebenso für Interessierte, die Aufbau und Systematik des österreichischen Gesundheitswesens nachvollziehen möchten. Aufgrund seiner klaren Struktur ist das Werk ein praktischer Wegweiser durch ein außerordentlich spannendes Rechtsgebiet, für das zurzeit kaum vergleichbare Fachliteratur existiert. Das Lehrbuch ist auch als e-book verfügbar und gliedert sich in 27 unterschiedlich gewichtete Kapitel. Diese stellen die verschiedenen Akteure und Institutionen des österreichischen Gesundheitswesens sowie die maßgeblichen Regelungen in einer übersichtlichen Form vor. Weitestgehend in sich geschlossene Kapitel, ein umfangreiches Stichwortverzeichnis, zahlreiche Zwischenüberschriften und Hervorhebungen ermöglichen dabei eine unkomplizierte Handhabung und schnelles Nachschlagen.
Zu Beginn wird eine Einführung in das österreichische Sozial- und Gesundheitssystem und dessen Rechtsgrundlagen gegeben; es werden die bundesstaatliche Kompetenzverteilung, ausgewählte für den Gesundheitsbereich relevante Grundrechte sowie die Finanzierung des österreichischen Gesundheitswesens erläutert.
An einen Überblick über das Krankenanstaltenrecht schließt die Darstellung des Systems der SV an, die der üblichen Gliederung in Versicherungszweige folgt. Eigene Kapitel sind auch dem Präventions- und Rehabilitationssystem, der Gesundheitstelematik (e-Health) sowie Planung und Qualitätssicherung im Gesundheitswesen gewidmet, um nur einige Beispiele herauszugreifen. Ebenso werden wesentliche Eckpfeiler des Pflege- und Behindertenwesens dargestellt, insb unter Berücksichtigung des mit 1.7.2018 in Kraft getretenen 2. ErwachsenenschutzG. Es folgen Ausführungen zum Fortpflanzungsmedizinrecht, Arzneimittel- und Medizinprodukterecht, Blut- und Gewebesicherheitsrecht, Organtransplantationsrecht, dem medizinischen Gentechnikrecht sowie dem Seuchen- und Suchtmittelwesen. Hier ist es den AutorInnen gelungen, den LeserInnen eine rasche Orientierung zu verschaffen, ohne sich in Details und Einzelfragen zu verlieren. Einen abschließenden Schwerpunkt bildet die Darstellung des Rechts der Gesund266heitsberufe, wobei Berufsbild, Berufsausbildung, Voraussetzungen der Berufsberechtigung sowie die jeweiligen Berufspflichten der unterschiedlichen Gesundheitsberufe dargelegt werden. Etwas ungewöhnlich erscheint der Rezensentin, dass lediglich in diesem letzten Kapitel unter Verweis auf die „weibliche Dominanz in den Gesundheitsberufen“ gegendert wurde (vgl FN 1002).
Naturgemäß erlauben es die Stoff- und Problemfülle der veranschaulichten Materien und die grundsätzliche Ausrichtung des Werks als Lehrbuch nicht auf sämtliche Fragestellungen, die unter Umständen einer vertieften Behandlung zugänglich wären, detaillierter einzugehen. Besonders die Behandlung der für den Bereich des Gesundheitswesens einschlägigen strafrechtlichen Tatbestände hätte aus heutiger Sicht einen größeren Raum einnehmen können. Relevant erscheint hier die Befassung mit Fragen der Sterbehilfe. Während das deutsche Bundesverfassungsgericht im Februar 2020 das Verbot der „geschäftsmäßigen Förderung der Selbsttötung“ gem § 217 dStGB aufhob (BVerfG 26.2.2020, 2 BvR 2347/15), stand ein Erkenntnis des VfGH zu den §§ 77 und 78 StGB („Tötung auf Verlangen“; „Mitwirkung am Selbstmord“) zum Zeitpunkt der Veröffentlichung des Werkes im März 2020 jedoch noch aus (sodann VfGH 11.12.2020, G 139/2019).“
Positiv hervorzuheben ist die gelungene kompakte Darstellung der Rechtsbeziehungen zwischen PatientInnen und LeistungserbringerInnen sowie des Haftungsrechts, welches – wie die ausdifferenzierte Judikatur zeigt – von besonderer praktischer Bedeutung ist. Zu berücksichtigen ist ferner, dass die „Corona-Gesetzgebung“, im Rahmen derer zahlreiche Rechtsvorschriften an die pandemiebedingten Umstände angepasst wurden, keine Berücksichtigung finden konnte, was sich insb im Kapitel zum Recht übertragbarer Krankheiten bemerkbar macht.
Erwähnenswert erscheint auch der umfassende Fußnotenapparat, der zu tieferer Auseinandersetzung anregt, praktische Ratschläge enthält und die eine oder andere weiterführende Information bietet. Nicht in den Fachgebieten der Medizin, sonstiger Naturwissenschaften oder der Technik vorgebildeten LeserInnen wird auch durch ergänzende Bemerkungen in den Fußnoten das Verständnis der einschlägigen Normen erleichtert, so beispielsweise im Bereich des FortpflanzungsmedizinG oder des Gesundheits- und KrankenpflegeG.
Insgesamt ist es den AutorInnen trotz der Komplexität der Materie und der Fülle des Stoffes gelungen, auch LeserInnen, denen es an einschlägigen Vorkenntnissen fehlen sollte, Zugang zu einem in der Öffentlichkeit breit diskutierten Rechtsgebiet zu verschaffen. Das Werk zeichnet sich nicht nur durch einen gelungenen Kompromiss zwischen fachlicher Breite und wissenschaftlicher Tiefe, sondern auch durch gute Lesbarkeit und klare Strukturen aus. Rechtsgebiete, die sonst kaum Berücksichtigung in der Lehr- und Kommentarliteratur finden, wie beispielsweise das Recht der Blut- und Gewebesicherheit, der Gesundheitstelematik oder der Planung und Qualitätssicherung im Gesundheitswesen, komplettieren ein Werk mit Anspruch auf umfassende Darstellung der österreichischen Gesundheitsrechtslage. Studierende wie auch PraktikerInnen werden diese Publikation mit Gewinn zur Hand nehmen.