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Antrag auf Erlassung der Weiterbeschäftigungszeit („Behaltezeit“) schließt Antrag auf Kündigung nicht ein

SUSANNEGITTENBERGER
§ 18 BAG; Art XVII Z 2 KollV für Angestellte und Lehrlinge in Handelsbetrieben

Das Lehrverhältnis der Kl bei der Bekl als Einzelhandelskauffrau endete nach Ablegung der Lehrabschlussprüfung am 18.11.2018. Anzuwenden ist der KollV für Angestellte und Lehrlinge in Handelsbetrieben. Die Kl unterschrieb einen unbefristeten Arbeitsvertrag ab 19.11.2018 mit einer Teilzeitbeschäftigung. Die Bekl stellte am 8.11.2018 einen Antrag auf Erlassung der fünfmonatigen Weiterbeschäftigungszeit bei der Wirtschaftskammer. Nach Ablehnung des Antrags durch die Arbeiterkammer erließ die Bezirkshauptmannschaft der Bekl mit Bescheid vom 3.12.2018 die Weiterbeschäftigungspflicht. Die Bekl teilte der Kl mit Schreiben vom 5.12.2018 mit, dass ihr Arbeitsverhältnis aufgrund dieses Bescheids per 5.12.2018 enden würde.

§ 18 Abs 3 Satz 1 und 2 BAG lautet:

„Die Landeskammer der gewerblichen Wirtschaft hat im Einvernehmen mit der Kammer für Arbeiter und Angestellte binnen 14 Tagen auf Antrag dem Lehrberechtigten die im Abs. 1 festgesetzte Verpflichtung zu erlassen oder die Bewilligung zur Kündigung vor Ablauf der im Abs. 1 vorgeschriebenen Beschäftigungsdauer zu erteilen, wenn diese Verpflichtung aus wirtschaftlichen Gründen, insbesondere bei Saisongewerben, nicht erfüllt werden kann. Wird die Entscheidung nicht innerhalb dieser Frist getroffen, so hat die Bezirksverwaltungsbehörde über diesen Antrag nach Anhörung der Landeskammer der gewerblichen Wirtschaft und der Kammer für Arbeiter und Angestellte endgültig zu entscheiden.“

Die Kl begehrte mit ihrer Klage ua Kündigungsentschädigung bis 15.5.2018 auf Basis des Entgelts für eine Vollzeitbeschäftigung. Ihr Arbeitsverhältnis hätte frühestens zum erstmöglichen Kündigungstermin nach Ablauf der Weiterbeschäftigungszeit gekündigt werden können. Eine Teilzeitbeschäftigung für die Weiterbeschäftigungszeit sei nach dem KollV nicht zulässig. Die Bekl wandte ein, dass der Bescheid wirksam und für Gerichte bindend sei. Sie habe den Antrag auf Erlassung rechtzeitig gestellt, mangels Weiterbeschäftigungspflicht habe sie den Arbeitsvertrag in der Probezeit gelöst, nicht gekündigt; die Teilzeitbeschäftigung sei über Ersuchen der Kl vereinbart worden.

Das Erstgericht sprach aus, dass der Kl Kündigungsentschädigung jedenfalls für drei Monate ohne Anrechnung zustünde, allerdings auf Basis des Entgelts für die Teilzeitbeschäftigung. Das Berufungsgericht gab der Berufung der Bekl teilweise Folge, es sprach der Kl Kündigungsentschädigung nur bis 31.1.2019 zu. Der Antrag auf Erlassung der Weiterbeschäftigungszeit schließe auch einen Antrag auf Kündigung mit ein, das Arbeitsverhältnis habe daher unter Wahrung der Kündigungsfrist von sechs Wochen am 31.1.2019 geendet. Das Berufungsgericht ließ die ordentliche Revision zu. Der OGH gab der Revision der Kl teilweise Folge.

Der Lehrberechtigte ist nach § 18 Abs 1 BAG verpflichtet, den Lehrling, dessen Lehrverhältnis gem § 14 Abs 1 oder § 14 Abs 2 lit e BAG endet, im Betrieb drei Monate im erlernten Beruf weiter zu beschäftigen. Damit wird eine einseitige Verpflichtung des Lehrberechtigten zum Abschluss eines Arbeitsvertrags normiert. Art XVII Z 2 Satz 2 des KollV dehnt die Weiterbeschäftigungszeit auf fünf Monate aus.

Zum Zweck der Weiterbeschäftigungszeit führte der OGH aus, dass dem ausgelernten Lehrling durch die Weiterbeschäftigung im erlernten Lehrberuf der Einstieg in das Arbeitsleben erleichtert werden und er erste praktische Erfahrungen als AN im erlernten Beruf sammeln soll. Er soll weiters seine in der Lehrzeit erworbenen Kenntnisse und Erfahrungen vervollkommnen können und es soll ihm auch das Aufsuchen eines anderen Arbeitsplatzes innerhalb einer angemessenen Zeit ermöglicht werden.

Der OGH hielt fest, dass eine gänzliche Erlassung der Weiterbeschäftigungszeit nur bis zur Beendigung des Lehrverhältnisses in Betracht komme, eine rückwirkende Befreiung sei nicht zulässig. Die Möglichkeit der Behörde, durch Erlassung der Weiterbeschäftigungszeit einzugreifen, besteht auch dann nicht, wenn bereits eine Vereinbarung über ein Arbeitsverhältnis vorliegt. Hat der Lehrling die Weiterbeschäftigungszeit bereits angetreten, kann nur mehr eine Bewilligung zur vorzeitigen Kündigung erteilt werden. Der Antrag auf Erlassung der Weiterbeschäftigungszeit muss daher so rechtzeitig gestellt werden, dass die Entscheidung über den Entfall dieser Verpflichtung noch vor deren Entstehen getroffen werden kann.

Der OGH teilte somit die Rechtsansicht des Berufungsgerichts, dass ein Antrag auf Erlassung der Weiterbeschäftigungszeit einen Antrag auf Bewilligung zur Kündigung miteinschließe, nicht.

Zu einer Teilzeitbeschäftigung während der Weiterbeschäftigungszeit verwies der OGH auf Art XVII Z 2 Satz 4 des KollV, der festlegt, dass diese für die Zeit der Weiterbeschäftigung nicht vereinbart werden könne. Eine Sondervereinbarung wäre angesichts dieser einseitig zwingenden kollektivvertraglichen Regelung (§ 3 Abs 1 Satz 2 ArbVG) nur gültig, wenn sie für den AN 185günstiger ist. Eine entsprechende Prüfung habe nach objektiven sozialpolitischen Wertmaßstäben zu erfolgen. Unter Berücksichtigung des Zwecks der Weiterbeschäftigungspflicht und der Tatsache des geringeren Entgelts für die Teilzeitbeschäftigung schloss der OGH, dass diese Vereinbarung der Günstigkeitsprüfung nicht standhalte.

Im Ergebnis sprach der OGH der Kl gem § 29 AngG, aufgrund der unberechtigten vorzeitigen Beendigung durch die Bekl am 5.12.2018, Ansprüche auf Basis einer Vollzeitbeschäftigung bis zum ersten in Betracht kommenden Kündigungstermin nach Ablauf der Weiterbeschäftigungszeit zu.