WagnerDie Anwendbarkeit des Arbeitsrechts auf Spitzenverdiener. Eine Untersuchung zur Berücksichtigung wirtschaftlicher Kriterien bei der Anwendung des Arbeitsrechts am Beispiel des Lizenzfußballers und unter Beachtung des Unionsrechts
Duncker & Humblot Verlag, Berlin 2019, 497 Seiten, broschiert, € 119,90
WagnerDie Anwendbarkeit des Arbeitsrechts auf Spitzenverdiener. Eine Untersuchung zur Berücksichtigung wirtschaftlicher Kriterien bei der Anwendung des Arbeitsrechts am Beispiel des Lizenzfußballers und unter Beachtung des Unionsrechts
Die Würzburger Dissertation von Alexander Wagner beschäftigt sich mit einem speziellen Aspekt des AN-Begriffs. Es geht im Kern – wieder einmal – um die Frage, ob die „persönliche Abhängigkeit“ als Abgrenzungskriterium geeignet ist. Der Fokus des Autors ist allerdings nicht auf die Einbeziehung von sozial schutzbedürftigen Selbständigen oder auf neue Arbeitsformen (zB Plattformarbeit) gerichtet. Untersucht wird vielmehr, ob wirtschaftliche Kriterien wie die Entgelthöhe auch zum (partiellen) Ausschluss aus dem Arbeitsrecht führen können bzw sollen. Das wird von Wagner letztlich bejaht. Das Buch enthält ein Plädoyer für ein ausdifferenzierteres Arbeitsrecht, das auf SpitzenverdienerInnen nur eingeschränkt Anwendung finden soll. Die Lizenzfußballer (Lizenzfußballerinnen mit Spitzeneinkommen dürfte es noch nicht geben) dienen als zentrales Anwendungsbeispiel.
Das Buch gliedert sich in drei große Kapitel. Zunächst wird nach der Überschrift zum ersten Kapitel die Anwendbarkeit des Arbeitsrechts auf SpitzenverdienerInnen auf der Grundlage des herrschenden AN-Begriffes untersucht. Entgegen der Überschrift geht es freilich weitgehend um die Rechtsstellung der Lizenzfußballer. Das lässt schon am Anfang die Frage aufkommen, ob Lizenzfußballer so typisch für SpitzenverdienerInnen sind, dass die Aussagen verallgemeinerungsfähig sind. Das ist wohl nur dann der Fall, wenn man tatsächlich allein auf die Höhe des Einkommens abstellt und dabei wirklich nur SpitzenverdienerInnen im engeren Sinn (dh Einkommen auf der Höhe von Spitzenfußballern mit Einkünften von mehreren Millionen Euro, vgl zB die Beispiele auf S 117) im Auge hat. Bei einer Gesamtbetrachtung ist hingegen gerade die Bindung der BerufsfußballerInnen besonders hoch: Sie sind etwa strikt weisungsunterworfen, an vorgegebene Arbeitszeiten gebunden, bei Vertragsverstößen mit Sanktionen oder bei Schlechtleistung mit Entgeltverlusten bedroht. Demgegenüber haben SpitzenverdienerInnen unter den Führungskräften meist wesentlich mehr Freiheiten und Gestaltungsmöglichkeiten. Im Hinblick auf den AN-Begriff der hM kommt aber Wagner ohnehin zum Ergebnis, dass Lizenzfußballern die AN-Eigenschaft zukommt. Schon an dieser Stelle äußert er allerdings unter Bezug auf (ua) Tomandl und Rebhahn sein Misstrauen an der Sinnhaftigkeit dieses Ergebnisses.
Im zweiten Kapitel wird aus rechtsdogmatischer Sicht untersucht, ob und inwieweit wirtschaftliche Kriterien bei der Anwendung des Arbeitsrechts grundsätzlich berücksichtigungsfähig sind. Auf den ersten Blick betrachtet scheint die deutsche Rsp und Literatur wirtschaftliche Kriterien bei der Bestimmung der AN-Eigenschaft noch konsequenter auszuschließen als dies in Österreich der Fall ist. Nach dem OGH sind ganz klar die Elemente der persönlichen Abhängigkeit bestimmend. In Grenzfällen werden aber durchaus immer wieder auch wirtschaftliche Kriterien herangezogen. Schon in der E zum Partyvertriebssystem bei Kosmetikberaterinnen hat der OGH ausgeführt, dass wirtschaftliche Abhängigkeit (von der konkreten Beschäftigung) einen wesentlichen Hinweis auf die persönliche Abhängigkeit bilden kann und bei dieser auch Elemente wirtschaftlicher Unselbständigkeit wie die fehlende unternehmerische Dispositionsbefugnis (zB Vorgaben im Hinblick auf Preis, Marketing und Vertriebsvorgaben) mit zu berücksichtigen sind (OGH 11.5.1988, 9 ObA 48/88; OGH 13.4.1988, 9 ObA 52/88). Möglicherweise ist der Unterschied zwischen der Rsp des OGH und der des Bundesarbeitsgerichts (BAG) aber doch kleiner als zunächst vermutet. Wagner zeigt nämlich auf, dass auch das BAG jedenfalls Kriterien der 356 wirtschaftlichen Unselbständigkeit bzw Selbständigkeit wie die Verteilung des Unternehmerrisikos unter dem Oberbegriff der persönlichen Abhängigkeit in die Beurteilung einbezieht (zB S 380). Freilich ging es beim OGH wie beim BAG idR um Fallgestaltungen, bei denen eine selbständige Tätigkeit vereinbart wurde und die Einbeziehung in das Arbeitsrecht strittig war. Der OGH hat allerdings entschieden, dass der nicht (vorrangig) wirtschaftliche Zweck der Dienstleistung zum Ausschluss eines Arbeitsverhältnisses führt (zu Näherinnen in einer geschützten Werkstätte OGH 29.10.2009, 9 ObA 105/09w, vgl auch OGH 29.6.2011, 8 ObA 41/11d). Das sind aber nicht die Fälle, um die es Wagner geht. Er hat ja die Konstellation im Blickfeld, wonach wegen wirtschaftlicher Unabhängigkeit (bzw hohen Einkommens) ein/e die Elemente der persönlichen Abhängigkeit erfüllende/r Beschäftigte/r aus dem Arbeitsrecht herausfallen kann. Seine gründliche und detailreiche Analyse, die von der Verwendung wirtschaftlicher Begriffe im Gesetzesrecht bis zum Schutzzweck des Arbeitsrechts reicht, kommt zunächst zum Ergebnis, dass beim AN-Begriff Elemente wirtschaftlicher Abhängigkeit und sozialer Schutzbedürftigkeit „kumulativ“ neben denen der persönlichen Abhängigkeit zu berücksichtigen sind. Damit wären diese Merkmale nicht bloß in Zweifelsfällen einzubeziehen, sondern immer und offenbar gleichwertig mit Kriterien der persönlichen Abhängigkeit. Freilich konstatiert Wagner, dass im Ergebnis in den allermeisten Fällen ohnehin kein Unterschied zur hM besteht, weil ein Gleichlauf von persönlicher Abhängigkeit einerseits und wirtschaftlicher Abhängigkeit sowie sozialer Schutzbedürftigkeit andererseits bestünde. Gerade dort, wo dieser Gleichlauf unterbrochen wird, versage aber die hM, weil nicht schutzbedürftige Personen unter den Schutz des Arbeitsrechts fallen würden (S 355).
Im dritten Kapitel folgt dann die überraschende Kehrtwendung. Seit der Einführung von § 611a Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) (Inkrafttreten 1.4.2017) sei nämlich die Berücksichtigung der wirtschaftlichen Abhängigkeit und der sozialen Schutzbedürftigkeit nicht mehr zulässig. Dies ergebe sich daraus, dass § 611a Abs 1 BGB den AN-Begriff unter ausdrücklichem Bezug auf die persönliche Abhängigkeit definiere und die Absicht des Gesetzgebers eindeutig gewesen sei, die Rsp des BAG 1:1 zu übernehmen. Die dafür angeführten Nachweise sind überzeugend (S 357 ff). Die Änderung der Rechtslage war für den Autor insofern unglücklich, weil damit der Großteil seiner 2018 abgeschlossenen und 2019 veröffentlichten Untersuchung keine aktuelle rechtsdogmatische Relevanz mehr hat. Das offenkundige ursprüngliche Ziel der Arbeit, einen Nachweis zu erbringen, dass entgegen der hM und Rsp wirtschaftliche Abhängigkeit und soziale Schutzbedürftigkeit beim AN-Begriff zu berücksichtigen sind und damit ein Ansatz besteht, SpitzenverdienerInnen aus dem Arbeitsrecht wenigstens teilweise auszuschließen, konnte nun nicht mehr erreicht werden.
Von aktueller Bedeutung ist aber die Diskussion der entsprechenden Möglichkeiten de lege ferenda. Wagner plädiert für eine „Vierteilung“ der Erwerbstätigen in AN, Selbständige, Arbeitnehmerähnliche und „Unternehmerähnliche“. Bei der letzteren Kategorie liege zwar persönliche Abhängigkeit vor, es fehlen aber die wirtschaftliche Abhängigkeit und/oder die soziale Schutzbedürftigkeit. Sie seien daher von den Rechtsfolgen des arbeitsrechtlichen Existenzschutzes auszunehmen. Das alleinige Bestimmungskriterium für Unternehmerähnlichkeit liege in der Höhe des Entgelts. Die mit einer solchen Differenzierung verbundenen Probleme werden von Wagner zT angesprochen. Die von ihm vorgeschlagene Grenzziehung von ca € 150.000,– Jahreseinkommen (S 409) führt jedenfalls dazu, dass sich eine solche Regelung keineswegs auf die anfangs beispielhaft angesprochenen Spitzenfußballer (sowie Kultur- und Medienstars) mit Millioneneinkommen beschränkt. Vielmehr würden viele Führungskräfte und Top-ExpertInnen erfasst. Die solcherart definierten SpitzenverdienerInnen sollten nach Wagner ihre Daseinsvorsorge eigenverantwortlich organisieren (S 410). Sehr dünn und an der Oberfläche bleiben die Ausführungen beim besonders interessanten Thema, welche Regelungsbereiche des Arbeitsrechts für „SpitzenverdienerInnen“ denn ausgeschlossen werden sollten (S 412 ff). In erster Linie wird auf die den Entgeltbereich unmittelbar betreffenden Vorschriften, wie die Entgeltfortzahlung bei Krankheit und Urlaub, abgestellt. Bei den Haftungsbeschränkungen und beim Kündigungsschutz legt sich Wagner nicht fest. Völlig richtig sieht er aber, dass sich derartige gesetzliche Regelungen auf die Regelungsmaterien beschränken müssten, bei denen es auf den innerstaatlichen AN-Begriff ankommt. Liegt die Bestimmungskompetenz bei der Union, würde eine Herausnahme der SpitzenverdienerInnen nicht mit der Rsp des EuGH kompatibel sein.
In Österreich wurde eine Ausdifferenzierung des Arbeitsrechts für Beschäftigte mit höheren Einkommen schon von Tomandl vertreten (zuletzt im Buch mit dem Titel „Machen wir unser Arbeitsrecht zukunftsfähig“ aus 2019, siehe dazu meine Besprechung in DRdA 2020, 280 f). Tomandls Konzept setzt aber viel grundsätzlicher an und ist auch konkreter ausgebildet. Es geht ihm einerseits um eine Erweiterung des Arbeitsrechts zu einem „Recht der höchstpersönlichen Arbeit“ und andererseits um eine stärkere Ausdifferenzierung nach Schutzbedürftigkeit. Er schlägt vor, das Arbeitsrecht bzw die arbeitsrechtlichen Bestimmungen, die lediglich auf die höchstpersönliche Verpflichtung zugeschnitten sind, grundsätzlich auf Selbständige, die höchstpersönlich ihre Arbeitsleistung erbringen (müssen), auszudehnen. Im Gegenzug könnten Teile des Arbeitsrechts nur bei wirtschaftlicher Abhängigkeit zur Anwendung kommen, wobei auch Tomandl maßgeblich auf die Höhe des Entgelts abstellt. Letztlich bleiben in beiden Konzepten viele Fragen offen. Was ist bei Beschäftigungen, bei denen die Entgelthöhe laufend wechselt? Zahlenmäßige Grenzziehungen haben auch den Nachteil, dass ein knappes Überschreiten der Grenze im Vergleich zu einem knappen Unterschreiten leicht zu unsachlichen Ergebnissen führen kann. Man benötigt also komplexe Stufenregelungen. Welche Regelungsbereiche hängen aber tatsächlich mit der Höhe des Entgelts zusammen? Rechtfertigt ein hoher Verdienst die Ausnahme aus dem Arbeitszeitrecht, das in erster Linie dem Gesundheitsschutz dient oder eher aus dem Entgeltfortzahlungsrecht, weil man Eigenvorsorge betreiben könnte (ein Gedanke, der bei Wagner, nicht aber bei Tomandl, ins Spiel kommt). Welchen Kündigungsschutz benötigen SpitzenverdienerInnen? Selbst Führungskräfte und Spitzenfußballer können in die Arbeitslosigkeit fallen und haben am Arbeitsmarkt (bei Spitzenfußballern zB wegen Verletzungen) uU sehr eingeschränkte Chancen. 357
Mit einer zusätzlichen Kategorie, wie sie Wagner vorschlägt, werden im Übrigen die oft beklagten Abgrenzungsprobleme für die Anwendung von Arbeitsrecht nicht weniger, sondern mehr. Letztlich muss man daher die Frage stellen, ob die Ausnahme von SpitzenverdienerInnen aus Teilen des Arbeitsrechts wirklich ein so dringliches rechtspolitisches Problem ist, dass man all diese Unwägbarkeiten in Kauf nimmt. Die Kosten des Arbeitsrechts werden bei den entsprechenden Verträgen entweder eingepreist oder die Marktposition des Beschäftigten ist (wie bei manchen SpitzensportlerInnen) so, dass man ohnehin weitgehend auf die von ihnen geforderten Bedingungen eingehen muss. Ob damit eine spürbare Entlastung der AG verbunden ist, darf jedenfalls bei einer hohen Entgeltgrenze bezweifelt werden. Erfasst man nicht nur Beschäftigte mit Spitzenverdiensten, sondern auch mit gehobenen Einkünften (zB ab der Höchstbeitragsgrundlage, das wären derzeit € 5.550,– pro Monat, ca die Hälfte der Grenze, die Wagner vorschlägt), würde dies einen erheblichen Teil der AN wenigstens partiell vom Arbeitsrecht ausschließen. Ob dies im Hinblick auf den verfassungsrechtlichen Gleichheitssatz überhaupt zulässig ist, hängt nicht nur von der Höhe der Entgeltgrenze, sondern (ua) auch von den ausgenommenen Regelungsbereichen ab. Rechtspolitisch wäre es jedenfalls bedenklich, weil wirtschaftliche Unabhängigkeit wohl tatsächlich erst bei sehr hohen Einkommen über längere Zeit besteht.