CleaverDer Kampf gegen die Arbeit und der Bruch mit der Dialektik des Kapitals

Mandelbaum Verlag, Wien 2019, 392 Seiten, € 19,–

KLAUSFIRLEI (SALZBURG)

Das zu besprechende Buch gliedert sich in drei Teile: Im ersten Abschnitt geht es um die Aktualität der Marxschen Arbeitswerttheorie. Im zweiten Teil steht die Finanzkrise und die „Finanzialisierung“ des ökonomischen und gesellschaftlichen Systems zur Diskussion. Teil drei widmet sich dem Thema von Strategien und Taktiken für den Bruch mit der Dialektik des Geldes.

Der Autor ist in den USA einer der bedeutendsten Denker eines undogmatischen, deutlich an anarchistische Vorstellungen anstreifenden Marxismus. Er wurde ua mit dem Buch „Reading Capital Politically“ (1979) bekannt. Die anerkennenswerte Übersetzung stammt von Leo Kühberger, der seit 2012 ua als Lektor am Institut für Kulturanthropologie an der Universität Graz lehrt und auch journalistisch tätig ist.

Das Werk thematisiert die grundlegenden Elemente „unseres“ Gesellschaftssystems. Für Harry Cleaver handelt es sich um ein System, das einengt und einschränkt – und beseitigt werden muss, wenn wir tatsächlich eine umfassende Veränderung erreichen wollen, „aus der Welten entstehen können, die dem näher kommen, wonach unser Herz begehrt“. Sein Hauptanliegen ist es, dagegen anzukämpfen, dass unser Leben der Arbeit untergeordnet wird, die uns der Kapitalismus aufzwingt.

Kernthese ist, dass wir in einer Welt leben, in der die Wirtschaft oder die Regierung den größten Teil der Ressourcen und Werkzeuge kontrolliert, um zu produzieren, was wir zum Leben brauchen. Durch diese Kontrolle würden sie über genügend Macht verfügen, um die meisten von uns zum Arbeiten zu zwingen. Überwiegend handle es sich um indirekten Zwang. Dazu leisten sich Wirtschaft und Regierungen umfangreiche Apparate: Polizei, Überwachung, Judikative, Militär, die uns durch Gewalt davon abhalten sollen, „dass wir uns nehmen, was wir brauchen“. Die kapitalistische Welt, die heute den Großteil der Erde beherrscht, sei eine globale Arbeitsmaschine.

Wir seien überarbeitet, frustriert und wütend, deswegen würden wir uns zur Wehr setzen und in und außerhalb des Jobs gegen die Arbeit und gegen die Unterordnung des Lebens unter der Arbeit kämpfen. Wir würden nach selbstbestimmten Tätigkeiten streben. Ua zeige sich daran, dass die kapitalistische Welt eine Welt voller antagonistischer Konflikte ist. Cleaver meint, dass wir die Kämpfe um die Flucht vor einem Dasein als ArbeiterInnen in das Zentrum unserer Analyse und unserer Politik rücken müssen. Bei alledem beobachtet der Autor viel Widerstand, viele Experimente und viel an Subversion gegen das aufgezwungene System. Der Verfasser plädiert für die Selbstreflexion der Spannungen, denen die Arbeit ausgesetzt ist. Auf der einen Seite gehe es um „Wir“ gegen „Die“, die andere Seite sei aber die Erkenntnis, dass der Feind wir selbst sind.

Durch die breite Entfaltung der Arbeitswertlehre will Cleaver einen Beitrag dazu leisten, sich dieser Spannungen besser bewusst zu werden. Dabei greift der Autor auf die Überlegungen zur Arbeitswertlehre und ihrer Neuinterpretation in seinem Buch „Das Kapital politisch lesen“ (1979) zurück. Danach sei die kapitalistische Dynamik eine endlose Durchsetzung von Arbeit. Bemerkenswert ist die mE kühne These, jede der vielen ökonomischen Krisen sei ein Produkt „unserer“ Kämpfe. Auch die neoliberale Finanzialisierung sei als Reaktion auf unsere Kämpfe zu entschlüsseln. Diese Thesen und die nachfolgenden strategischen Überlegungen sind maßgeblich vom Widerstand in Europa (um das Jahr 2012) gegen die von Staaten und Banken verordnete Austeritätspolitik geprägt. 351

Das Kapitel zur Arbeitswertlehre ist eine Verteidigung des Marxschen Theoriegebäudes, sieht sich aber auch als deren Neuinterpretation. Im Mittelpunkt steht die These, dass die lange Krise der letzten 40 Jahre durch die Kämpfe der ArbeiterInnenklasse verursacht wurde. Im Fokus stehen dabei die Beziehungen von Arbeit und Geld im Klassenkampf. Cleaver untersucht, um es kurz zusammenzufassen, wie man Geld und Finanzen gegen „uns“ einsetzt.

Die vom Autor so hartnäckig betonte zentrale Rolle der Arbeitswertlehre überrascht insofern, als diese durch die linken Transformationstheorien heute zumeist über Bord geworfen wird. Die Bedeutung der Marxschen Arbeitswertlehre liegt für ihn auch darin, nachzuweisen, dass die Arbeitenden (die eigentlichen [Anm des Rezensenten]) Eigentümer der Produkte sind. Somit sollte auch die gesamte Produktion ihnen gehören. Dabei stützt sich Cleaver auch auf Beobachtungen von Schumpeter in Bezug auf die Innovationskraft der Unternehmer: Auch diese sei als Arbeit (und nicht als „Kapital“) zu begreifen.

Spannend sind die kritischen Anmerkungen des Autors zum Thema, warum marxistische ÖkonomInnen die Arbeitswertlehre aufgegeben haben. Als Beispiel zieht Cleaver die Generallinie der Zeitschrift „Monthly Review“ heran, in der die Theorie breit vertreten wurde, dass sich der Kapitalismus von einer Wettbewerbsökonomie wegbewegt hat und Monopole und Oligopole dominieren. So haben Baran und Sweezy die Marxsche These vom tendenziellen Fall der Profitrate durch die Hypothese von einem steigenden Surplus der kapitalistischen Ökonomie ersetzt. Harsche Kritik erntet auch die Theorie von Roemer, bei der Wertbestimmung sei auch die Nachfrageseite zu berücksichtigen, nicht nur der „Arbeitsinput“. Schließlich wirft Cleaver auch den post-operaistischen Positionen vor, die Arbeitswertlehre ungerechtfertigt aufzugeben. So vertritt etwa Negri, die Arbeitszeit habe als Messgröße ausgedient, zwischen Arbeit und Nicht-Arbeit könne nicht mehr unterschieden werden. Der Autor arbeitet sich hier an bedeutsamen zeitgenössischen Kapitalismusanalysen ab, es ist wohl der gehaltvollste Teil des Buches.

Es sprengt die Möglichkeiten dieser Rezension, die im Kapitel über die „Entschlüsselung des Finanzkapitalismus“ vorgetragenen Überlegungen auch nur ansatzweise zu würdigen. Für Cleaver sind Geld und Finanzwesen Felder des Klassenkampfs. Auch in diesem Abschnitt setzt sich der Autor ausführlich mit den auf das Geldwesen bezogenen Theorien von Baran und Sweezy und deren „Überakkumulationsthese“ auseinander. Für ihn ist es ausschlaggebend, die politische Dimension der Unterwerfung der Arbeit unter die Interessen des Kapitals in die Analyse mit einzubeziehen. Akkumulation ist für ihn immer auch eine Herrschaftsund Unterwerfungsmethode. Wieder zeigt sich, dass für den Autor die Kämpfe der Arbeiter der entscheidende Punkt im Rahmen seiner Krisenanalyse sind.

Was denkt Cleaver zu Fragen der Strategie und Taktik? Es geht ihm um einen Bruch mit der Dialektik des Geldes. Der Autor hält schlicht nicht weniger als eine Beseitigung von Geld und Märkten für erforderlich. Strategische Optionen sollen vor allem neue Spielräume für eine effektive Gegenorganisation der Arbeit schaffen: Es ginge darum, den Bedarf nach Geld einzuschränken, weniger zu arbeiten und eine „Dekommodifizierung“ voranzutreiben. Er meint resümierend, dass das Ausmaß an Arbeit, das es braucht, um unsere Bedürfnisse und Wünsche befriedigen zu können, nach und nach auf Null reduziert werden kann.

Ich erlaube mir eine kurze und daher auch sehr pauschale Gesamtbewertung des Buches: Es ist für die derzeitige komplexe Situation der Arbeit nicht hilfreich. Es liefert keine umfassende und stringente Untersuchung der heutigen Dynamiken des Kapitalismus. Es verzettelt sich in ermüdenden Rekursen auf Marx, vor allem auf die Arbeitswertlehre, vieles ist aber auch Ausdruck einer in der US-Linken breit diskutierten und wohl nur mehr historisch interessanten Kontroverse. Es fehlt an Hinweisen auf eine erfolgreiche regulative Strategie. Die optimistische Sicht auf die Kämpfe der Arbeitenden ist empirisch nicht belegbar, es handelt sich in Wahrheit in den letzten zwei Jahrzehnten um eine Abfolge von Desastern. Der letzte Teil ist schlechte Utopie. Arbeit nur als Last zu sehen, rückt die Publikation in die Nähe libertär-anarchischer Ideologien. Das Buch fällt leider weit hinter den Diskussionsstand in der zeitgenössischen europäischen Linken zurück.