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Arbeitskräfteüberlassung bei hoheitlicher Tätigkeit

INESKAGER (WIEN)
2 Abs 7 JBA-G; Art 1 Abs 2, Art 5 Abs 3 RL 2008/104/ EG; § 1 AÜG
  1. Auch wenn durch die Justizbetreuungsagentur (JBA) Arbeitskräfte gegen Entgelt auf Basis einer Rahmenvereinbarung mit dem BMJ überlassen werden, handelt es sich um keine Leistungen, die am Markt angeboten werden, sondern um einen ausgegliederten Personalpool, durch den der flexible Einsatz von Arbeitskräften in der Justiz gewährleistet werden soll.

  2. Der Einsatz der ExpertInnen erfolgt im Rahmen des Ermittlungsverfahrens der Staatsanwaltschaft, damit einer genuin hoheitlichen Tätigkeit und begründet auch keine wirtschaftliche Tätigkeit der Beschäftigerin Republik Österreich.

  3. Die Überlassung von ExpertInnen durch die JBA an die Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft (WKStA) zur Unterstützung im Ermittlungsverfahren unterliegt nicht dem Anwendungsbereich der LeiharbeitsRL.

Bei der Bekl handelt es sich um eine Anstalt öffentlichen Rechts, die ausschließlich als Personaldienstleister der österreichischen Justiz tätig ist. Auftraggeber ist das BMJ. Die Bekl führt das Recruiting der AN durch, schließt die Arbeitsverträge und überlässt die AN dann der Justiz. Bei den überlassenen Arbeitskräften handelt es sich um Ärzte, Sozialarbeiter, Psychologen, Amtsdolmetscher und Experten. [...]

Der Kl war bei der Bekl ab 2.1.2013 beschäftigt. Er hat eine kaufmännische Lehre, einen Wifi-Bilanzbuchhalterkurs und eine Wifi-Controller-Ausbildung absolviert. [...]

Seine Tätigkeit umfasste die Unterstützung der Staatsanwaltschaft bei betriebswirtschaftlichen, steuerlichen und handelsrechtlichen Fragen, bei Erstellung von Berichten für die Staatsanwälte, die Vorbereitung von Fragen für Vernehmungen, die Teilnahme an Vernehmungen, die Mitwirkung bei Hausdurchsuchung, bei Erstellung von Zahlungsstromanalysen und die Unterstützung der Wirtschaftsexperten bei Erstellung von Berichten und Analysen. Nachdem die WKStA 2018 mitteilte, dass für den Kl keine Verwendung mehr besteht, wurde der Geschäftsführer der Bekl mit Schreiben des BMJ ersucht, die Auflösung des Dienstverhältnisses in die Wege zu leiten. [...]

Der Kl begehrte, die Kündigung für rechtsunwirksam zu erklären, in eventu die Zahlung von 7.333,51 € brutto an Urlaubsersatzleistung, die Feststellung eines Anspruchs auf 36 Werktage Urlaub für jedes Arbeitsjahr, die Feststellung des Anspruchs auf eine bezahlte Pause sowie die Zahlung von 6.612,29 € brutto sA für geleistete Überstunden.

Nach Abweisung der übrigen Begehren ist im Revisionsverfahren nur noch das Begehren auf Zahlung von 7.333,51 € brutto sA an Urlaubsersatzleistung strittig [...].

Das Erstgericht wies [...] ab. [...] In § 2 Abs 7 JBA-G werde von der Möglichkeit einer abweichenden Regelung Gebrauch gemacht. Damit bestehe kein Anlass für eine direkte Anwendung der LeiharbeitsRL, weshalb kein Anspruch auf Gewährung einer sechsten Urlaubswoche bestehe.

Das Berufungsgericht gab der Berufung des Kl in diesem Punkt Folge [...]. Nach Art 5 Abs 3 der RL [...] habe [...] die Abweichung auf Basis einer gesetzlichen Ermächtigung durch den KollV selbst zu erfolgen, nicht durch ein Gesetz [...].

Die Revision ist zur Klarstellung zulässig und auch berechtigt.

1. § 20 JBA-G sieht vor, dass für die durch die Bekl begründeten Arbeitsverhältnisse, damit auch für das zum Kl, § 1 Abs 2 VBG 1948 und § 4 AngG keine Anwendung finden. [...]

2. Der dem Kl tatsächlich gewährte Urlaub entspricht den Regelungen des Urlaubsgesetzes. [...] Eine Berechtigung des Anspruchs des Kl könnte sich daher nur aus einer unmittelbaren Anwendung der LeiharbeitsRL ergeben.

3. Nach Art 1 Abs 2 gilt die LeiharbeitsRL für öffentliche oder private Unternehmen, bei denen es sich um Leihunternehmen und entleihende Unternehmen handelt, die eine wirtschaftliche Tätigkeit ausüben, unabhängig davon, ob sie Erwerbszwecke verfolgen oder nicht. [...]

4. Zu Art 1 Abs 2 der RL hat der EuGH in der E Ruhrlandklinik gGmbH, C-216/15, ECLI:EU:C:2016:883, Rn 44, Stellung genommen: „Bezüglich der Auslegung des Begriffs ‚wirtschaftliche Tätigkeit‘ im Sinne von Art 1 Abs 2 der RL 2008/104 ist darauf hinzuweisen, dass nach stRsp des Gerichtshofs jede Tätigkeit, die darin besteht, Güter oder Dienstleistungen auf einem bestimmten Markt anzubieten, wirtschaftlichen Charakter hat.“ [...]

5. [...] In der E Ricardo, C-416/16, ECLI:EU:C:2017:574, Rn 34, ergänzt der EuGH, dass Tätigkeiten in Ausübung hoheitlicher Befugnisse grundsätzlich nicht als wirtschaftliche Tätigkeiten einzustufen seien, wobei Dienstleistungen, die im allgemeinen Interesse und ohne Erwerbszweck im Wettbewerb mit Dienstleistungen von Wirtschaftsteilnehmern, die einen Erwerbszweck verfolgen, erbracht werden, unter den Begriff „wirtschaftliche Tätigkeit“ fallen können. In dieser E wurde auch darauf hingewiesen, dass es sich bei der Übertragung von Aufgaben im Zuge einer Umstrukturierung von Verwaltungsbehörden oder bei der Übertragung von Verwaltungsaufgaben von einer Behörde auf eine andere nicht um einen Übergang iSd RL 2001/23 handelt (Rn 29). In diesem Sinn wurde bereits in der E Henke, C-298/94, ECLI:EU:C:1996:382, Rn 17, bei einer Übertragung von hoheitlichen Tätigkeiten zwischen einer Gemeinde und einer Verwaltungsgemeinschaft, selbst wenn diese Tätigkeiten wirtschaftliche Aspekte eingeschlossen haben sollten, die Anwendbarkeit der RL 77/187/EWG im Hinblick auf das Arbeitsverhältnis einer Sekretärin verneint.

In der E Scattolon, C-108/10, ECLI:EU:C:2011:542, Rn 46, wurde [...] darauf verwiesen, dass die dort verfahrensgegenständlichen Dienste in bestimmten 340 Fällen an private Wirtschaftsteilnehmer vergeben würden sowie dass sie nicht in Ausübung hoheitlicher Befugnisse erbracht würden. In der E Motoe, C-49/07, ECLI:EU:C:2008:376, Rn 24 f, führte der EuGH aus, dass Tätigkeiten, die in Ausübung hoheitlicher Befugnisse erfolgen, keinen wirtschaftlichen Charakter haben [...]. Die bloße Tatsache, dass eine Einrichtung für einen Teil ihrer Tätigkeit über hoheitliche Gewalt verfüge, stehe ihrer Einstufung als Unternehmen [...] für den Rest ihrer wirtschaftlichen Tätigkeit nicht entgegen. [...]

6. [...] Rebhahn/Schörghofer/Kolbe (in Franzen/Gallner/Oetker, Kommentar zum europäischen Arbeitsrecht3, Art 1 RL 2008/104/EG/620, Rz 12 ff) führen [...] aus: „Unklar ist, ob eine wirtschaftliche Tätigkeit beider beteiligter Unternehmen erforderlich ist [...]. Weil die RL zudem die Unternehmenseigenschaft sowohl für den Ver- als auch für den Entleiher verlangt, ist davon auszugehen, dass ihr Anwendungsbereich nur Fälle erfasst, in denen beide beteiligte Unternehmen wirtschaftlich tätig sind. [...] Hoheitliche Tätigkeiten sind idR keine wirtschaftlichen (können dies aber sein) und fallen dann nicht unter den Unternehmensbegriff [...]. Da Art 1 die Unternehmenseigenschaft für Ver- und Entleiher verlangt, ist die RL prima facie auf die Überlassung von AN auch durch einen gewerblichen Verleiher nicht anwendbar, wenn der Entleiher eine hoheitliche Aufgabe besorgt. Dabei ist auf die konkrete Aufgabe beim Entleiher abzustellen, für die der AN eingesetzt wird, sodass die RL anwendbar ist, wenn die konkrete Aufgabe wirtschaftlicher Natur ist.“

Harmann [sic] in Schüren[/Hamann, Anm] (AÜG5 § 1 Rz 278 ff) geht [...] davon aus, dass es entscheidend darauf ankomme, ob die Dienstleistung auf einem bestimmten Markt angeboten werde, ob also am Marktgeschehen teilgenommen werde. Das sei nach objektiven Kriterien und nicht nach der Motivlage zu bestimmen. [...] Ob ein Unternehmen am Marktgeschehen teilnehme, hänge davon ab, ob eine Wettbewerbssituation besteht. [...]

Forst (in Schlachter/Heinrich [sic] [Hrsg], Europäisches Arbeits- und Sozialrecht, Leiharbeitsrichtlinie Rz 57) geht davon aus, dass [...] es keine Rolle spielen könne, ob sie als Anbieter oder als Nachfrager am Markt auftreten. Weiters habe der EuGH zur Betriebsübergangsrichtlinie entschieden, das Kriterium diene vor allem dazu, hoheitliche Tätigkeiten aus dem Geltungsbereich der RL auszuscheiden. [...] Folglich scheide eine wirtschaftliche Tätigkeit nur aus, wenn die fragliche Tätigkeit weder auf der Anbieter- noch auf der Nachfrageseite ebenso von einem Privaten erbracht werden könnte. Auch öffentliche Stellen wie die Streitkräfte und karitative Einrichtungen übten deshalb eine wirtschaftliche Tätigkeit aus, wenn sie als Entleiher/Nachfrager am Markt auftreten.

7. Mit § 1 JBA-G wurde die Justizbetreuungsagentur als Anstalt öffentlichen Rechts errichtet [...]. Nach § 2 JBA-G gehört zu den Aufgaben der Justizbetreuungsagentur neben der Versorgung der Justizanstalten mit Personal (Abs 1), die Bereitstellung von Kinderbeiständen und anderen Experten zur Unterstützung der ordentlichen Gerichte in famifamilienrechtlichen Angelegenheiten sowie zur Wahrnehmung von Aufgaben der Jugendgerichtshilfe (Abs 5) sowie der Abschluss von Verträgen für die Bereitstellung von Experten [...].

Korrespondierend dazu findet sich in § 2a Abs 5 Staatsanwaltschaftsgesetz (StAG) die Bestimmung, dass in geeigneter Weise – gegebenenfalls im Wege des § 2 Abs 5a JBA-G – dafür Sorge zu tragen ist, dass der WKStA zumindest fünf Experten aus dem Finanz- oder Wirtschaftsbereich zur Verfügung stehen.

8. Auch wenn daher durch die Bekl Arbeitskräfte gegen Entgelt auf Basis einer Rahmenvereinbarung mit dem BMJ überlassen werden, handelt es sich zum einen um keine Leistungen, die von der Bekl auf dem Markt angeboten werden, sondern um einen ausgegliederten Personalpool, durch den der flexible Einsatz von Arbeitskräften innerhalb der Justiz gewährleistet werden soll, wobei diese Arbeitskräfte auch ausschließlich dem BMJ zur Erbringung der im Gesetz geregelten Aufgaben zur Verfügung stehen.

Zum anderen erfolgt der Einsatz nicht im Rahmen einer wirtschaftlichen Tätigkeit des Beschäftigers Republik Österreich. Experten wie der Kl werden im Rahmen des Ermittlungsverfahrens der Staatsanwaltschaft damit einer genuin hoheitlichen Tätigkeit eingesetzt. [...]

9. [...] Die konkrete Überlassung unterliegt daher nicht dem Anwendungsbereich der LeiharbeitsRL.

[...]

ANMERKUNG

Gem § 2 Abs 5a JBA-G ist die JBA berechtigt, der Justiz ExpertInnen zur Verfügung zu stellen. Als Anstalt öffentlichen Rechts schließt sie zu diesem Zweck mit den bereitzustellenden Personen Arbeitsverträge ab und fungiert als deren AG. Diese ExpertInnen unterstützen etwa die WKStA mit Fachwissen im IT- oder Wirtschaftsbereich. Nach § 2 Abs 7 JBA-G kommen die §§ 10-14 AÜG für Überlassungen der ExpertInnen ausdrücklich nicht zur Anwendung. Durch diesen Ausschluss gilt für die überlassenen Arbeitskräfte auch das Gleichbehandlungsgebot des AÜG hinsichtlich der wesentlichen Arbeits- und Beschäftigungsbedingungen bei den BeschäftigerInnen nicht. Dementsprechend wurde die dem Kl gebührende Urlaubsersatzleistung allein auf Basis des für AN der JBA geltenden UrlG berechnet. Der Kl fordert angesichts seiner Beschäftigung bei der WKStA unter Berufung auf die unmittelbare Anwendbarkeit der Leiharbeits-RL, seine Urlaubsersatzleistung auf Grundlage des höheren Urlaubsanspruchs der vertraglichen DN des Bundes zu berechnen. Einen Grundsatz der Gleichbehandlung sieht nämlich auch Art 5 LeiharbeitsRL vor, der durch § 2 Abs 7 JBA-G ausdrücklich nicht umgesetzt wird. Entscheidend war daher, ob die RL auch bei der Personalbereitstellung an die Justiz beachtlich ist.

Erstgericht und Berufungsgericht beschäftigten sich mit der Frage, ob durch § 2 Abs 7 JBA-G unionsrechtskonform von der Öffnungsklausel des 341 Art 5 Abs 3 LeiharbeitsRL Gebrauch gemacht wurde. Diese sieht vor, dass den Sozialpartnern der Mitgliedstaaten die Möglichkeit eingeräumt werden kann, in Tarifverträgen Abweichungen vom Gleichbehandlungsgrundsatz zu regeln. Der OGH stellte zwar die E des Erstgerichts wieder her, wählte aber in seiner Begründung einen anderen Zugang als die Vorinstanzen. Er befasste sich nicht mit der Öffnungsklausel, sondern setzte auf einer vorgelagerten Ebene an und verneinte mangels wirtschaftlicher Tätigkeit schon die Anwendbarkeit der LeiharbeitsRL selbst.

1.
Anwendungsbereich der LeiharbeitsRL
1.1.
Erfordernis der wirtschaftlichen Tätigkeit

Nach Art 1 Abs 2 der LeiharbeitsRL gilt die RL für die Überlassung von AN durch und an öffentliche wie private Unternehmen. Ein Erwerbszweck muss zwar nicht verfolgt werden, die LeiharbeitsRL verlangt aber eine wirtschaftliche Tätigkeit der involvierten Unternehmen. Diese verneint der OGH hier mit vergleichsweise knapper Begründung. Die Tätigkeit des Kl bei der WKStA sei aufgrund des Einsatzes im „genuin hoheitlichen“ Ermittlungsverfahren keine wirtschaftliche Tätigkeit. Auch die JBA sei nicht wirtschaftlich tätig, weil sich ihr Angebot nicht an einen Markt richte, sondern ein rein für die Justiz geschaffener Personalpool sei. Unter Berücksichtigung der im Detail divergierenden Lehrmeinungen zur wirtschaftlichen Tätigkeit (vgl Rebhahn/Schörghofer/Kolbe in Franzen/Gallner/Oetker [Hrsg], Kommentar zum europäischen Arbeitsrecht3, RL 2008/104/EG Art 1 Rz 11) und der Rsp des EuGH scheint hier aber eine differenziertere Betrachtung angezeigt.

Zur Auslegung des Begriffs der wirtschaftlichen Tätigkeit zieht der EuGH vor allem Entscheidungen aus dem Wettbewerbsrecht und zur BetriebsübergangsRL heran (so etwa in EuGH 17.11.2016, C-216/15, Ruhrlandklinik, ECLI:EU:C:2016:8838, Rz 44 ff) und stellt darauf ab, ob Waren oder Dienstleistungen auf einem bestimmten Markt angeboten werden (zum früheren Art 85 EG-V EuGH 18.6.1998, C-35/96, Kommission/Italien, ECLI:EU:C:1998:303, Rz 36; zur LeiharbeitsRL in der Rs Ruhrlandklinik, Rz 44; zur Betriebsübergangs-RL EuGH 6.9.2011, C-108/10, Scattolon, ECLI:EU:C:2011:542, Rz 43). Nicht entscheidend sei hingegen die Rechtsform und Art der Finanzierung (EuGH 1.7.2008, Motoe, C-49/07, ECLI:EU:C:2008:376, Rz 21 mwN; zur LeiharbeitsRL iZm einem Verein ohne Gewinnerzielungsabsicht auch in der Rs Ruhrlandklinik, Rz 46). Uneinigkeit herrscht in der Literatur zur Frage, ob eine wirtschaftliche Tätigkeit sowohl für ver- als auch entleihendes Unternehmen gegeben sein muss (bejahend etwa Rebhahn/Schörghofer/Kolbe in Franzen/Gallner/Oetker [Hrsg], KommEu-ArbR3, Art 1 RL 2008/104/EG Rz 12 mwN; ebenso Forst in Schlachter/Heinig [Hrsg], Europäisches Arbeits- und Sozialrecht, EnzEuR Bd 7, § 16 Leiharbeit Rz 56 f, der aber generell ein sehr weites Verständnis anlegt und nur hoheitliche Tätigkeiten als von der RL ausgeschlossen sieht; aA, aber im Ergebnis nicht weit entfernt, müsse die Anwendbarkeit der RL nach Hamann in Hamann/Schüren[Hrsg], AÜG5 [2018] § 1 Rz 282, auch bei einer Überlassung durch oder an Monopolisten, trotz seiner Ansicht mangels Konkurrenten fehlender wirtschaftlichen Tätigkeit, bejaht werden). Einigkeit besteht jedoch dahingehend, dass hoheitliche Tätigkeiten vom Anwendungsbereich der LeiharbeitsRL ausgeschlossen sind (Hamann, aaO; Forst in Schlachter/Heinig [Hrsg], EnzEuR § 16 Rz 54). Hier ist zwischen der Tätigkeit der JBA als Überlasserin und der Republik Österreich als Beschäftigerin zu differenzieren. Gemein ist den Beurteilungen beider, dass nicht die Tätigkeit der Einrichtung in ihrer Gesamtheit, sondern nur die jeweils mit der konkreten Überlassung in Verbindung stehende Tätigkeit herangezogen werden muss (vgl Rebhahn/Schörghofer/Kolbe in Franzen/Gallner/Oetker, KommEuAR3 Art 1 RL 2008/104/EG Rz 14). Bei der JBA ist also die Überlassung von ExpertInnen (vgl vor allem Rs Ruhrlandklinik, Rz 45), bei der Republik die Beschäftigung dieser ExpertInnen zu beurteilen.

Kommt man zum Schluss, dass die überlassene Arbeitskraft in Erfüllung hoheitlicher Tätigkeiten eingesetzt wird, „strahlt“ dies auch auf die Tätigkeit des/der ÜberlasserIn aus. Dieser Schluss lässt sich letztlich unabhängig von den unterschiedlichen Ansätzen in der Literatur ziehen. Geht man nämlich davon aus, dass beide Unternehmen wirtschaftlich tätig sein müssen, so führt die Einstufung der Tätigkeit auch nur eines der Unternehmen als hoheitlich zur fehlenden Anwendbarkeit der RL. Aber auch, wenn man wie Hamann streng auf eine Wettbewerbssituation abstellt, lässt sich dasselbe Ergebnis erzielen. Bei Monopolisten will dieser zwar die wirtschaftliche Tätigkeit des anderen und somit von nur einem der beteiligten Unternehmen genügen lassen, er verneint aber bei einer Überlassung für hoheitliche Tätigkeiten mangels Marktbezugs eine Wettbewerbssituation auf Anbieter- als auch Nachfrageseite (Hamann in Hamann/Schüren, AÜG5 § 1 Rz 282).

1.2.
Wirtschaftliche versus hoheitliche Tätigkeit

Die Ausübung einer hoheitlichen Tätigkeit durch die überlassene Arbeitskraft schließt also die Anwendbarkeit der RL aus. Die vom OGH dafür ins Treffen geführte „genuin hoheitliche“ Tätigkeit der WKStA im Ermittlungsverfahren wird aber eben nicht durch die ExpertInnen ausgeführt. Sie fungieren vielmehr nur als Hilfspersonen (Dangl/Ifsits, Der „Experte“ bei der Hausdurchsuchung, ÖJZ 2021/9, 75). Eine Beleihung mit hoheitlichen Tätigkeiten schließen Dangl/Ifsits mangels gesetzlicher Grundlage zu Recht ebenfalls aus und stellen klar, dass den ExpertInnen im Ermittlungsverfahren nur unterstützende Hilfstätigkeiten übertragen und diese folglich nur als private Verwaltungshelfer eingesetzt werden können (ausführlich Dangl/Ifsits, ÖJZ 2021/9, 76 f). Der OGH zählt solche Tätigkeiten zur schlichten Hoheitsverwaltung. Dem Tatbestand „in Vollziehung der Gesetze“ legt er 342 dabei ein extrem weites Verständnis zugrunde (zuletzt etwa OGH 1 Ob 4/20z Zak 2020/357, 218, wo er hoheitliches Handeln bei einem privatrechtlich durch Vertrag beauftragten Transportbegleiter bejaht). Dieses weite, nationale Verständnis ist für die Abgrenzung zur wirtschaftlichen Tätigkeit iSd LeiharbeitsRL aber nicht maßgeblich. Vielmehr ist dieser Begriff und somit auch jegliche Abgrenzung autonom auszulegen (vgl etwa Forst in Schlachter/ Heinig [Hrsg], EnzEuR § 16 Rz 56). Der EuGH stuft gerade nicht jede Hilfstätigkeit in der Hoheitsverwaltung als hoheitlich ein. Tätigkeiten, bei denen zwar im allgemeinen Interesse und ohne Erwerbszweck, nicht aber in Ausübung hoheitlicher Befugnisse gehandelt wird, können sehr wohl als wirtschaftliche Tätigkeiten gelten, wenn sie „im Wettbewerb mit den Diensten von Wirtschaftsteilnehmern erbracht werden, die einen Erwerbszweck verfolgen“ (EuGH Rs Scattolon, Rz 44 mwN). Er stellt also einerseits auf die „Marktüblichkeit“ einer Leistung ab (vgl vor allem S. Mayer, Verschlechterungsschranken bei Kollektivvertragswechsel infolge Betriebsübergangs im Öffentlichen Bereich [?], DRdA 2013, 140 [143]; krit zur generalisierenden Abstellung auf eine mögliche Nachfrage am Markt Rebhahn/Schörghofer/Kolbe in Franzen/Gallner/Oetker, KommEuAR3 Art 1 RL 2008/104/EG Rz 13). Andererseits ist auch der Konnex zur Ausübung hoheitlicher Befugnisse maßgebend (EuGH 20.7.2017, C-416/16, Ricardo, ECLI:EU:C:2017:574, Rz 35). Winter folgert aus dieser Rsp treffend, dass im Einzelfall zu prüfen sei, ob Tätigkeiten „ihrer Art, ihrem Gegenstand und den für sie geltenden Regeln nach mit der Ausübung von Befugnissen zusammenhängen, die typischerweise hoheitliche Befugnisse sind“ und sich verschiedene Tätigkeiten voneinander trennen lassen (Winter in Franzen/Gallner/Oetker, KommEuAR3 Art 1 RL 2001/23/EG Rz 21 mwN aus der EuGH-Rsp).

Sieht man sich die Tätigkeiten des Kl an, so ist etwa bezüglich der durchgeführten Zahlungsstromanalysen, betriebswirtschaftlichen Berichte und Gutachten eine Marktüblichkeit eindeutig zu bejahen, werden diese ja sogar durch die Justiz am „Markt“ im Wege von Sachverständigengutachten angefragt. Den beratenden Tätigkeiten, etwa bei Hausdurchsuchungen und Prozessvorbereitungen, fehlt es dagegen an Marktüblichkeit.

Auch die marktüblichen Tätigkeiten haben aber keinen eigenständigen Zweck iS eines angestrebten, vom Ermittlungsverfahren verschiedenen Ergebnisses. Im Gegensatz zu den von der hoheitlichen Tätigkeit losgelösten Instandhaltungstätigkeiten in der Rs Scattolon scheint damit im vorliegenden Verfahren die Annahme einer Verbundenheit zur hoheitlichen Tätigkeit der WKStA jedenfalls vertretbar (vgl zur engen Verwobenheit und Zusammenarbeit vor allem Bizek, Die Experten bei der WKStA – Einblicke und Erfahrungen, ÖJZ 2014/39; zu den konkreten Befugnissen auch Dangl/Ifsits, Der „Experte“ bei der Hausdurchsuchung, ÖJZ 2021/9). Dem OGH ist daher im Ergebnis darin zu folgen, dass sich der Kl hinsichtlich seines Anspruchs nicht auf die LeiharbeitsRL berufen kann.

2.
§ 2 Abs 7 JBA-G nur deklaratorisch?

§ 2 Abs 7 JBA-G wurde 2009 als rein deklaratorische Bestimmung in das JBA-G aufgenommen. Die Anwendbarkeit der §§ 10 bis 14 AÜG war zu diesem Zeitpunkt noch auf Fälle gewerbsmäßiger Überlassung nach § 94 Z 72 der GewO 1994 (idF BGBl 1994/194) beschränkt und hätte die Tätigkeit der JBA ohnehin nicht umfasst. Die Materialien des JBA-G bezogen sich aber schon damals auf die (zu diesem Zeitpunkt noch nicht umgesetzte) LeiharbeitsRL, von deren Anwendbarkeit auf die von der JBA überlassenen AN der Bund offensichtlich (damals noch) ausging. Programmatisch wurde sogar festgehalten, dass künftige Kollektivverträge die Öffnungsklausel des Art 5 nutzen sollten (vgl ErläutRV 486 BlgNR 24. GP 8). Das ist aber in weiterer Folge nicht passiert.

In Umsetzung der RL wurde nun aber der Anwendungsbereich der §§ 10-14 AÜG erweitert und erfasst nicht mehr nur Tätigkeiten iSd GewO. Vielmehr umfasst § 1 Abs 1 AÜG nach seinem Wortlaut jede „Beschäftigung von Arbeitskräften, die zur Arbeitsleistung an Dritte überlassen werden“. Darunter fallen also grundsätzlich auch hoheitliche Tätigkeiten. Abs 2 Z 1 schließt ferner nur Überlassungen durch den Bund, aber nicht an den Bund aus dem Anwendungsbereich des AÜG aus. Eine Auslegung entsprechend dem Art 1 Abs 2 der LeiharbeitsRL, die den Anwendungsbereich auf wirtschaftliche Tätigkeiten begrenzen würde, scheint aber nicht geboten (vgl auch Schrattbauer, AÜG § 1 Rz 16 und § 7 Rz 10; impliziert wird dies auch durch § 7 Abs 1 AÜG iVm § 1 Abs 2 Organhaftpflichtgesetz [OrgHG]). Art 9 der RL sieht nämlich nur ein Verschlechterungsverbot vor, günstigere Regelungen bleiben dagegen unberührt (ohne Differenzierung nach der Art der Tätigkeit geht auch Schindler in ZellKomm3 § 1 AÜG Rz 7 von der Anwendbarkeit des AÜG auf Überlassungen an Gebietskörperschaften aus; der Ausschluss von Überlassungen durch Gebietskörperschaften in toto führt jedoch zu einem zu engen Anwendungsbereich, so auch Fuchs/Marhold/Friedrich, Europäisches Arbeitsrecht6 [2020] 211). Diese „Übererfüllung“ durch Einbeziehung hoheitlicher Tätigkeiten kann der einfache Gesetzgeber aber – wie hier durch § 2 Abs 7 JBA-G – einschränken. Die Bestimmung wirkt demnach gegenüber § 1 AÜG als lex specialis und hat nicht mehr nur deklaratorischen Charakter.

Liegt aber eine wirtschaftliche Tätigkeit vor – und das ist nach dem Gesagten für jede einzelne Tätigkeit einer von der JBA überlassenen Arbeitskraft gesondert zu bestimmen –, so kann zumindest das Gleichbehandlungsgebot des Art 5 Abs 3 LeiharbeitsRL nur durch KollV ausgeschlossen werden, nicht aber durch § 2 Abs 7 JBA-G (vgl auch Schindler in Neumayr/Reissner [Hrsg], ZellKomm3 § 1 AÜG Rz 25). Die Bestimmung bedingt für diese Gruppe von AN also eine mangelhafte Umsetzung der RL. In Anlehnung an die Rs Scattolon könnte etwa für die abseits von strafrelevanten Therapien durchgeführte medizinische Versorgung vertreten werden, dass diese zwar für die reibungslose Durchführung der 343 hoheitlichen Tätigkeiten der JBA notwendig ist, im Grunde aber einen eigenständigen Zweck verfolgt und eine wirtschaftliche Tätigkeit darstellt. Im Zweifelsfall wird ein Vorabentscheidungsverfahren einzuleiten sein (so auch Winter in Franzen/Gallner/Oetker, KommEuAR3 Art 1 RL 2001/23/EG Rz 33).

3.
Fazit

Der OGH stützt sein Urteil vor allem auf die fehlende wirtschaftliche Tätigkeit. Ob der ausführlichen Anführung einschlägiger EuGH-Judikatur und verschiedenster – teilweise auch divergierender – Lehrmeinungen überrascht vor allem die im Endeffekt sehr kurz gehaltene und wenig differenzierte Übertragung der erörterten Maßstäbe auf den konkreten Fall. Im Ergebnis kann dem OGH jedoch beigepflichtet werden. Die hier in Frage stehende Tätigkeit des Experten ist eng mit der hoheitlichen Tätigkeit der WKStA verbunden und fällt deshalb aus dem Anwendungsbereich der LeiharbeitsRL heraus. Auch die Anwendbarkeit der §§ 10-14 AÜG kann in diesem Fall durch § 2 Abs 7 JBA-G wirksam ausgeschlossen werden.

Der Gesetzgeber darf eine solche Konstruktion für ExpertInnen der WKStA unionsrechtlich also schaffen. Im Lichte der jüngeren EuGH-Rsp stellt sich jedoch die Frage, ob er das bei dauerhaftem Personalbedarf auch sollte. Der EuGH positionierte sich nämlich jüngst klar iS einer Verpflichtung der Mitgliedstaaten, dafür Sorge zu tragen, dass Leiharbeit nicht zu einer Dauersituation werde (vgl EuGH 14.10.2020, C-681/18, JH/KG, ECLI:EU:C:2020:823, Rz 59f). Österreich ist als Mitgliedstaat angehalten, dauerhafte Überlassungen im Anwendungsbereich der RL bestmöglich zu verhindern – bedient sich aber unter dem Deckmantel der hoheitlichen Tätigkeit selbst einer solchen, obwohl das Schutzbedürfnis der überlassenen ExpertInnen kein geringeres ist. Zum Vergleich: Auch das deutsche Recht sieht die Beigabe von WirtschaftsreferentInnen an die Staatsanwaltschaft vor. Diese werden jedoch im Rahmen eines Beamtenverhältnisses beschäftigt (vgl etwa dt BVerwG [2. Senat] vom 4.12.2013, 2 B 61.12. = BeckRS2014, 46337). Auch das Argument der notwendigen Flexibilität, das etwa der OGH iZm der Tätigkeit der JBA aufgreift, kann durch den offenkundig dauerhaften Bedarf entkräftet (vgl Schörghofer, Arbeitskräfteüberlassung im Spannungsverhältnis von Flexibilisierung und ArbeitnehmerInnenschutz, juridikum 2014, 88 [92], zum Konnex von Flexibilisierung und kurzfristigem Bedarf; so auch Forst in Schlachter/Heinig [Hrsg], EnzEuR § 16 Rz 58, der eine „flexible Zeitspanne“ mit wenigen Tagen bis zu mehreren Monaten gleichsetzt) und demnach hier nicht ins Treffen geführt werden.